Währenddessen hat sich unser Land weiter auf den Katastrophenfall vorbereitet, und die Bundesregierung hat ihren bisherigen Fehlern weitere hinzugefügt – alles in allem eine seltsame Schwerpunktsetzung Ihres Bundesvorstands. Aber gut: Beschäftigen wir uns damit.
Der Bundesvorstand hat gestern mit überdeutlicher Mehrheit entschieden, daß sich der »Flügel«, zu dessen Initiatoren Sie gehören, bis Ende April durch eigenen Entschluß aufgelöst haben solle. Sind Sie über diese Forderung überrascht oder verärgert?
HÖCKE: Ich bin als AfD-Mitglied peinlich berührt. Denn diese Forderung kommt zum falschen Zeitpunkt und unterläuft einen Vorgang, den der »Flügel« längst umsetzt: seine Historisierung. Alle, die ihn aufmerksam beobachten, haben das wahrgenommen.
SEZESSION: Was meinen Sie mit Historisierung?
HÖCKE: Wir alle wissen, daß der »Flügel« vor fast genau fünf Jahren mit der »Erfurter Resolution« sein Gründungsdokument vorlegte, um den Einbau der AfD ins Establishment zu verhindern. Jedes AfD-Mitglied konnte diese Resolution unterschreiben, und das taten Tausende. Ohne den »Flügel« wäre die AfD keine Alternative mehr, sondern vielleicht gerade noch eine Art eigenständige WerteUnion, also ein Mehrheitsbeschaffer von Merkels Gnaden. Das hat der »Flügel« verhindert. Seither hat sich die AfD sehr gut entwickelt, und so notwendig unser Impuls vor fünf Jahren war: Nun brauchen wir einen Impuls, der über den Flügel hinausweist und die Einheit der Partei betont.
SEZESSION: Warum nennen Sie diesen Vorgang »Historisierung«?
HÖCKE: Der »Flügel« ist als Netzwerk sehr selbstbewußt aufgetreten. Ich bin aber der Meinung, daß er nicht nur politikfähige, also geeignete Leute angezogen hat. Ich bin kein Freund von Verfilzungen. Ich weiß, daß Parteien zu solchen Verfilzungen neigen. Ich möchte heute wiederum nicht zu denjenigen gehören, die sich durch verknotete Netzwerke daran hindern lassen, an der Stabilisierung der Partei mitzuarbeiten.
SEZESSION: Wieso kommt dann aber die Forderung des Bundesvorstands zur falschen Zeit?
HÖCKE: Das hat zwei Gründe. Erstens: Das Establishment, dieser ungute Filz aus Parteien, Medien und »Zivilgesellschaft«, hat zuletzt nun – erwartbar! – den sogenannten »Verfassungsschutz« (VS) gegen die AfD in Stellung gebracht. Dieses Manöver ist so durchschaubar wie schäbig, und im Grunde weiß das innerhalb der AfD jeder. Erwartbar war auch, daß sich der VS nur einen Teil der Partei vorknöpfen würde – er kennt das spaltende Potential solcher Verfahrensweisen. Daß nun nervöse Teile in unserer Partei den erstbesten Anlaß aufgegriffen und im Sinne des VS einen Bundesvorstandsbeschluß herbeigetrommelt haben, ist unklug. Meine Prognose: Der VS wird nachstoßen.
Zweitens: Wir sind ja längst weiter, siehe meine Antwort von vorhin: Der »Flügel« weiß, was er geleistet hat. Er weiß aber auch, daß er ebenso wie die Partei kein Selbstzweck ist. Was die Partei nun braucht, weist über den »Flügel« hinaus. Plötzlich aber sieht er sich genötigt, und so etwas kommt bei der Basis zurecht nicht gut an. Es ist einfach überflüssig, wenn ein Vorstand sich ohne wirkliche Not Zeitvorgaben aufdrängen läßt. Cui bono? Ich habe es in den letzten Jahren immer wieder betont und ich tue es auch jetzt: Was diese Partei vom Basismitglied bis zum Bundesvorstand braucht ist: Gelassenheit, vor allem dann, wenn Forderungen von außerhalb der Partei kommen.
SEZESSION: Eine Zwischenfrage nach dem »erstbesten Anlaß« will ich nun doch stellen. Ihre Kampfansage gegen diejenigen in der Partei, die nach dem Erfolg in Thüringen spalterisch wirkten, war ja schon eindeutig: Schwitzt man Leute aus?
HÖCKE: Wie sagen Sie immer? Die Zunge auf Eis legen, bevor man spricht? Sollte man tatsächlich immer machen.
SEZESSION: Und nun?
HÖCKE: Der Bundesvorstand ist das höchste Exekutivorgan der Partei. Als Konservativer pflege ich die Institutionen, auch wenn ich weiß, welche irrationalen Dynamiken in mehrstündigen Sitzungen solcher Gremien ablaufen können.
Nun geht das, worüber wir längst nachdenken, eben schneller. Unsere Arbeit weist über den Flügel hinaus, Andreas Kalbitz, ich selbst und alle anderen politikfähigen »Flügler« werden ihren politischen Kurs im Sinne der AfD weiterführen. Diejenigen aber, die den »Flügel« mißverstanden haben und ihn verfilzen wollten, werden nicht mithalten können – genausowenig wie diejenigen in der Partei und im Bundesvorstand, die auf Kosten ihrer Parteifreunde allzu gute Kontakte zum Establishment suchen.
Lotta Vorbeck
Mutig: Andreas Kalbitz & Björn Höcke verknüpfen ihr persönliches Schicksal mit einer Partei, die sie zwar als Mandatsbeschaffer benutzt aber eigentlich als Parias betrachtet.
Nunja, man wird sehen, was es austrägt.