Der Herr im Eigenen – Jünger zum 125. Geburtstag

Fundstück: Ein ungeschliffener Text über eine Lesung in Sarajewo zum Tod Ernst Jüngers, publiziert in dem längst vergriffenen Buch Raki am Igman.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

– –

Fried­rich Georg Jünger

Bewäh­rung

Das Geis­ter­reich wirkt unten nicht, nicht oben.
So mäch­tig die Dämo­nen toben,
sie wüten doch in dei­nem Haus.
Bist du ein Herr in eig­nem, zeigs!
Was dir gemäß ist, lade zum Verweilen.
Die andern wirf hinaus.

– –

Nur zufäl­lig hat­te Leut­nant Rie­b­ach zwi­schen zwei dienst­li­chen Gesprä­chen einer Radio­mel­dung ent­nom­men, daß Ernst Jün­ger gestor­ben sei. Erst am Abend fand er Zeit, über die­sen Ver­lust nach­zu­den­ken. War es über­haupt ein Ver­lust? Was lag an der Per­son des uralten Schrift­stel­lers, den er nie ken­nen­ge­lernt hatte?

Ernst Jün­ger: Das waren vor allem die frü­hen Kriegs­bü­cher, die man als jun­ger Offi­zier ein Dut­zend Mal las, auch die Mar­mor­klip­pen, die zum lite­ra­risch mutigs­ten gehör­ten, das er kann­te: Ego non in gefähr­lichs­ter Lage. Die­se Bücher waren ja nicht mitgestorben.

Was Rie­b­ach als Ver­lust emp­fand, hat­te nur indi­rekt mit dem Tod Jün­gers zu tun: Er spür­te, daß das, was an den Alten ver­lo­ren­ging, nicht durch glei­che Kali­ber ersetzt wur­de. Lücken klaff­ten auf und blie­ben unbe­setzt. Das war es, wor­über Rie­b­ach nach­dach­te, als er sei­nen abend­li­chen Gang auf der stau­bi­gen Zufahrt­stra­ße auf das Tor des Feld­la­gers hin mach­te. Bit­ter­keit war in die­sen Gedan­ken, und sie nahm zu, wenn Rie­b­ach an eige­ne Ver­säum­nis­se und Trö­de­lei­en dachte.

Ich bin nicht immer wach genug, dach­te er. Ich grei­fe nicht immer hart und ener­gisch genug zu, schre­cke oft zurück oder war­te ab, beob­ach­tend, und las­se den Din­gen ihren Lauf. Daher rührt im schlimms­ten Fall die Unfä­hig­keit, das Räd­chen zu fin­den, an dem gedreht wer­den müß­te. Oder fehl­te dazu ganz ein­fach die Lust?

Als einen Seis­mo­gra­phen hat­te sich Jün­ger bezeich­net, nach­dem Kri­ti­ker ihm vor­ge­wor­fen hat­ten, für das poli­ti­sche Erd­be­ben von 1933 mit­ver­ant­wort­lich gewe­sen zu sein. Töricht sei es, auf einen Seis­mo­gra­phen ein­zu­schla­gen. Jün­ger war Zeit sei­nes Lebens unpo­li­tisch im par­tei­po­li­ti­schen Sin­ne gewesen.

Rie­b­ach blieb ste­hen und blick­te in die rote Son­ne, die hin­ter einem Hügel ver­schwand. Du klei­ner Schwät­zer, dach­te er. Ver­gleichst dich selbst mit Jün­ger. Stun­den­lan­ger Dienst hin­term Schreib­tisch und hin und wie­der kal­te Tage auf Erkun­dungs­gän­gen. Abends dann ein Glas Wein zu den Stahlgewittern.

Die Zeit gibt nicht mehr her. Du hast noch nichts bewie­sen, Riebach.

Die Son­ne war unter­ge­gan­gen. Rie­b­ach been­de­te sei­nen Gang und trat in die matt erleuch­te­te Bar. Er traf auf Kame­ra­den und setz­te sich zu ihnen. Fast ver­wun­dert stell­te er fest, das sich das Gespräch um den Tod Jün­gers dreh­te. Er betei­lig­te sich kaum, hör­te jedoch bald her­aus, daß sich die Dis­kus­si­on mehr aus den Nach­ru­fen der ver­schie­de­nen Zei­tun­gen speis­te, weni­ger aus den Ergeb­nis­sen eige­ner Jünger-Lektüre.

Wel­cher Reiz liegt dar­in, sich mit den Argu­men­ten und sti­lis­ti­schen Wen­dun­gen frem­der Köp­fe Gefech­te zu lie­fern? Viel­leicht reizt die Gefahr­lo­sig­keit: Rück­zug auf den ande­ren Namen, den eigent­lich Ver­ant­wort­li­chen also, bleibt so immer mög­lich. Auch kann ein gro­ßer Name dem eige­nen Wort Gewicht geben. Dar­in steckt aber bereits eine Abwer­tung der eige­nen Mei­nung und des eige­nen Kopfes.

“Du bist zer­streut und betei­ligst dich nicht an unse­rem Gespräch.” Leut­nant Stut­zer klopf­te Rie­b­ach auf die Schul­ter und hob das Glas. “Auf den alten Käfer­samm­ler!” Lachend stie­ßen die Offi­zie­re an.

“Mor­gen Abend gebe ich eine Lesung, ich wer­de eini­ge Stel­len aus den Stahl­ge­wit­tern vor­le­sen. Dich, Kra­mer, bit­te ich, daß Du Kla­vier dazu spielst.” Er erhob sich: “Und jetzt bin ich müde.”

“Muß das sein?” Haupt­mann Weiß folg­te dem jun­gen Offi­zier in den Flur. “Sie wis­sen doch, daß Jün­ger nicht unum­strit­ten ist.”

“Wer ist das schon?” Rie­b­ach war ste­hen­ge­blie­ben. “Außer­dem bedeu­tet umstrit­ten, daß der Streit noch nicht ent­schie­den ist.”

Am nächs­ten Mor­gen häng­te Rie­b­ach eini­ge Blät­ter mit der Ankün­di­gung in die Kan­ti­ne, daß am Abend eine kur­ze Lesung zum Gedächt­nis Jün­gers gege­ben wer­de. Zur fest­ge­setz­ten Stun­de fan­den sich fünf Sol­da­ten im Kla­vier­zelt ein, und Rie­b­ach hielt die Lesung ab, die Ober­leut­nant Kra­mer mit Kla­vier­stü­cken von Rach­ma­ni­now gliederte.

Tags dar­auf wur­de Rie­b­ach zum Kom­pa­nie­chef befoh­len. Haupt­mann Weiß war auf­ge­bracht und wies Rie­b­ach einen Stuhl. “Der Rechts­be­ra­ter des Gene­rals sprach mich heu­te Mor­gen an. Er miß­bil­ligt Ihren Jün­ger-Abend und hat bereits dem Gene­ral vor­ge­tra­gen. Ich soll Sie jetzt dazu ver­neh­men, Rie­b­ach. War­um bloß haben Sie mei­ne Beden­ken nicht ernst genommen?”

“Wel­che Beden­ken? Umstrit­ten ist fast alles, das kann Ihre Beden­ken nicht begrün­det haben. Sie hat­ten eher Beden­ken vor der Unru­he an sich, die von beson­de­ren Tex­ten oder Insze­nie­run­gen gestif­tet wird. Ich wer­de den Rechts­be­ra­ter aufsuchen.”

Nach­dem Rie­b­ach eini­ge Fra­gen des Haupt­manns beant­wor­tet hat­te, die sich auf den Teil­neh­mer­kreis und die aus­ge­wähl­ten Text­stel­len bezo­gen, ging er ins Stabs­ge­bäu­de und mel­de­te sich beim Rechts­be­ra­ter, einem Oberst­leut­nant, der sei­nen Rang natür­lich nicht inner­halb einer mili­tä­ri­schen Lauf­bahn, son­dern als Jurist sei­ner Gehalts­stu­fe gemäß erhal­ten hatte.

Mit einer kur­zen Hand­be­we­gung wies er auf einen Stuhl, bear­bei­te­te noch eini­ge Zeit lang eine Akte, hielt das wohl für einen beson­ders wir­kungs­vol­len psy­cho­lo­gi­schen Trick, leg­te dann den Stift bei­sei­te und lehn­te sich zurück.

“Herr Leut­nant”, begann er,  ich war empört, als ich ihre Ankün­di­gung zu einer Jün­ger-Lesung ent­deck­te. Wie unsen­si­bel Sie sind, in einer so gespann­ten poli­ti­schen Lage sol­che Din­ge zu trei­ben! Erst neu­lich hat­ten wir mit Fäl­len von Aus­län­der­be­schimp­fung zu tun. Wie kön­nen Sie so instinkt­los sein?”

Ich höre dem Kerl jetzt seit drei­ßig Sekun­den zu und fra­ge mich schon, war­um ich hier sit­ze, dach­te Rie­b­ach. War­um soll­te ich Ant­wor­ten geben auf Fra­gen, die gar nicht gestellt wer­den dürf­ten? In die­ser Art Fra­ge liegt doch eine Mecha­nik: Alles, was ver­meint­lich rechts von einer irgend­wie fest­ge­leg­ten Mit­te liegt, ist suspekt. Alles Suspek­te läßt sich mit­ein­an­der ver­rüh­ren. Was hat Jün­ger mit der Beschimp­fung von Aus­län­dern zu tun? Das soll­te ich wohl fragen.

“Kön­nen Sie mir erklä­ren, was Sie mir vor­wer­fen? Ich las aus einem der Wer­ke Ernst Jün­gers vor, er ist vor ein paar Tagen ver­stor­ben. Was stört Sie daran?”

“Sie kön­nen in einer Zeit, in der die Bun­des­wehr sehr genau auf poli­ti­sche Inzucht abge­klopft wird, kei­ne Lesun­gen über Schrift­stel­ler ver­an­stal­ten, die anti­de­mo­kra­tisch dach­ten. Sie haben des wei­te­ren ein Buch gewählt, das den Krieg ver­herr­licht. Sie über­schrei­ten Ihre Kompetenzen.”

“Für die Wahr­neh­mun­gen irgend­wel­cher Geg­ner jeder Armee kann ich nichts, sie stö­ren mich auch nur inso­fern, als sie bei man­chen Sol­da­ten panik­ar­ti­ge Refle­xe her­vor­zu­ru­fen schei­nen. Anti­de­mo­kra­tisch? Ja, das war der jün­ge­re Jün­ger sicher­lich, wahr­schein­lich auch der älte­re, der Nach-45-Jün­ger, aber so waren auch Tho­mas Mann und Ber­tolt Brecht. Kriegs­ver­herr­li­chend kann jemand die Stahl­ge­wit­ter nur dann bezeich­nen, wenn er für Pflicht, Mut, Tap­fer­keit und Ethos kei­nen Begriff hat. Suspekt an die­sem Buch scheint die völ­li­ge Abwe­sen­heit von Gejam­mer zu sein. Erschüt­te­rung fin­det sich dar­in, Schwä­che, Panik – aber kein Gejam­mer, son­dern ein Sich-Auf­raf­fen selbst im Grau­en. Ist das ver­däch­tig? Ist es ver­däch­tig, daß Jün­ger nie dar­an dach­te, zu desertieren?”

Rie­b­ach hat­te sich weit nach vorn gebeugt. Ich rede zuviel, dach­te er. War­um ver­tei­di­ge ich mich über­haupt? Oder habe ich mei­nem Geg­ner nur gezeigt, daß sein Angriff kei­ner war? Bit­ter­keit stieg in Rie­b­ach auf, die­sel­be, die er vor zwei Tagen auf sei­nem abend­li­chen Gang geschmeckt hat­te. Aber gleich­zei­tig muß­te er ein Lachen unterdrücken.

“Sie wer­den zuge­ben müs­sen, daß Ihre Lek­tü­re schlecht zum Zeit­punkt paßt. Ich habe dem Gene­ral vor­ge­tra­gen, er teilt mei­ne Meinung.”

“Das ist ja pri­ma”, erwi­der­te Rie­b­ach, “aber wis­sen Sie was: Er hat ja mei­ne Mei­nung noch gar nicht gehört. Sie haben vor­ge­tra­gen, ohne mich zuvor zu irgend­et­was zu befra­gen. Sie wis­sen bei­spiels­wei­se nicht, wel­che Stel­len ich aus­ge­sucht und vor­ge­le­sen habe. Auch haben Sie mei­ne Kom­men­ta­re zu die­sen Stel­len nicht gehört – oder waren Sie dabei, ges­tern Abend, als ich mich mit mei­nen Kame­ra­den unter­hielt? Sie konn­ten nicht ein­mal wis­sen, ob die Lesung über­haupt statt­ge­fun­den hat­te oder ob sie aus Man­gel an Betei­li­gung abge­sagt wor­den war. Im übri­gen stu­die­re ich Ger­ma­nis­tik und schrei­be über einen der Brü­der Jün­gers eine Arbeit.”

Schon wie­der zuvie­le Wor­te, dach­te Rie­b­ach gleich, nach­dem er geen­det hat­te. War­um soll­te Ernst Jün­ger sei­nen Bru­der oder mein Ger­ma­nis­tik-Stu­di­um als Bür­gen benö­ti­gen? Nicht Ger­ma­nis­ten ent­schei­den dar­über, was gele­sen wer­den darf, und das ist ein gro­ßes Glück. Wie­der unter­drück­te Rie­b­ach ein Lachen.

“Ich will Ihnen nichts unter­stel­len”, wie­gel­te der Rechts­be­ra­ter ab. “Ich will nur, daß Sie mei­ne Situa­ti­on ver­ste­hen. Ich habe den Gene­ral dar­in zu bera­ten, wie er mög­li­chen Angrif­fen der Pres­se auf unse­re Armee begeg­nen könn­te. Die gehen vor wie bei einer Bela­ge­rung. Mit Ramm­bö­cken und so wei­ter. Sie lesen doch auch die Zei­tung, oder?”

“Gehört es auch zu Ihrer Arbeit, den mög­li­chen Atta­cken vor­aus­zu­ei­len und die Angriffs­punk­te prä­ven­tiv auf­zu­ge­ben, Herr Oberst­leut­nant? Wer setzt wen unter Druck, wer ver­engt mit wel­chen Mit­teln wel­che Spiel­räu­me? Auf den Fall Jün­ger bezo­gen sieht es doch so aus: Sie hel­fen einem Geg­ner dabei, die Gedan­ken­frei­heit und die Tra­di­ti­ons­be­zü­ge unse­rer Armee auszuhöhlen.”

“Machen Sie kei­nen Ele­fan­ten aus der Sache.”

Ich war nicht beim General.”

“Ich wer­de dem Gene­ral erneut vor­tra­gen. Er erwar­tet mei­nen Bericht. Ich bit­te Sie um eine schrift­li­che Stel­lung­nah­me. Schrei­ben Sie, Sie sei­en Ger­ma­nis­tik­stu­dent. Falls die Pres­se Wind von der Geschich­te bekommt, soll­ten wir Ihre Aus­sa­ge vor­le­gen kön­nen. Ich sehe ja nun, daß die Sache recht harm­los war.”

Eigent­lich geht es um etwas Grund­sätz­li­ches, dach­te Rie­b­ach. Aber das ver­steht er nicht; viel­leicht, weil er noch nie dar­über nach­ge­dacht hat, viel­leicht auch, weil sei­ne Lek­tü­re geruch­los ist. Sein Den­ken glei­tet ohne Wider­stand durch den Tag, er sieht kei­ne Lücken, spürt kei­nen Man­gel, emp­fin­det kei­ne Bit­ter­keit. Er sieht ein Kon­to anschwel­len und einen Urlaub näher­kom­men. Er schmiert sich vor einer Tages­rei­se drei But­ter­bro­te und packt einen Regen­schirm ein. Er ist ein harm­lo­ser Mann.

“Nun, Herr Leut­nant? Schaf­fen Sie den Bericht noch vor dem Mit­tag­essen? Dann könn­ten wir die Sache näm­lich abschlie­ßen. Mir fällt auch ein, was Sie noch dazu­schrei­ben könn­ten: Wir haben den Kanz­ler auf unse­rer Sei­te! Kohl besuch­te Jün­ger zu des­sen hun­derts­tem Geburtstag.”

“Herr Oberst­leut­nant, ich ver­lan­ge, daß jeder, der von Ihnen anders­lau­ten­de Gerüch­te ver­nom­men haben soll­te, von der Zuläs­sig­keit mei­ner Lesung infor­miert wird. Den Bericht erhal­ten Sie natür­lich noch vor dem Essen. Im übri­gen möch­te ich erwäh­nen, daß ich weder den Kanz­ler noch Brecht oder Mann brau­che, um einen Schrift­stel­ler lesen zu dür­fen. Ich bin Leut­nant. Das soll­te reichen.”

“War­um muß­te das zuletzt noch sein?”, frag­te Kra­mer spä­ter. “War­um über­spannst Du den Bogen immer?”

“Das weißt Du genau. Es hilft gegen Zynis­mus und Bit­ter­keit. Bit­te­re Erfah­run­gen, die nicht hin und wie­der aus­ge­spuckt wer­den, machen zynisch. Zynis­mus ist eine Spiel­art der Über­heb­lich­keit. Wenn man ihn hin und wie­der aus­spuckt, bleibt man auf dem Boden.”

“Du hast Dir dadurch einen Geg­ner ver­schafft und einen Akten­ver­merk eingehandelt.”

“Bei­des war klar. Aber jetzt weiß er wenigs­tens, daß ich es weiß.”

– – –

(Die Müh­len mah­len lang­sam. Im August 2001 erst wur­de ich als Ober­leut­nant aus einer lau­fen­den Wehr­übung in Bad Ems ent­las­sen und nach Köln ins Per­so­nal­stamm­amt der Bun­des­wehr befoh­len. Dort teil­te man mir mit, daß man mich auf­grund rechts­extre­mer Bestre­bun­gen aus­mus­tern wer­de. Die Jün­ger-Lesung spiel­te dabei eine Rol­le. Über die­se Vor­gän­ge hat damals die Jun­ge Frei­heit einen Bericht gebracht. Man kann ihn hier nach­le­sen. Daß ich spä­ter reha­bi­li­tiert wur­de, war völ­lig egal: Ich habe jeden­falls seit­her nie wie­der eine Kaser­ne betre­ten oder mei­ne Uni­form getragen.)

 

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (31)

Maiordomus

29. März 2020 10:46

Für die Würdigung Ernst Jüngers ist das Buch eines der letzten noch lebenden, mit ihm stark verbundenen Zeitzeugen von hoher bis höchster Bedeutung: "Tage mit Ernst Jünger" von Wolfram Dufner. Der Autor war viele Jahre lang deutscher Botschafter in Bern, brachte in dieser Eigenschaft Jünger mit Golo Mann und Friedrich Dürrenmatt zusammen, mit Jünger suchte er zum zum Beispiel die von Goethe beschriebenen Staubbach-Fälle im Berner Oberland auf und zeigte ihm die keltische Festung am Mont Vully, einen meiner regelmässigen Spazierwege.

Das allerbeste Profil erlang aber bei Dufner die quasi-Parallelbiographie von Ernst Jünger und Golo Mann, zweier Monumentalfiguren des deutschen Geisteslebens, die sich in den letzten Jahre (vor dem Tod Manns 1994) wie wenige nahe kamen, nachdem Golo Mann noch als 23Jähriger im Exil einen Essay gegen Jünger geschrieben hatte. Mit Nachdruck wird indes in diesem Buch das mittlere und zumal das späte Werk von Ernst Jünger als sein fürwahr bleibendes Vermächtnis zumal aus der Sicht von Golo Mann gewürdigt, während die Epoche der Stahlgewitter der politischen Veröffentlichungen der 20er Jahre in erster Linie für den damaligen Zeitgeist natürlich unerhört repräsentative sind, zu schweigen von der nun mal, ob es einem passt oder nicht, absolut bleibenden Bedeutung als Kriegsliteratur. Aus heutiger Sicht wird zumal sichtbar, dass, sogar für die ganze Existenz Jüngers zutreffend, das Verhältnis zum Tode wohl der entscheidende Unterschied ist und den Faktor ausmacht, der Jünger aus der Sicht eines heutigen Banalweltbildes "umstritten" macht.

Von sehr hoher Bedeutung wäre noch eine Analyse der Gemeinsamkeiten und Unterschiede Jüngers zu Leopold Ziegler (1881 - 1958), wobei hier Edgar Julius Jung, erschossen am 30. Juni 1994, noch eine für das Verständnis etwa der konservativen Revolution wesentlich ist. Zieglers Studie über seinen Freund Jung ist übrigens zu entnehmen, dass Göring den Befehl Hitlers zum Massenmord "nach rechts" erweitert hat, ein Begriff, der zeigt, dass es gegen Hitler, nicht zu verwechseln mit den läppischen Revolutionsbelohnungsansprüchen der SA, eine Rechtsopposition gab. Ziegler, Jung und auch Jünger (welcher aber nie zum aktiven Widerstand gehörte) standen politisch ganz eindeutig rechts vom Nationalsozialismus, was natürlich die politische Analyse von heute aus, wo den meisten die auch nur elementarsten Grundkenntnisse über die deutsche Rechte fehlen, erst recht kompliziert macht. Es bleibt aber dabei, lieber Herr Kubitschek, dass man bei der politischen Beanspruchung Jüngers Zurückhaltung üben sollten.

Wolfram Dufner ist noch hochbetagt am Leben und ist in Konstanz wohnhaft. Er verfügte auch über substanzielle Kontakte mit Reinhold Schneider, den er zur Zeit von dessen 100. Geburtstag in Baden-Baden würdigte. Seine Schilderung des Dreigestirns Jünger - Dürrenmatt - Golo Mann sind auch deswegen von enormer Bedeutung, weil Geistespersönlichkeiten dieses Formates im heutigen deutschen Sprachraum mehr als nur schmerzlich vermisst werden.

Ausgezeichnet beschrieben werden bei Dufner auch Jüngers freundschaftliche Beziehungen zu Alfred Toepfer, der Jünger noch 1993 in Saulgau mit einer Auszeichnung bedachte. Im gleichen Jahr wurde der Jünger vorenthaltene Bodensee-Literaturpreis (den u.a. Leopold Ziegler. F. G. Jünger und Golo Mann noch erhielten) einem kleinen und biederen, in der Schweizer Geistesgeschichte eigentlich keine Rolle spielenden Autor verliehen, der jedoch für 1995 noch appellierte, Jünger zum 100. Geburtstag diesen Preis doch noch zu geben, weil er sonst dauerhaft entwertet bliebe. Dafür konnten sich die Zuständigen entschliessen, weswegen dann aber in jenem Jahr gar kein Preis ausgerichtet wurde, auch eine Art Referenz an Jünger. Der letzter noch wirklich bedeutende Bodenseeliteraturpreisträger ist Arnold Stadler.

Der Gehenkte

29. März 2020 11:12

Vielen Dank für diesen persönlichen Einblick - der natürlich mehr als die Entledigung einer Würdigung zum Jubiläum ist.

Gerade jetzt, als mich Zweifel durchfahren, ob ich ich hier richtig bin (wenn ich die Kommentare andernorts lese), war diese Klarstellung wichtig! Der Satz: "Warum sollte ich Antworten geben auf Fragen, die gar nicht gestellt werden dürften?" hat mich ernsthaft erschüttert. Und bestärkt!

RMH

29. März 2020 13:30

Hat die geplante Veranstaltung zum Geburtstag von E. Jünger stattgefunden? Denke, wohl eher nicht ...

Wie auch immer, der Text ließ in meiner Erinnerung meine eigene Bundeswehrzeit kurz hoch kommen und ich bin nach wie vor stolz darauf, dass ich, als irgendwann kurz vor Ende oder nach Ende der sog. Grundausbildung (hab das nicht mehr ganz exakt in Erinnerung), die Werber für eine Verpflichtung als Soldat auf Zeit zu uns in den Zug kamen, ich die Typen ohne mit der Wimper zu zucken mehr oder weniger gleich wieder fort geschickt habe, obwohl sie reges Interesse an einer Unterschrift von mir zeigten. Sie heuchelten mir die Vorzüge einer Verpflichtung in den höchsten Tönen vor und versuchten sogar, sich bei mir einzuschleimen "Sie haben solche guten Fähigkeiten in der Ausbildung gezeigt - glauben Sie, wir machen hier jedem ein solches Angebot? Mann, Reserveoffizier! Da scheitern manche vor der Einberufung bereits am Auswahlverfahren - und Sie müssen nur da unterschreiben" (da musste ich dann bereits als 19, fast 20 Jähriger, herzhaft lachen). Nein, ich werde bestimmt kein "Koffer", so meine strikte Antwort. In der mir bekannten Geschichte meiner Familie hat sich keiner dem Dienst entzogen und alle Männer haben schön brav ihre Knochen hingehalten (gerade auch in Kriegen. Meine Großväter haben beide im WK 1 an vorderster Front gedient. Alleine deshalb habe ich die entsprechenden Schriften Jüngers mit großem Interesse gelesen) - aber gegen Geld, Verpflichtung und der Aussicht auf irgendwelche Schulterklappen hin, hat es keiner getan. Ich bin froh, dass ich nicht der erste war, der anders gehandelt hat (zur zeitlichen Einordnung: Ich war in den 80er Jahren bei der BW. Damals hatte man zumindest keine Probleme mit irgendwelches Traditionen der Wehrmacht etc. - ich vermute, irgendeine Ernst Jünger Veranstaltung wäre damals komplett unter jedwedem Radar gewesen, so wie damals ohnehin vieles einfach gar nicht erst zu einer weiteren Kenntnis genommen wurde. Die Masse des nicht wehrpflichtigen Personals hätte Ernst Jünger ohnehin nicht gekannt, die waren schlicht zu blöde).

Zum Anlass:
Ernst Jünger ist ein Solitär - ein Land, welches offiziell Probleme mit seinem Werk hat zeigt, dass es immer noch nicht "erwachsen" ist bzw. sehr, sehr weit davon entfernt ist.

Je älter ich werden, um so mehr Jünger lese ich.

"Vor den Toten hält der Gedanke inne als vor einer nicht zu überwindenden Kluft. Sie kann sich nicht schließen, ehe wir selbst hinübergehen."
(E. Jünger, 70 verweht, erster Teil, Wilflingen, 20.11.1965).

Der_Juergen

29. März 2020 13:47

Ein sehr eindrücklicher Text, für den ich Kubitschek danken möge.

Zu den "Marmorklippen": Es wird behauptet, mit dem tyrannischen Oberförster, der die Repression in seinem Herrschaftsbereich langsam, aber unerbittlich steigert, sei Hitler gemeint gewesen. Wenn mich nicht alles täuscht, hat Jünger dies nach dem Krieg ausdrücklich dementiert. Ich kann mich freilich irren; vielleicht weiss hier jemand näheres.

Noch tiefer als die "Marmorklippen" oder "In Stahlgewittern" haben mich persönlich zwei andere Meisterwerke Ernst Jüngers beeindruckt, "Heliopolis" und "Eumeswil".

Einsiedler

29. März 2020 14:35

Dieses kleine Büchlein fiel mir letztens auch mal wieder in die Hände. Wie doch die Zeit vergeht, immerhin sind das fast 20 Jahre. Ein Prost auf den alten Käfersammler!

Laurenz

29. März 2020 14:52

@Maiordomus

Ihr Beitrag ist gut zu lesen.
Aber Ihnen passiert dasselbe, wie Riebach im Artikel, und es passiert auch permanent auf SiN. Irgendwer ruft bedeutende Geister herbei um die eigene Position zu untermauern. Dieser Geistes-Krösus hat jenes gesagt und jener Genius dieses.
Reicht es nicht aus Leutnant zu sein? Oder gar nur Gefreiter? Um etwas vertreten zu dürfen?

Jegliche Einengung eines jeglichen Diskurses bedeutet virtuelle "Bücher-Verbrennung".

Ob nun Bauernopfer oder gar Springer-Opfer, wie von GK beschrieben, sollen zu was dienen?

Gehen Sie doch in die politische Zivil-Gesellschaft. Ein Daniel Cohn-Bendit wurde nie dazu gezwungen, sein Mandat niederzulegen. Ich hatte einmal mich kurz in irgendwelche erotischen Kindergeschichten Cohn-Bendits eingelesen. Da kommt einem das Kotzen.

Denn, das ist noch etwas ganz anderes, grausameres als Krieg.

Und wenn Martin Lichtmesz oder Frank Höfer über Informationsflut schreiben/sprechen, stellt sich da nicht generell die Frage nach der Reichweite von tatsächlicher Literatur? Wenn George Martin 3,5 Mio. Bücher in Deutschland verkaufen kann, so müssen wir durch 10 Bände teilen, also 350.000 Leser von Martins Feuer-und-Eis-Phantasien. Das ist nicht mal ein halbes % der deutschen Bevölkerung. Bei dieser Geringschätzung und Bedeutungslosigkeit von Literatur, veranlaßt dann was die Politik zur Schändung alter Autoren? Das Spektakel der Schändung? Das Angst machen? Was unterscheidet uns dann noch vom Faschismus/Bolschewismus?

Ich bin der Meinung nichts.

Lotta Vorbeck

29. März 2020 15:32

@Götz Kubitschek:

Jünger war Zeit seines Lebens unpolitisch im parteipolitischen Sinne gewesen.

... und Riebach hielt die Lesung ab, die Oberleutnant Kramer mit Klavierstücken von Rachmaninow gliederte.

~~~~~~~~~~~~

Das Beisammensein zum 125. Geburtstag Ernst Jüngers vereitelten äußere, von unserer Seite nicht beeinflußbare Umstände.

Ernst Jüngers "unpolitisch im parteipoltischen Sinne sein", könnte sich angesichts dessen, was sich nun dräuend am Horizont zusammenschiebt zumindest als weise, vielleicht gar als fruchtbringend erweisen.

Wo gibt es im Frühling des Jahres 2020 noch Berufssoldaten, die Schriftstellerlesungen abhalten und diese mit eigenhändig gespielten, klassischen Klavierstücken zu begleiten vermögen?

bb

29. März 2020 16:23

Habe in Stahlgewittern selbst gelesen. Damit eine Lesung zu veranstalten, die durch zusammenhangsloses Geklimper begleitet wird, finde ich geschmacklos. Dieses erzwungen bürgerliche Affentheater beißt sich mit dem Inhalt des Buchs und zieht alles ins Lächerliche. Ansonsten schöner Text.

RMH

29. März 2020 17:10

"Dieses erzwungen bürgerliche Affentheater"

@bb,
was erwarten Sie von damals recht jungen Männern, die stolz ihre Offizierslehrgänge erfolgreich absolvierten und dachten, alles hätte evtl. ja doch einen Sinn? Die noch durchdrungen vom notwendig falschen Bewusstsein waren?

Da wird das Bürgerliche zur Übung, zum formellen Manöver und das kälteste aller Ungeheuer, welches im Übrigen nichts ernsthaft dagegen gehabt hätte bzw. gänzlich unberührt geblieben wäre, wenn dieselben am nächsten Tag rein zufällig mit ihrem "Wolf" auf eine Mine irgendwo im bosnischen Niemandsland gefahren wären, zuckt mal kurz wegen ein bisschen Lesung mit Klaviergeklimper zusammen.

Aber: Besser lernt man es nicht, dass man diesem Staat nur das seine gibt, aber im Übrigen sollte er einem ...

Dieser Staat hat weder einen Ernst Jünger noch klavierspielende Offiziere verdient, er hat Homosexuelle in Flecktarn verdient, die sich gegenseitig bespitzeln und denunzieren und sich ansonsten lächerlich machen.

Fredy

29. März 2020 17:33

@bb

Absolute Zustimmung.

Zur bürgerlich literarischen Vergötzung eignen sich andere Werke. Wer In Stahlgewittern vorrangig gut, interessant oder spannend geschrieben sieht, hat nichts begriffen.

GuntherManz

29. März 2020 18:04

Komisch ! Da wird ein Autor offiziell durch eine Briefmarke der Bundespost geehrt, aber Bundeswehroffiziere müssen sich von seinen Schriften unaufgefordert distanzieren.
Das passt ins Bild, nur ist die Geschichte nicht ein dicker Hund ? Das alles, und schon vor dem Jahre 2000. Also vor 20(!) Jahren.
Warum kennt man E.J. in heutigen Militärkreisen nicht mehr ?
Die Bewegungsart der "Schützenreihe" wurde von ihm entwickelt und ins Heer eingeführt. Seine Beschreibungen über die Psyche des Kämpfers sind zeitlos. Gerade in den Stahlgewittern" hat auch er einmal die Nerven verloren, als er die Hälfte seinen Zuges bei einem Granateinschlag verloren hatte. Er spricht ja nicht rumredig in seinen Schriften. Als Soldat ihn nicht zu kennen, entspricht beruflich in etwa dem Schreiner, der nur einen Hobel besitzt.

Aber einmal etwas anderes:
Was haben mich schon die Darstellungen von deutschen Offizieren in diversen Romanen aufgeregt. Die unsäglichen Figuren, diese Zerrbilder im "Fangschuß" von Marguerite Duras, oder der Prussian Officer von D.H Lawrence u.v.a....
Dagegen lese man einmal "Gläserne Bienen" von E.J, oder "die Kadetten" von Salomon. Wollte man d i e Zeit und seine Menschen einfangen, hier wäre Materie.

Und zurück zum Oberleutnant. Lassen Sie ihre Uniform - so wie ich- im Schrank. Wenn Deutschland uns ruft (nicht die CDU), dann stehen wir. Nicht vorher, nicht danach.

Nemo Obligatur

29. März 2020 18:20

Meine zwei kleinen persönlichen Jünger-Reminiszenzen:

Anfang der Neunziger (oder war es noch gegen Ende der Achtziger?), ich war eben erst Student, wurde in der FAZ, die ich gelegentlich im Wechsel mit der Frankfurter Rundschau und wegen des Sportteils las, der dritte Band von "Siebzig verweht" in Teilen in täglichen Fortsetzungen vorabgedruckt. Obwohl ich solche Fortsetzungsromane davor und danach nicht mehr zur Kenntnis genommen habe, bin ich am Namen Ernst Jünger hängen geblieben. Ich hatte den Namen sicher schon gehört, konnte mich aber nur dunkel an den Zusammenhang erinnen. Es wohl gewiss nichts schmeichelhaftes, denn ich genoß in der Schule eine ausgeprägt linke Erziehung, und das Elternhaus war kein brauchbares Gegengewicht, denn als Heranwachsender reibt man sich eher an ihnen. Und besser als die Großeltern wusste es ja sowie jeder, der in den Achtziger Jahren aufwuchs.

Vermutlich hatte ich also den Namen Jünger irgendwo als "Hitlers Wegbereiter" abgespeichert. Auch von den Stahlgewittern werde ich schon als anrüchig oder kriegsverherrlichend gehört haben. Das Buch selbst hatte ich aber sicherlich zuvor nie in der Hand, hielt es womöglich sogar für verboten, ähnlich wie "Mein Kampf" vielleicht.

Aus zwei Gründen war ich daher überrascht: Dass "so etwas" abgedruckt wurde. Und mehr noch, dass der Mann noch lebte (was ja aus den Tagesdaten der Tagebuchnotizen unzweifelhaft hervorging). Ich las ein wenig - und ich war hin und weg ob der Sprache. Dieser gewogene Stil glasklarer, unbestechlicher Beobachtung, gemischt mit der überlegenen Ruhe des gelebten Lebens. Damals ungefähr hat es angefangen, dass ich der linksliberalen öffentlichen Meinung misstraut habe. Wenn sie in Sachen Jünger ein derart falsches Urteil fällen konnte...musste man dann nicht auch an allem übrigen Zweifeln?

Die zweite Erinnerung bezieht sich auf einen Besuch in Wilflingen, mehr ein Abstecher dorthin, vor über zehn Jahren mit meiner jetzigen Frau. Wie waren auf der Rückreise aus Oberschwaben und ich mochte die Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen, weil ich im Straßenatlas auf den Namen Wiflingen stieß. Wir standen wenig später tatsächlich vor dem Försterhaus. Das war nicht jetzt glamurös oder ehrfurchtgebietend, aber ein wenig erhebend war es schon.

Heute erhebe ich mein Glas auf Ernst Jünger. Ein Glas Wein, so gut man es eben in Zeiten von Pandemie und Ausgangssperre eben noch bekommen kann.

Niekisch

29. März 2020 18:29

So ungeschliffen wirkt der Text auf mich nicht. Er lädt zum Kommentieren ein, was ich mich hier aber ausnahmsweise zwar getraute, aber nicht mit Veröffentlichung rechne. Das Badesieb wird ihn nicht durchlassen, deswegen hier: https://diskuswerfer.wordpress.com/2020/03/29/ernst-juenger-einmal-anders/

Gustav Grambauer

29. März 2020 18:45

Lotta Vorbeck

"Wo gibt es im Frühling des Jahres 2020 noch Berufssoldaten, die Schriftstellerlesungen abhalten und diese mit eigenhändig gespielten, klassischen Klavierstücken zu begleiten vermögen?"

Bis `89 gab es auf deutschem Boden immerhin noch rührende von ganz oben befohlene Versuche hierzu in den sogenannten Literaturzirkeln der NVA. Allerdings war die Zielgruppe, der 120-Prozent-überzeugte Soldat, kulturell viel zu schmalspurig, viel zu trivial in seinem Denken und Fühlen und außerdem viel zu verkrampft. Mir ist kein einziges so entstandenes Werk bekannt, das nicht zum Fremdschämen wäre. Zusätzlich zur Skurrilität des Setting waren die mir bekannten Zirkelleiter ausnahmslos obskure, verschrobene Typen. Hätte trotz grundsätzlichem Interesse und Dienstfreistellung niemals freiwillig dort mitgemacht. Später ist bekannt geworden, daß z. B. der Lyriker Uwe Berger so ein Zirkelleiter war, der wohl "Berger" wegen der Berge seiner Giftzwerg-Spitzelberichte im "Sicherungsbereich Literatur" hieß:

https://www.cornelia-saxe.de/jeder-satellit-hat-einen-killersatelliten/

- G. G.

bb

29. März 2020 18:46

@Kubitschek
Ich habe mich im Ton vergriffen und bitte für meinen respektlosen Schnellschuss um Verzeihung. Es tut mir Leid, dass ich Sie als Projektionsfläche für meinen Groll benutzt habe. Eigentlich achte ich Sie und schätze Ihre Arbeit sehr. Ihnen und Ihrer Familie weiterhin alles Gute!

antwort kubitschek:
jetzt fangen Sie mal nicht an zu weinen. wie wäre es mit einer privatlesung hinter halle 4? ... im ernst: ich weiß schon, was Sie mit "bürgerlicher lesung" meinen. war aber nicht so.

Lotta Vorbeck

29. März 2020 18:57

@Gustav Grambauer - 29. März 2020 - 06:45 PM

DANKE GG für Ihre prägnante, (wie eigentlich immer) ins Schwarze treffende Beschreibung!

Zu Zeiten der NVA-Literaturzirkel gab's in den Standorten meistens auch eine KE* mit Buch-MHO, Tanzsaal und MHO-Restaurant.

Beste Grüße nach Helvetia und lassen Sie bald wieder von sich hören!

---

* Kulturelle Einrichtung

Maiordomus

29. März 2020 19:49

@Laurenz. Es geht wirklich nicht darum, irgendetwas zu untermauern, sondern auf das Buch des hochgebildeten, wiewohl nicht ganz uneitlen Wolfram Dufner hinzuweisen, mit dem Dreigestirn Jünger - Dürrenmatt - Golo Mann, die man natürlich in ihrer Schnittmenge, wenigstens bei den besten Werken, zu erfassen hätte. Im Zentrum steht Jünger, und die Frage ist nun mal, ob man ihn in der Reife seiner alten Tage kennenlernen möchte oder nicht.

Es geht indes bei Jünger - Golo Mann - Dürrenmatt jeweils um auf scharfer Beobachtungsgabe beruhenden poetischen Weltentwürfen mit allerlei "wiederholten Spiegelungen" (Goethe), aber niemals handelt es sich um banale Abspiegelungen, lieber _Jürgen, was Sie wohl bemerkt haben. Eine Basis wäre natürlich die bei sich verknappender Lebenszeit hochlohnende Kenntnis der 22 Bände Jünger, die @Monika nun erfreulicherweise bestellt hat. Für den Beginn würde ich "Autor und Autorschaft" als eine Art Schlüssel (neben "Das ab abenteuerliche Herz" empfehlen, darauf machte ein Rolf Hochhuth verdienstvoll aufmerksam; sogar ein Helmut Heissenbüttel vermochte beachtlich viel mit Jünger anzufangen, in der DDR-Literatur unter anderen Fritz Rudolf Fries; zu beachten bleibt in seinem metaphysischen, theologischen und zeitkritisch anthropologischen Gehalt das unglaubliche Spätwerk von Friedrich Dürrenmatt; nicht zu vergessen der "Wallenstein" von Golo Mann, als Biographie auf einem hohen und höchsten Stand sowohl der Recherche als auch der Darstellung in den letzten 50 Jahren zumal von keinem Autor deutscher Sprache erreicht. Ergänzend müsste wohl freilich mal eine Parallel-Biographie Wallenstein - Johannes Kepler verfasst werden.

@derjürgen. Es ist völlig lächerlich, bei Jünger und überhaupt bei einem wirklich bedeutenden Autor je von einem Schlüsselroman auszugehen. Im Vordergrund steht natürlich der Typus des Diktators, bei Jünger aber zusätzlich derjenige des anarchischen Herrschers über den Forst, was im Vergleich zu Hitler natürlich eine idealtypische Darstellung wäre. Es ist auch vollkommen daneben, etwa in den Charakterisierungen Napoleons durch Leopold Ziegler und Hugo von Hofmannsthal irgendwie eine Sehnsucht nach einem "Hitler" zu sehen, gar in der Erdbebennovelle mit der Zentralfigur Pombal bei Reinhold Schneider; auch Werner Bergengruens "Grosstyrann" in seinem wichtigsten Roman der Dreissigerjahre ist alles andere als ein Hitler, eher, wenn schon, ein Renaissance-Potentat in der Art, wie Jacob Burckhardt welche beschrieben hat.

War heute unterwegs zu Recherchen betreffend historische Epidemien, weswegen der Beitrag, mit vielen Verschreibern, kurz vor dem Aufbruch etwas zu schnell abgeschickt wurde. Von Bedeutung ist, um es klar zu machen, dass 1995 kein Bodenseeliteraturpreis vergeben wurde, weil man sich auf Jünger nicht einigen konnte und jeder andere eine viel zu kleine Nummer gewesen wäre. Kam natürlich dazu, dass der Preis damals ohnehin am Anschlag war. Der letzte grosse Preisträger, der sich übrigens auch immer wieder mit Jünger und Heidegger auseinandergesetzt hat, ein durchaus fürwahr gewichtiger Autor, war Arnold Stadler.

Das Centre Dürrenmatt hoch über der Stadt Neuenburg, dem Hauptort eines einst preussischen Fürstentums mit unerhörter Tradition der Geistesfreiheit, ist auch heute noch beinahe eine Schweizer Reise wert, zumal dann, wenn man über das Centre Dürrenmatt hinaus noch Môtier besucht in Richtung Les Verrières, wo im Januar 1871 die französische Bourbaki-Armee entwaffnet wurde, unweit noch des Schloss noch jenseits, im französischen Jura, wo Kleist und der haitische Nationalheld Toussaint-Louverture ihre Festungshaft abgesessen haben.

Nordlicht

29. März 2020 23:41

"Außerdem bedeutet umstritten, daß der Streit noch nicht entschieden ist."

Danke. Ein Hoch auf alle "Umstrittenen".

Klaus P Kurz

30. März 2020 00:51

@Goetz Kubitschek:

In einem Offizierskasino der Bunten Wehr zu Ihrer und auch zu meiner Zeit eine Lesung aus Jüngers Werk abzuhalten, entsprach in etwa dem Versuch, in einem Kreis von Feministen über Agnes Bernauers Schicksal zu referieren. Aber wenigstens mußten wir uns damals bei der Marine nicht mit solch windigen Rechtsexperten herumschlagen. Dennoch: Ich mag' mir gar nicht vorstellen, was ich heute zu sehen und zu hoeren bekäme, sollte es der Zufall wollen, mich noch einmal unter sogenannten Offizieren der deutschen " Wehr" zu finden. Igittigitt!

Johannes Poensgen

30. März 2020 12:07

Hätte dieser Rechtsberater Rückgrat gehabt, dann hätte er seine Oberstleutnantsuniform ausgezogen und wäre Anwalt geworden. Gut. Und dann?

Man mache es sich nicht zu einfach. Die Person dieses Rechtsberaters, oder auch des Generals ist nebensächlich. Die Zustände bei der Bundeswehr sind eine Frage der Macht, keine des Charakters.

Gegenüber Presse und Politik kann immer nur der Einzelne "Ego Non" sagen. Die Armee kann nur kuschen oder putschen.

MARCEL

30. März 2020 13:19

Man sehe mir die Pathetik nach: Die deutsche Version einer "Dreyfus-Affäre".

Klaus P Kurz

31. März 2020 01:31

@ Johannes Poensgen:
Bin nicht ganz Ihrer Meinung. Eine Armee, die etwas auf sich hält, verfügt über mehr als die Alternativen "kuschen"oder "putschen". Da wäre zum Beispiel die Option des "Vorbild gebens". An Bord eines uralten ex US Navy Zerstoerers wohnte ich Anfang der Siebziger Jahre als junger Fähnrich zur See zusammen mit dem Schiffswaffenoffizier, einem adligen Kapitänleutnant, in derselben Kammer. Außen an der Tür hatte er ein Schild unter unseren Namen angebracht, das ausdrückte, wofür er stand: "Noblesse oblige." Der Mann war ein unbedingt untadeliger Offizier und Mensch. Er war hoch angesehen bei allen an Bord, vom kleinsten Heizer bis zum Kommandanten, weil er allen seine preußischen Tugenden vorlebte und sie jedermann verständlich machte. Jederzeit und überall, und zwar obwohl er viele Bedenken gegen das immer falsch verstandene Prinzip "Staatsbürger in Uniform" hatte. Obwohl er die Zeichen an der Wand erkannte, oder vielleicht gerade deswegen, hielt er unbeirrt an seinen alten Idealen fest. Er und andere haben damals alles versucht, den Sinn einer Vaterlandsverteidigung glaubhaft zu vermitteln und hatten Erfolg damit, weil man es ihnen persoenlich abnahm wie sie ihn begründeten. Dieses uralte Prinzip des "Führens" ist heute verschwunden, aber das hat wenig mit Einfluß von außen zu tun. Die Zustände bei der Bundeswehr sind nur zu einem gewissen Teil eine Frage der Macht, vielmehr und vorwiegend sind sie eine Frage des Charakters ihrer Offiziere, die es durchaus in der Hand hätten, Einfluß zu nehmen. Aber leider sehen dieselben heute ihren Beruf nur noch so wie jeden anderen. Der kapitale Umstand, daß man für eine Idee wie seine Heimat zu verteidigen auch sterben koennte, wird in einer rein aufs Materialistische ausgerichteten Welt genauso ausgeklammert wie der natürliche Tod. Der Offiziersberuf hat nichts mehr mit Ethik zu tun, sondern nur noch mit Technik und Verwaltung. Charakter ist nicht mehr gefragt. Insoweit schließt sich der Kreis.

KlausD.

31. März 2020 13:25

@Klaus P Kurz 31. März 2020 01:31
"das hat wenig mit Einfluß von außen zu tun ...

Oh doch, denn auch hier gilt: Das Sein bestimmt das Bewußtsein.
"eine Frage des Charakters ihrer Offiziere " ... der sich sehr wohl beeinflussen läßt, so man will.
Und Sie schreiben es ja selbst: "in einer rein aufs Materialistische ausgerichteten Welt ". Da haben wir´s ...
Ähnlich sieht es jedoch leider auch in anderen Bereichen der Gesellschaft aus. Welcher junge Mitarbeiter hat heute noch eine emotionale Beziehung zu seinem Arbeitgeber? Wo soll das hinführen? Ist der Weg in die globalistische NWO alternativlos?

Johannes Poensgen

31. März 2020 15:00

@Klaus P Kurz

Was würde eine vorbildlicher Offizier denn machen? In Fällen wie dem der Jüngerlesung des Leutnants Kubitschek wird so einer wegschauen und weghören. Wenn es dann rauskommt, dann sind das rechtsextreme Umtriebe in der Bundeswehr.

Dann steht der Vorgesetzte unseres Offiziers vor der Wahl, ob er sich vor seine Leute stellt, oder im Sinne der Presse und Politik durchgreift. Entscheidet er sich für Ersteres und seine Vorgesetzten wiederum auch, dann kommt eine umgelernte Familienministerin und profiliert sich auf dem Weg zur EU-Kommissionspräsidentschaft mit der Säuberung der Truppe.

Haltung zeigen, räumt das Problem nicht aus der Welt, es verschiebt es nur auf eine höhere Ebene. Deshalb ist das eine Frage der Macht und keine des Charakters.

Niekisch

31. März 2020 16:30

"auch hier gilt: Das Sein bestimmt das Bewußtsein."

Das kann nie uneingeschränkt gelten, @ KlausD. Denn das Sein stellt sich für den Empfänger immer auch als durch die Bewußtseinsäußerungen des Sendenden bestimmt dar.

Carsten Lucke

1. April 2020 01:21

Merkwürdig ! :
Eben wollte ich einen Text nochmals lesen ( " Jünger in der Pampa " ) - allein : Er scheint nicht auffindbar zu sein.
War so interessant ... - schade !
Merkwürdig, wie gesagt . War doch gestern noch da, oder ?!
Viele Grüße !

Klaus P Kurz

1. April 2020 09:53

@ Johannes Poensgen:
"Was würde ein vorbildlicher Offizier denn machen? In Fällen wie dem der Jüngerlesung des Leutnants Kubitschek wird so einer wegschauen und weghören. Wenn es dann rauskommt, dann sind das rechtsextreme Umtriebe in der Bundeswehr. "
Nein, der, den ich meinte, würde nicht wegschauen und weghoeren. Der würde vielmehr sehr darauf achten, wer sonst noch anwesend ist. Obwohl Offizierskameraden im Allgemeinen sehr gut wissen (jedenfalls war's mal so) wer von ihnen wie denkt, empfiehlt es sich allemal, sich zu vergewissern. Eines war nämlich damals noch selbstverständlich: Daß die Gedanken frei zu sein hatten. Ich erinnere mich sehr gut daran, wie wir den 80. Geburtstag von Großadmiral Doenitz in Flensburg oeffentlich feierten. Zum Abschied drückte er uns allen die Hand und sagte: "Macht's besser, wenn ihr koennt, und wenn man euch läßt."
Waren das rechtsextreme Umtriebe in der Bundeswehr? Heute ziemlich sicher ja, aber damals war das noch moeglich, ja, eigentlich selbstverständlich. Sicher haben Sie recht, wenn Sie sagen, daß mittlerweile eine un- (fähige) und ungelernte Familienministerin dazwischen funken würde, aber ein Offizier der alten Schule, wie der aus meinem Beispiel, würde die Sache lachend und mithilfe seiner Kameraden durchfechten oder im Zweifel seinen Abschied nehmen. Aber, und in sofern liegen Sie wahrscheinlich leider nicht ganz daneben, tempores mutantur!

KlausD.

1. April 2020 12:50

Niekisch 31. März 2020 16:30
"das Sein ... durch die Bewußtseinsäußerungen des Sendenden bestimmt"

Meine Güte ... eigentlich wollt ich gar nicht antworten, aber da fällt mir zufällig ein passendes Zitat in die Hände:
"Lassen wir das. Das sind zu schwierige Fragen, selbst für Sie, Markauer." (aus Th. Fontane, Von, vor und nach der Reise, Wohin?, Ullstein Werkausgaben, Band 21, S. 75)

Maiordomus

1. April 2020 13:42

@Kurz. t e m p o r a mutantur et nos mutamur in Illis. Auch wir selber ändern uns mit den Zeiten, nach einem chinesischen Sprichwort sind wir unserer Zeit ähnlicher als unserem Vater. Was Sie über die Jüngerlesung im Militär schreiben und das Treffen mit Dönitz ist und bleibt "der Bemerkung wert"; wer Dönitz, zumindest sein Verhalten bei Kriegsende und in Nürnberg, nicht bloss als eine anständige, sondern durchaus als würdige Figur der deutschen Geschichte nicht mit angemessenem Respekt zu sehen vermag, wird sich wohl nie eines nur halbwegs auf kriegsgeschichtliche Fairness erpichten Geschichtssinnes rühmen können. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass etliche bundesrepublikanische Bundespräsidenten, so etwa der gegenwärtige und zumal der vorletzte, dessen Amtsproblem nicht das Kriegsende, sondern Mallorca war, im Vergleich zum Grossadmiral zwar nicht als potentieller Kriegsverbrecher, sondern schlicht nur als historische Null in die Geschichte eingehen wird.

@_derjürgen. Es lohnt sich vielleicht derzeit, die YouTube-Berichte zur Thematik "crematorio" in Bergamo und Umgebung, auch Brescia, sich vor Augen zu führen, von wegen der historischen Problematik von Kapazitätsgrenzen von Krematorien. Derlei Erörterungen sind in anderen Zusammenhängen beim möglichen Ziehen falscher Schlussfolgerunen mit Zuchthausstrafen bedroht. Dabei kam mir diese Debatte während Jahrzehnten pingelig und peinlich vor, jedenfalls nicht der Erörterung wert. Es wird wohl auch nicht der Ort sein, dies ausgerechnet hier aufzugreifen. Es genügt, dass man sich wegen den Berichten über den Kremationsstress in Norditalien, wo diese Bestattungsform noch bis vor kurzem wenig populär war. Sicher ist, dass man sich bei der Frage, welche dieser von den Militärfahrzeugen zu den Krematorien gefahrenen Särge Corona-Tote sind, und welche vielleicht "sonstige Tote", und was man mit diesen Bildern demonstrieren will, unangenehm noch an andere tabuisierte Themen erinnert fühlt.

links ist wo der daumen rechts ist

3. April 2020 07:50

Offiziersehre oder: Was hat uns Jünger heute noch zu sagen?

Werden wir auf Jünger nicht irgendwann einen ähnlichen Blick haben wie dieser auf seine „spacigen“ Insekten (@ zeitschnur)?
Theweleit hat in einem seiner „Buch der Könige“-Bände Ähnliches formuliert, als er auf einem Porträtfoto Jüngers im Hintergrund eine erstarrte Kobra an der Wand erblickt hat.
Sind Jüngers lebenslange Stilisierungsobsession, seine Überarbeitungsmanie früherer Fassungen und v.a. seine Begeisterung für einen planetarischen Weltstaat nicht die beiden Seiten derselben Medaille? Ein Altersstoizismus mit zusammengebissenen Zähnen?
Benn fand im Alter zu seinem Parlando-Stil, Erhart Kästner schrieb sich mit seinem „Aufstand der Dinge“ von allem Früheren frei; es gäbe noch viele Beispiele für einen „Altersanarchismus“ konservativer Geister.
Was bei Benn das Radio oder bei Kästner die Wertschätzung moderner Kunst ist, klingt bei Jünger immer noch nach Feldtelefon, Grammophon und Botanisiertrommel (oder Tornister) – oder wie ein Bekannter, der als Nicht-Geisteswissenschaftler in Sachen Musik, Literatur und Film einen instinktiv sicheren Geschmack hat, immer meint: die schnarrende Stimme Jüngers wird man nicht mehr los.
Oder noch einmal im Sinne Theweleits: was bei Benn das Kino bewirkt hat, konnten bei Jünger nicht einmal seine Drogenexperimente erreichen.
Ein paar Jährchen vor Kubizeks Erlebnissen hatte ich während des Studiums die scheinbar geniale Idee, den späteren Doyen der österr. Exilforschung mit einer Arbeit über Jünger zu provozieren. Allein, daraus wurde nichts.
Denn ernüchternd muß ich heute feststellen, obwohl ich die wohlfeile GA zuhause habe (am einträglichsten waren die Reflexionen in den „Siebzig verweht“-Bänden auf sein Werk), daß mich an Jünger nichts mehr zu überraschen vermag. In diesem Sinne ist sein Werk tatsächlich eine Sammlung von Exponaten.

Aber daß man in diesem Zusammenhang gerade nicht dem Jünger, der sich treu geblieben war, seine Reverenz erweisen durfte, daß also eine meinetwegen „schnarrende“ Offiziersehre nichts mehr zählt, bleibt das eigentlich Unfaßbare an der Erzählung Kubitscheks.
Einer der ersten Gratulanten zu Benns Nachkriegspublikationen war übrigens Franz Halder.

Zu Dönitz abschließend:
Bei seinem Begräbnis 1981 gab es zwei Bundeswehr-Offiziere, die gegen das „Uniformverbot“ verstießen, immerhin. Und eine relativ ausgewogene Berichterstattung im ÖRR inkl. Interview mit Hellmut Diwald – v.a. aber keinen selbstgerechten Lichterketten-Aufstand von Kiel bis Freilassing. Ehre vor Empörung.

Götz Kubitschek

3. April 2020 08:35

zapfenstreich.

Für diesen Beitrag ist die Diskussion geschlossen.