Jünger in Schnellroda

Vergaßen wir bisher zu erwähnen: Ernst Jünger war auch einmal in Schnellroda. Hier sein Bericht:

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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In der Pampa

Mit M.L., F.M. und Dok­tor S. zu Besuch bei K., der in einer bemer­kens­wert lang­wei­li­gen Gegend wohnt. Gleich nach der Ankunft miß­glück­ter Ver­such eines Spa­zier­gangs: Er geriet zu einem geo­me­tri­schen Marsch ent­lang jener über­di­men­sio­na­len Kan­ten eines Plan-Qua­drats, wie wir es von den Meß­tisch­blät­tern der Artil­le­rie-Beob­ach­ter ken­nen. Hier aber war es ein Feld, auf dem die Win­ter­gers­te stand und den Ein­druck der Ein­tö­nig­keit noch verstärkte.

Auto­mo­bi­le don­ner­ten in irr­sin­ni­ger Geschwin­dig­keit über die schma­le Stra­ße her­an. Die­se früh schon sicht­ba­ren, dröh­nen­den Annä­he­run­gen lös­ten in mir den Wunsch aus, mich auf den Boden zu wer­fen und nicht der ein­zi­ge Ziel- und Fix­punkt inmit­ten einer frei­en Ple­ne zu sein. Jähe Erkennt­nis: Hier ist nichts ein­ge­bet­tet, und der ein­zel­ne Baum ragt auf wie eine Land­schafts­mar­ke, auf die sich ein­schießt, wer über Kano­nen verfügt.

Am Nach­mit­tag Vor­trä­ge über die „Macht“, unter der man auch hier vor allem den Zugang zum Macht­ha­ber ver­steht. Saß neben einem Stu­den­ten, der nicht zuhör­te, son­dern in einem jener Bücher las, die wir nicht ver­mis­sen, weil wir sie nicht ken­nen. Ich ent­lieh mir das Werk und blät­ter­te dar­in, wäh­rend vorn ein jun­ger Mann den Geor­ge-Kreis zu einem „schwu­len Krin­gel“ und den Künst­ler an sich zu einem „aso­zia­len Ego­is­ten“ erklär­te, hef­tig beklatscht von den Heiß­blü­ti­ge­ren unter den Hörern.

Obwohl dies Dik­tum auch mich betraf, brach­te ich mich vor dem dar­auf­fol­gen­den Hand­ge­men­ge durch einen Sprung in eine der vie­len Nischen in Sicher­heit, die in die Wän­de des Rau­mes ein­ge­las­sen sind. Dies trug mir Hohn ein von denen, die in der­lei Aus­brü­chen den eigent­li­chen Sinn von Zusam­men­künf­ten sehen. Ich erklär­te mich indes zum Ken­ner der Tap­fer­keit und ver­wies auf mei­ne Aus­zeich­nung aus dem vor­letz­ten Krie­ge. Doch belehr­te man mich, daß die Aura sol­cher Sym­bo­le in dem Moment ver­blas­se, in dem sie nicht erneut auf­ge­la­den würde.

So trat ich unter denk­wür­di­gen Umstän­den in den Orden jener Wald­gän­ger ein, von denen nie­mals zwei in das­sel­be Zim­mer passen.

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Jün­gers alter Kame­rad Ernst von Salo­mon war natür­lich auch mit von der Par­tie. Er schil­der­te den­sel­ben Anrei­se­tag aus einer ande­ren Perspektive.

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Unter Geäch­te­ten

Es rief, und alle kamen: von Süden, von Wes­ten, aus dem Her­zen Deutsch­lands und aus sei­ner lah­men Haupt­stadt, und es war, als sei ein gehei­mer Befehl an die jun­gen Män­ner ergan­gen, der sie weg­rief von ihren Stu­di­en­gän­gen und Trink­run­den. Man stieß auf den schnur­ge­ra­den Land­stra­ßen bei­na­he zusam­men und erkann­te sich am Stil, denn die Sicht war weit und der Blick war klar, und man wuß­te, daß dort, wo es sich dräng­te und kreuz­te, die Gefahr am größ­ten sein würde.

Aber alles fand sich, und bald gin­gen Rufe hin und her durch den Gast­raum: „Du auch hier?“ – „Ja, auch ich, ich auch wie­der mit dabei!“

Dann ging das Gerücht, daß Jün­ger selbst anwe­send sei, und ein Hur­ra bran­de­te auf, als man ihn auf einem der geteer­ten Feld­we­ge in die wogen­de Wei­te eines Win­ter­ger­s­te­fel­des auf sub­ti­le Jagd aus­ge­hen sah. Halb ver­schwand er in einem Gra­ben, als ein Wagen der Unse­ren in rascher Fahrt zum Treff­punkt eil­te, aber dann sah man ihn wie­der und pros­te­te ihm aus der Fer­ne zu: „Du aben­teu­er­li­ches Herz, das, an unsicht­ba­ren Fäden gezo­gen, den Weg zu uns fand!“

Spä­ter im Saal, als die Macht­fra­ge gestellt wur­de, war die Ent­schei­dung schon gefal­len. Wir waren aus­ge­zo­gen, um an den Bruch­li­ni­en Wacht zu hal­ten, aber der Boden­satz ver­spot­te­te uns, wäh­rend die Bür­ger Gewinn und Ver­lust sin­nen­den Haup­tes erwogen.

Hat­te uns der Staat auch ver­ra­ten, hat­te uns das Volk auch ver­kannt – Deutsch­land wuß­te um uns, Deutsch­land war da, wo wir waren, leb­te, wo wir leb­ten, glüh­te, wo wir um jedes Wort, jede Deu­tung, jede Stim­mung ran­gen, und was am Ende den Tumult aus­lös­te, war uns einer­lei, als wir uns über die ande­ren war­fen und sie mit Stüh­len ein­keil­ten, um Genug­tu­ung zu fordern.

Selbst Jün­ger, der mit kal­tem Blick die Rin­gen­den wie Käfer stu­dier­te, geriet noch in Bedräng­nis. Dann war es Thors­ten, der uns Ein­halt gebot und in die Stil­le hin­ein die Fra­ge stell­te: „Sind wir nicht alle Geächtete?“

Dem konn­te kei­ner wider­spre­chen, und als sich zag­haft noch eine Stim­me aus der Mit­te ver­neh­men ließ, wur­de sie zum Schwei­gen gebracht.

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Ich fuhr Jün­ger dann nach Hau­se, ließ ihn aber nicht aus­stei­gen, ohne ihm eine Wid­mung abzu­rin­gen. Sie sei hier zum ers­ten Male prä­sen­tiert, und der alte Pur­pur­rei­ter wird mir mei­ne Indis­kre­ti­on verzeihen.

 

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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Kommentare (3)

Fredy

29. März 2020 22:18

Ich war ja damals dabei, als Jünger nach oben ging, auf den Balkon, mit dem Rotweinglas in der Hand, und er über das Land schaute, oder wohin auch immer. Wir saßen unten, gebannt; Solomon flüsterte, ja dokumentierte regelrecht, was der da oben tat. Jüngers Antlitz leuchtete, das Glas leuchtete im Mondschein rubinrot. Irgendetwas schrieb er in sein Notizbuch. Später sollten wir alle über diese Szene rätseln.

Lotta Vorbeck

30. März 2020 00:09

Eine kraftspendende Widmung.

Na dann, wohlan!

Laurenz

30. März 2020 03:22

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