Wagnis und Würde

Mit der satten Selbstgefälligkeit der „Anständigen“ ist es vorbei.

Heino Bosselmann

Heino Bosselmann studierte in Leipzig Deutsch, Geschichte und Philosophie für das Lehramt an Gymnasien.

Wenn sie wie in ruhi­gen bun­des­re­pu­bli­ka­ni­schen Jah­ren aus Plan­spie­len zu Stim­men­an­tei­len, Pro­zent­sät­zen und bun­ten Koali­ti­ons­va­ri­an­ten aller­lei Ora­kel für die poli­ti­sche Zukunft abzu­lei­ten ver­su­chen, geben sich die Block­par­tei­en der Ber­li­ner Repu­blik einer ver­brauch­ten Illu­si­on hin.

Es geht längst um ganz ande­re, näm­lich dra­ma­ti­sche und prin­zi­pi­el­le Ver­än­de­run­gen, als daß Wah­len jetzt dar­auf reagie­ren könn­ten. Mag sogar sein, die gro­ßen Fra­gen der Zeit kön­nen mal wie­der nicht durch „Reden und Majo­ri­täts­be­schlüs­se“ ent­schie­den wer­den, son­dern … – Wir ken­nen die­se Bis­marck-Sen­tenz und wis­sen, was die Schluß­fol­ge­rung des spä­te­ren eiser­nen Kanz­lers war. Zitier­te man den Satz aus sei­ner 1862 vorm preu­ßi­schen Abge­ord­ne­ten­haus gehal­te­nen Rede aber voll­stän­dig, wür­de man als mili­tant gel­ten und, klar, als „Nazi“.

Immer­hin haben wir doch Demo­kra­tie und bewah­ren sie dank­bar. Ist sie aber leben­dig genug, funk­tio­niert sie in Schwie­rig­kei­ten, wird die ein­zig vita­le Frak­ti­on der Oppo­si­ti­on gehört? Nein. – Nur wäre genau das wich­tig, denn die Ereig­nis­se der Coro­na-Kri­se deu­ten dar­auf hin, daß im Lan­de eher dezi­sio­nis­tisch ver­fah­ren wird, als daß für lang­at­mi­ge Essay­is­tik noch Zeit wäre.

Und selbst wenn es wie­der nor­ma­ler lie­fe, reich­ten die finanz- und neu­er­dings gesund­heits­po­li­ti­sche Zei­chen aus, die bis­he­ri­ge Behä­big­keit zu ändern. Den „Popu­lis­ten“ wird stu­pi­de vor­ge­wor­fen, sie hät­ten all­zu ein­fa­che Ant­wor­ten auf all­zu kom­ple­xe Vorgänge.

Nur gibt es tat­säch­lich mit­un­ter ein­fa­che Ant­wor­ten, gera­de in Zei­ten erhöh­ter Gefahr: Abgren­zung bei Über­for­de­rung der Sys­te­me ist eine davon. So wie das Hän­de­wa­schen bei Anste­ckungs­ge­fahr eine ande­re ist. Und umge­kehrt ist nicht jede kur­ze Ant­wort eine popu­lis­ti­sche, son­dern mit­un­ter nur die erfor­der­li­che. Vie­le immens wich­ti­ge Ant­wor­ten sind kurz, etwa ein Ja oder ein Nein.

Kern­pro­blem unse­res Lan­des bleibt die soge­nann­te Ein­wan­de­rung, also die Armuts­mi­gra­ti­on aus dem Nahen und Mitt­le­ren Osten sowie Afri­ka. Zur Inte­gra­ti­on frem­der Kul­tu­ren und Reli­gio­nen mag ein Land befä­higt sein, das um sei­ne eige­ne natio­na­le Iden­ti­tät weiß, das also dar­in klar­sieht, unter wel­chen Bedin­gun­gen zum Nut­zen und zur Pfle­ge der Nati­on zu inte­grie­ren wäre.

Das Selbst­ver­ständ­nis der Ber­li­ner Repu­blik besteht aber ganz im Gegen­teil dar­in, alles Iden­ti­tä­re aus­zu­schlie­ßen und nament­lich iden­ti­tä­re Bestre­bun­gen als faschis­tisch zu dis­kre­di­tie­ren. Den Regie­ren­den ist die eige­ne Nati­on pein­lich, ja sogar der Begriff der Nati­on. Sie zieht sich auf wohl­mei­nen­de Abs­trak­ta zurück, die sie rein ideo­lo­gier­he­to­risch bestimmt:

Tole­ranz, Welt­of­fen­heit, Huma­ni­tät und ande­re Wort­hülse­rei, die nicht mal den Pro­pa­gan­dis­ten selbst ent­schei­dend Kla­res sagt, ganz zu schwei­gen davon, daß sie den eige­nen For­de­run­gen selbst kon­se­quent genü­gen wür­den. Wer sich expres­sis ver­bis auf die Nati­on zu bezie­hen ver­sucht, dem droht die Beob­ach­tung durch den Ver­fas­sungs­schutz und das Ver­bot poli­ti­scher Handlungen.

Außer­halb der „Coro­na-Kri­se“ wur­de deut­lich, daß sogar der grund­sätz­li­che Ansatz euro­päi­scher Auf­klä­rung, Reli­gi­ons­kri­tik näm­lich, völ­lig ver­ges­sen war, gera­de von der Lin­ken, die ihren eins­ti­gen Grün­dungs­im­puls doch ins­be­son­de­re der Reli­gi­ons­kri­tik ver­dankt. Aber selbst die aus den blu­ti­gen Reli­gi­ons­krie­gen in der frü­hen Neu­zeit gezo­ge­nen lai­zis­ti­schen Kon­se­quen­zen soll­ten neu­er­dings im Sin­ne einer all­zu bil­lig ver­stan­de­nen Tole­ranz kaum noch etwas gelten.

Sobald von rechts Kri­tik ein­setzt, wird die Exe­ku­ti­ve emp­find­lich. Das Grund­ge­setz sei in Gefahr, zuerst der zen­tra­le Begriff der Wür­de und ihrer Unan­tast­bar­keit, die der Staat schüt­zen soll­te. Wer aber ver­mag es über­haupt noch, die­sen tat­säch­lich tra­gen­den Begriff her­zu­lei­ten, vor­zugs­wei­se in der Wei­se, wie Imma­nu­el Kant, mitt­ler­wei­le über­haupt ein gro­ßer Unbe­kann­ter, es in sei­ner „Grund­le­gung zur Meta­phy­sik der Sit­ten“ ver­sucht, indem er fragt, was allein als wert­voll erscheint, wenn von allen äuße­ren Zwe­cken abge­se­hen wird, und was sei­nen Zweck also nur in sich selbst hat und so also jener Selbst­zweck ist, den es zu schüt­zen gilt?

Nur der Mensch, so Kant, soll die­ser Selbst­zweck sein, da ihn allein Auto­no­mie kenn­zeich­net, in der Frei­heit, sich sei­ne Zie­le selbst ver­nünf­tig und mora­lisch set­zen zu kön­nen. In die­ser Frei­heit bzw. in dem Ver­mö­gen, frei, ver­nünf­tig und gut zu han­deln, bestehe die Wür­de des Men­schen. Man wird ihm nur gerecht, wenn man ihn in sei­ner Selbst­zweck­haf­tig­keit betrach­tet und eben nicht zum Mit­tel für die Erlan­gung frem­der Zie­le her­ab­wür­digt. Um aber lebens­prak­tisch frei und ver­nünf­tig han­deln zu kön­nen, bedarf es der durch den Staat gewähr­leis­te­ten Will­kürf­rei­heit, die garan­tiert, daß dem Men­schen nicht durch will­kür­li­che Beschrän­kung ver­wehrt wird, gut zu handeln.

In der Mensch­heits­zweck­for­mel des kate­go­ri­schen Impe­ra­tivs aus­ge­führt: „Hand­le so, daß du die Mensch­heit (als das Wesen des Men­schen – H. Bo.) sowohl in dei­ner Per­son als in der Per­son eines jeden ande­ren, jeder­zeit zugleich als Zweck, nie­mals bloß als Mit­tel brauchst.“

So weit, so klar. Wirk­lich klar? Es gehört eine Men­ge dazu, unter ande­rem das Ver­mö­gen einer kri­ti­schen Selbst­ver­ant­wor­tung, die sich immer aufs neue skep­tisch und urteils­kräf­tig zu prü­fen hat. Geschieht das? Immer­dar? Weiß das der Bür­ger – als den Grund dafür, daß ihm Wür­de zukom­me? Weiß das der isla­mi­sche Immi­grant? Bestimmt er sei­nen „Zweck in sich selbst“ auf­klä­re­risch und kantianisch?

Daß die Wür­de des Men­schen nur mit Rück­griff auf des­sen Got­tes­eben­bild­lich­keit theo­lo­gisch her­leit­bar wäre, woll­te der Königs­ber­ger doch gera­de über­win­den. Sein wie­der­um aus dem kate­go­ri­schen Impe­ra­tiv gefol­ger­tes Rechts­prin­zip macht es – gera­de mit Blick auf das Ver­träg­nis mit frem­den Kul­tu­ren und Tra­di­tio­nen – nicht ein­fa­cher: „Das Recht ist also der Inbe­griff der Bedin­gun­gen, unter denen die Will­kür des einen mit der Will­kür des ande­ren nach einem all­ge­mei­nen Geset­ze der Frei­heit zusam­men ver­ei­nigt wer­den kann.“ – Wird das dem Mus­lim in Will­kom­mens­kur­sen erläutert?

Selbst wohl­stands­ver­wahr­lost durch einen jahr­zehnt­langen Über­fluß, der sich u. a. jenem Glo­ba­lis­mus ver­dankt, der die Pro­ble­me im Süden her­vor­rief, mei­nen die poli­ti­schen Ent­schei­der schlech­ten Gewis­sens, nun­mehr alle Lei­den­den der Welt end­lich am Reich­tum des alten Euro­pa teil­ha­ben las­sen zu müs­sen und zu kön­nen. Dies vor­nehm­lich als Akt umfas­sen­der Schuld und Süh­ne, der man obses­siv-zwangs­neu­ro­tisch folgt. Ande­rer­seits sind die Funk­tio­nä­re der Block­par­tei­en kaum zur Selbst­be­schrän­kung ihrer hedo­nis­ti­schen Bedürf­nis­se in der Lage.

Um mit poli­ti­schem Rea­lis­mus zu ver­fah­ren, geht es nicht auto­ma­tisch um Inte­gra­ti­on um jeden Preis, son­dern vor­zugs­wei­se um Unter­schei­dun­gen. Weil zuerst die Gren­zen des­sen nach­zu­zeich­nen wären, was Deutsch­land ist und was es tat­säch­lich will und kann. Ohne eine genaue Selbst­ver­ge­wis­se­rung ist jede wei­te­re „Öff­nung“ gefährlich.

Wer für das eige­ne Haus kei­ne kon­kre­ten Grund­ver­ein­ba­run­gen schließt, soll­te kei­ne Gäs­te emp­fan­gen, schon gar nicht sol­che, denen ein­zig und allein die eige­nen Zie­le und Zwe­cke rele­vant erschei­nen, so nach­voll­zieh­bar die­se aus einer pre­kä­ren Bedürf­nis­la­ge her­aus auch sein mögen. Wir ste­hen nicht vor gro­ßen Kon­flik­ten, son­dern bereits mit­ten­drin. In einem Kul­tur­kampf, in dem die Ent­schei­dung dar­über getrof­fen wird, wer wir sind, wer wie dazu­ge­hört und wie wir uns durch­set­zen mit dem, was an Kul­tur eines gro­ßen Erbes noch in uns und gestal­tungs­fä­hig sein mag. Für den Fall, daß dort über­haupt noch Sub­stan­ti­el­les zu fin­den ist.

Vie­le Her­an­wach­sen­de wis­sen über das geschicht­li­che Her­kom­men all­zu wenig. Sie ken­nen meist nur die Ver­kür­zun­gen aus Mehr-Demo­kra­tie- und Anti-Rechts-Kam­pa­gnen, zumal im Geschichts­un­ter­richt wie­der mal eher die „rich­ti­ge Ein­stel­lung“ als das Wis­sen um so kom­ple­xe wie schick­sal­schwe­re Zusam­men­hän­ge beno­tet wird.

Unse­rer Iden­ti­täts­schwä­che und unse­rem neu­ro­ti­schen Selbst­bild steht ins­be­son­de­re mit der isla­mi­schen Land­nah­me ein Geg­ner gegen­über, der gera­de hin­sicht­lich sei­nes ideel­len und iden­ti­tä­ren Selbst­be­wußt­sein und ‑ver­trau­ens immens stark ist, der unse­re Schwä­che des eige­nen Kul­tur­ver­lus­tes erspürt und die­se ganz rich­tig als unse­re Selbst­auf­ga­be und Kapi­tu­la­ti­on erlebt.

Unser noch vor­han­de­ner mate­ri­el­ler Über­fluß ali­men­tiert die­sen Geg­ner und stat­tet ihn mit den Mit­teln  aus, sei­ne eige­nen Inter­es­sen und radi­ka­len Zie­le durch­zu­set­zen, angeb­lich aus Gebo­ten der Tole­ranz, sub­stan­ti­ell aber im Sin­ne eines Über­nah­me­kamp­fes, der des Schwer­tes gar nicht bedarf, inso­fern wir nament­lich die isla­mi­schen Cha­ris­ma­ti­ker gewäh­ren las­sen, selbst aber über kei­ne sou­ve­rä­ne Selbst­ge­wiß­heit mehr ver­fü­gen, weil uns alles Natio­na­le und Eige­ne per se fremd und schäd­lich erschei­nen soll.

Wenn die Exe­ku­ti­ve, die Legis­la­ti­ve und die ihnen zuge­sell­ten Medi­en im Sin­ne kul­tu­rel­ler Selbst­be­haup­tung das Erfor­der­li­che nicht mehr leis­ten kön­nen und wol­len, so wird die­se Selbst­be­sin­nung – wenn über­haupt – außer­halb der Ent­schei­dungs­in­sti­tu­tio­nen erfol­gen. Dafür wer­den sich Kräf­te fin­den und bün­deln. Ja, das ist pro­ble­ma­tisch, aber so wer­den die Kon­tu­ren sicht­bar. Die selbst­er­fül­len­den Pro­phe­zei­un­gen der Deu­tungs­be­hör­den der Ber­li­ner Repu­blik funk­tio­nie­ren nur noch intern und im Sozialkundelehrbuch.

Gera­de ändert sich die Lage erst­ma­lig seit 1989/90 so gra­vie­rend, daß die Struk­tu­ren wan­ken und umge­baut wer­den. Man soll­te das nicht hämisch begrü­ßen, son­dern gleich­falls um die immensen Gefah­ren in Zei­ten sol­cher Unwäg­bar­kei­ten wis­sen. Eins­ti­ge DDR-Bür­ger sind in einem gewis­sen Erfah­rungs­vor­teil, weil sie bereits Zeu­gen eines Über­gangs gewor­den sind. Nicht direkt zu ver­glei­chen, klar. Oder doch in der Wei­se, daß alles, was Men­schen ver­ein­ba­ren, vorm Hin­ter­grund prin­zi­pi­el­ler Ver­än­de­run­gen doch wie­der anders ver­ein­bart wer­den kann. Oder muß. Inner­halb eines dra­ma­ti­schen Pro­zes­ses, in dem mit den Chan­cen auch die Fähr­nis­se zunehmen.

Heino Bosselmann

Heino Bosselmann studierte in Leipzig Deutsch, Geschichte und Philosophie für das Lehramt an Gymnasien.

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Kommentare (69)

Mboko Lumumbe

7. April 2020 16:04

"Es war immer schon die Aufgabe der Männer, ihr Revier abzustecken, um uns und die anderen zu unterscheiden und die eigenen Leute innerhalb dieses Reviers vor den anderen, die außerhalb stehen, zu schützen. Eine Kultur zu schaffen, die männliche Tugenden wie Kraft, Mut und Ehre fördert und gleichzeitig die Rolle der Frau würdigt, als Mütter, ohne die es kein Leben gäbe und kein Heim eine Heimkehr wert wäre: Das ist die Essenz des Wegs und der Art der Männer, besonders der germanischen Männer."

Auszug aus dem Vorwort zur deutschen Ausgabe von "Der Weg der Männer" von Jack Donovan.

sok

7. April 2020 16:10

Was mich wundert, ist, dass nicht zur Kenntnis genommen wird, dass Schmitdt-Denter , der die Forschungsschwerpunkte Idenditätspsychologie und Systemtheorie hat, in einem zehnjährigen"Mammutprojekt" die Ursachen für die derzeitigen politischen Verhältnisse gründlich erforscht hat.

Schmidt-Denter kommt zu dem Ergebnis, dass die Deutschen verglichen mit allen Nachbarstaaten, nein sehr viel geringeres Nationalbewusstsein haben. Da das Nationalbewusstsein anerzogen ist, ist kar, dass die Erziehung dafür verantwortlich ist.

Als Ursache für das fehlende deutsche Nationalbewusstsein hat Schmidt-Denter die Holocaust-Erziehungn ermittelt und fordert deshalb eine Evaluation der Holocaust-Erziehung.

Wenn Gauland verlangen würde, dass die Holocaust Erziehung evaluiert wird, und Höcke verlangen würde, dass die Holocaust-Erziehung in der Grundschule unterbleibt, solange die Evalutaionn nicht abgeschlossen ist,dann könnte man aus der rechten Ecke herauskommen.

Wenn nur ein Elternpaar den Besuch einer Holocaust-Gedenstätte verweigern würde, um gesundheitliche Schäden abzuwehren, dann käme die Diskussion auf breiter Front in Gang.

Laurenz

7. April 2020 17:08

Bei diesem Artikel mußte ich, soweit vorhanden, mehr Hirn für das Verständnis einsetzen und manches nachsehen.
Wenn das stimmt, was über Dezisionismus in der Wiki steht ..... "Der Terminus „Dezisionismus“ ist von „Dezision“ (lat. für Entscheidung) abgeleitet. Der Begriff wurde insbesondere von Carl Schmitt in die staats- und verfassungstheoretische Diskussion eingebracht", oder "Zu den Vielen, die dezisionistische Grundannahmen in ihren Theorien anwandten, gehört Carl Schmitt. Seine Anschauungen beruhen auf einem primär katholischen Weltbild, dessen Glaubensinhalte Schmitt als Wahrheiten voraussetzt und keiner dezisionistischen Entscheidung aussetzt. Darum war Schmitt in keiner seiner Schaffensphasen konsequenter Dezisionist, sondern nutzte dezisionistische Argumente zeitweise zur Stützung jeweiliger inhaltlicher Positionen. Besonders im Rahmen seiner christlichen Glaubenspostulate benutzte er dezisionistische Argumente und verachtet im Anschluss an Juan Donoso Cortés die kompromissbereite „diskutierende Klasse“ mit ihrem Liberalismus und Parlamentarismus, weil es aus Glaubenssicht widersinnig ist, über feststehende Wahrheiten zu diskutieren oder sie einem Kompromiss auszusetzen."

Die Katholen werden's richten. Das ist ja grauenhaft, allein die Denke Schmidts. Jetzt weiß ich endlich mal, warum hier alle diesen Kasper so toll finden.

Für mich beschreibt Herr Bosselmann die Situation etwas arg komplex. Gemäß Fasbenders Woche, mögen die Deutschen Führung, wozu die Politik sich anscheinend aktuell gezwungen sieht, wovon vor allem die CDU profitiert. Wenn die ökonomischen Konsequenzen in nicht allzu ferner Zukunft spürbar werden werden, hat sich das bald mit der Zustimmung des Michel-Mobs.

Was die vergessene Aufklärung Herrn Bosselmanns angeht, so war sie wohl schon immer vergessen. Wenn, wurde die Aufklärung doch nur benutzt, um bisherige Eliten zu entmachten. Eine Ersatz-Religion jagt sich nächste, "Kampf gegen rechts", Klima, Corona, nur um die neuesten Glaubensbekenntnisse zu nennen. Wenn ein Horst Mahler im Knast sitzt, doch nur, weil Ihm, dem "moralische" Offensichtlichkeiten als Ex-Jurist bekannt sein müßten, diese nicht als offensichtlich erachtet. Hier kann es nicht durch Forderungen von Politikern Abhilfe geben, wie @sok schreibt, sondern nur mit bürgerlicher Mitbestimmung und durch Abstimmung ein realer Wert erzeugt werden, der nicht aus den kranken Hirnen irgendwelcher Verfassungsrechtler ausgelaufen ist um uns zu beschmutzen.

Daß wir diesen repräsentativen Quatsch, Demokratie genannt, den Amerikanern zu verdanken haben, macht die Sache nicht besser.

Der_Juergen

7. April 2020 17:16

Guter Artikel, wie auch die vorhergehenden von Bosselmann.

Zur Phrase von der "Würde des Menschen" eine Bemerkung: Kein Mensch hat je definiert, was darunter zu verstehen sein. Ein Mindestkonsens wäre vielleicht, dass keiner gequält und gefoltert werden darf. Aber hat ein Kindesmörder, ein Frauenhändler, ein sadistischer Tierquäler noch eine Würde, die "unantastbar" ist und geschützt werden muss? Kann jener somalische "Schutzbedürftige", der in ein deutsches Altersheim eindrang und einen dementen Greis anal vergewaltigte, irgendwelche "Menschenwürde" für sich reklamieren?

Wenn man einen gemeingefährlichen Gewohnheitsverbrecher jahrzehntelang einsperrt, ist das nicht auch eine "Verletzung seiner Würde"? Wenn nein, warum denn eine auf humane Weise vollzogene Todesstrafe, die einem jahrzehntelangen Dahinvegetieren hinter Gittern unbedingt vorzuziehen ist?

Wird die Würde eines Menschen wie Höcke nicht dadurch "verletzt", dass er von den gleichgeschalteten Medien unablässig mit Schmutz überhäuft und als eine Art Monstrum porträtiert wird? - Diese Beispiele zeigen die Hohlheit dieser Leerformel.

@sok

Ihr Ansatz ist derjenige Martin Walsers bei seiner bekannten Rede von 1998, die an der Oberfläche blieb und nicht zum Kern der Frage vorstieß. Die Diskussion käme auf breiter Front in Gang, wenn es erlaubt wäre, die Faktizität der amtlich vorgeschriebenen Version öffentlich zu hinterfragen. Genau das wird das System jedoch nie freiwillig erlauben. Warum sollte es sich ohne dNot seiner wirksamsten Waffe im Krieg gegen sein Volk begeben? Das Recht auf eine freie Debatte über ihre Geschichte müssen sich die Deutschen erkämpfen. Aber die überwältigende Mehrheit von ihnen hat dazu nicht mehr die Kraft und übrigens auch nicht den Willen.

quarz

7. April 2020 17:40

"Den „Populisten“ wird stupide vorgeworfen, sie hätten allzu einfache Antworten auf allzu komplexe Vorgänge. Nur gibt es tatsächlich mitunter einfache Antworten, gerade in Zeiten erhöhter Gefahr."

Die bedingungslose Höherbewertung der analytischen Komplexität ist eine der großen Dummheiten unserer Zeit. Sie äußert sich darin, dass "Vereinfachung" per se als Vorwurf gilt.

Der große Erfolg der Naturwissenschaft in den letzten Jahrhunderten beruht aber aber (neben der Mathematisierung) gerade darauf: dass sie die Welt einfacher sieht, als sie ist. Wenn ich beurteilen will, ob das Eis unter dem Kind bricht, wenn es den zugefrorenen Teich betritt, dann ist es für meine Überlegungen wenig hilfreich, sein Menschsein "ganzheitlich" zu betrachten. Um erfolgreich prognostizieren zu können, muss ich das Kind auf sein Gewicht reduzieren.

Und es ist apriori kein Grund erkennbar, warum dieses Erfolgsrezept in den Humanwissenschaften fehl am Platze sei. Ich hielte es z.B. für analytisch sehr erhellend, wenn wir für die Untersuchung sozialer Probleme die Figur des "Barbaren" wieder einführen würden anstatt in endlosem Integrationsgeschwafel zu versanden. Sieferle hat den Terminus verwendet. Aber er wußte natürlich, dass er damit im diskursiven Wespennest stochert.

Franz Bettinger

7. April 2020 17:42

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Der Satz ist so hohl, so unwahr und so unpraktikabel wie der Satz "Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, so halte auch die linke hin." Beide Sätze sind schlicht Unsinn und bestenfalls Wunschdenken. Solche Aussagen gehören in die Welt der Märchen, nicht in eine Verfassung, denn ein solches Gebot ist einfach nicht erfüllbar. Was ist sie denn, diese Würde? Was macht sie aus? Jeder Erziehungsversuch eines Kindes verletzt ja dessen Würde, erst recht, wenn man es züchtigt und zu Bett schickt, wenn es lieber fernsehen will. Eine schlechte Note in der Schule verletzt die Würde, ja die Ehre eines Schülers, da mag er noch so dumm sein. Ein Korb von einem Mädchen verletzt die Würde von einem, der mit ihr tanzen will, erst recht, wenn dieser Jemand ein Moslem ist. Ein Pickel auf der Nase verletzt die Würde eines Heran-Wachsenden. Die Würde des Menschen? Lachhaft! Es gibt nichts auf der Welt, was mehr in den Staub getreten wird als diese angebliche Würde. Was ist mit der Würde der in Abu Ghraib und in Guantanamo Gefolterten? Was mit der der IS-Soldaten und deren Frauen und Kinder, die wir in Mossul zertrümmert haben? Was ist mit der Würde der Taxiinsassen und der Hochzeitsgäste, die von US-Drohnen zerfetzt wurden? Was ist mit der Würde von PEGIDAisten, die von unseren Ministern als Pack beschimpft werden. Das ist nicht nur degoutant würdelos, es ist ehrabschneidend. Wie? Es geht nur um die Würde der guten, nicht aber die Würde der bösen Menschen? Nein! Davon sagt Artikel 1 des Grundgesetzes nichts. Und davon hat auch Jesus nicht gesprochen. So gut er vielleicht gemeint sein mag, aber schafft den blöden Artikel ab! Er taugt nichts. Er schafft nur weiteren Blödsinn, und es sind immer die Falschen, die sich auf ihn berufen.

Das Wort Würde ist sprachlich verwandt mit dem Wort Wert. Es bedeutet Erhabenheit. Der Gegensatz dazu wäre die Schande, das Sklavische, der Verbrecher. Der Wert des Menschen ist nicht antastbar? Alle Menschen sind gleich viel wert? Das klingt urchristlich, erzkommunistisch, kurz: total weltfremd. Der Hässliche Dumme Faule Langweilige und der Lieblose soll gleich viel wert sein wie der Schöne, Intelligente, Fleißige, Liebenswerte und der Interessante? Das ist ausgemachter Quatsch, und dieser Quatsch steht in Artikel 1 unseres Grundgesetzes. Nicht jeder Mensch hat eine erhabene Gesinnung, also eine Würde. Soll denn die niedere Gesinnung eines Verbrechers unantastbar sein? Dann dürften wir Verbrecher nicht bestrafen, einsperren, ja nicht einmal verfolgen.

Friedrich Schiller sah die Würde des Menschen nicht als idealistische Träumerei an, sondern als die Befriedigung elementarer Bedürfnisse: „Nichts mehr davon, ich bitte euch. Zu essen gebt ihm, ein Dach überm Kopf. Habt ihr die Blöße bedeckt, ergibt sich die Würde von selbst.“ Das lasst uns unterschreiben, aber nicht mehr.

Ein toller Typ der Sven Liebich: "Bringt eure Toten raus!"
https://www.youtube.com/watch?v=sC4EbjtBeQs&feature=youtu.be

Wahrheitssucher

7. April 2020 18:00

„Die Auferstehung zu Ostern steht vor der Tür. Das könnte biblisch werden."

(Schluß-Satz des Artikels, der wohl hoffen lassen will)

https://www.zerohedge.com/geopolitical/putin-trump-versus-new-world-order-final-battle

Franz Bettinger

7. April 2020 18:28

@Wahrheitssucher: In Ihrem Link steht (u.a.): "The top virologist on the planet confirmed that Chloroquine was being used by the Chinese with spectacular results to cure patients. Then he improved his magic potion by adding a pneumonic antibacterial called Azythromicin, and saved everyone of his first 1000 cases, but one.“ - Mit anderen Worten: Das Medicament hat null Wirkung. Warum? Weil die Mortalität des Corona-Virus schlimmstenfalls 0,1% beträgt, d. h. einer von 1000 stirbt. Das irre Chloroquin-Azythromycin-Gemisch (nicht einmal ein Virustaticum) dieses Top-Virologen hat also nichts verbessert, aber wohl viele Nebenwirkungen verursacht (Herzrhythmusstörung, Psychosen, Suizid…) Ja, so geht moderne Medizin, Leute! Lauft weg, wenn ihr einen Arzt seht!

Laurenz

7. April 2020 18:41

@Franz Bettinger .... vorletzte Nacht ist mein Onkel primär an Lungenentzündung und sekundär an den Anti-Corona-Maßnahmen in den Heimen gestorben. Diese Toten zählt keiner.

Was Deine nicht vorhandene Würde des Menschen angeht, so ist die größte Entwürdigung in der Menschheitsgeschichte Deutschland passiert, im letzten Jahrhundert nicht nur 1x, sondern gleich 2x. Als ob 99,8% aller Deutschen jemals Einfluß auf die politischen Geschicke gehabt hätten. Und daß der Apfel nicht weit vom Baume fällt, können wir gerade an der mehrheitlichen Zustimmung zum Ermächtigungs-Gesetz 2.0 erkennen.

Daß die imperialistische Linke dagegen hält und fordert alle Welt mag zu uns kommen, liegt nur darin begründet, daß man im Gegensatz zu früher zu faul ist, die Welt im Namen des Welt-Proletariats zu befreien, revers zu agieren ist einfacher.

Maiordomus

7. April 2020 18:41

@¦Was bei Wiki über Dezisionismus steht, ist nur für philosophische Analphabeten. Will man es auf wissenschaftlichem Niveau nachlesen, dann, wenn schon, im vielbändigen Historischen Wörterbuch der Philosophie (Schwabe) und wohl am besten in der Studie: "Dezisionismus - Eine kompromittierte politische Theorie?", in H. Lübbe: Praxis der Philosophie, Reclam 1980, diverse Auflagen. Der eigentlichen Begründer des Dezisionismus waren indes nicht Carl Schmitt, sondern, als "Erzdezisionist in Theorie und Praxis", Thomas Hobbes, mit seinem Satz "Auctoritas non Veritas facit legem", ausserdem René Descartes und Immanuel Kant im Bereich der Praktischen Vernunft. Noch völlig unentbehrlich, wenn mir hier annähernd mitreden will: Hermann Lübbe: Theorie und Entscheidung, ein vor etwa 40 Jahren publiziertes Standardwerk. Kein deutscher Gelehrter und politischer Philosoph hat die Dezisionismus-Problematik gründlicher aufgearbeitet wie Lübbe. Mit Katholizismus hat das Ganz rein gar nichts zu tun. Hingegen hat im Prinzip schon jede Parlamentsabstimmung im Prinzip einen dezisionistischen Charakter. Vor allem müsste man lernen, dass Descartes Konzept der "Morale par provision" einen grundlegend dezisionistischen Charakter hat: nämlich, dass Sie im Leben immer wieder, hoffentlich auf Vernunft beruhende Normen anwenden müssen, obwohl Sie zum vernünftig Handeln nicht genug wissen, vgl. die heutige zum Teil hilflose Praxis beim Bewältigen der Corona-Krise. Ohne Erfassung des Problems der "morale par provision" ist mutmasslich eine vernünftige ethische Diskussion auf der Grundlage unterschiedlicher Meinungen und Weltanschauungen wohl praktisch kaum möglich. Es lohnt sich durchaus, sich da näher einzuarbeiten. Vgl. noch die Modelle des "Waldläufers" bei Descartes: Wenn du dich im Wald verirrt hast, musst du z.B. dann dich immer in die gleiche Richtung bewegen, mit dem Risiko, mit dem weitesten Weg dann aber doch noch aus dem Wald rauszukommen. Ein anderes ethisches Modell bei Descartes ist noch der Sachzwang, in der Zeit, da man ein neues, wohnlicheres Haus zu bauen sich anschickt, sich noch provisorisch im alten Haus einrichten zu müssen. Dies gilt in der Politik für diejenigen, welche die Gesellschaft mit radikalen Reformen verändern wollen. Man kann in der Praxis nie so radikal sein wie in der Theorie, sondern muss sich im Rahmen oft unbefriedigender Lösungen einrichten.

@Bettinger. Zur Kritik der Menschenwürde müsste man Schopenhauer sehr gründlich konsultieren, weil er der bis heute wohl bedeutendste Kritiker dieses Begriffs ist: verfassungsrechtlich gilt es aber die entsprechenden Verfassungskommentare aufzuarbeiten. Auch hier ist grundlegendes Studium erforderlich, wie es gemeint ist und wie nicht. Z.B. nicht nur in der deutschen, auch in der schweizerischen verfassungsrechtlichen Literatur. So einfach können Sie es sich nicht machen, zumal wenn Sie vielleicht mit Recht der Meinung sind, dass in den heutigen geisteswissenschaftlichen und juristischen Fakultäten ein Niedergang in Richtung "Geschwätzwissenschaften" natürlich objektiv belegt scheint. Natürlich gibt es einen sprachlichen Zusammenhang zwischen "Wert" und "Würde". Was Sie indessen über "kommunistisch" und "weltfremd" ausführen, deutet an, dass Sie sich nicht näher damit beschäftigt haben. Weniger der Begriff der "Menschenwürde" als vielmehr die erkenntnistheoretischen Grundlagen und Konzepte von "Wertphilosophien" bedürfen der Kritik. Zu studieren bleiben auch Schelers Erläuterungen über die Grundwerte und in Abgrenzung zu den älteren Theorien über das "bonum", den Formalgegenstand der Willens. Dies braucht für differenzierte phänomenologische Analysen nach Husserl aber dann doch ein genau so gründliches Studium wie wenn Sie zum Beispiel über Virologie auf hohem Niveau mitreden wollen. Aber Sie sehen wohl richtig, dass die Geschwätzwissenschaften grassieren; es wäre aber gut, gerade da Abstand zu halten, wie es eines Gelehrten und fundierten Akademikers würdig wäre.

PS. Die Väter des Grundgesetzes von 1949 hätten sich mit Bestimmtheit nicht vorstellen können, dass aufgrund des Satzes "Die Menschenwürde ist unantastbar" in Zeiten einer Pandemie 5000 Personen, die nicht verpflichtet sind, sich aufzuweisen und von denen sogar Gefahren für die Gesundheit ausgehen könnten, per Kreuzfahrtschiff vom Mittelmeer nach Deutschland geholt werden müssen. So war es schlicht nicht gemeint!

Laurenz

7. April 2020 19:06

@Maiordomus ... auch die Wiki bezieht sich auf Hobbes. Ich werde mich mal ein bißchen in Lübbe einlesen, aber im Grunde interessiert das doch nicht mal 0,1 % der Bürger dieser Welt, und damit liegt die Welt auch richtig. Und wie Sie dazu kommen, ein gesellschaftliches Konstrukt, wie Juristerei und die Debatte darüber als Wissenschaft zu bezeichnen, erschließt sich mir nicht. Nach Ihrer Definition, können ja auch nur Sie dann hier als einziger den Artikel Herrn Bosselmanns verstehen. Da hat Dieser ja noch mal Schwein gehabt, daß Sie hier sind, wenigstens einer, der dem Artikel gerecht wird.

Ihr PS: Wenn die Väter des GGes das hier heute sehen könnten, würden Sie die Amerikaner bitten, einzugreifen. Wobei es natürlich "die Amerikaner" von damals auch nicht mehr gibt.

Gustav Grambauer

7. April 2020 19:08

Hat sich eigentlich mal jemand die ganze zynische Infamie des Wortes "Lockdown" klargemacht?

Wie sie fast alle wie die Schwämme den Publich-Health-Think-Tank-Speak aufsaugen:

"COVID-19"
"Social Distancing"
"Containment Regeln" (sicher schreiben sie`s mit Deppen Leer Zeichen)
"Shutdown"
"Lockdown".

Bei Goebbels haben sie wenigstens noch Deutsch gesprochen.

Liebich, bin seltsam tief berührt. Will nicht theatralisch werden, aber fast zieht`s mich zum Niederknien hin.

- G. G.

Gracchus

7. April 2020 19:46

@ Laurenz
"Und wie Sie dazu kommen, ein gesellschaftliches Konstrukt, wie Juristerei und die Debatte darüber als Wissenschaft zu bezeichnen, erschließt sich mir nicht." Der ist gut. Das Wissenschaftliche an Jura hat sich mir während meines gesamten Studiums nicht erschlossen.

"Nach Ihrer Definition, können ja auch nur Sie dann hier als einziger den Artikel Herrn Bosselmanns verstehen." Auch gelacht.

Ich habe mich vor 20 Jahren im Studium einmal sehr intensiv mit Art. 1 I befasst. Seitdem nicht mehr, weil die Norm in der juristischen Praxis kaum eine Rolle spielt. Zitiert wird in Verbindung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht.

Gracchus

7. April 2020 20:28

Der Titel des Beitrags erinnert mich übrigens trotz der Silbe mehr an ein Buch mit dem Titel "Scham und Würde" von Dag Solstad. Das Buch könnte Ihnen, Herrn Bosselmann, sogar gefallen, es geht nämlich um einen Lehrer, der eines Tages auf dem Schulhof ausrastet und sich zu einer Schülerbeschimpfung ansetzt, wonach er meint, sich nicht wieder in der Schule blicken lassen zu können. U. a. enthält das Buch auch eine Klage über die zeitgenössische geistige Abgestumpftheit. Einmal erfährt man, dass der Lehrer kaum mehr am sozialen Leben teilnimmt, weil er niemanden mehr für ein interessantes Gespräch findet; stattdessen liest er lieber die großen Autoren des 20. Jhd und entwickelt die schrullige Idee, sich mit diesen Autoren gut austauschen zu können, insbesondere mit Thomas Mann.

Gracchus

7. April 2020 20:46

@Maiordomus
Was Sie - wie bereits an anderer Stelle - über Lübbe einfliessen lassen, bringt mich zur Ansicht, dass sich die Beschäftigung mit Lübbe lohnt, auch wenn @Laurenz meint, dass nur 0,1 % der Bürger sich hierfür interessieren. Zu Unrecht. Für mich klingt das hellsichtig. Ob Wahlen/Abstimmungen dezionistisch sind, halte ich indes für diskussionswürdig. Denn Wahlen/ Abstimmungen bewegen sich innerhalb einer geltenden Rechtsordnung und innerhalb eines formellen Verfahrens. Solche Entscheidungen sind auch gerichtlich überprüfbar. Das ist bei der Dezision im Dezisionismus nicht der Fall - diese ist rechtlich ungebunden und daher souverän, da der Rechtsordnung vorgängig. Der Ausnahmezustand im Schmitt'schen Sinne hangelt sich daher auch entlang einer Paradoxie, dass der Fall rechtlich geregelt wird, dass das Recht suspendiert ist. Es ist sozusagen der Einbruch des Natur- in den Rechtszustand, welcher eine neue souveräne Entscheidung erfordert.

Heino Bosselmann

7. April 2020 21:04

Danke sehr, Gracchus. Gerade für Ihre Aufmerksamkeit. Ich las das Buch; es ging mir nah. Bei Amazon hinterließ ich im Sommer '19 eine Rezensionsnotiz. -

limes

7. April 2020 22:42

Heino Bosselmann legt vor: »Wenn die Exekutive, die Legislative und die ihnen zugesellten Medien im Sinne kultureller Selbstbehauptung das Erforderliche nicht mehr leisten können und wollen, …«

Und ich ergänze: … so ist das Ergebnis kulturelle Selbstenthauptung. Buchstäblich so zu besichtigen im Kurgarten der Domstadt St. Blasien im Südschwarzwald:

https://www.badische-zeitung.de/kopf-des-blasius-mahnt-zu-toleranz--100144244.html

Aus der Inschrift: »Der liegende Kopf mahnt zu Toleranz und friedlichem Miteinander …«

Es ist ein abgeschlagener Kopf!

Die Stadt St. Blasien nahm die Skulptur als Geschenk »anonymer Stifter« an. Zitat aus »Badische Zeitung« (08. Februar 2915): »Auch in Köln, Bonn und Goslar stehen bereits Abbilder der Heiligen, denen dort eine Kirche geweiht ist.« In allen genannten Orten stehen Abbilder abgeschlagener Köpfe desselben Künstlers.

Lotta Vorbeck

7. April 2020 23:16

@Heino Bosselmann

Mit der satten Selbstgefälligkeit der „Anständigen“ ist es vorbei.

Wenn sie wie in ruhigen bundesrepublikanischen Jahren aus Planspielen zu Stimmenanteilen, Prozentsätzen und bunten Koalitionsvarianten allerlei Orakel für die politische Zukunft abzuleiten versuchen, geben sich die Blockparteien der Berliner Republik einer verbrauchten Illusion hin.

Es geht längst um ganz andere, nämlich dramatische und prinzipielle Veränderungen, als daß Wahlen jetzt darauf reagieren könnten.

~~~~~~~~~~~~

Wieviele Zugaben das Drehbuch noch vorsieht, ist momentan nicht absehbar.

Doch irgendwann senkt sich der Vorhang und die Truman-Pandemie-Show ist ausgespielt.

Die jahrzehntelang praktizierten Bonzenschaukämpfe in den Parteifarben der BRD dürften, wenn überhaupt, kaum nochmals für längere Zeit wieder aufleben.

+ Entweder weil aus dem Grunde XY zeitweilig keine Wahlen mehr abgehalten werden.

+ Weil das Volk nach anderem, als gescripteter BRD-Reality-Show verlangt:

+ Weil das buchstäblich aus dem Nichts generierte, nun in alles Bisherige übertreffender Menge über das Land ausgeschüttete, weder mit Waren noch mit Wert gedeckte FIAT-Money dafür sorgt, daß die bis dahin noch verfügbaren Waren aus den Geschäften verschwinden.

Ob die Leute, den selbstgefälligen, anständig Unanständigen [HB] im Falle grassierender Inflation die "Haltet-den-Dieb-Ausrede-Wir-sind's-nicht-gewesen-Covid19-war's" abkaufen, bleibt abzuwarten.

Es bestehen dann zwei Möglichkeiten:

+ die auch vom BRD-Dienstwagen-Adel nicht auszuhebelnden Naturgesetze durchschlagen den Gordischen Knoten und führen das System zu einem innerlich ausgeglichenen Zustand zurück

oder

+ man wirft sich kollektiv in die Arme des Soros-Rockefeller-Gates-One-World-State.

A donde vamos?

Libertad o NWO-Socialismo?

zeitschnur

8. April 2020 00:16

"Prekäre Bedürfnislagen"? Ich sehe da nicht wirklich welche, weder hier noch in den Herkunftsländern der Migranten.

Ich habe eher den Eindruck, dass Jacques Tati schon vor 70 Jahren sehr genau das eingefangen hat, was sich abspielt: wir werden wie Säue von einem Punkt zum anderen getrieben, aus Lautsprechern tönen unverständliche Nachrichten, nur ganz zu Beginn krönt ein Kauderwelsch "Quai sept", während ein Zug woanders einfährt, dann geht das Gerenne los, immer neues Gequake aus dem "Medium" Lautsprecher, Herumrennende und Orientierungslose, zugleich sehr rücksichtslose Leute, die schlagen, treten, schubsen oder mit ihrem Charme immer eine Lücke für sich finden.
Hier die Szene, die ich meine: https://www.youtube.com/watch?v=EO3YSiAuxsU

Ich fürchte, wir befinden uns längst außerhalb der Aufklärungs- und Denkzone.
Ich stelle fest, dass einstige Weggefährten mit Doktortiteln und einem satten "Summa" unfähig sind, die einfachsten Denkoperationen durchzuführen, wenn es etwa um "Corona" geht, die Krönung unserer höhnisch inszenierten Verblödung. Dazwischen wanken irgendwelche allzu gut gekleideten "Smart-Migranten" herum, die man aber eigentlich nie wirklich zu Gesicht bekommt: auch das ist bei näherem Nachdenken sehr eigentümlich und fremd. Die früheren Migranten lernten wir kennen. Und es kommt sicher nicht von Ungefähr, dass manche Stadt Kunstprojekte, bei denen sich echte Einheimische mit echten Migranten begegnen, ersatzlos gestrichen und von ihrer Förderliste gestrichen hat. Denkt mal drüber nach - jenseits der theoretischen Nationdebatten. Versucht es rein menschlich zu verstehen, dieses Szenario! Es ist das Leben im Wahnsinn, im totalen Widerspruch, logisch gesehen.

Wir leben im Chaos. Wenn man denkt, man hätte jetzt gerade mal einen Kausalzusammenhang begriffen, und schwupp entgleitet er wieder, zurück ins Chaoswasser, ins archaische Urmeer der Verwirrung und Täuschung. Blickt hier wirklich noch einer durch?

Ich bin ein großer Kantverehrer, aber ich glaube inzwischen nicht mehr, dass man die "Menschenwürde" ohne Gott begründen kann. Könnte man es wirklich, wäre sie uns nicht so pfeilschnell abhanden gekommen.
Wenn man sie aber mit Gott begründen will, wird die Frage nach dem wahren Gott brisant.
Und da gibt es dann kein Halten mehr im modernen Leviathan. Nichts ist den so Verwirrten und Getrübten willkommener als eine Krankheit. Krankheit wird so zur Erlösung zurück in ein wie immer definiertes, aber irgendwie noch "vertrautes" Menschsein.
Kafka schrieb einst, nachdem ihm die Tuberkulose diagnostiziert wurde, an der er am Ende sterben musste, er klammere sich an diese Krankheit wie an einen Rockzipfel. Bereits damals konnte man sie eigentlich gut heilen. Aber er brauchte sie, um Mensch zu bleiben. Mein Mann griff sich dieser Tage "Das Schloss" - ich will das als Lektüreempfehlung aussprechen. Kafka erfasst sensitiv, was kommen würde über mehr als ein Jahrhundert hinaus und empfand die totale Entmenschung. In diesem Roman wird es völlig unmöglich, irgendeinen Kausalzusammenhang zu verstehen. Das Leben wird zu einem Hingehaltenwerden durch immer neue Köder, immer neue Zielillusionen, immer neue schale Hoffnungen, ein wogendes Meer an Gerüchten und wenigen handfesten „Informationen“, die, kaum ausgesprochen, wieder im Chaos versinken.
Wir brauchen heute "Covid19", einen Treppenwitz der Medizin, wider alle Vernunft, weil man den Eindruck hat, nur in der Krankheit, und sei sie eine schlecht gemachte Erfindung, erlebt sich der Mensch noch irgendwie als Mensch mit Würde, worin immer sie besteht. Derzeit besteht sie in der so lange ersehnten und nötigen Entschleunigung, deren Preis freilich unbezahlbar sein wird.
Aber Pustekuchen: wegen "Covid19" raubt man dem Menschen sogar die Würde eines normalen Todes. Ohne triftigen Grund inszeniert man das krankheitsbedingte Abkratzen, das man sonst nicht mal den Zieren zumutete.
Und sobald man uns diese "Krankheit" — bis zur nächsten „Pandemie“ von Elitengnaden — raubt, wird man uns zur Kasse bitten für den Zwangsurlaub. Man wird nur noch mit Versklavung bezahlen können. Hier fällt mir die Leseempfehlung „Musik des Zufalls“ von Paul Auster ein.

Bis das aber in den verödeten Köpfen ankommt, ist es vermutlich zu spät.

Laurenz

8. April 2020 00:18

@Gracchus .... freut mich wirklich, daß Sie lachen konnten. Und Sie wissen selbst, man kann nur über Wahrheiten lachen.

Mein ältester und bester Kumpel ist Jurist und ich denke auch, ein guter. Daher weiß ich, Recht hat mit Rechtsempfinden 0 zu tun. Auch schon Goethes Faust verzweifelte am wissenschaftlichen Ansatz, also ich hab diese Sicht auf die Dinge des Rechts nicht erfunden. Sie haben sicher schon öfters gelesen, daß ich zwischen Intellektuellen und Akademikern unterscheide. Juristen sind Akademiker und vielleicht mit dem Schwerpunkt Rechts-Geschichte ausnahmsweise auch Wissenschaftler. Sicherlich sind mehr als 0,1% der deutschen Bevölkerung im Rechtswesen beschäftigt. Aber wir haben eben in der Gewalten-Teilung seit Staatsgründung der BRD eine eklatante politische Lücke, was in meinen Augen bewußt so geschaffen wurde. Die meisten GG-Väter, von Maiordomus zitiert, waren im parlamentarischen Rat meines Wissens doch fast alles Juristen. Staatsanwälte unterstehen dem Innenministerium, das heißt im Falle des Falles bestimmen Parteibuch-Politiker über Strafverfolgung oder nicht. Deutsche Staatsanwälte sind also zu sehr von der Legislative abhängig, was dazu führte, daß EU-Haftbefehle, normalerweise bei den Staatsanwälten angesiedelt in Deutschland explizit bei den Richtern angesiedelt wurden, die wiederum zu viele Freiheiten genießen.
Und daß irgendwelche Verfassunsgrechtler hanebüchen das GG interpretieren, zeugt im Grunde von der Überflüssigkeit dieses Berufsstandes. Um Recht zu sprechen, braucht man keine Juristen, das kann jeder Bürger.

Maiordomus

8. April 2020 08:44

@Gracchus. Das "Dezisionistische" bei einer Abstimmung, nicht zu verwechseln mit Wahlen, ich habe ausdrücklich nur von Abstimmungen gesprochen, liegt in der letztinstanzlichen "Blindheit" des Entscheidungsaktes, siehe die Entscheidung, welche Frau man heiratet (oder welchen Mann), was ja auch selten nur auf rein rationalen Argumenten beruht. Man hat entschieden und basta! Bei jeder Abstimmung gibt es etwas Irrationales, weil nämlich "die Nasen" gezählt werden, nicht die Argumente! Dass man dies z.B. in Erfurt vor zwei Monaten nicht akzeptieren wollte, war antidemokratische Rechthaberei. In die Richtung ging auch ein Antrag der SPD Nordrhein-Westfalen, die Stimmen der Opposition bei der Gesetzgebung nicht zu zählen. Die Anerkennung des Dezisionismus bedeutet, auch wenn es einem nicht passt, einen Entscheid der zuständigen Instanz, sei es ein Volksentscheid (in der Schweiz die Masseneinwanderungsinitiative) zu akzeptieren, einen Parlamentsentscheid akzeptieren, auch einen Richterentscheid usw. , wobei gerade auch letzterer äusserst blödsinnig ausfallen kann.

Es geht rechtsphilosophisch um den Satz von Hobbes "Auctoritas non Veritas facit legem". Die zuständige Autorität entscheidet, nicht das "wahre Argument". Es ist völlig falsch anzunehmen, dass in einem Parlament jeweils die besseren Argumente siegen, dass die Parlamentsenscheide "richtig" wären, sie sind nach Hobbes bloss "rechtmässig". Das Dezisionistische bei einer Abstimmung ist, dass nicht die Debatte zählt, sondern die Entscheidung des Souveräns. So wie auch Papst Paul VI. bei seiner Enzyklika Humanae vitae weder auf die Mehrheit seiner Experten hörte noch auf deren Argumente, sondern nach dem Anhören von allem "einfach" aufgrund seiner päpstlichen Machtzuständigkeit entschied. So geht es auch im Parlament, wo aber ausser etwa in Erfurt fast immer Mehrheiten entscheiden . Und es ist auch falsch zu sagen, bei Volksabstimmungen "das Volk hat immer recht", aber nichtsdestotrotz: der Volksentscheid "gilt". Der Dezisionismus, von Carl Schmitt nicht erfunden, sondern analysiert, unterscheidet "Geltung" und "Wahrheit", weswegen dann Schmitt freilich sagte "Der Führer schützt das Recht", gemeint: Es gilt, was er entschieden hat, wiewohl letzteres mit Recht in der herkömmlichen Bedeutung wenig bis nichts zu tun hatte. (Übrigens weiss man über jenen 30. Juni 1934 so gut wie nichts, wenn man nicht die authentische Studie von Leopold Ziegler über Edgar Julius Jung gelesen hat, derselbe, und nicht Röhm, wollte Hitler tatsächlich stürzen und war auch der Überzeugung, dass er physisch beseitigt werden müsste, wobei er diese Absicht leider etwas zu wenig diskret bei sich behalten hat. Vgl. Ziegler, Leopold: Edgar Julius Jung - Denkmal und Vermächtnis. Das ist nun aber ein anderes Thema, erwähne ich nur, weil schon wieder ein neues Buch über Hitler rausgekommen ist, vgl. Neue Zürcher Zeitung von heute, wiewohl überflüssig wie ein Kropf, zumal dann, wenn man nicht über Jahre zum Beispiel über die Repräsentanten der Konservativen Revolution im Bilde ist. Letztere hatten es zum Teil in der Tat mit dem "Dezisionismus" zu tun, womit sie teilweise missverständlich revolutionäre Tathandlungen rechtfertigten.)

Aber zurück zum Thema: Dezisionismus ist eine Entscheidungstheorie, die betont, dass die Geltung einer Entscheidung nichts mit deren Begründetheit zu tun hat; im Prinzip würde es, wenigstens nach Hobbes, bedeuten, dass man das, was man befolgt, nicht auch noch als "wahr" einschätzen muss; im Prinzip müsste, bei aller Anerkennung legaler Entscheidungen, eine Kritik derselben möglich sein, sogar auch eine öffentliche Kritik. Genau dies war aber zum Beispiel beim "Röhm-Putsch" nicht möglich, und natürlich war es absurd zu sagen "Der Führer schützt das Recht". Aber er musste damals wirklich auf der Hut sein. Gemäss Leopold Ziegler, der sich wegen seiner Freundschaft mit Jung 1934 für längere Zeit nach Kreuzlingen (Thurgau) bei Konstanz zurückzog, bezeichnete die Aktion als "negerhaft", womit er einen Vergleich machte mit den Massakern, wie sie Kleist in der Erzählung "Die Verlobung von Santo Domingo" beschreibt.

Zum Dezisionismus nach Lübbe: Es wäre eine grosse Entlastung, eine gefällte legale Entscheidung jederzeit als grossen, ja als katastrophalen Irrtum bezeichnen zu dürfen und insofern auf ihre Revision zu pochen. Insofern gehört der Dezisionismus nach Lübbe zum Wesen des Liberalismus. Nur aus dezisionistischer Sicht ist die Opposition nicht zu verketzern, weil sie ja schliesslich recht haben könnte. Doch bleibt es dabei, dass gemäss den Prinzipien dies Dezisionismus die Opposition zwar kritisieren, aber nicht aktive Nichtbeachtung kritisierter Erlasse praktizieren darf.

Laurenz

8. April 2020 10:10

@Maiordomus ... Sie haben Sich Mühe gegeben und besser beschrieben als die Wikipedia, und einen guten Einblick gewährt, vielen Dank. Ihrem letzten Post zufolge bin ich tatsächlich ein Anhänger des Dezisionismus' und verachte ein Primat der Politik.

Lotta Vorbeck

8. April 2020 10:55

@zeitschnur - 8. April 2020 - 00:16 AM

Ich habe eher den Eindruck, dass Jacques Tati schon vor 70 Jahren sehr genau das eingefangen hat, was sich abspielt: wir werden wie Säue von einem Punkt zum anderen getrieben, aus Lautsprechern tönen unverständliche Nachrichten, nur ganz zu Beginn krönt ein Kauderwelsch "Quai sept", während ein Zug woanders einfährt, dann geht das Gerenne los, immer neues Gequake aus dem "Medium" Lautsprecher, Herumrennende und Orientierungslose, zugleich sehr rücksichtslose Leute, die schlagen, treten, schubsen oder mit ihrem Charme immer eine Lücke für sich finden.

Hier die Szene, die ich meine: https://www.youtube.com/watch?v=EO3YSiAuxsU

Ich fürchte, wir befinden uns längst außerhalb der Aufklärungs- und Denkzone.
Ich stelle fest, dass einstige Weggefährten mit Doktortiteln und einem satten "Summa" unfähig sind, die einfachsten Denkoperationen durchzuführen, wenn es etwa um "Corona" geht, die Krönung unserer höhnisch inszenierten Verblödung.

~~~~~~~~~~~~

Liebe @zeitschnur,

Ihre oben verlinkte Spielfilmszene illustriert es bestens!

Frühmorgens im Baumarkt - 8. April 2020 - vier Tage vor Ostern - Frühlingswetter, wie aus dem Bilderbuch:

+ das Außengelände und der Parkplatz werden dauerhaft mit unverhohlen drohenden Lautsprecherdurchsagen beschallt

+ etwa 20% der TV-konditionierten Lemminge laufen mit nun Gesichtsmasken herum (obwohl angeblich keine zu haben sind)

Vermutlich würden sich die Leute, gäbe es genug davon, untertänigst-gehorsam auch dazu nötigen lassen, im ABC-Gummianzug mit Gasmaske in der Frühlingssonne mit Zweimeterabstand nach Einkaufswagen anzustehen.

Werde, so lange dies noch möglich ist, was auch immer geht bei AMAZON ordern, um mir die Teilnahme an solch irre-kafkaeskem Mummenschanz zu ersparen.

sok

8. April 2020 11:07

Der-Juergen Martin Walser 1968

Der Hinweis auf die Rede von Martin Walser ist sicher hilfreich. Martin Walser hat sich sicher genauer übelegt, was er sagt. Trotzdem war er der budesweiten Hetzjagd auf Dauer nicht gewachsen und hat seine Äußerungen bedauert.

Höcke hat bei seinenÄußerungen zum Holocaust aus der Hüfte geschossen. Trotzdem hat er bisher die Hetzjagd überstanden und Meuthen musste Fehler zugeben. Der Grund für das politische Überleben von Höcke war die Unterstützung durch die AfD und ihre Wäler.

Wenn man nun die Stärke von Höcke mit den in einem Mammutprojekt von Schmidt-Denter un einer umfangreichen Mitarbeiterzahl erarbeiteten Gedankengebäude verbindet, reichen Krqft und Verstand aus, um eine umfangreiche Diskussion in Gang zu setzen.

Die Mehrheit der Deutschen wünscht sich ein unverpkrampftes Nationalbewusstsein und keinen massiven Druck, auf ein Natinalbewusstsein zu verzichten.

Dass ohne Nationalbewusstsein das für eine Demokratie wichtige Zusammengehörigkeitsgefühl fehlt, zeigt auf, dass eine Zerstörung des Nationalbewussseins die Demokratie und den Sozialstaat zerstört.

Da das Nationalbewusssein ein Teil des Selbstbewusstseins ist, ist die Holocauast-Erziehung auch ungesund. Wenn das bekannt würde, würden viele Gutmenschen ihren Heiligenschein wie heiße Kartoffeln fallen lassen, um ihre Kinder zu retten.

Maiordomus

8. April 2020 11:33

@Lotta Vorbeck. Ihren Hinweis auf Jacques Tati, eig. Tatitscheff, finde ich im besten Sinne philosophisch, weil er in jenem Film, ich glaube "Traffic", wie in anderen Filmen genial die Irrtumsanfälligkeit des kurzfristigen Blicks auf unsere Zivilisation nicht nur dargestellt, sondern gezeigt hat. Bei aller Begeisterung für grosse Autoren neige ich dazu, dass für die letzten 100 Jahren die wichtigsten kulturkritischen Aussagen eher durch das Medium des Films geleistet wurden, vgl. "Der Stalker" von Tarkowskij oder die Kriegsfilme von Kubrick. Unvergleichlich auch die Religionskritik bei Katholiken wie Luis Bunuel oder Federico Fellini. In diesem Sinn zolle ich Ihnen meinen Respekt.

Maiordomus

8. April 2020 12:06

@Laurenz. Ein richtig verstandener "Primat der Politik" müsste den dezisionistischen Charakter politischer Entscheidungen anerkennen.

Genau dies ist aber in der Regel nicht der Fall. Aus diesem Grunde gibt es bei politischen Entscheidungen nichts zu beweihräuchern. Politische Entscheidungen gehören grundsätzlich relativiert!

Nun noch ein Satz, der Ihnen vielleicht zupass kommen könnte: Weil die katholische Kirche nicht einsieht, dass praktisch alle ihre Entscheidungen "religionspolitische" Entscheidungen eines jeweiligen historischen Augenblicks waren, tut sie sich so schwer mit manchmal überfälligen Revisionen. Zwar haben sie den heiligen Georg, weil er angeblich nicht gelebt hat, als eine der bedeutendsten Heroenfiguren der Christenheit aus dem Heiligenkalender gestrichen, aber nicht den 1871 heiliggesprochenen allzuhistorischen katholischen "Himmler" Torquemada! Auch lässt sich aus dem Befund, dass Jesus ein Mann war, nichts gegen die Frauenordination zum Priestertum ableiten usw.

Noch beeindruckend kommt mir vor beim jetzigen Papst, dass er offenbar den Titel "Stellvertreter Christi" preisgeben will. Das war überfällig, auch gegenüber zum Beispiel den orthodoxen Ostkirchen. Umgekehrt würde ich es bedauern, wenn die Königin von England ihren schönen Titel "Defensor fidei", Verteidiger des Glaubens, abgeben würde. Damit würde die Substanz der britischen Krone seit Alfred dem Grossen verraten, wiewohl der (päpstliche) Titel später verliehen wurde, sogar noch an Heinrich VIII., weil er Luther bekanntlich ablehnte. Im Unterschied zu Päpsten kann indes die heutige Königin von England im Bereich der Religion, auch im Gegensatz zu Heinrich VIII., kaum mehr Schaden anrichten. Man sollte jedoch gerade heute ihre symbolische Bedeutung nicht unterschätzen. Sie wirkt, nicht zuletzt dank Ihrer jüngsten Ansprache und angesichts des Gesundheitszustandes ihres Premiers, heute so eindrucksvoll wie seit vielen Jahrzehnten keine monarchische Persönlichkeit mehr. Die Frage ist, welchen Rang man der Symbolpolitik heute noch einräumt. Unterschätzen sollte man sie nicht. Selbst auch noch Merkels Macht, so umstritten sie derzeit bei einer Minderheit der Deutschen ist, beruht stärker als diejenige des schwachen Bundespräsidenten auf ihrer symbolpolitischen Präsenz. Ihre Ansprachen in letzter Zeit sind eindeutig "nichtssagender" als diejenigen der britischen Königin und trotzdem von einen Gewicht, das z.B. sogar eine kluge Frau wie Alice Weidel kaum zu 10% erreicht. Demgegenüber waren vor Jahrzehnten geistig Oppositionelle wie Vaclav Havel oder in der Sowjetunion Andrei Sacharov klar respektierter als jedes Politbüromitglied. Merkels "Unstürzbarkeit" liegt wohl vor allem darin, dass man ihr zwar falsche Politik, aber kaum, wie etwa Schröder oder Merz, den Ludergeruch der Korruption anhängen kann.

zeitschnur

8. April 2020 12:19

"Nur der Mensch, so Kant, soll dieser Selbstzweck sein, da ihn allein Autonomie kennzeichnet, in der Freiheit, sich seine Ziele selbst vernünftig und moralisch setzen zu können. In dieser Freiheit bzw. in dem Vermögen, frei, vernünftig und gut zu handeln, bestehe die Würde des Menschen. Man wird ihm nur gerecht, wenn man ihn in seiner Selbstzweckhaftigkeit betrachtet und eben nicht zum Mittel für die Erlangung fremder Ziele herabwürdigt. Um aber lebenspraktisch frei und vernünftig handeln zu können, bedarf es der durch den Staat gewährleisteten Willkürfreiheit, die garantiert, daß dem Menschen nicht durch willkürliche Beschränkung verwehrt wird, gut zu handeln.

In der Menschheitszweckformel des kategorischen Imperativs ausgeführt: „Handle so, daß du die Menschheit (als das Wesen des Menschen – H. Bo.) sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“
_______________________
Sie fragen anschließend, Herr Bosselmann, ob das wirklich so klar sei und praktiziert werde, gerade auch von den extrem religiösen Migranten.

Die Beobachtung, dass der Mensch als einziges Lebewesen in der Natur Selbststand hat, d.h. auf sich selbst reflektieren kann und vernünftige, eigenständige Entscheidungen treffen kann, dass er ein Bewusstsein seiner selbst hat, traf nicht erst Kant - das ist bereits alte scholastische Lehre und irrlichtert durch die gesamte abendländische Philosophie.

Daraus, so denken wir, leite sich die "Würde" her. Ich wüsste nicht, warum Religiosität als ebenfalls frei getroffene, vernünftige Entscheidung prinzipiell dieses Konzept von Menschenwürde untergraben sollte. Es ist ja nicht die Religion oder Religiosität, sondern erst die Annullierung dieses freien Menschenbildes, das zum Problem wird. Solche Annullierung geschieht und geschah. Wir müssen nach 200 Jahren wachsenden Agnostizismus und Atheismus aber mit Schrecken erkennen, dass beileibe nicht bloß die Religion an dieser Annullierung arbeitet, sondern auch alle möglichen säkularen Konzepte, und jene noch viel übler als es die Religionen je hätten tun können. Zu fragen wäre auch, ob das, was man dem Religiösen zuschreibt, eher dem machtpolitischen Arm der Religion zuzurechnen wäre.

Auf der anderen Seite kennen wir östliche religiöse und philosophische Konzepte, die gerade in dieser Erstarrung im "Selbststand" eine Illusion und den Ausgangspunkt alles Leidens sehen (v.a. im Buddhismus). Dieser Auffassung liegt eine reale Erfahrung beständiger Selbstverfehlung zugrunde. Das Brahman (Allbewusstsein) ist dem Atman (Individualbewusstsein) immer übergeordnet und Ziel. Ohne Brahman gibt es kein Atman, solitäres, "autonomes" Atman ist schlechtweg undenkbar und kann nur in neue Barbareien führen.

Im Christlichen kann die individuelle Menschheit nur im Rahmen der gesamten Menschheit (als Wesen) erkannt und gelebt werden. Für die christliche Gemeinschaft gilt sogar "leidet ein Glied, leidet der ganze Leib". Hildegard von Bingen sah daher für das Ende der Zeiten einen solchen Leib voraus, der verwundet, zerfressen und schwer blutend seinem Ende entgegengeht. Diese Vision belegt, dass Menschen auch vor 1000 Jahren ungefähr dasselbe Lebensgefühl hatten wie wir heute: das des Angegriffenseins, des persönlichen Versagens als Mensch, das der geschundenen "Würde". Es erscheint mir gleich, ob nun Inquisitoren, Kreuzfahrer, Hexenverfolger, islamische Hassprediger oder eine perverse Weltelite für diese Zustände sorgen. Das Ergebnis ist immer die zertretene Würde des Menschen.

Was wird zertreten?
Das Bewusstsein seiner selbst. Der Mut, selbst zu denken. Die Anerkennung der eigenen Begrenztheit (denn auch das ist kantisch!). Der Zusammenhang zwischen bestirntem Himmel und Sittengesetz in mir. Gottesfurcht jenseits irgendeines Machtimpulses. Achtung vor sich selbst und dem anderen.

Man kann sogar sagen: Wir sind heute vollständig verzweckt und laufen in Rädern, die wir uns eben nicht ausgesucht haben, die aber auch nicht mehr durch die natürliche Bedingtheit zu erklären sind.

Dass der Staat uns diese ursprüngliche Freiheit garantieren würde, vermag ich nicht zu sehen. An diesem Punkt irrte Kant gewaltig, oder er war zu gutgläubig. Mit keinem Hebel kann man diese Würde mehr zertreten als mithilfe des Staates.

Der inzwischen in der Diskussion öfters zitierte Hobbessatz "Auctoritas, non veritas facit legem", der ein Bankrott für jeden aufklärerischen Denkansatz ist, stellt vor Augen, womit wir es zu tun haben. Im Gewand der Illusion vernünftiger Entscheidungsprozesse wird am Ende prinzipiell unvernünftig entschieden, denn Entscheidung aufgrund von Macht ist per definitionem unvernünftig bzw vernunftunabhängig.

Das zugrunde liegende tatsächliche Dilemma zwischen Willkür und Wahrheit, zwischen Setzung und Respekt vor dem Vorgefundenen offenbart uns heute sein Gesicht rücksichtslos, unverhüllt und ohne Atemschutzmaske, als Vergewaltiger:
Die Willkür bleckt die Zähne und setzt immer neu zum Sprung an, indem sie uns emotional austrickst mit immer neuen Katastrophenszenarien und mit absurdem Wissenschaftsspuk schreckt und treibt.

Debatten finden nicht mehr statt oder werden unterdrückt oder verhetzt - man braucht sie nicht mehr, denn am Ende steht der Entscheidungsträger mit seinem ultimativen Recht: wenn er eine unerforschte RNA- oder DNA-Sequenz zum Killervirus erklärt, dann ist es das auch, auch dann, wenn nirgendwo echte Schwerkranke in großer Zahl sind. Und wenn nirgends nachgewiesen wird, dass das Killervirus wirklich aktiv und schuld ist an irgendwelchen zusammengeklaubten normalen Toden, man baut Notfallambulanzen, stellt Warteschlangen davor, filmt das Ganze und rechnet dem Volk aus dem Munde eines Tierarztes namens Wieler vor, welche Katastrophe sich unter blauem Himmel, Blütenregen und fröhlichen, aber mit Schutzmasken und Latexhandschuhen bewehrten Menschen sich gerade abspiele. Es ist dabei völlig unerheblich, was sich in der Realität abspielt. Die dezisionistisch entschiedene Realität vergewaltigt die reale Realität. Und das Volk huldigt der Fiktion im Stockholm-Syndrom. Aufgrund dezisionistischer Entscheidung fühlen sich einst "autonome" Menschen auf Knopfdruck schwerkrank, obwohl sie kerngesund sind.

Was ist denn nun wahr? Die Pilatusfrage - so alt ist das alles schon. Pilatus sagt, er finde keine Schuld an Jesus, aber er verurteilt ihn aufgrund seiner willkürlichen Entscheidungsvollmacht dennoch als sei er schuldig. Auch hier zeigt sich der Maximalpunkt des Dezisionismus in all seiner Erbärmlichkeit und Bosheit: Jesus ist deshalb todeswürdig, weil Pilatus es entscheidet. Und warum er es entscheidet, ist völlig egal.
Voluntarismus als Spuk der späten Scholastik und vor allem des Islam, der insofern der religiös-philosophische Hintergrund der heutigen Politik sein könnte.

Ich sehe im Moment nicht, wie wir aus diesem Szenario wieder herauskommen. Wäre aber gespannt drauf, ob jemand eine Idee hat.

Sara Tempel

8. April 2020 12:53

Das Geschichtsbewußtsein ist immens wichtig für die eigene Identität. Zum Glück hatten wir in der Schule noch das Fach Geschichte. Darüber hinaus habe ich schon als Kind gerne historische Romane gelesen. Heute wäre das für unsere Jugend, die durch Digitalisierung und schlechten Schulunterricht geistig verarmt, ein möglicher Zugang zu einem Gefühl für unsere Historie, deren kulturelle Spuren sich, gerade in Europa, noch überall finden lassen. Gerade für, auch unter Muslimen, heranwachsende Mädchen habe ich meinen einzigen Roman geschrieben. - Der kleine Pro BUSINESS Verlag, bei dem ich diesen historischen Roman: "Die Kinder der Kalliste" veröffentlicht habe, wird gerade abgewickelt. - Doch bis Ostern sind einige Restexemplare (1. und einzige Auflage 2011) über Amazon erhältlich, falls sich hier jemand ausgerechnet für eine Frauengeschichte im Matriarchat interessiert! Als Amateur bitte ich um Milde für stilistische Schwächen, insbesondere da ich mich bewußt für einen antiquierten Stil entschieden habe. Zuletzt ungeduldig das Buch endlich fertig zu bekommen, habe ich leider auf eine Endkorrektur durch meinen Mann - der liebevoll für jedes Kapitel eine Vignette gezeichnet hat - verzichtet.

zeitschnur

8. April 2020 13:10

@ Maiordomus

Der Hinweis auf Tati kam von mir, @ LV bezog sich darauf. Allerdings stammt das Filmzitat nicht aus "Trafic", sondern aus "Les vacances de M. Hulot". In diesem Film wird weniger die Irrtumsanfälligkeit gezeigt, als die Ziellosigkeit und die wohlstandsbedingte Horizontverkleinerung des modernen Menschen, der sich in neurotische "Eigenstrukturen" begibt, während er vollständig getrieben wird. Manche Szenen in dem Film sind geradezu gespenstisch, obwohl ich zugeben muss, dass ich als Studentin den Film x mal im Kino ansah und hinterher wirklich kaputtgelacht war und Seitenstechen hatte wegen all der Groteske. ZB diese schweizerische Dame, die offensichtlich der Oberschicht angehörend Muscheln sammelt und ihrem hinter ihr stets herlaufenden Mann Arthur übergibt, der sie postwendend wegwirft, eine kleine Genugtuung wegen seiner totalen Entmündigung durch die Gattin auslebend. Es ist die Umkehrung islamischer Ehegänge, die Arthur aber trotzig zu einem Zeichen Zeichen des Widerstandes ummünzt: er geht zwar hinter der Führerin, aber er trödelt, macht kleine Ausbüchsereien, folgt mit betont gleichgültiger Geste dem herrischen "Arthur! Kommsch!" Oder dieser junge Mann, der der hübschen und hohlen Urlaubs-Protagonistin marxistische Theorien erklären will, während sie ihn einfach stehenlässt und belächelt. Oder gar diese Szene mit dem Boot, das quer in der Mitte bricht und M. Hulot in sich birgt, der den so entstandenen "Deckel", der ihn niederhält, heben will und nach außen den Eindruck eines Drachenschlundes herstellt, vor dem die aufgeklärten modernen Menschen am Strand panisch fliehen: keiner erkennt, dass es einfach ein kaputtes Boot ist. Die Modernität kippt in finstersten Aberglauben um von einer Sekunde zur anderen. Hulot ist in diesem Szenario der Outlaw, der Spinner, von den Kindern geliebt, den Alten verachtet, den amerikanischen Touristen als Kuriosum beklatscht, und von Arthur, dem hörigen Schweizer mit der großkotzig-naiven Gattin am Ende mit einem heimlichen Adressaustausch hinter deren Rücken beehrt.
Viel schärfer noch und zugespitzt zeigt sich die Rolle des Hulot in "Mon oncle", einem der späteren Tati-Filme. Ich kann sie jedem nur empfehlen.

Laurenz

8. April 2020 16:34

@Maiordomus ..... nochmals Danke für weiter nachvollziehbare Erläuterungen. Bei der Staatsratsvorsitzenden teile ich Ihre Sicht der Dinge nicht. Sie lebt durch Stillstand. Und aller Michel-Mob mit einem Anhauch von Bürgerlich- und Spießigkeit hofft inständig darauf, daß dadurch alles so bleibt wie es ist. Im Grunde brauchen die Deutschen nicht mehr wählen gehen, Staatsratsvorsitzende auf Lebenszeit.

Und was Ihre deutsche Lissy auf dem noch britischen Thron angeht, so kann man nur feststellen, daß die Briten noch mehr einen Knall haben, als wir.

@zeitschnur

ich hab nichts gegen Ihren Beitrag im säkularen Bereich einzuwenden, was die Religion angeht sehr wohl.
Wenn ich @Maiordomus richtig verstanden habe, so ist Pilatus jemand, der einen politischen Entscheid herbeiführt, ohne jemanden fragen zu müssen. Wäre Jesus römischer Bürger wie Paulus gewesen, hätte das so nicht funktioniert. Pilatus führte, als Besatzer, quasi ein antikes Nürnberg herbei, nicht mehr und nicht weniger.

Zitat-Im Christlichen kann die individuelle Menschheit nur im Rahmen der gesamten Menschheit (als Wesen) erkannt und gelebt werden.-Zitatende
Christen sind eine Minderheit, von daher kann Ihr Ziel nicht herbeigeführt werden. Von daher kann man die Zielgebung auch abblasen. Ihre These stimmt einfach nicht.

Zitat-Für die christliche Gemeinschaft gilt sogar "leidet ein Glied, leidet der ganze Leib".-Zitatende

Hier bestätigen Sie den viralen Globalismus, welche diametral einer jeden Nationalstaatlichkeit entgegen steht. Auch die unverschämte Anmaßung, das Leid einzelner auf alle übertragen zu müssen, führt den kollektivistischen Hauch des Bolschewismus in sich.

Zitat-Ich wüsste nicht, warum Religiosität als ebenfalls frei getroffene, vernünftige Entscheidung prinzipiell dieses Konzept von Menschenwürde untergraben sollte.-Zitatende

Wie kann Religions-Zugehörigkeit frei und vernünftig getroffen werden? Ein Paradoxon.

Die Mehrheit aller Abrahamiten wird doch erst gar nicht gefragt und schon als Kind geprägt, siehe Jesuiten.

Desweiteren, @zeitschnur, bekommen alle Gläubigen nur Kopien der sprituellen Wahrnehmung einiger weniger ausgehändigt, anstatt eigene persönliche Erfahrungen frei von Ideologie machen zu können. Schauen Sie in die Kirchengeschichte, alle sprirituellen Wahrnehmungen mußten!!! etwas mit verblichenen Bibel-Geschichtchen zu tun haben. Taten diese Wahrnehmungen es nicht, war man geliefert. Da machten Ihre Glaubensbrüder zu keiner Zeit viel Federlesens.

Maiordomus

8. April 2020 17:08

@Zeitschnur. Entschuldigen Sie, ich bringe die Damen bei aller Unterschiedlichkeit des Profils manchmal durcheinander! Den Tati haben Sie auch für mich wertvoll vertieft. Natürlich ganz grandios "Mon Oncle", wenn ich nur daran denke, wie bei jedem Besuch im völlig künstlichen Luxusgarten der wasserspeiende Fisch angestellt wird, fast nach dem Prinzip des Potemkinschen Dorfes mit der Fasssade als wahrer Substanz, nur diesmal konsequent auf das wohlstandsbürgerliche Privatleben bezogen. Der Film ist also wohl noch aktueller als damals, bei seinem Entstehen. Nur geht es wohl noch mehr darum, dass man nicht einfach Fremden was vorkommt, sondern zumal sich selber, was bei Tati mit zur Aussage gehört. Danke, liebe @Zeitschnur. Die Filmgeschichte des 20. Jahrhunderts ist fürwahr auch eine "Zeitschnur", als Darstellung der Menschheitsgeschichte zum Beispiel "Odyssee im Weltraum" von 1969, bis heute auf diese Art wohl unerreicht.

Pferdefuss

8. April 2020 17:14

https://sezession.de/62446/wagnis-und-wuerde

Erinnert mich an 'Antigoné' und an Diogenes von Sinope, der die Menschen am hellerlichten Tag auf dem Marktplatz mit der Laterne suchte.

Maiordomus

8. April 2020 17:58

Korr. "dass man nicht nur Fremden, auch sich selber was vormacht, was bei Tati mit zur Aussage gehört."

@Bosselmann. Sie betonen bei Ihrem Artikel nach wie vor die "islamische Landnahme", was ich z.B. als Verteidiger des Minarettverbots in der Schweiz (dem ich nicht ungern das Verbot weiterer Kirchturmbauten hinzufügen würde, weil diese, wie die moderne Architektur zeigt, nicht mehr funktional sind im Sinne von Schillers "Glocke") keineswegs grundsätzlich als obsoletes Problem bezeichnen würde. Aber längst nicht als das eigentliche Problem, nämlich das permanente Missionieren einer Zivilreligion, wozu Gender nicht nur mit den *Sternchen ebenso gehört wie der zur Religion erhobene "Antirassismus", Feminismus und Multikulturalismus einschliesslich der Festschreibung historischer Narrative.

Gracchus

8. April 2020 20:23

Schön, hier so viele Tati-Fans zu finden.
Das Schloß von Kafka - @zeitschnur - habe ich neulich erst wiedergelesen (Kafka ist ohnehin mein Autor), interpretiere es aber etwas anders als Sie, was nun aber wirklich zu weit führen würde.

Franz Bettinger

8. April 2020 22:16

@Zeitschnur schreibt: "Die Beobachtung, dass der Mensch als einziges Lebewesen in der Natur auf sich selbst reflektieren und vernünftige, Entscheidungen treffen kann und dass er ein Bewusstsein seiner selbst hat,…“ Wie kann man so einen überheblichen Unsinn glauben? Diese Selbstherrlichkeit von Menschen, die nicht einmal Zoologie, vergleichende Anatomie oder Verhaltensforschung studiert haben und anscheinend nie mit Tieren ernsthaft zu tun, also auch aus eigener Anschauung nichts kapiert hatten, ist für mich völlig unverständlich. Hatte Herr Kant ein Haustier?

Gracchus

8. April 2020 22:57

@zeitschnur: Was Sie über Würde schreiben, da bin ich - sofern ich Sie richtig verstehe - wieder bei ihnen. Als ich mich - wie ich schon erwähnte - mit Art. I 1 GG beschäftigte, erschien mir die religiöse Begründung der Menschenwürde wesentlich einleuchtender als die säkularisierte, an Kant orientierte. Letztlich vermag ich die menschliche Würde nicht ohne Gott zu denken, denn diese ist - auch wenn sie sich aus dem menschlichen Selbststand herleitet - auch immer eine geschöpfliche. Man kann jetzt lange darüber philosophieren, ob das an meiner religiösen Prägung liegt oder an meinen kognitiven Defiziten. Womit ich zu

@Laurenz überleite. Ich sehe nicht, weshalb Paulus, als er vom Pferd fiel, den Gekreuzigten sehen musste. Auch Mechthild von Magdeburg, Theresa von Avila, Johannes vom Kreuz, Jakob Böhme oder Valentin Tomberg - um die mir geläufigen Mystiker zu nennen - mussten nichts. Woher wollen Sie wissen, dass deren mystische Erfahrungen nicht aus erster Hand waren und sie nur - um kirchlichen Argwohn zu entgehen - diese christlich bemäntelten. Belege? Und woher wollen Sie wissen, dass ganz gewöhnlichen Gläubigen nicht Christus in der Messe oder im hingebungsvollen Gebet begegnen.

Ein Buďdhist wird seine spirituellen Erfahrungen buddhistisch deuten, ein Christ christlich, eine Jude jüdisch, eine Heide heidnisch. Damit diese Erfahrungen kommuniziert werden können, brauchen sie ja einen religiös-kulturellen Rahmen, und es liegt nahe, dass jeder den Rahmen nimmt, der ihm zur Verfügung steht; andererseits ist das, was er wahrnimmt, wiederum durch den Rahmen geprägt, auch wenn paradoxerweise dieser Rahmen durch die Erfahrung gesprengt oder transzendiert wird.

zeitschnur

9. April 2020 00:21

@ Franz Bettinger

Ist nicht überheblich, pardon, es ist eine Feststellung, die man halt treffen kann. Warum so sprungbereit bei dem Thema, ohne verstanden zu haben, was der andere eigentlich sagte?

Ich jedenfalls lebe schon immer mit Tieren und kann nicht sehen, dass sie dieselbe Art von Selbstbewusstsein oder Selbstreflexion haben wie Menschen. Vielleicht verstehen Sie einfach die Begriffe auch nicht präzise: Selbstbewusstsein ist nicht dasselbe wie Bewusstsein. Und Selbstreflexion meint, auf sich selbst reflektieren zu können und sich darüber mitteilen zu können.
Beim besten Willen konnte ich das bei meinen geliebten Tieren noch nie feststellen.
Dass sie Bewusstsein haben und Denkoperationen ausführen können, hat mit dem Gemeinten nichts zu tun. Sie haben auch keine moralische Pflicht wie Menschen - sie wissen wohl, was wir nicht wollen und ihnen verbieten, etwa als Katze auf den Esstisch hochzuspringen und die versehentlich stehengelassenen Teller abzuschlecken, aber sie tun es, sobald sie sich unbeobachtet wähnen ohne jedes schlechte Gewissen. Das "Gewissen" kommt erst ins Spiel, wenn sie entdecken, das man sie doch erwischt hat. Wir projizieren unsere eigene menschliche Verfasstheit in die Tiere, was ein großer Betrug ist: auch das Tier will als das verstanden werden, was es ist.
Echtes "Gewissen" aber hat mit einer ethischen Selbstreflexion und dem Scheitern an den autonom getroffenen und anerkannten Erkenntnissen zu tun. Die Überschneidung menschlicher und tierischer Bewusstseinszustände ist weder total noch erreicht sie diesen Bereich, den Kant beschreibt.
Allerdings ist der Geist eines Menschen, der mit Tieren lebt, ganz erheblich einflussreich auf die Seele des Tieres. Kalte, brutale Menschen haben brutale Tiere. Fried- und geistvolle Menschen verstehen es, verfeindete Tiere an einen Fressnapf zu bringen durch ihre Ausstrahlung. In der Natur würde dies so niemals gelingen.
Die Tiere spiegeln so gesehen unseren Geisteszustand, aber sie haben ihn weder selbst so noch müssen sie dafür geradestehen.
Schätze aber, hier werden wir uns nicht einig. Lassen wir es doch einfach als Kontroverse stehen.

Klaus P Kurz

9. April 2020 00:59

@Franz Bettinger/Zeitschnur:

Chapeau!
Ganz genau: Die Aussage, die "Beobachtung, dass der Mensch als einziges Lebewesen in der Natur auf sich selbst reflektieren und vernünftige Entscheidungen treffen kann und dass er ein Bewusstsein seiner selbst hat," ist nicht nur erkenntnistheoretisch gesehen falsch, weil es derartige Beobachtungen objektiv nicht gibt, sondern auch wegen klarer, wissenschaftlich fundierter, den Gegenbeweis liefernder Untersuchungen. Zur Erläuterung sei hier an einen alten Versuch vom amerikanischen, meereskundlichen Woods Hole Institute aus den Siebziger Jahren erinnert:
Damals wurde dort ein frisch gefangener atlantischer Delphin in die eine Hälfte eines Wasserbeckens gesetzt, welches wie die andere Hälfte mit drei unter Wasser befindlichen, gummiarmierten Druckknoepfen an der Stirnseite, einem Unterwasserlautsprecher und einer Unterwasserluke an einer Längsseite ausgestattet war. Die beiden identischen Hälften trennte ein starkes Netz. Nun zeigte ein Wärter dem Delphin durch Drücken der Knoepfe, daß unterschiedliche Musik unterschiedliche Resultate bewirkt: Erst beim Ertoenen von Beethovens Fünfter oeffnete sich die Luke und Fisch fiel heraus. Die Beatles und die Beach Boys hatten vorher nichts erreicht.
Am folgenden Tag schwamm der Delphin ohne erneute Instruktion direkt auf den Beethoven-Knopf zu, drückte ihn mit seiner Schnauze und genoß das anschließend servierte Futter. Soweit, so gut!
Nun setzte man in die andere Hälfte einen Pazifik-Delphin, um ziemlich sicher auszuschliessen, daß sich die beiden Tiere bekannt waren und unterwies diesen Neuzugang in gar nichts.
Nachdem die Delphine sich beim Netz begrüßt hatten, schwamm der neue zielstrebig zum Beethoven-Knopf , drückte ihn, die Klappe fiel und der Hunger konnte gestillt werden.
Die offensichtlichen Schlußfolgerungen überlasse ich den geschätzten Kommentatoren, moechte aber an Descartes erinnern, demzufolge das Bewußtsein der Erfahrung entspricht, Gedanken in ganz bestimmter Weise zu formen. Weiterhin hat im Jahre 2012 eine Gruppe kognitiver Wissenschaftler die sogenannte "Cambridge Declaration on Consciousness" unterzeichnet, die feststellt, daß alle Säugetiere, viele Voegel und andere Lebewesen über ein Bewußtsein verfügen, welches dem menschlichen entspricht. Demzufolge sind wir weit davon entfernt einzigartig zu sein in der Weise wie wir Erkenntnisse gewinnen und uns mit der Welt auseinandersetzen.
Vielleicht ist Bewußtsein sogar ein sich über alles Leben erstreckendes Spektrum? In moeglicherweise sehr verschiedener Dichte, ja, sogar darüber hinaus als eine weitere universale Kraft wie die Kernkräfte, Gravitation und Elektromagnetismus?

Augustinus

9. April 2020 01:15

Herr Bosselmann,

Sie gefallen mir immer besser. Würde mich freuen, wenn Sie regelmäßig auf SIN schreiben würden.

Sie schreiben unkonventionell und frei mit einer außergewöhnlichen starken Ausdrucksweise. Ihr folgender Satz gefällt mir gut:

"Wer für das eigene Haus keine konkreten Grundvereinbarungen schließt, sollte keine Gäste empfangen, schon gar nicht solche, denen einzig und allein die eigenen Ziele und Zwecke relevant erscheinen, so nachvollziehbar diese aus einer prekären Bedürfnislage heraus auch sein mögen."

Ob, das alles so richtig war, was Kant schrieb, ... weiß ich nicht?

Ich persönlich verehre Nietzsche.

Franz Bettinger

9. April 2020 10:17

@KlausKurz: Erfrischend, dass wieder ein Wissenschafter zu uns (SiN) gefunden hat. Ist auch nötig!

Gracchus

9. April 2020 10:39

@KlausPKurz/Bettinger
@zeitschnur hat mit ihrem Kommentar 00:21 recht. Mir ist schleierhaft, wie man das in Abrede stellen kann.

zeitschnur

9. April 2020 10:41

@ Klaus P Kurz

Bitte lesen Sie meine Antwort an @ FB. Ich bestreite selbstverständlich nicht, was Sie da als Experiment und Beobachtung beschreiben.
Allerdings muss ich bei Ihnen unscharfe Begriffe konstatieren, ebenso wie bei @ FB. Ich habe es oben ausgeführt.
Auch in Ihrem Experiment ist es maßgeblich der Mensch, der hier eine Konditionierung vornimmt am Tier. Dass es bei den Delfinen erheblich schneller geht, als beim Pawlowschen Hund, weist auf einen anderen Intelligenzgrad bzw eine andere Ausprägung von Intelligenz bei den Delfinen hin.
Ob umgekehrt ein Tier einen Menschen in dieser Weise konditionieren könnte?
Haben Sie da auch Experimente, die glaubwürdig sind?

Mit Selbstbewusstsein ist etwas anderes geeint als mit "Bewusstsein".
Selbstreflexion ist nicht dasselbe wie allgemeine "Intelligenz".
Das Tier teilt sich - im Gegensatz zum Menschen - nicht in komplexen sprachlich-geistigen Prozessen über ein reflektiertes Bewusstsein seiner selbst (als ein "Selbst", ein "Ich") und einen ethischen Selbststand mit.
Von einem Wissenschaftler erwarte ich, dass er wenigstens diese basale Unterscheidung versteht und ernstnimmt. Aber was heißt heute auch schon Wissenschaft...
Vielleicht zeigen Sie mir auch einmal das Tier, das selbst Beethovens Musik komponieren oder spielen kann oder ein Panoramabild malen könnte - auch das ist ein klarer Hinweis darauf, dass das Tier kein Selbstbewusstsein hat, das sich reflexiv auf die Beziehung von Ich und Welt richtet UND (und dieses UND ist wichtig!!!) dies auch wiederum diskursiv mitteilen könnte.

zeitschnur

9. April 2020 11:00

@ Gracchus

Ein sehr alter Bekannter knabbert derzeit auch am Begriff "Menschenwürde" herum. Er hat die gesamte Literatur nach einer ihn befriedigenden Definition durchsucht, findet aber nichts.
Die kantische Definition ist - genau betrachtet - tautologisch und darum narzisstisch (s.u.). Es definiert alleine aufgrund der Tatsache, dass ich mich selbst so setzen KANN und in mir selbst spiegle. Im letzten Ende führte das zu der überspitzten Setzung bei Nietzsche, der sich als Gott erklärte. Die tragikomischen Sätze Nietzsches zeigen, wohin Kant ohne Korrekturen führen kann.

Würde lässt sich ja nicht unmittelbar aus dem Selbststand ableiten. "Würde" ist nicht dasselbe wie "Wert". Egal welchen Eigenwert ich mir selbst zuschreibe, Würde erhalte ich erst in dem Augenblick, indem ein Du mir diesen Wert bestätigt und anerkennt. Man kann es auch "Wertschätzung" nennen oder als damit verwandt. "Würde" erhält man grundsätzlich immer von einem anderen, nicht durch sich selbst: Zum König wird man gekrönt und tut es nicht selbst, auch die Eheschließung ist etwas wesentlich anderes als das bloße irgendwie "Zusammenziehen", weil ich damit dem Partner die Würde gebe nach außen hin, dass ich in einem bestimmten Rahmen für ihn einstehe und ihn unterstütze. Ich gebe ihm die Würde des Gatten. Der Unterschied wird heute leider oft nicht mehr verstanden, weil er mit allerlei Zivilisationsmüll überlagert wurde.

Alle, die niemanden haben, der ihnen diesen Wert bestätigt und dabei ohne Gottesbeziehung sind, haben ein echtes Problem.
Man erfährt, wer man selbst ist, tatsächlich nur in der Beziehung zum Du.
Ohne andere Menschen fühlen wir uns dauerhaft verlassen und in Sinnlosigkeit, wir verlieren den Halt. Nur die Gottesbeziehung macht wirklich unabhängig von den verkehrten Würdeverweigerungen durch Menschen (die eine Alltäglichkeit sind!).

Es kommt nicht von Ungefähr, dass Robinson Crusoe in der Einsamkeit seine Gottesbeziehung entdeckt und optimiert. Leider sind die entsprechenden Passagen aus den Jugendausgaben gestrichen, obwohl sie einen großen Teil des Buches ausmachen.
Wenn wir etwas über Menschenwürde erfahren wollen, ist es - so sehe ich es heute - sicher lohnenswerter Martin Buber zu lesen als Kant, dessen Ansatz man in einem gewissen Sinn auch als den Ausgangspunkt des modernen Narzissmus ansehen könnte, auch wenn er das natürlich nicht intendiert bzw erkannt hat, dass diese Tendenz in seinen Gedanken liegt.

Franz Bettinger

9. April 2020 11:42

@Zeitschnur fragt rhetorisch "Ob ein Tier einen Menschen konditionieren könnte?" Oh ja, fragen Sie die Eskimos! Die Eisbären brachten den Menschen da oben bei, so schnell wie möglich wegzulaufen, wenn einer der weißen Riesen auftauchte. Im hohen Norden waren lange lange Zeit die Bären die Krönung der Schöpfung. Mit dem Import von Feuerwaffen hat sich das Blatt dann gewendet.

Franz Bettinger

9. April 2020 12:08

@Zeitschnur: An jeder Stelle ihres Textes über die Würde, an dem Sie das Wort Würde benutzen, könnte man dieses ohne Bedeutungsänderung durch das viel bessere (weil verständlichere, wenn auch weniger bombastische) Wort Wert ersetzen. Würde = Wert, und basta! Meinetwegen ein Wert, den andere (die Gesellschaft) einem verleihen. „Ich gebe meinem Mann die Würde des Gatten.“ Mon dieu, Sie messen ihm einen Wert zu.

Könnt ihr Elfenbein-Türmler nicht einen klaren Gedanken fassen und formulieren? Geht es nur verschwurbelt? Muss jedes Ei darauf untersucht werden, wie viele Ecken es hat? Und daher ist auch der Satz „Der Wert des Menschen ist unantastbar“ in vielerlei Hinsicht (auch grammatikalisch) viel-deutiger Schwachsinn. Er gehört jedenfalls nicht in ein Gesetzbuch wie das Grundgesetz. Gesetze sollten glasklar, also unmissverständlich sein.

Und was Robinson Crusoe betrifft (der in der Einsamkeit Gott wieder entdeckt): Wissen Sie, was er von Beruf war? Sklavenhändler! Ja, auch das ist aus der Jugendausgabe gestrichen worden, aber Sie werden das Original kennen. Sein Beruf findet sich im ersten Kapitel.

Laurenz

9. April 2020 12:20

@Gracchus ..... Sie fangen hier an, zu konstruieren. Das liegt wohl an Ihrem Beruf. Jeder Beruf und seine Protagonisten versuchen, Nachfrage nach sich selbst zu erschaffen, Ärzte sind da auch nicht besser, dazu gibt es einschlägige Studien.
Nehmen wir doch meine Heilige Hildegard von Bingen, die alte Kräuter-Panscherin. Da entschied auch erst der Papst, ob diese nun vom Teufel besessen sei oder mit Gott kommuniziere.
Ich erachte Ihre Antwort als unlauter, weil Sie mich genau verstanden hatten und wissen, daß es im christlichen Sinne gute spirituelle Erfahrungen gibt und böse, also ideologisch bedingt und unfrei.
Und hier sollten wir an

@alle

überleiten, ich denke, Herr Bosselmann ist fürwahr ein Schelm.

Menschenwürde ist doch von den vielen Gracchi dieser Welt in christlich, humanistischer Tradition. Zitat (Goethe)-

Habe nun, ach! Philosophie,
Juristerei und Medizin,
Und leider auch Theologie!
Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.
Da steh ich nun, ich armer Tor!
Und bin so klug als wie zuvor.

-Zitatende

kreiert worden und als falsch zu erachten.
Daß sich hier @zeitschnur und @Gracchus einig sind, zeugt von der grundlegenden Falschheit der Menschenwürde, der Überheblichkeit, der abrahamitischen Arroganz gegenüber der Kreatur, der Natur, den Wesenheiten.

Im Grundgesetz sollte stehen, "die Würde aller Wesen ist, soweit möglich, zu schützen".

Um Ihnen das zu verdeutlichen, schildere ich Ihnen eine persönliche Erfahrung aus dem Jahr 2017. In diesem Jahr agierte ich auf Kandishügels virtuellem Gesichts-Album .... und kristisierte auf deren Seite unsere Tierschützer von PETA. Ich schrieb sinngemäß, alle mehr "intelligenten" Lebewesen, in der Regel Säugetiere, müßten töten um zu leben. Aber die Mitglieder von PETA spielen Gott, und entscheiden, wen wir töten dürfen (Pflanzen) und wen nicht (Tiere). Dies sei bigott infam, da wir ja davon ausgehen können, daß Pflanzen, wie jedes andere Lebenwesen auch, leben wollen. Pflanzen seien auch nicht primitiv, besäßen nur für uns eine weniger nachvollziehbare Wesenheit, kommunizieren untereinander und beschützten sich und die ihrigen.
Die Konsequenz war, ich flog von der PETA-Seite. Sie sehen, die Guten PETAner bestraften den Castaneda'schen Ketzer und grenzten ihn aus, wie üblich.
Wenn @zeitschnur Recht hätte, und wir ein Ebenbild Gottes wären, wieso läßt er uns dann mit einem miserablen 4-Beiner-Rückgrat herumlaufen und ist zu faul, einen uns völlig nutzlosen Wurmfortsatz wegzumendeln. Dieser Gott wird durch Sie, Gracchus & Ihresgleichen, zu einer erbärmlichen Nichtigkeit degradiert, weil Sie uns zu seinem Ebenbild machen. Insofern durchblickte Goethe dieses, und war keiner der Ihren mehr.

Laurenz

9. April 2020 12:23

@Franz Bettinger @Zeitschnur

Zitat-
fragt rhetorisch "Ob ein Tier einen Menschen konditionieren könnte?-Zitatende

Mio. von Haustieren in Deutschland haben ihre Besitzer versklavt.

Hat die süße Katze auch ihr feines Fresschen? Ach es schmeckt nicht? Da muß ich doch gleich zum Metzger und Tartar kaufen.

Maiordomus

9. April 2020 12:40

@Bettinger. Die sogenannten Werte in der Philosophie sind längst so kritisiert, dass man sie nicht als "Gegenstände" erachten kann. Es bleibt aber dabei, dass es im besseren Teil, freilich nur in diesem, der Verfassungskommentare noch vernünftige Überlegungen gibt, wie der entsprechende realexistierende Verfassungssatz, unterdessen auch im Schweizer Verfassungsrecht angekommen, rechtlich interpretierbar sein kann und wie nicht. Dies hier auszuführen, liegt für mich derzeit aber nicht drin.

Klaus P. Kurz. Über Descartes hinaus, für den Tiere übrigens bloss "Maschinen" waren, müsste man wohl noch die "Psychologie der Intelligenz" von Jean Piaget auskundschaften. Weniger aber eine Zürcher Professorin amerikanischer Herkunft für Intelligenz, welche vor zwei Monaten Trump für nachgewiesen "dumm" erklärt hat, obwohl sie selber weit dümmer ist, und neulich noch ausgerechnet hat, wie viele Promille Intelligenz einem Schüler pro verlorenen Schultag abhanden kommen würden. Das diplomierte "Dummchen" verdankt seinen Posten an der Eidgenössischen Technischen Hochschule fast ausschliesslich der Frauenförderung und dem auch gemäss den Ausschreibungstexten bevorzugten Einsatz von Frauen zumal bei Abteilungen einer technisch und naturwissenschaftlich orientierten Hochschule, bei denen es auf fundiertes Denken nicht ankommt, wiewohl gerade an jener Schule, aber nicht bei der "Intelligenzforschung", einige der intellektuell tüchtigsten und bestausgewiesenen Frauen Europas an der Arbeit sind oder waren.

Mit dem Begriff "Menschenwürde" hat, wie ich Ihnen schon andeutete, Schopenhauer wie kein zweiter Denker der Menschheit so aufgeräumt, dass ehrlich gesagt davon bei strenger Analyse nichts mehr übrig bleibt. Der Satz in den Verfassungen müsste lauten, wenn schon: "Die menschliche Erbärmlichkeit verdient, so weit sie nicht krass selbst verschuldet ist, optimale Rücksicht." Medizinethisch nennt dies Paracelsus das Ethos der Barmherzigkeit. Dazu hat der Medizinhistoriker Heinrich Schipperges meines Erachtens Wesentliches gesagt. Es würde sich für Sie, @Bettinger, lohnen, diesen stets unsentimental und keineswegs "gutmenschlich" argumentierenden Medizingelehrten sich vorzunehmen. Er hat auch ein Buch über die Leiblichkeit bei Nietzsche geschrieben. Im Paracelsus-Jahr 1993 gehörte er, zum Beispiel in Salzburg, zu den besten Referenten.

Klaus P Kurz

9. April 2020 12:56

@ Zeitschnur:
Da ich nicht weiß, wieviel naturwissenschaftliches Wissen ich bei Ihnen voraussetzen darf, verzeihen Sie mir bitte, wenn ich etwas aushole, um Ihre Einwände zu beantworten:
Es ist bereits in den 50er Jahren des vergangenen Jhts. vermutet worden, daß gewisse Tiere nicht nur Bewußtsein, sondern auch Selbstbewußtsein (self-awareness) besäßen. Selbst Charles Darwin hatte lange vorher schon ähnlich argumentiert. Aber erst seit den 70er Jahren hat man durch eindeutige Versuche wie im sogenannten Spiegel-test nachgewiesen, daß außer uns Menschen auch alle Primaten, Delphine, Elefanten, Schwertwale, Rhesusaffen, aber auch Elstern selbstbewußtes Verhalten zeigten. Delphin-Kinder waren darin sogar Menschenkindern klar überlegen. Beim Spiegel-Test läßt man diese Tiere sich selbst betrachten, wobei man ihnen vorher unbemerkt eine Markierung angebracht hatte (Farbflecken u.ä.) und dann ihr Verhalten ob dieser Veränderung beurteilt. Aber wie wird überhaupt Selbstbewußtsein definiert? Und wie genau qualifiziert sich eine Spezies dafür?
Bei Menschen identifizieren wir es als die Fähigkeit bewußtes Wissen um unseren Charakter, unsere Gefühle und Wünsche zu haben und fähig zu sein sich vorstellen zu koennen wie andere uns wahrnehmen würden. Das beinhaltet auch, selbstbewußte Emotionen wie Stolz und Scham empfinden zu koennen.
Im weiter gefaßten Tierreich muß natürlich die Meßlatte etwas gesenkt werden, da es selbstverständlich unmoeglich ist, klar zu entscheiden wie Tiere denken und fühlen. Anstelle dessen forscht man nach Hinweisen, ob und wie sie erkennen, daß sie getrennt von anderen Tieren und ihrer Umwelt existieren.
Der beste Weg, dieses wissenschaftlich zu entscheiden, ist per o.a. Spiegeltest.
Im Jahre 2001 haben Verhaltensforscher von der Universität von North Carolina (USA) ihre Ergebnisse erstmals veroeffentlicht:
Danach zeigten vor allem Delphine (wie schon in meinem ersten Kommentar angedeutet) deutliche Verhaltensmuster Besonders sehr junge drehten und wendeten sich ständig vor dem Spiegel, um die Markierung zu beobachten (junge Primaten betasteten sie mit ihren Händen). Dabei ist festzuhalten, daß wegen Tierschutzbestimmungen diese Markierungen auf jungen Delphinen erst ab einem Alter von 2 Jahren angebracht werden durften, wohingegen solche Bedenken bei menschlichen Kleinkindern offenbar nicht bestanden, weil dieselben schon ab 18 Monaten für solche Tests zur Verfügung standen.
Frans de Waal, ein führender Verhaltensforscher, schrieb über diese Testergebnisse ein Buch mit dem Titel "Are We Smart Enough to Know How Smart Animals Are?”
In dem von mir beschriebenen Experiment war es selbstverständlich nicht der Mensch, der an dem zweiten Delphin eine Konditionierung vornahm. Wenn überhaupt war es der Kollege aus dem Atlantik. Sie müssen schon aufmerksam lesen (und denken)!
Und warum sollten Tiere in der Lage sein, Beethoven-ähnliche Musik zu komponieren, um uns damit ein von Ihnen propagiertes Selbstbewußtsein mitzuteilen? Sind wir denn in der Lage, per 40 Hertz Frequenzen, die Katzen beim Schnurren erzeugen, unsere gebrochenen Knochen zu heilen? Ich finde diese Fähigkeit koennte manchmal wichtiger als Beethovens Musik werden, meinen Sie nicht auch?

zeitschnur

9. April 2020 13:35

Basta-Argumente, @ FB, disqualifizieren Sie. Nennen Sie mich "Elfenbeintürmler", könnte ich Sie als "Grobholzphilosophen" abschmettern.

"Würdigen" ist mit Gewissheit etwas anderes als "be)werten". Alleine schon deshalb, weil Wertung immer auch negativ ausfallen kann, Würdigung dagegen nie.
Dass man von "Menschenwürde" und nicht von "Menschenwert" spricht, liegt daran, dass "Werte" stets unpersönlich gedacht werden, "Würde" dagegen immer nur persönlich verliehen werden kann. Die "Würde" wird verliehen und "heiligt" eine Person, der "Wert" ist tatsächlich innewohnend, kann aber auch negativ herabgewürdigt werden iS eines geringen Wertes. Eine "geringe" Würde gibt es dagegen nicht, so wie es keine "geringe Schönheit" gibt.

Der Schwerpunkt wird bei beiden Begriffen anders gesetzt - wobei ich ja an den Aufklärern gerade kritisiere, dass sie durch die Behauptung, auch die "Würde" wohne uns "inne", und dies von Natur aus, eben den Übergang zum Wertbegriff verwaschen haben. Es ist in Wahrheit der "Wert" des Menschseins, der uns innewohnt, nicht die "Würde". Die "Würde" ist dagegen immer eine persönlich verliehene.

Beispiele aus dem Sprachgebrauch:
Die Königswürde ist kein "Königswert". Ein "Würdenträger" trägt die Würde - sie wohnt ihm nicht natürlicherweise inne, er ist kein "Werträger". Jeder Würdenträger hat die Würde in einem offiziellen Akt verliehen bekommen durch andere, etwa in einer Weihe, Krönung, Ordination, Berufung, Amtseinführung, Vertragsschließung, Beeidung.
"Werte" können dagegen niemals "verliehen werden", sondern bestehen an sich selbst. Man kann sie allenfalls "setzen", das ist aber mit einer "Würde" unmöglich - sie wird nicht "gesetzt", kann aber abhanden kommen und wieder genommen werden, was auf einen "Wert" nicht zutrifft.

Wir spüren aber, wie unangemessen es wäre, von "Menschenwert" zu sprechen. Die Rede von der Würde erinnert uns daran, dass wir diese Würde verliehen bekommen von Gott, und weil wir das nicht haben wollen, verwischen wir und vergewaltigen wir die Sprache und tun so, als gäbe es dieses Wort in seiner Eigenbedeutung gar nicht. Wir verwirren Wertsetzungen mit Würdigungen und habe so dafür gesorgt, dass unverständlich bleibt, was Menschenwürde konkret eigentlich sein soll - eine Folge gewollter "Gottlosigkeit".

Mein alter Bekannter reibt sich u.a. daran, dass es tatsächlich einen hohen Grad totaler Entmenschung gibt, die es uns schwer macht, jemandem, der in dieser Weise selbstverschuldet entmenscht ist, noch diese "Würde" zuzuerkennen. Man mag in ihm immer noch den Menschenwert sehen, aber seine Würde hat er verloren. In anderen Kulturen kennt man dieses feine Empfinden für dieses Faktum im "Ehrverlust" oder "Gesichtsverlust". Nein, bedeutet das: man kann sich nicht alles leisten, ohne damit auch seine Würde aufzuheben! Unsere "wurstige" Moderne meinte, das alles mal kurz vom Tisch wischen zu können.

Im selben Sinne ist auch eine Entwürdigung nicht dasselbe wie eine Entwertung. Man kann keinen Menschen in seinem Wert als Menschen von außen "entwerten", aber sehr wohl entwürdigen. Auch das weißt darauf hin, dass die Würde eben nicht innewohnt, sondern zuerkannt wird. Beispiel: Ein Mann, der eine Frau vergewaltigt, entwürdigt sie vor sich selbst und sich selbst gleich mit dazu, aber er kann sie nicht entwerten. Er kann ihr auch nicht die Würde nehmen, die andere ihr nach wie vor zugestehen.

Allerdings kann dem, der von Gott gewürdigt ist, niemand diese Würde rauben, aber er kann als Mitmensch Gewalt ausüben und diese Würde entziehen.
Was immer man also mit einem anderen anstellt: den innewohnenden Wert als Mensch kann man ihm damit in der Tat nicht nehmen. Das ist aber nicht identisch mit der verliehenen Würde, wird aber teilweise in einer starken Korrelation gesehen.

Sicher ist das alles diskutabel, was ich schreibe, aber es ist von der prinzipiellen Unterscheidung her nicht von der Hand zu weisen, vorausgesetzt natürlich jemand hat das fachliche Handwerkszeug und/oder den Willen zu differenziertem Denken. Wo nicht, erübrigt selbstverständlich die Diskussion.

Gracchus

9. April 2020 13:36

@zeitschnur: Schön gesagt und wahr. Buber ist auch einer meiner Gewährsleute.

Das Problem der Naturwissenschaften ist - wie @Bettinger und @Kunz eindrücklich unter Beweis stellen - ein reduktionistisches Welt- und Menschenbild. Das wäre an sich nicht so schlimm, wenn die Naturwissenschaften zur Selbstreflexion fähig wären und ihre Grenzen kennen würden bzw. anerkennen würden, dass es ausserhalb ihres Bereichs und darüber hinaus noch mehr gibt. Kunst ist den Naturwissenschaften schon gänzlich unzugänglich. Eigentlich alles, was für menschliches Leben über das blosse Überleben hinaus wesentlich ist.

Grotesk, Naturwissenschaftler, die sich weitgehend im Labor aufhalten und ihre Erkenntnisse aus künstlich hergestellten Situationen herleiten, gegen "Elfenbein-tümler" ausspielen zu wollen. Grotesk, das Lernverhalten von Eskimos als Konditionierung durch andere Tiere zu bezeichnen. Grotesk, Würde mit Wert übersetzen zu wollen. Und im Übrigen: Die meisten Gesetze sind alles andere glasklar.

zeitschnur

9. April 2020 13:47

@ Klaus P Kurz

Ich sprach von Selbstbewusstsein, über das man sich auch komplex mitteilen kann - nicht von menschlicher Selbstprojektion in das untersuchte Verhalten von Tieren, die sich noch niemals selbstreflexiv in einem Diskurs geäußert haben.

Sie verstehen wohl nicht, dass beobachtetes Verhalten niemals verglichen werden kann mit verständlicher, in sprachlichen oder künstlerischen Zeichen relativ eindeutiger und intersubjektiv verständlicher Mitteilung über die Ich-Reflexion.

Es könnte auch den Naturwissenschaftlern nicht schaden, sich wenigstens mit philosophischen Grundbegriffen vertraut zu machen. Äpfel mit Birnen zu vergleichen wird am Ende alles möglich machen: so werden sie auch nachweisen, dass Pandabären Strommasten sind.
es geht um eine differenzierte Begrifflichkeit, und vielleicht lohnt es sich, mit den Literaturtipps von @ Maiordomus oben wenigstens mal einzusteigen in ein etwas differenzierteres begriffliches Denken zu diesen Themen.

Klaus P Kurz

9. April 2020 14:22

@ Zeitschnur:
Ach ja? Und wie hätten Sie's dann gerne anders herum? Haben sich jemals Menschen gegenüber Tieren selbstreflexiv in einem Diskurs geäußert?
Bitte, Zeitschnur, machen Sie sich nicht lächerlich. Und wenn Ihnen die Argumente ausgehen, siehe Pandabären und Strommasten, dann lassen Sie's doch einfach sein, statt Dünns.... zu verzapfen. Wir wissen Sie auch so zu schätzen!

Maiordomus

9. April 2020 14:52

@Laurenz. Differenzieren wäre gut. Bei der Interpretation der Geschicklichkeit der "Staatsratsvorsitzenden" ging es doch nicht darum, ihrer Politik recht zu geben, sondern nur um die geduldige Erklärung, warum sie dauerhaft an der Macht ist und, wenn sie will, wohl noch lange an der Macht bleiben kann im Vergleich etwa zu Schröder und Merz, die das nun mal nicht gleich gut können, vielleicht sogar und wahrscheinlich, weil diese Männer (eher geil nach Geld, Frauen, Prestige) charakterlich der Kanzlerin unterlegen sind, was wiederum nicht einfach mit "besserer Mensch" oder "schlechterer Mensch" gleichzusetzen ist, sondern lediglich mit der virtù des Machthabers nach Machiavelli. Es geht schlicht um die charakterlichen Voraussetzungen zum langfristigen Andermachtbleiben, was man auch der politisch bei weitem machtloseren britischen Queen attestieren muss. Sie beherrscht nun mal das Metier des dafür ausgebildeten und erfahrenen Staatsoberhauptes in einer Professionalität, wie es dieselbe in der deutschen Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts bisher nie gab, sie macht bei der Amtsausübung fast nie was falsch und sammelte im Krankheitsfall des Premierministers (über den sie schon länger im Bild war als die Massen) zusätzlich Punkte für das von ihr vertretene System. Dazu ist sie schliesslich da, und nicht für irgendwelchem Dummschwatz auf irgendwelchen Blogs, was bei ihr zu 99% jenseits des Sagbaren liegen würde.

Laurenz

9. April 2020 15:42

@Maiordomus .... die Staatsratsvorsitzende, da haben Sie Recht, ist rein in ihrer Sucht nach Macht korrumpiert, die sie über alles stellt. Man kann Ihr im Verhältnis zu ihren Mitbewerbern ein "besseres" Macht-politisches Bewußtsein unterstellen, dafür aber auch Sach-politische Dummheit und Wertelosigkeit. Sie steht für nichts außer Macht. Aber was hat das noch mit Demokratie zu tun? Es ist reiner Despotismus.

@zeitschnur & Gracchus ..... wie kann einem (Menschen) ein Gott Würde verleihen, wenn dieser selbst gar keine Würde besitzt?

Sie konstruieren hier eine Annahme einer allmächtigen Perfektion, die weder existiert noch beweisbar ist.
Von daher verehrt Ihr Glaube nur eine schöne, idealisierte Götze, die rein Ihren egoistischen (größenwahnsinnigen) Wünschen entspricht, und meist aus Selbstmitleid geboren wird.

Stefanie

9. April 2020 16:23

Was ist "Würde?"

"Someone showed me a picture and I just laughed,
Dignity never been photographed."

Bob Dylan, Dignity

Gracchus

9. April 2020 16:54

@Laurenz
Differenzieren wäre gut ...ups, das hören Sie ja heute nicht zum ersten Mal.

Woher wissen Sie das, dass "unser Glaube" blabla. Sie unterstellen hier irgendetwas, was sich in Ihrem Kopf abspielt. Das nenne ich unreif. Auf so einer Basis ist ein Gespräch nicht möglich. Lesen Sie vielleicht den von @zeitschnur empfohlenen Martin Buber (Ich und Du oder Das dialogische Prinzip - ihr Idol Höcke ist ja von Buber auch abgetan). Oder erzählen Sie doch von ihren spirituellen Wahrnehmungen!

Richtig ist, dass Glaube zu Ideologie und Götzendienst verderben kann. Die Grenze ist gar nicht so einfach zu ziehen. Auch den wahren Gott kann man vergötzen. Meister Eckharts Schriften beschäftigen sehr ausgiebig damit. Diese Versuchung begleitet den Gläubigen ein Leben lang.

Ich habe Sie so verstanden, dass es für Sie den christlichen Glauben nur als Ideologie gibt und dass authentische spirituelle Erfahrungen nur jenseits des christlichen Glaubens möglich sind. Dem habe ich widersprochen, indem ich Ihnen Mystiker genannt haben, die ihre spirituelle Erfahrungen als Bestätigung ihres christlichen Glaubens erfahren haben. Wie Ihr Beispiel von Hildegard von Bingen und dem Papst dies widerlegen bzw. ihre These belegen soll, ist mir rein logisch schleierhaft.

Anscheinend können Sie - "Differenzieren wäre gut", so MD an Sie Herr Laurenz - nicht zwischen einem äusseren ("exoterischen") und einem inneren ("esoterischen") Christentum unterscheiden - und natürlich gibt es einen Konflikt zwischen diesen beiden Formen. Nur was hat das mit dem Thema zu tun?

Laurenz

9. April 2020 17:40

@Gracchus .... Sie argumentieren auf verlorenem Posten. Auch Ihre falsche Inanspruchnahme von Maiordomus' Rat zur Differenzierung trifft in die kosmische Leere.
Hier ging es doch um verliehene Würde, die Sie & zeitschnur, verkürzt Ihrem Gott als Verleiher unterstellten. Da aber Ihr Gott nur von Menschen zitiert wird, bleibt dies eben nicht nur fragwürdig, sondern im Angesicht des von Moral völlig befreiten Universums ausgeschlossen, oder nehmen Sie die Position der Wahhabiten in Anspruch, Ihr heiliges Buch sei direkt von Gott geschrieben?
Was Ihre Mystiker angeht, so habe ich keine Zweifel daran, daß jeder Mensch spirituelle Erfahrungen machen kann. Nur in Ihrem Falle brauch(t)en Ihre christlichen Mystiker grundsätzlich menschliche Absolution Ihrer Würdenträger, sonst droht(e) ein Ende am Bratspieß plus die Erlangung ewiger Verdammnis, für Heiden ein Ritterschlag.

Maiordomus kritisierte doch den Stellvertreter-Christi-Status des Papstes. Der Papst ist eben doch nichts anderes als der Bischof von Rom, der seinen heutigen Zwergstaat aufgrund profanen Urkunden-Betrugs beherrscht.
Würde ist eben nicht aus sich selbst heraus begründbar. Sonst beschlagnahmt ja jeder den göttlichen Funken @zeitschnurs für sich und definiert diese nach eigenem Gusto, was ja auch mehr oder weniger alle unsere großen Hanswurst-Philosophen tun. Mit Verlaub, das endet immer wie im Faust. Es existieren nur 2 Arten von Würde. Die eine verleiht man sich selbst vor dem eigenen Spiegelbild und bleibt damit abgekoppelt vom gesamten Universum, ist bereit, auch dafür in den frühzeitigen Tod zu gehen. Die andere Form kann einem abstrakt von einer Mehrheit im Konsens verliehen werden. Man braucht da auch nicht die negativ schwingende Wortwahl Maiordomus' Schopenhauer-Interpretation benutzen, sondern wir können diese Würde mit dem Wort "Achtung" (generell) vor dem Leben übersetzen und "würdigen".

Gracchus

9. April 2020 17:52

@Kurz
Das Beispiel mit Delfinen ist sehr faszinierend, widerlegt m. E. zeitschnur nicht. Welche Bedeutung geben denn Delfine ihrem Verhalten selbst? In ihrem Beispiel sind es Forscher, die dem Verhalten diese und jene Bedeutung geben! Das war m. E. zeitschnurs zentrales Argument, dem Sie leider - mit ihrem Latein am Ende? - ausgewichen sind. Und weiter: Angenommen, Delfine geben ihrem Verhalten diese und jene Bedeutung, wie teilen sie diese mit? Angenommen, es gibt eine Delfin-Sprache und man könnte diese Delfin-Sprache dolmetschen, kann man sich vorstellen, dass Delfine mit Forschern darüber diskutieren, ob diese die Bedeutung ihres Verhaltens richtig getroffen haben?

Laurenz

9. April 2020 18:36

@Gracchus @Kurz

Sie verehren zu sehr den menschlichen Verstand. Was ist, wenn Delphine eine ganz andere Art von Intelligenz besitzen, und in dieser eine ganz andere Zielsetzung im Dasein vorhanden wäre. Das können wir nicht wirklich beurteilen. Aus Ihrem sozialen Gefüge heraus, haben Delphine zB ganz andere moralische Werte als wir, bei Ihnen ist vieles erlaubt, was bei uns verboten ist. Und Sie wissen ebensowenig, ob wir intellektuell in der Lage sind, die Sprache der Delphine oder die Inhalte ihrer Debatten zu verstehen. Solange Sie nicht von ihrem hohen Roß herunter kommen, bleibt auch unsere Debatte schwierig.

Gracchus

9. April 2020 18:50

@Laurenz
In meinem Beitrag ging es nicht um Würde - leicht erkennbar daran, dass das Wort "Würde" darin kein einziges Mal auftaucht. Es ging um ihre gestrige Behauptung, dass christlicher Glaube und spirituelle Erfahrungen einander ausschließen. Sie kommen mir jetzt mit dem Papst - und ich wiederhole: Differenzieren wäre gut - und zwar zwischen kirchlicher Hierarchie und christlichem Glauben. Der von mir erwähnte Jakob Böhme war zum Beispiel gar kein Katholik, hatte trotzdem wegen seiner Schriften Probleme mit der Obrigkeit. Ich zum Beispiel denke, dass ich mich mit einem Sufi, einem Chassid, Zen-Buddhisten oder animistischen Schamanen fruchtbarer austauschen kann als mit einem dogmatischen Katholiken oder Evangelikalen.

Nun zur Würde:
Richtig, dass man sich selbst Würde verleihen kann. Warum man dann einen frühen Tod sterben muss, ist ihrer Fantasie entsprungen. Weiter können einem andere Menschen Würde verleihen - von Angesicht zu Angesicht (eine abstrakte Mehrheit?: zweifelhaft!). Und warum Gott dem Menschen keine Würde verleihen kann, vorausgesetzt er existiert? Warum soll dafür Voraussetzung sein, dass die Hl. Schrift von Gott diktiert worden ist? Gott kann sich doch ganz vielfältig - in allen Dingen - mitteilen. Sie müssen nur ihre Antennen ausfahren!

zeitschnur

9. April 2020 18:57

@ Kurz

Mir sind keineswegs meine Argumente ausgegangen, sondern Sie haben Sie einfach nicht verstanden und kontern nun blindlings aggressiv.

Es gibt nun einmal für uns keine erkennbaren Zeichen für die diskursfähige Selbstreflexion von Tieren, also können wir sie auch nicht einfach behaupten. Solche Zeichen müsste tatsächlich Spuren hinterlassen, die man auch sehen kann.

Dass sich Tiere etwa Zeichen geben können, zB Warnrufe oder auch solche Signale wie Sie sie von den Delfinen beschreiben, hat mit diskursfähiger Selbstreflexion nichts zu tun.

Ich schlage erneut vor, dieses fruchtlose Hin und Her zu beenden, da ich nicht den Eindruck habe, dass Sie auch nur im Ansatz verstehen, was "diskursfähige Selbstreflexion" bedeutet. Ein allzu grobschlächtiger Behaviorismus wird wohl auch noch zusätzlich dafür sorgen, dass man wesentliche und singuläre Dimensionen des Menschseins einfach leugnet. das sei Ihnen unbenommen.

Sobald Sie aber zeigen können, dass Tiere etwa Bibliotheken haben, Gebete formulieren, Liebesbriefe schreiben oder etwas Analoges, können Sie das gerne mitteilen. Bis dahin fehlt mir die Lust, auf diesem Niveau weiterzumachen.

zeitschnur

9. April 2020 19:00

@ Laurenz

Sie fragen, wie Gott Menschen Würde verleihen kann, wo er sie selbst nicht besitze?

Ich frage Sie zurück: Woher wissen Sie, was Gott kann?
Und: Würde kann auch durch jemanden verliehen werden, der selbst kein Würdenträger ist. Es genügt im Prinzip, dass er sie dem anderen gegenüber anerkennt und es ihm mitteilt.

Laurenz

9. April 2020 19:22

@Gracchus .... Ihre venachlässigbaren, haar-gespaltenen Unterschiede in jeweiligen Glaubensmodellen, interessieren doch gar nicht. Mich plagen keine Zweifel daran, daß Sie in der Lage sind, Sich mit anderen auszutauschen. Ich habe explizit nicht ausgeschlossen, daß Christen spirituelle Erfahrungen machen können, aber Christen sind darin nicht frei. Bleiben wir bei meinem einfachen Beispiel von Hildegard, der Großen. Diese sicherlich sehr kluge Frau hatte keine Wahl bei ihren Visionen. Es mußte Gott sein, mit dem Sie in Verbindung trat. Vielleicht wäre die Jungfrau Maria oder irgendein Heiliger akzeptabel gewesen, aber das hätte nur Zweifel geschürt. Ihr Leben stand auf Messers Schneide. Und Sie ging ins volle Risiko. Der Mißbrauch, den Hildegard beging, war, daß die Debatten mit Gott eben auch für andere gelten sollten, hier liegt der grundsätzliche Haken in der Mission. Hätte Sie Ihre Visionen für Sich behalten, oder nur mit tatsächlich Interessierten geteilt, wäre alles gut. Als ob uns irgendwer erlösen könnte.....Salvator Mundi, helau.

Was für die eigene Würde gilt, so bedeutet es nicht, unbedingt frühzeitig sterben zu müssen, ein jeder hat sein Schicksal. Aber der Freitod oder der aussichtslose Kampf ist der höchste Preis, den ein Mensch bezahlen kann. Und was wäre die eigene Würde wert, wenn man nicht bereit ist, sie zu bezahlen?
Daß, was Sie, Gracchus, mit Gott meinen, so nehme ich von diesem ganz viele (Götter) wahr. Laut unseren Klima-Helden ist Thor viel zorniger als jemals zuvor. Und der je nach Kultur unterschiedlich benannte Kriegsgott veranlaßt weniger große epische Schlachten, sondern macht in unseren Tagen mehr in klein-klein, hier ein Dronen-Angriff, dort ein paar Raketchen. Und das Gefolge Ihres Gottes singt bei mir in der Nachbarschaft .... Altkatholiken.

limes

9. April 2020 22:24

@ zeitschnur:

Der eitle Wille zu »differenziertem Denken« mit zertifiziertem Handwerkszeug endet an der Schranke zum Wesentlichen der Existenz. Sie fordern »erkennbare Zeichen für die diskursfähige Selbstreflexion von Tieren, … tatsächlich Spuren hinterlassen, die man auch sehen kann« und nennen als Beispiele »Bibliotheken haben, Gebete formulieren, Liebesbriefe schreiben«.

Mir scheint, dass alles, was für Sie »diskursfähig« ist, genau das ist, was auch zu Täuschung und Vernichtungswillen befähigt.

Sollten Sie Mutter sein, so müssten Sie wissen, dass ein Säugling keine Zeichen wie von Ihnen gefordert setzen kann. Dennoch ist jeder Mutter klar, dass ihr Säugling beseelt und zur Liebe fähig - ja geradezu von Liebe erfüllt - ist. Wann macht es »klick«, und die Selbstreflexion nach Ihrer Definition setzt beim Baby ein? Ist diese wesentlich für das Beseeltsein? Für die Fähigkeit zu lieben, glücklich zu sein oder zu leiden? Die gleiche Fragestellung gilt für unsere Säugetierverwandten.

Wie bewerten Sie die Diskursfähigkeit eines Heiratsschwindlers, der einen ergreifenden Liebesbrief zu Papier bringt? Wie die Selbstreflexion eines Menschen, der ein Gebet formuliert, welches Segen für die Vernichtung Andersgläubiger beschwört?

Klaus P Kurz

9. April 2020 22:54

@ Zeitschnur:
"Es gibt nun einmal für uns keine erkennbaren Zeichen für die diskursfähige Selbstreflexion von Tieren, also können wir sie auch nicht einfach behaupten. Solche Zeichen müsste tatsächlich Spuren hinterlassen, die man auch sehen kann."
Niemand hat das behauptet. das interpretieren Sie in meine Darstellung hinein.
Ich habe lediglich gemäß der anerkannten Definition argumentiert, wonach wir Selbstbewußtsein bei Menschen als die Fähigkeit identifizieren, bewußtes Wissen um unseren Charakter, unsere Gefühle und Wünsche zu haben und fähig zu sein sich vorstellen zu koennen wie andere uns wahrnehmen würden.
Und ich habe deutlich angemerkt, daß bei Tieren die Meßlatte dabei deshalb tiefer gelegt werden muß, weil es selbstverständlich unmoeglich ist, klar zu entscheiden wie Tiere denken und fühlen. "That goes without saying!"
Daß sie dennoch sich selbst und ihrer Umwelt bewußt sind, koennte man jedoch auch daraus schließen, wie sie mit ihr umgehen. Jedenfalls haben sie bisher noch nie ihren Lebensraum derart zerstoert, wie es Ihr großartiger Homo oeconomicus mit all seinen Bibliotheken, Gebeten und Liebesbriefen fertigbrachte.
Und um den Bogen zu @ Gracchus zu schließen:
" Welche Bedeutung geben denn Delfine ihrem Verhalten selbst? " - Kommt es darauf für uns als Betrachter überhaupt an? Wichtig ist doch, daß sie sich ihrer Lage bewußt sind, will sagen, wie sie sich mit ihr auseinandersetzen. Und darauf, nur darauf kommt es bei der Evolution an.
Mein Tip für alle, die Liebesbriefe, Gebete und Bibliotheken allzu hoch ansiedeln: Wenn sich in einigen Millionen Jahren unser Planet noch um die Sonne dreht, wird mit Sicherheit ein anderer Champion der Entwicklung die Stelle des hier viel gepriesenen Menschen eingenommen und uns als einen boesen Ausrutscher verdrängt haben. Gute Anwärter auf diesen Posten wären die Insekten. Ob die dann allerdings auch Gedichte schreiben werden? Who cares?

Franz Bettinger

9. April 2020 23:38

@Klaus Kurz: Es ist lehrreich und ein Genuss - und zwar auch ein sprachlicher - ihre Zeilen zu lesen.

@Zeitschnur: Vorher will man wissen, was in einem Tier vorgeht? Ob es über sich und die Welt nachdenken kann? Wieso sollte es anders sein als bei uns Menschen? Nur weil das Tier anders aussieht? Dafür kann es fliegen und unter Wasser leben. Nur weil das Tier nicht sprechen kann? Dafür kennt es andere und möglicherweise bessere und schnellere Wege der Kommunikation wie Ultra- und Infraschall, Bio-Luminiszens, Sonar, Optik gar jenseits des Ultravioletten, Pheromone, Geruch; Tiere lernen sogar Fremdsprachen: https://www.geo.de/natur/tierwelt/1428-rtkl-sprachbegabte-wale-orcas-koennen-delfinisch-lernen . Manche Tiere brauchen sich nicht einmal die Lippen rot anzumalen, um kundzutun, dass sie bereit sind. Warum die menschliche Hybris? Nur weil wir durch unsere Technik und Waffen mächtiger sind als das Tier? Weil wir heutzutage die Tiere essen satt wie früher umgekehrt? Haben Bienen uns konditioniert? Oder haben die Pflanzen gar die Bienen konditioniert? Viele viele Fragen! Man kann die aber nicht mit jedem ergebnisoffen diskutieren, und das hängt nicht vom IQ oder der Bildung der ab.

@Laurenz: Klasse, was Du sagst über das Überschätzen des menschlichen Verstandes: "Was ist, wenn Delphine eine ganz andere Art von Intelligenz besitzen, und in dieser eine ganz andere Zielsetzung im Dasein vorhanden wäre!“ Hier im Kiwi-Land fragen Sie oft belustigt: Was ist der Unterschied zwischen Hunden und Katzen? "Dogs have masters, Cats have staff." (engl. staff = Personal)

@Gracchus: Es ist nicht die Schuld der Delfine, wenn wir deren Sprache und Verhalten nicht verstehen, geschweige denn ihre Moral, ihre Welt und ihre Weltanschauung! (Viele Christen verstehen ja nicht mal die Weltanschauung von Moslems - und umgekehrt.) "Are We Smart Enough to Know How Smart Animals Are?” No, we aren’t.
Und was die Würde betrifft, der Sie ja offensichtlich (ohne es zu begründen) einen Wert beimessen, der über den des 'Wertes an sich' hinausgeht: über die (erbärmliche) Würde hat Schopenhauer „bereits alles gesagt“, wie uns @MD dankenswerter Weise wissen lässt. Für Sie, Gracchus, ist also auch Schopenhauer nur "grotesk“. Ha!

Gracchus

10. April 2020 01:41

@Laurenz: Immerhin haben diese Haarspaltereien schon zu verheerenden Kriegen geführt. Ihr Kriegsgott scheint ganz erpicht darauf zu sein.

Leider begreife ich noch immer nicht, was Sie mir mit dem Beispiel Hildegard von Bingen sagen wollen. Womöglich weil ich mit Hildegard von Bingen nicht so besonders auskenne. Irgendwie scheint Sie nun an ihr zu stören, dass sie ihre Visionen direkt Gott zugeschrieben hat und sich beauftragt sah, diese Visionen an andere weiterzugeben und zu missionieren.

Nun: Wie frei die Jünger Ihres Kriegsgotts sind, dessen Aufträge anzunehmen oder abzulehnen, weiss ich nicht. Jedenfalls gelten deren Missionen ebenfalls anderen. Die Mission in Form einer Bombe o. ä. übt nun physisch einen ungleich stärkeren Zwang aus als die Lektüre von Hildegards Visionen - oder die Gesänge von Altkatholiken.

Klaus P Kurz

10. April 2020 08:20

@ Limes:

Klasse!

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