Jordan Peterson – Porträt eines Torwächters

PDF der Druckfassung aus Sezession 87/Dezember 2018

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

12 Rules for Life statt »Anschwel­len­der Bocks­ge­sang«? Marc Felix Ser­rao emp­fahl in der Neu­en Zür­cher Zei­tung vom 27. Juli 2018 den deut­schen Kon­ser­va­ti­ven einen Aus­weg aus der Sack­gas­se der kul­tur­pes­si­mis­ti­schen Selbst­mar­gi­na­li­sie­rung: »Fragt man jün­ge­re Deut­sche, die poli­tisch inter­es­siert sind, nach rele­van­ten rech­ten Den­kern«, so Ser­rao, »dann bekommt man als Ant­wort ein paar Tote und viel­leicht den einen oder ande­ren Aus­län­der genannt.«

An die­sem Zustand sei­en »Botho Strauß und sei­ne Bewun­de­rer mit­ver­ant­wort­lich.« Statt »die Schuld für die eige­ne Bedeu­tungs­lo­sig­keit immer­zu bei den Lin­ken, der deut­schen Geschichts­schrei­bung oder dem Wes­ten zu suchen«, könn­ten sie doch mal die Rol­le, die ihnen ihr »Held« aus der Ucker­mark »zuge­raunt« habe, fah­ren las­sen und statt­des­sen den Erfolgs­re­zep­ten eines nord­ame­ri­ka­ni­schen Gurus lauschen:

Wie es anders geht, läßt sich der­zeit auf fas­zi­nie­ren­de Wei­se an einem nicht­lin­ken Intel­lek­tu­el­len aus Kana­da beob­ach­ten. Der Psy­cho­lo­ge und Kul­tur­kri­ti­ker Jor­dan Peter­son hat in der eng­lisch­spra­chi­gen Welt bin­nen kür­zes­ter Zeit einen Kult­sta­tus erreicht, der bei­spiel­los ist. Wo der hage­re Pro­fes­sor auf­tritt, füllt er rie­si­ge Hal­len mit jun­gen Menschen.

Peter­son bie­tet eine Art Über­le­bens­hil­fe gegen das, was er kul­tu­rel­len Mar­xis­mus nennt. ›Steh auf­recht‹, lau­tet die ers­te Regel sei­nes Buchs 12 Rules for Life: An Anti­do­te to Cha­os. Wer das tue, fan­ge an, die ›schreck­li­che Ver­ant­wor­tung für das Leben‹ zu akzeptieren.

Peter­sons Ton ist der eines stren­gen Vaters, und sein Men­schen­bild ist so pes­si­mis­tisch, wie es sich für einen Kon­ser­va­ti­ven gehört. Aber der Appell an die Leser ist libe­ral: Jeder müs­se ler­nen, aus den Opfer­rol­len her­aus­zu­kom­men, die ande­re ihm andie­nen – kei­nem Kol­lek­tiv, son­dern sich selbst zuliebe.

Peter­sons Anfang 2018 erschie­ne­nes Buch ist nun auch auf Deutsch erhält­lich. Der 1962 gebo­re­ne Psy­cho­lo­gie­pro­fes­sor, der an der Uni­ver­si­tät Toron­to lehrt, ist inner­halb von nur zwei Jah­ren zum angeb­lich »ein­fluß­reichs­ten popu­lä­ren Intel­lek­tu­el­len der west­li­chen Welt« (New York Times) auf­ge­stie­gen.

Peter­son wird häu­fig in die Nähe der »Altright«-Schublade gerückt, die er selbst vehe­ment zurück­weist. Sei­ne Kar­rie­re ist aller­dings eng mit der »alter­na­tiv-rech­ten« Wel­le des Jah­res 2016 ver­bun­den, als im Zuge der Wahl­kam­pa­gne Donald Trumps neue Akteu­re die poli­tisch unkor­rek­te Medi­en­büh­ne betra­ten und der Bekannt­heits­grad ande­rer dras­tisch anstieg: unter ihnen etwa Ste­ve Ban­non, Milo Yiann­o­pou­los, Lau­ren Sou­thern, Mike Cer­no­vich, Paul Joseph Wat­son oder Richard Spencer.

Des­halb wur­de Peter­son zunächst von Freund und Feind durch­aus als Teil der damals noch sehr weit gespann­ten Bewe­gung betrach­tet und von sei­nen Ver­eh­rern mit »Pepe der Frosch«-Devotionalien beschenkt, was viel­leicht auch auf sei­ne berüch­tigt nasa­le Stim­me anspiel­te, die böse Zun­gen mit »Ker­mit« aus der Mup­pet-Show vergleichen.

Peter­sons jäher Ruhm ver­dankt sich einem Eklat: Im Sep­tem­ber 2016 ver­öf­fent­lich­te er auf sei­nem You­Tube-Kanal einen Vor­trag, in dem er sich dage­gen aus­sprach, »Transgender«-Personen mit geschlechts­neu­tra­len Pro­no­men anzu­spre­chen, also Kunst­wör­tern wie »Ze« und »Xe«.

Dies und die gene­rel­le Kri­tik an kana­di­schen Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­ge­set­zen und poli­ti­schen Maul­korb­zwän­gen auf dem Cam­pus lös­te, wie zu erwar­ten, das Gebell der getrof­fe­nen Hun­de aus. »Social Jus­ti­ce War­ri­ors« und Anti­fan­ten stör­ten in Scha­ren sei­ne Vor­le­sun­gen und beschul­dig­ten ihn der »Haß­re­de«.

Sei­ne Kom­men­ta­re sei­en »inak­zep­ta­bel, emo­tio­nal ver­stö­rend und schmerz­haft«, wür­den Haß und Aggres­si­on auf »Trans­men­schen« schü­ren. Dabei ist Peter­sons Posi­ti­on zu die­sem The­ma durch­aus dif­fe­ren­ziert: Er wür­de im Ein­zel­fall einer trans­se­xu­el­len Per­son nicht die gewünsch­te geschlechts­spe­zi­fi­sche Anre­de ver­wei­gern, weh­re sich aber gegen alle Ver­su­che, beson­ders juris­ti­scher Art, ande­ren Men­schen Sprach­re­ge­lun­gen auf­zu­zwin­gen, die in den Sümp­fen sek­tie­re­ri­scher Theo­rien gewach­sen seien.

Begrif­fe wie »Gen­der­iden­ti­tät« haben einen »radi­kal sozi­al-kon­struk­ti­vis­ti­schen« und »kul­tur­mar­xis­ti­schen« Hin­ter­grund, und wer ihren Gebrauch unter Straf­an­dro­hung erpres­sen wol­le, bege­be sich ins tota­li­tä­re Fahr­was­ser. Es gel­te an die­ser Stel­le ent­schie­den die Rede- und Mei­nungs­frei­heit zu ver­tei­di­gen, für Peter­son die »Grund­la­ge der west­li­chen Zivi­li­sa­ti­on« schlechthin.

Er hielt dem Druck stand und wur­de mit einer explo­si­ons­ar­tig wach­sen­den Fan­ge­mein­de belohnt, die ihn auf der Crowd­fun­ding-Platt­form »Patre­on« mit Spen­den von über 80.000 $ im Monat ver­sorgt. Im Okto­ber 2017 kam es zu einem Gespräch zwi­schen Peter­son und Camil­le Paglia, die seit Jahr­zehn­ten einen ähn­li­chen Kampf gegen »sta­li­nis­ti­sche« Ten­den­zen in den Uni­ver­si­tä­ten und der femi­nis­ti­schen Sze­ne führt (»Modern Times: Camil­le Paglia & Jor­dan B Peter­son«, You­Tube, 2. Okto­ber 2017).

Paglia war begeis­tert und ernann­te Peter­son dar­auf­hin zum »wich­tigs­ten und ein­fluß­reichs­ten kana­di­schen Den­ker seit Mar­shall McLuhan«. Peter­sons Kri­tik an der uni­ver­si­tä­ren Lin­ken beschränkt sich aller­dings nicht bloß auf deren Into­le­ranz gegen­über abwei­chen­den Mei­nun­gen, son­dern zielt mit­ten in ihren ega­li­tä­ren Kern.

Berühmt wur­de sein Ver­gleich zwi­schen Men­schen und Hum­mern: An den Sta­tus­kämp­fen und den damit kor­re­lie­ren­den Sero­ton­in­spie­geln der letz­te­ren kön­ne man able­sen, daß sozia­le Hier­ar­chien alles ande­re als kul­tu­rel­le »Kon­struk­te« sei­en, son­dern eine tief­sit­zen­de sozio­bio­lo­gi­sche, evo­lu­tio­nä­re und hor­mo­nel­le Basis haben.

Auf die­ser Grund­la­ge atta­ckier­te Peter­son, ähn­lich wie Paglia, den heu­te vor­herr­schen­den Femi­nis­mus, der nicht nur Chan­cen­gleich­heit schaf­fen, son­dern Ergeb­nis­gleich­heit erzwin­gen wolle.

Was die Dyna­mik der Geschlech­ter­be­zie­hun­gen, die weib­li­che »Hyper­ga­mie« und die Geset­ze des Sexu­al­mark­tes angeht, ist Peter­son ein nicht min­der har­ter Rea­list als F. Roger Dev­lin, Autor der bahn­bre­chen­den Auf­satz­samm­lung Sex – Uto­pie – Macht (Schnell­ro­da 2017, hier bestellen).

Er stellt sich damit auch gegen die pau­scha­le Ver­un­glimp­fung der Männ­lich­keit und gegen eine Sicht­wei­se, die in der abend­län­di­schen Geschich­te einen ein­zi­gen Alp­traum aus Unter­drü­ckung, Dis­kri­mi­nie­rung und »wei­ßem Pri­vi­leg« sehen will.

Mit sei­ner Kom­bi­na­ti­on aus Nüch­tern­heit und Schlag­fer­tig­keit gilt er sei­nen Anhän­gern als wah­rer Debat­ten­gott. Sein
bis­lang größ­ter Hit war sei­ne Dis­kus­si­on mit der femi­nis­ti­schen Jour­na­lis­tin Cathy New­man, deren Papp­ka­me­ra­den er nach allen Regeln der Kunst zerlegte.

»War­um soll Ihr Recht auf freie Rede über dem Recht einer Trans­per­son ste­hen, nicht belei­digt zu wer­den?«, frag­te New­man. Peterson:

Wer imstan­de sein will, zu den­ken, muß ris­kie­ren, belei­di­gend zu sein. Sie nut­zen Ihre Rede­frei­heit, boh­ren nach, um zu ver­ste­hen, was pas­siert, und ris­kie­ren damit, mich zu belei­di­gen. Und das ist in Ord­nung. Nur drauf los, kann ich nur sagen!

New­man war für einen Moment sprach­los. Nach ein paar gestam­mel­ten Rede­an­läu­fen muß­te sie kapitulieren:

Sie haben mich erwischt, ich muß mir das durch den Kopf gehen lassen …

Peter­sons inter­na­tio­na­ler Best­sel­ler 12 Rules for Life, der zu »Ord­nung und Struk­tur in einer chao­ti­schen Welt« anlei­ten will, steht ganz in der Tra­di­ti­on der ame­ri­ka­ni­schen Selbst­hil­fe- und Selbst­op­ti­mie­rungs­li­te­ra­tur, aller­dings auf einem rela­tiv hohen und zugleich zugäng­li­chen Niveau: Sei­ne »zwölf Regeln« erschei­nen auf den ers­ten Blick eher tri­vi­al und alles ande­re als neu oder originell.

Peter­son ver­steht es jedoch, ihnen mit einem gekonn­ten Griff in die inter­dis­zi­pli­nä­re Kis­te – Psy­cho­lo­gie, Reli­gi­on, Mytho­lo­gie, Lite­ra­tur, Phi­lo­so­phie, Wis­sen­schaft – Tie­fe und Bedeu­tung zu verleihen.

Sei­ne All­tags­re­geln haben Kult­sta­tus, allen vor­an das lapi­da­re »Räum dein Zim­mer auf!«, aber auch »Steh auf­recht und mach die Schul­tern breit«, »Laß nicht zu, daß dei­ne Kin­der etwas tun, das sie dir unsym­pa­thisch macht«, »Gehe davon aus, daß die Per­son, mit der du sprichst, etwas weiß, was du nicht weißt«, »Stre­be nach dem, was sinn­voll ist (nicht nach dem, was vor­teil­haft ist)« oder »Sei prä­zi­se in dei­ner Ausdrucksweise«.

Für Regel Nr. 8 »Sag die Wahr­heit – oder lüge zumin­dest nicht« beruft er sich unter ande­rem auf sein Idol Alex­an­der Sol­sche­ni­zyn, der die Füh­rung und die Bür­ger der Sowjet­uni­on in einem berühm­ten Auf­ruf ermahn­te: »Lebt nicht mit der Lüge.«

Auch ande­re von Peter­sons Säu­len­hei­li­gen wei­sen eher nach rechts als nach links: Carl Gus­tav Jung, Nietz­sche und Dos­to­jew­skij. In der New York Review of Books glaub­te ein Rezen­sent in 12 Rules for Life mehr als nur einen Hauch von »faschis­ti­schem Mys­ti­zis­mus« à la Evo­la und Elia­de zu ent­de­cken, da Peter­son den Män­nern emp­fiehlt, wie­der »här­ter zu wer­den« und dem ewi­gen Hun­ger ihrer See­le nach dem »Hero­is­mus des genui­nen Seins« zu folgen.

Peter­son ver­spricht sei­nem Leser nicht das Blaue vom Him­mel, wie es ande­re Bücher des Gen­res tun, son­dern ermu­tigt ihn, die dunk­len, irrepa­ra­blen und tra­gi­schen Sei­ten des mensch­li­chen Daseins zu ver­ste­hen und zu ertra­gen. Dabei ver­tritt er eine veri­ta­ble Erb­sün­den­leh­re: »Sie haben ein böses Herz – wie die Per­son neben Ihnen«, bekommt das Publi­kum sei­ner häu­fig bis auf den letz­ten Platz aus­ver­kauf­ten Vor­trä­ge zu hören. »Kin­der sind nicht von Natur aus gut – und Sie ebensowenig.«

Im Mai 2018 distan­zier­te sich ein alter aka­de­mi­scher Weg­ge­fähr­te namens Ber­nard Schiff, Vater einer »Trans­gen­der-Toch­ter«, wegen die­ses Ton­falls öffent­lich von Peter­son. Die­ser sei zwar ein »beein­dru­cken­der Red­ner«, »klug, mit­füh­lend, mit­rei­ßend«, »gedan­ken­voll und gütig«, habe sich aber inzwi­schen von einem talen­tier­ten, geis­tig agi­len Leh­rer in einen Mis­sio­nar und Pre­di­ger, einen »Krie­ger« gegen links und die »mör­de­ri­sche Ideo­lo­gie des Mar­xis­mus« ver­wan­delt – woge­gen von rech­ter Sei­te nichts ein­zu­wen­den wäre.

Die Lin­ke wirft Peter­son wei­ter­hin vor, »Haß« zu pro­vo­zie­ren, insbesondere, sei­ne vor­wie­gend jun­ge, männ­li­che, wei­ße Fan­ba­sis auf­zu­sta­cheln, die sich etwas weni­ger nobel und sach­lich als er selbst arti­ku­lie­re; so soll Cathy New­man nach ihrer Debat­ten­nie­der­la­ge in den sozia­len Medi­en mit einer Flut von »frau­en­feind­li­chen« Beschimp­fun­gen bedacht wor­den sein.

Abge­se­hen davon, daß sich »Troll«-Attacken die­ser Art leicht fabri­zie­ren las­sen, erkennt man hier die übli­che lin­ke Tak­tik, einer argu­men­ta­ti­ven Aus­ein­an­der­set­zung aus dem Weg zu gehen, indem der Geg­ner als »gefähr­lich« und »haßer­füllt« stig­ma­ti­siert wird.

Tat­säch­lich sind sämt­li­che von Peter­sons poli­ti­schen Posi­tio­nen bei nähe­rer Betrach­tung eher mode­rat und aus­ge­wo­gen. Er gehört zu jenen Kon­ser­va­ti­ven, die im Zeit­al­ter flä­chen­de­cken­der lin­ker Ideo­lo­gi­sie­rung schon durch blo­ßes Aus­spre­chen von Bin­sen­weis­hei­ten und »com­mon sen­se« über­mä­ßi­gen Anstoß erregen.

Aller­dings haben sich auch im rech­ten Spek­trum vie­le ehe­ma­li­ge Fans ent­täuscht von Peter­son abge­wandt. Das liegt nicht nur an sei­nem zuneh­mend guru­haf­ten Auf­tre­ten und sei­nen exzen­tri­schen Zügen, wie sei­ner Nei­gung, vor lau­fen­der Kame­ra in Trä­nen aus­zu­bre­chen, was nicht gera­de für eine vor­bild­lich väter­lich-männ­li­che Hal­tung spricht.

Vor allem aber hat sich Peter­son – der behaup­tet, als Mit­glied in den Indigenenstamm der Kwa­ki­utl auf­ge­nom­men wor­den zu sein – als »klas­si­scher«, ten­den­zi­ell apo­li­ti­scher Libe­ra­ler erwie­sen, der in guter anglo­ame­ri­ka­ni­scher Tra­di­ti­on die Sou­ve­rä­ni­tät des Indi­vi­du­ums als höchs­ten Wert betrachtet.

Dabei geht er so weit, die Iden­ti­fi­ka­ti­on mit einer Grup­pe und deren Inter­es­sen pau­schal als »Kol­lek­ti­vis­mus« und Flucht vor dem »Erwach­sen­sein« zu brand­mar­ken. Damit hat er sich auf eine »zen­tris­ti­sche« Posi­ti­on zurück­ge­zo­gen, von der aus lin­ke wie rech­te »Iden­ti­täts­po­li­tik« als zwei Enden ein- und des­sel­ben fata­len Huf­ei­sens erscheinen.

Sei­ne Bot­schaft an jun­ge Men­schen lau­tet, sich nicht von »kol­lek­ti­vis­ti­schen« Ideo­lo­gien ver­he­xen zu las­sen, son­dern den Weg einer »ver­ant­wor­tungs­vol­len« Indi­vi­dua­ti­on und Indi­vi­dua­li­sie­rung zu gehen. Mit ande­ren Wor­ten soll also jeder »sein Ding machen«.

Trotz sei­ner glü­hen­den Beschwö­run­gen des »Wun­ders« der »westlichen Zivi­li­sa­ti­on« ver­wirft Peter­son jeg­li­chen »Stolz« auf Kul­tur, Volk oder Nation:

Bin ich stolz dar­auf? Ich habe das nicht gemacht!

Die west­li­che Zivi­li­sa­ti­on sei »nichts, auf das man stolz sein soll, son­dern etwas, vor dem man zit­tert, das man als ethi­sche Bür­de begreift, nicht, um mit einer Flag­ge zu wedeln, weil man so wun­der­bar ist und zufäl­lig die glei­che Haut­far­be hat wie die­je­ni­gen, die sich all dies aus­ge­dacht haben. Das ist nicht die rich­ti­ge Ant­wort.« (»Jor­dan Peter­son on Euro­pean Pri­de«, You­Tube, 13. April 2018).

Und in einem Tweet schrieb er:

Die­je­ni­gen, die etwas als Indi­vi­du­en erreicht haben, füh­len kein Bedürf­nis, stolz auf ihre Ras­se zu sein.

(28. Novem­ber 2017)

Dem liegt die kurz­sich­ti­ge Vor­stel­lung zugrun­de, daß Stolz nur dann gerecht­fer­tigt sei, wenn er sich auf per­sön­li­che, indi­vi­du­el­le Leis­tun­gen bezieht. Genau­so gut könn­te Peter­son behaup­ten, ein Vater dür­fe nicht stolz auf die Leis­tun­gen sei­nes Soh­nes sein und umge­kehrt; oder ein Unter­neh­mer nicht auf sei­ne Fir­ma, ein Sport­ler nicht auf sein Team, ein Mensch nicht auf sei­ne Heimatstadt.

Stolz ist nicht not­wen­di­ger­wei­se das­sel­be wie Hoch­mut, die »Super­bia« der sie­ben Tod­sün­den. Hier hat Peter­son sei­ne eige­ne Lek­ti­on der Hum­mer und Sing­vö­gel ver­ges­sen, die gleich zu Beginn sei­nes Maxi­men­ka­ta­logs auf­taucht. Die­se Tier­chen ver­tei­di­gen ihr Revier mit einem auf­wen­di­gen Dominanz‑, Sou­ve­rä­ni­täts- und Über­le­gen­heits­ge­ba­ren, und wenn sie es nicht tun, droht ihnen der Tod.

Die »ethi­sche Bür­de«, die eige­ne Zivi­li­sa­ti­on (also das gro­ße, über­in­di­vi­du­el­le Gan­ze) zu erhal­ten, zu tra­die­ren und zu ver­bes­sern, wird dem Ein­zel­nen eher durch stol­ze Iden­ti­fi­ka­ti­on mit dem Kol­lek­tiv und durch aneig­nen­de Begeis­te­rung bewußt als durch ratio­na­le Überlegungen.

Der Stolz auf die Leis­tun­gen der Ver­gan­gen­heit und der eige­nen Grup­pe kann ein ent­schei­den­der, sinn­stif­ten­der Ansporn sein, sich sei­ner Vor­fah­ren wür­dig zu erwei­sen, ihr Erbe zu ver­tei­di­gen, zu erneu­ern und zu berei­chern. Kein Ethos ohne Pathos und Thymos.

Man hat auch eine »schreck­li­che Ver­ant­wor­tung« gegen­über sei­nem Volk, sei­ner Kul­tur, sei­ner Nati­on, sei­nem Gemein­we­sen. Dem­ge­gen­über schmeckt der Appell zum Rück­zug ins Indi­vi­du­el­le und Indi­vi­dua­lis­ti­sche nach Selbst­ver­wirk­li­chungs­trips, die alles ande­re als quer zum Zeit­geist liegen.

Auch Peter­sons ver­dienst­vol­le »kon­ser­va­ti­ve« Fas­sung hat eine sol­che Schlag­sei­te. Der kana­di­sche Geschichts­so­zio­lo­ge Ricar­do Duches­ne, Autor des Buches The Uni­que­ness of Wes­tern Civi­liza­ti­on (Lei­den und Bos­ton, 2011), kri­ti­sier­te Peter­son scharf, und ver­wies auf die Asym­me­trie der »Iden­ti­täts­po­li­tik« im Zeit­al­ter der Massenmigration.

Die far­bi­gen Völ­ker, die Rich­tung Euro­pa, Nord­ame­ri­ka, Aus­tra­li­en und Neu­see­land drän­gen, den­ken und füh­len über­wie­gend tri­ba­lis­tisch und kol­lek­ti­vis­tisch. Die poli­ti­sche Kor­rekt­heit, der Kul­tur­mar­xis­mus, die Ideo­lo­gie der »Diver­si­ty« und des Anti­ras­sis­mus (ein Bereich, in den sich Peter­son bezeich­nen­der­wei­se kaum vor­ge­wagt hat) haben am Ende immer nur ein ein­zi­ges Ziel: den »wei­ßen Mann« (damit auch die »wei­ße Frau«) sei­ner Iden­ti­tät und sei­ner Wider­stands­kräf­te zu berau­ben, um die Zivi­li­sa­ti­on der wei­ßen Völ­ker zu unter­mi­nie­ren, auf­zu­lö­sen, aus­zu­tau­schen und zu plündern.

»Iden­ti­täts­po­li­tik« funk­tio­niert wie alle Krie­ge: Ist er ein­mal erklärt, kann man nicht mehr »nicht hin­ge­hen«. »Indi­vi­dua­lis­mus ist ein ein­zig­ar­ti­ges Attri­but der euro­päi­schen Völ­ker«, so Duchesne.

Er wur­de bis zu einem gewis­sen Grad in ande­re Natio­nen expor­tiert, liegt aber mei­ner Ansicht nach nicht in deren Natur. Des­halb ist das Spiel ›Wir sind alle Indi­vi­du­en‹ aus­sichts­los. Wir müs­sen den Stolz auf unse­re eth­ni­sche Iden­ti­tät und unser Erbe näh­ren, um die­sen merkwürdigen Indi­vi­dua­lis­mus des Wes­tens zu erhalten.

Dar­an führt kein Weg vor­bei, und man muß lei­der auch Jor­dan Peter­son zu den kon­ser­va­ti­ven Tor­wäch­tern rech­nen, die eine sys­tem­er­hal­ten­de Rol­le erfül­len und ein wahr­haf­tes Umden­ken blockieren.


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Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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