“Covid19” und seine Folgen herrschen nun über unsere Köpfe, als wären sie von einer mentalen Infektion befallen. Alle anderen Probleme scheinen angesichts der Krise an Bedeutung verloren zu haben – so etwa die von der Türkei losgetretene Flüchtlingswelle, die immer noch die Grenzen Griechenlands belagert. Nachrichten aus aller Welt prasseln im Minutentakt auf uns ein, versorgen uns mit wieder neuen Aspekten und Szenen des Dramas.
Einmal mehr hat es denn Anschein, daß wir in einem massenmedial vermittelten “globalen Dorf” leben, repräsentiert durch eine publicityträchtig erkrankte internationale Prominenz, während unsere Regierungen uns zu “social distancing” und Hausarrest verdonnert haben.
Einmal mehr muß ich an die Sätze John Bergers aus seinem Essay „Gegen die große Niederlage der Welt“ (2001) denken:
Unsere Kultur ist vielleicht die klaustrophobischste, die je existiert hat; es ist die Kultur der Globalisierung, die wie Boschs Hölle keinen noch so flüchtigen Blick auf ein Anderswo oder Anderswie zulässt. Das Vorhandene schließt sich zum Gefängnis.
Allerdings haben die Insassen dieses Gefängnisses unterschiedliche Drehbücher im Kopf, in welchem Film sie sich eigentlich befinden, und welche Rolle sie darin spielen. Die “Corona-Krise” zeigt die enorme psychologische Rückkoppelung zwischen dem, was wir als “Wirklichkeit” empfinden, und unseren mentalen Deutungs- und Filterungssystemen.
So teilen sich Kommentare zur Krise in grob zwei Kategorien: “Was passiert?” und “Wozu passiert es?”
“Wozu passiert es?” ist die Frage der Sinndeuter und ‑stifter, der Ideologen, Prognostiker und Propheten, aber auch der “Verschwörungstheoretiker” und aller, die hoffen, die Krise käme ihrer politischen Agenda zugute. Viele sehen in der Katastrophe eine große Chance und verkünden kommende globale Umwälzungen, eine gewandelte Welt und gewandelte Menschen. Hier gibt es völlig entgegengesetzte Vorstellungen.
Der seit Jahrzehnten ubiquitär nervende “Zukunftsforscher” Matthias Horx etwa verfaßte ein blumiges Prosastück, das ein baldiges Happy-End der kathartischen Krise verspricht, das uns alle als solidarischere Menschen zurücklassen wird. Wir werden wieder unseren „Familien, Nachbarn, Freunden“ näherkommen, der „Seelenmüll“ wird entsorgt werden, und alle werden erkennen, daß es wichtigere Dinge im Leben gibt als Konsum und materielle Güter. Nach so viel Angstüberwindung und „innerem Wandel“ werden auch die Hasser, Hetzer und Spalter wie Trump und die AfD keine Chance mehr haben.
Slavoj Žižek hofft, daß der Corona-Virus dem “Kapitalismus” den Todesstoß versetzen und einen neuen, “guten“Kommunismus und sozialistischen Umbau der Weltwirtschaft ermöglichen wird. Am anderen Ende des Spektrums prophezeit Greg Johnson, der führende Kopf des “weißen Nationalismus”, die Schwächung der “anti-nationalistischen Kräfte des Globalismus, der Demokratie, des Liberalismus, des Konservatismus und des Vielfalt-Kults”. Bill Gates will die Welt durch einen “fairen Kapitalismus” verändern und mit einer Generaloffensive aus Technologie und Pharma-Industrie vor dem Corona-Virus (und sonstigen kommenden Epidemien sowie der Klimakatastrophe) retten. Naomi Klein sieht in der “Coronavirus-Krise” einen fiesen “Katastrophen-Kapitalismus” nach Rezept von Milton Friedman am Werk, während taz-Autorinnen vom baldigen Ende des “Neoliberalismus” träumen.
“Was passiert?” zielt auf die Fakten und ihre objektive Einschätzung. Dazu zählt vor allem die Frage, wie “gefährlich” das Virus eigentlich tatsächlich ist und wie es operiert. Davon wiederum hängt die Antwort auf die Frage ab, ob die Maßnahmen der meisten westlichen Regierungen, insbesondere die Ausgangsbeschränkungen und der “shut down” großer Teile der Wirtschaft und des öffentlichen Lebens, gerechtfertigt oder effektiv sind. Nach einer Formulierung (17. 3.) des amerikanischen Gesundheitswissenschaftlers John Iaonnidis: Springt der Elefant aus Furcht vor einer Katze die Klippe hinunter?
Da die meisten von uns weder Ärzte noch Virologen sind, können wir diese Frage nicht selbst beantworten, sondern sind auf Experten angewiesen, denen wir Glauben schenken können oder nicht. Einer der ersten, der sich “relativierend” in die Bresche schlug, war Wolfgang Wodarg, der dann auch rasch als Verbreiter von “Fake News” an den medialen Pranger gestellt wurde (derselben Medien, die zu Beginn der Krise über die Allzubesorgten, natürlich “rechtspopulistische Verschwörungstheoretiker” usw. lustig gemacht hatten.)
Wodarg ist allerdings nicht der einzige seines Faches, der zur Besonnenheit ermahnt und vor Panikmache und Hysterie warnt. Weitere Beispiele sind die Ärzte Sucharid Bhakdi, Stefan Hockertz, Gunter Frank, Antoni Walczok. Hauptargument gegen die Gefährlichkeit des Virus ist die Tatsache, daß die Sterberaten vergleichsweise niedrig seien, und vor allem ältere Menschen jenseits der 65 betreffen, die bereits an Vorerkrankungen leiden. Die Furcht vor dem Coronavirus sei, so argumentieren etliche Skeptiker, durch übermäßige Berichterstattung “inszeniert”, eine Art psychologisch-optische Täuschung; würde man beispielsweise jeden Grippe-Toten melden, ließe sich eine vergleichbare Epidemiengefahr suggerieren.
Wer von der Gefährlichkeit des Virus überzeugt ist, führt an dieser Stelle die stark emotionalisierenden Katastrophenberichte aus Norditalien als Gegenargument an; ein ähnlicher Zusammenbruch durch Überlastung der Spitäler drohe auch uns, wenn wir nicht drastische Maßnahmen ergreifen. Hier wird von den Skeptikern gekontert, daß die italienische Katastrophe etliche lokale Gründe hätte: die betroffenen Regionen seien etwa von Überalterung, dichter Besiedlung und hoher Luftverschmutzung gekennzeichnet, zudem sei das italienische Gesundheitssystem in einem sehr schlechten Zustand.
Es gibt jedenfalls für den Laien ausreichende Gründe, den Medienhype in Frage zu stellen. Auch der Mainstream-Häuptling Stern hat am 17. 3. ermahnt, “kritische Debatten” nicht zu unterdrücken. Das hatte freilich einen bestimmten Zweck, denn seit dem 12. 3. hatte sich der politische Wind gedreht. Im konkreten Fall ging es darum, die Position des “Warners” Dr. Alexander Kekulé gegen den “Beschwichtiger” Robert-Koch-Institut zu stärken; Kekulé hatte bereits im Januar verschärfte Maßnahmen gefordert, um “chinesische Verhältnisse” zu verhindern, was eine kurze Zeitspanne lang als “Außenseiter”-Position galt. Das hat sich nun völlig umgekehrt, Kekulés Ansicht hat sich durchgesetzt, während das Koch-Institut nun in einem schlechten Licht dasteht.
Das ist nun genau seitenverkehrt zu dem Plädoyer für Meinungsfreiheit, das der populäre österreichische Psychiater Raphael Bonelli (“unser” Jordan Peterson, nur besser, ohne die Guru-Attitüde und die persönliche Exzentrik) am 21. 3. auf seinem Youtube-Kanal veröffentlichte: Bonelli äußerte erhebliches Unbehagen an der Art, wie Wolfgang Wodarg zu diesem Zeitpunkt in den deutschen Medien angegriffen wurde. Im Zuge der Zwangsmaßnahmen (die kurz zuvor in Österreich wirksam wurden) würden “Kritiker sofort in das Eck der Verschwörungstheoretiker und Faschisten gestellt”. Bonelli (den ich überaus schätze) warnte auch vor totalitären Tendenzen des Staates und der moralisierenden Manipulation durch die Medien.
Unter deutschen Konservativen ist die Ansicht vorherrschend, die Merkel-Regierung und ihre Medienlakaien hätten die Gefahr zunächst lange verdrängt und dann, viel zu spät, überstürzte, unkluge und chaotische Maßnahmen ergriffen (ähnliche Kritik wurde an Donald Trump und Boris Johnson geübt) – man vergleiche etwa diese “Chronik des Desasters” von Marco Gallina:
Erst, als die Kanzlerin am Mittwoch vergangener Woche wieder nach langer Zeit in Erscheinung trat, änderte sich etwas. Es war, als würde die Krise jetzt nur deswegen Krise, weil sie es beschließt. In ihrer majestätischen Güte nahm uns die große Mutter wieder in ihre Huld auf und erklärte, wie die Welt funktionierte. Fast alle Medien und Politiker an ihrem Rockzipfel änderten ihre Meinung mit einem Schlag.
Gallina sieht Italien als Modellfall, was allen Ländern blüht, wenn die Gefahr nicht erkannt und gebannt wird:
Wie wenig über Corona nördlich der Alpen bekannt ist, zeigt sich am Argument der niedrigen Todeszahl. Die Todesfälle sind aber erst das zweite Problem. Das Virus ist nicht berüchtigt, weil es tötet; es ist berüchtigt, weil es sich gut verbreitet. Nur ein Bruchteil landet im Krankenhaus. Aber die, die dort landen, sind zu viele. Die Lombardei krankt an der Zahl.
Bei vielen, die das so sehen, spielte sicher auch eine gewisse psychologische Vorgeschichte eine Rolle: Mißtrauen gegenüber einer “globalistisch” orientierten Regierung, die als realitätsblind erachtet wird, die unfähig ist, nationale Abwehrkörperchen zu bilden und die schon zuvor die Schleusen und Grenzen für eine andere Sorte von Eindringlinge geöffnet hat. Dazu paßte die Wortmeldung des Virologen Martin Stürmer (14.3.), es sei “komplett sinnlos” die Grenzen zu schließen, weil es ohnehin schon so viele Infektionsfälle in Deutschland gäbe. Das erinnerte natürlich fatal an das Merkel’sche „Ist mir egal, nun sind sie halt da.”
Stürmer äußerte dies am selben Wochenende, als die österreichische Regierung einen drastischen “shutdown” des öffentlichen Lebens sowie eine Ausgangsbeschränkung anordnete, unter anderem mithilfe eines Pandemie-Gesetzes, das quasi über Nacht beschlossen wurde. Diese Maßnahmen waren begleitet von einer gezielten Mobilisierung patriotischer Sentiments, wobei die nationale Institution Kronen-Zeitung (man sollte sie in “Corona-Zeitung” umbenennen) die Rolle der “Prawda” für die Regierung Kurz übernahm (für das Blog des Magazins freilich habe ich einen ironischen Kommentar darüber geschrieben).
Während die Leute sich nun “sozial distanzieren”, zu Hause bleiben und auf der Straße große Bögen umeinander machen, appellieren die Kronen-Zeitung und andere Boulevardmedien wie Österreich oder Heute tagtäglich an das nationale “Wir”-Gefühl, an Einheit, Gemeinschaft und Solidarität. Sieht man sich Titelseiten wie diese an, dann erscheint die Nation nun deutlich weniger “divers” als sonst (der Fußballer Alaba ist sozusagen das Alibi):
Die größte Fundgrube für diese Art von Re-Patriotisierungssymbolik ist natürlich das bei weitem auflagenstärkste Blatt des Landes, Kronen-Zeitung (die übrigens zu 24,5% im Besitz des Kurz-Intimus René Benko ist). Durchhalteparolen werden ausgegeben, während Gutmenschenkoryphäen der Nation den Lesern versichern, nicht allein zu sein:
Schutzmasken werden mit rot-weiß-roter Färbung dargestellt:
Und natürlich wird auch Werbung in eigener Sache gemacht:
Das ist alles schön und gut, gibt Orientierung und Information, und ist sicher besser, als gar nichts zu tun, auch wenn es seine skurrilen Aspekte hat.
Was Österreich angeht, so scheint also die These aufzugehen, daß die Corona-Krise zu einer Abwendung vom Universalistisch-Globalistischen führen und das Partikularistisch-Nationale stärken wird, trotz oder gerade wegen des medial vermittelten Gefühls, in einem globalen Dorf zu leben. Die Menschen würden nun wieder den Wert sicherer Grenzen, des nationalen Zusammenhalts, des Protektionismus und der regionalen Wirtschaft erkennen. Man könne dies auch in anderen Ländern beobachten, etwa im schwer getroffenen Italien, in denen Menschen auf den Balkonen patriotische Lieder singen, um einander Mut zu machen, darunter die Nationalhymne „Fratelli d’Italia“. Nun habe die “Stunde der Nationalstaaten” geschlagen, so Jörg Meuthen in einem Interview mit der Jungen Freiheit.
Diese Vorstellung hat einiges an sich. Viren sind schließlich “Globalisten”, “große Gleichmacher”, die keine Grenzen und Nationen kennen und dank der modernen Verkehrsmittel ebenso freizügig um den Globus strömen wie Kapital, Rohstoffe, Waren, Informationen und Migranten. Und in der Tat scheint plötzlich niemand (nun, fast niemand) mehr Lust auf eine Wiederholung von 2015 zu haben, was in der jetzigen Lage geradezu selbstmörderisch erscheinen müßte.
Und nichts fördert patriotische Gefühle mehr als eine gemeinsame Bedrohung von außen, wobei es sich diesmal um einen “unsichtbaren Gegner” handelt, bei dem keine Gefahr der “Enthumanisierung” oder “Diskriminierung” besteht, auch wenn manche fürchten, der Rassismus gegen “ChinesInnen, ItalienerInnen oder Geflüchtete” könne zunehmen. Gleichzeitig wachsen Sympathie und Solidarität für andere Staaten, die von derselben Gefahr bedroht sind, und sich ebenfalls re-nationalisieren. So weit, so gut?
Fortsetzung folgt.
AndreasausE
Gefahr hin oder her: Entscheidend wird sein, was politisch draus gemacht werden wird.
Selbstverständlich wird das Regime die mittlerweile schon erreichte Gewöhnung an restriktive Maßnahmen für weitere Drehung der Daumenschraube zu nutzen.
Oder auch im kulturellen Bereich: Wenn in Duisburg nun ein mohammedanischer Gebetsrufer "ausnahmsweise" vom Minarett lautsprecherverstärkt wirken darf, wird diese "Ausnahme" ziemlich sicher zur Regel werden. Die letzten 5 Deutschen die dort wohnen werden sich dran gewöhnt haben... Und wenn die da das dürfen, dürfen die das da auch...
Auch die Einschränkung in Sachen Versammlungsfreiheit ist bloße Sache der Gewöhnung.
Wie hieß das noch zu "autoritären Zeiten"? "Wenn dreie beieinanderstehn, solln sie auseinanandergehn" oder so ähnlich. Genau das wird gerade geübt. Heute Ausnahme, morgen Üblichkeit.
Man übt auch schon in Sachen Einschränkung und Hamsterkauf. Einstimmung auf Mangelwirtschaft und Lebensmittelkarten? Klamottenkarten natürlich auch - Herrenausstatter meines Vertrauens ist geschlossen.
Nett auch dieser eingedampfte Bundestag samt Bundesrat, wo wirklich deftige Gesetze in kleinster Runde ohne öffentlich vernehmbare Aussprache (z. B. Phoenix) durchgeprügelt wurden.
Sicher ist es verfehlt, da gleich mit Weimarnotverordnungsermächtigungsgesetznazikram zu kommen; aber andererseits... gewissen Geschmack hat das.
Ich will keinesfalls die möglichen medizinischen Gefahren kleinreden, da hab ich eh keine Ahnung von, aber die gesellschaftspolitischen Auswirkungen liegen deutlich auch vor Augen eines Virologie-Laien.