“Verbietet uns endlich etwas!” stand darauf zu lesen. Diese Botschaft tauchte in der Folge auch auf anderen Demonstrationen auf, aber sie setzte sich nicht durch. Dabei ist sie ehrlicher als fast alles, was sonst so im Rahmen der Bewegung “Fridays for Future” auf Bannern und Schildern zu lesen war, und zwar aus vier Gründen:
Erstens steckt in diesem Ruf nach aufgezwungener Beschränkung die Einsicht über das ökologisch katastrophale Verhalten des grenzenlosen Ichs. Zweitens werden diese vielen Ichs, diese heiligen Kühe der Individualbastelei, in ein Wir subsumiert. Drittens ist der Ruf nach Verboten die gereifte Einsicht in die Notwendigkeit von Rahmensetzung, Begrenzung und Bescheidenheit.
Viertens endlich: Wer nach Verboten für sich selbst ruft, gesteht eine fundamentale Schwäche ein. Selbstbeschränkung und Selbstverpflichtung haben keine ausreichende Wirkkraft mehr, das schwache Ich, das schwache Wir mag notwendige Verbote formulieren können, vermag aber nicht mehr der Ordnungshüter seiner selbst zu sein.
“Verbietet uns endlich etwas” ist der Ruf infantiler Erwachsener, die sich selbst nichts zutrauen. “Verbietet uns endlich etwas” heißt: Wir können es uns nicht selbst verbieten, wir schaffen das nicht, aber wir ahnen, was uns verboten werden sollte, und wir werden gehorsam zu sein versuchen, wenn es endlich dazu kommt. Das heißt auch: Laßt uns nicht mit uns allein. Oder: Nehmt uns wieder an die Hand.
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Nun ist ja plötzlich so vieles verboten. Vermutlich haben sich das die Leute, die am hellichten Tage entlarvende Plakate durch Hamburg tragen konnten, so nicht vorgestellt. Sie dachten eher an einen von drei Flügen oder an den Kaffee-to-go-Becher, nicht aber an Ausgehverbote, geschlossene Bars und die jähe Erkenntnis: Ich werde ja gar nicht gebraucht!
Das Gegenstück zu diesen infantilen Erwachsenen ist der kleine Selbständige, der sein Geschäft und damit auch sein Leben führt. Er hat das, was er Tag für Tag in Gang hält, entweder selbst aufgebaut oder übernommen – von seinen Eltern, von einem, der es nicht schaffte, von seinem alt gewordenen Chef.
Ein Geschäft, einen Betrieb zu führen heißt, sich ständig etwas zu verbieten, oder weniger dramatisch ausgedrückt: sich an Rahmenbedingungen zu halten und Pflichten zu erfüllen, die man sich selbst gestellt hat. Dies zeichnet überhaupt jeden echten Arbeiter aus: Nicht auf das zu warten, was so an Tätigkeitslust aufkeimt, sondern konsequent, Tag für Tag, pünktlich und zuverlässig ans Werk zu gehen, und zwar deshalb, weil die Entscheidung dafür irgendwann einmal gefallen ist und den sehr deutlichen Unterschied zwischen Unreife und Reife markiert hat.
Der Unterschied zwischen Unreife und Reife wird auch durch die Sorge markiert. Wer von uns kennt den Lebensgrundton eines Ehepaares, das am Rande des Thüringer Walds eine Frühstückspension betreibt, seinen Lebensunterhalt einzig aus der Vermietung der Zimmer bestreitet und nun seit Wochen und für weitere Monate keine Gäste mehr hat? Wer kann sich in die Frau hineinversetzen, die am Markt einer Kleinstadt einen Blumenladen unterhält und nun das ganze Frühjahrsgeschäft verpaßt?
Solche beruflichen Existenzen haben meist nichts zuzusetzen, und die Hälfte dieser Selbständigkeiten wurde sowieso nur deshalb noch betrieben, weil es irgendwie schwieriger war, das Ganze abzuwickeln, als einfach Monat für Monat weiterzumachen. Außerdem: Es gehörte sich nicht. Und: Was sollte man denn sonst tun?
Nun also die heftige Sorge, dann die kurze Hoffnung, man würde “gerettet”, dann die Einsicht: Das war es also. Die Hälfte dieser Lädchen und Büdchen und Gewerke wird nicht mehr eröffnen, und für das ein oder andere Städtchen und Dorf mag das heißen, daß die halbe Infrastruktur wegbricht – die Kneipe, der Laden, die Fremdenzimmer. Diejenigen, die das betrieben haben, können und wollen einfach nicht mehr, und hinzu kommt die Erkenntnis: Das war doch längst Selbstausbeutung, bloß jetzt erst wird das offensichtlich.
Was würden solche Leute wohl denken, wenn einer vom andern Planet an ihnen vorbeizöge und ein Plakat hielte, mit dem er sich Verbote herbeiwünschte, endlich, für uns? Vermutlich würden sie denken: Wer ist “uns”? Und: Was denn noch verbieten?
Jedenfalls: Es ist die kleine Struktur, die zusammenbrechen wird, das für das System Irrelevante, der Rest einer Vielfalt, die nichts mit dem neuesten Hype zu tun hat. Man wird das alles dann sehr billig erwerben können: Häuser für ein paar tausend Euro. Bürger werden um den letzten Rest ihrer Selbständigkeit gebracht worden sein.
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Es gibt eine neue Gemeinschaft. Sie setzt sich zusammen aus lauter vereinzelt Verantwortungsbewußten, die den Grad der Abstraktheit ihres Wohlverhaltens gar nicht mehr erkennen. Es ist atemberaubend, wie rasch und wie gründlich sich eine Gesellschaft formieren läßt, die doch gerade noch aus lauter kaum zu bändigenden Ich-Sagern bestand.
Wahrscheinlich ist diesen Leuten nicht klar, daß sie sich der Wirkmacht des “Konstrukts” Nation unterwerfen, daß sie also durch ihren Gehorsam, ihr Wir-Gefühl das legitimieren, was sie jahre‑, jahrzehntelang bekämpften: die Ordnungsmacht, die im nationalen Rahmen mir nichts dir nichts in der Lage ist, Freiheitsrechte zu beschneiden, und zwar vor allem deshalb mit großem Erfolg, weil sie auf den Gehorsam “des Volkes” bauen kann.
Plötzlich sind nun die Grenzen wieder wirksam, plötzlich stellt kaum mehr jemand infrage, was sich vor kurzem noch anhörte wie der Wunsch nach einem Schießbefehl. Grenzkontrolle: Das bedeutete kaum weniger, als Menschen vom Zaun zu prügeln. Die aufgrund solcher falschen Bilder wachgerüttelte, künstliche Empörung der Zivilgesellschaft ist nun ins künstliche Koma versetzt worden. Wer verspürt denn jetzt noch die Neigung, Wildfremde zu umarmen und aufzunehmen, wenn bereits dem Nachbarn der Handschlag verweigert werden soll und der Sicherheitsabstand zur Großmutter drei Meter beträgt?
Es ist falsch, in diesen Gehorsamsorgien einen Sieg der Realität über die Verantwortungslosigkeit zu sehen – oder sind der Belämmerte, der Denunziant und der Panische nun Leitfiguren, an denen man sich gerne orientierte? Das Konservative, der Rechte: Wir sind ein wenig bestätigt, haben aber noch nichts gewonnen. Wir könnten erklären, warum es immer so ist, daß im Notfall handlungsfähige Größen zu handeln beginnen – nicht also “die Menschheit” oder das mit allen Menschen verschwisterte Ich.
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Was noch? Wir könnten darauf hinweisen, daß im Zuge der Krise etwas vorbereitet wird, das beinahe eine Quadratur des Kreises ist: totale Kontrolle trotz Grenzenlosigkeit.
Es soll möglich sein, anhand von Handy-Ortung und Kartenzahlung das Bewegungsprofil jedes einzelnen Menschen lückenlos und flächendeckend nachzuvollziehen. Und nicht nur das: Der Vorschlag von Bill Gates, Bewegungsfreiheit nur denjenigen zu gewähren, die einer solchen Überwachung zustimmten und außerdem um einen noch festzulegenden, umfassenden Impfstatus verfügten, ist neben der Diskussion über die Abschaffung des Bargelds der massivste Frontalangriff auf unsere Freiheit, den es je gab.
Klingt das zu dramatisch? Die Vorstellung, Fahrten nicht mehr unternehmen, Bäder nicht mehr besuchen, Bereiche nicht mehr betreten zu dürfen, weil Ortung und Impfung fehlen, ist nicht weit hergeholt, und die Zustimmung zu solchen Maßnahmen dürfte derzeit auf dem Höhepunkt angelangt sein. Sagenhaft sind doch die Bilder dieser Anti-Atomkraft-Demonstration vom Wochenende, auf der sich die Teilnehmer an einen Sicherheitsabstand untereinander von Einmeterfünfzig hielten: gehegter Protest, Lämmerdemo.
Wie wird das sein, wenn wir mit Karten zu bezahlen haben, auf denen unsere Unzuverlässigkeit, unsere Verantwortungslosigkeit in den Chip eingeschrieben ist? Bargeld ist Freiheit, Grenzen sind Freiheit, weil innerhalb dieser Grenzen und hinter der Grenze wieder Bewegungsfreiheit herrscht. Lieber ein Mal kontrolliert werden als ständig, lieber mit schmutzigen Münzen bezahlen als mit dieser sauberen Karte …
Aber vermutlich ist es genau das, wonach sich sehnt, wer infantil nach Verboten ruft: gutes Gewissen, Gehorsam, verantwortungsbewußte Gemeinschaft, überwachte Grenzenlosigkeit, formierte Individualität, Erfüllungsbereitschaft, Erfüllungsgehilfen.
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Das sind nur zusammengetragene Bruchstücke, Wahrnehmungen, naheliegende Gedanken, mögliche Felder. Dabei geht es noch gar nicht um die Frage, ob dieses Virus tatsächlich gefährlicher ist als andere Krankheitswellen: Befreundete Ärzte berichten von schaurigen Fällen, aber nicht von Überlastungen. Im Grunde ist das für unsere Fragestellung auch unerheblich: Die Ableitungen sind es, um die es geht, die Legitimierungen von Zugriff, Kontrolle, Formierung.
Man müßte, hätte man Zeit und Strukturen, Äußerungsmöglichkeiten und Auffangbecken, nichts anderes tun, als über solche Szenarien nachdenken und diejenigen aufsuchen, die nicht zu den Gewinnern gehören. Man müßte nach Widerstandspotentialen suchen, unter anderem dort, wo diejenigen sind, die sagen: “Du sollst dem Geld, dem Wachstum um jeden Preis, keine Macht einräumen über dein Leben.” Man müßte der erneuten Sucht nach Alternativlosigkeit eine Alternative entgegenstellen. Die Themen liegen auf der Straße, es muß sie nur jemand einsammeln. Die AfD müßte das tun.
Aber diese Partei hat andere, wichtigere Probleme – so scheint es. Jedenfalls arbeiten seit bald drei Wochen Teile um den Bundessprecher Jörg Meuthen daran, die AfD als eine Mischung aus liberalkonservativer FDP und WerteUnion neu aufzustellen. Abgedrängt, zur Neugründung einer eigenen Formation aufgefordert, werden Höcke, Kalbitz, die Interessengemeinschaft “Flügel”, die von außen als Verdachtsfälle Markierten. Man hofft rund um Meuthen natürlich, daß der Verfassungsschutz dann endlich ein Einsehen habe.
Man hofft das wirklich. Man hat nicht begriffen, daß ein instrumentalisierter Dienst kein Einsehen haben kann, sondern einen Auftrag erledigen muß. Aber weil man von einem Irrtum ausgeht, nicht von Boshaftigkeit, hat man gleich noch eine Kampagne gestartet, die “Gemeinsam für das Grundgesetz” heißt.
Auf dem eigens eingerichteten youtube-Kanal kann man sich mit Jörg Meuthen (250 Zugriffe), Alexander Wolf (110), Beatrix v. Storch (200) einige der für die Spaltungsdebatte Hauptverantwortliche ansehen. Die Zugriffszahlen sind erbärmlich, vor allem vor dem Hintergrund, daß man bereits dreißigtausend Parteimitgliedern, also potentiellen Zuschauern, darüber informiert hat, was man da für teures Geld auf die Beine stellte.
Zwar lechzen diese einfachen Mitglieder geradezu nach guten Meldungen und Vorlagen aus der Chefetage, aber sie sind ja nicht blöd: Sie wissen, daß man nicht spalten und zugleich “gemeinsam” für das Grundgesetz agieren kann. Was nehmen diese Anhänger letztlich wahr? Etwas Unauthentisches und eine Führung, die das Heil in der launigen Defensive sucht.
Vor allem aber ein Desaster: Jene Alternative, die nun in einer nationalen Krise das Auffangbecken sein sollte, in das der unausweichliche Protest der Krisenverlierer abfließen könnte, zerschlägt gerade ihre Strukturen. Warum der Bundesvorstand das tut, das durchgehen läßt, in völliger Verkennung der Lage, ist ein Rätsel. Weiß man dort nicht mehr, worum es eigentlich geht?
Gerade jetzt möchte man den Verantwortlichen ein Plakat vor die Nase halten: Verbietet Euch endlich etwas.
limes
»Verbietet uns endlich etwas« ist eindeutig ein Hilferuf nach Jahrzehnten antiautoritärer Erziehung. Die Kinder einer billigen Revolution wurden mit billigen »Freiheiten« vollgestopft und fürchten sich vor der Freiheit.