Den Tod überwinden heißt den Tod annehmen

Was immer noch zur sogenannten Corana-Krise zu denken und zu sagen sein wird, ist doch eines bereits gewiß:

Heino Bosselmann

Heino Bosselmann studierte in Leipzig Deutsch, Geschichte und Philosophie für das Lehramt an Gymnasien.

Alle Welt zit­ter­te, aber der wohl­stän­di­ge Wes­ten geriet in Panik. Eine ans Wür­de­lo­se gren­zen­de Angst gewann die Macht, und weil dadurch – mehr als durch alles ande­re – für die Herr­schen­den Ent­schei­den­des zu gewin­nen war, nutz­ten sie die­se Angst, for­cier­ten sie und boten sich den Furcht­sa­men als gehar­nisch­ter Schutz an, und die meis­ten folg­ten – um den Preis der Auf­ga­be ele­men­tars­ter Persönlichkeitsrechte.

Ängst­lich waren sie vor­her schon, die Vor­lie­be für Dys­to­pien offen­bar­te es. Ver­mut­lich steht dahin­ter das Halb­be­wußt­sein tie­fer Schuld, das Emp­fin­den einer Erb­sün­de, die nicht nur im Bru­der­mord, son­dern in der Ver­nich­tung der gesam­ten Bio­sphä­re scho­ckie­ren­den Aus­druck fin­det. Weder vega­ne Lebens­wei­se noch Co2-Reduk­ti­on oder das Ver­bot von Wat­te­stäb­chen aus Plas­tik ver­mö­gen uns von die­ser grund­sätz­li­chen Schuld zu befrei­en. Sein eige­nes Ster­ben bewegt den Men­schen zutiefst, das Ster­ben der Mit­ge­schöp­fe, die Aus­rot­tung gan­zer Arten aber viel weniger.

Zurück zum poli­ti­schen All­tag: Wo die einen sich sowie­so kaum mehr hin­aus­wag­ten, spiel­ten die ande­ren, die Poli­ti­ker, sich um so mehr auf. Zustim­mung gewan­nen jene, die här­tes­te Ein­schrän­kun­gen for­der­ten und Unbot­mä­ßi­gen nichts weni­ger als Krank­heit und Tod pro­phe­zei­ten, ihnen vor allem aber vor­hiel­ten, sie wür­den ver­ant­wor­tungs­los das Leben ande­rer gefähr­den und unwei­ger­lich zum Todes­en­gel der Alten und Schwa­chen. Selbst Kin­der fan­den sich als „Viren­über­trä­ger“ beargwöhnt.

Als lobens­wert, ja als cou­ra­giert galt, wer zu Hau­se auf dem Sofa blieb. Der, hieß es, ret­te­te Leben. War das je ein­fa­cher? Leben ret­ten, ohne das Haus zu ver­las­sen? Solch ein bil­li­ges Ange­bot red­li­chen, guten, sogar hel­den­haf­ten Han­delns kraft medi­zi­ni­schen Auto­ri­täts­be­wei­ses und mit Segen der Poli­tik kommt so schnell nicht wie­der. Die Hel­den stan­den hin­ter den Gar­di­nen und mokier­ten sich über jene, die Luft und Frei­heit such­ten, weil nun mal dort das Leben ist.

Die Viro­lo­gen ver­hiel­ten sich, wie sich Medi­zi­ner zu ver­hal­ten haben: Sie sahen im Men­schen den Infi­zier­ten, den Kran­ken, den Tod­ge­weih­ten. Sie kön­nen nicht anders. Der Gesun­de ist nicht ihr The­ma, der Mori­bun­de ist es. Schaut der Arzt einen an, so sieht er den Pati­en­ten, den er zu the­ra­pie­ren hat, so wie der Leh­rer eben beleh­ren will und der Öko­nom fragt, ob es sich rech­net. Dem Gesun­den kommt in der Medi­zin kei­ne Prio­ri­tät zu, sie ist nach­ran­gig, schon des­we­gen, weil das Gesun­de in der Wahr­neh­mung des Arz­tes ledig­lich die Vor­stu­fe, die Anfäl­lig­keit für die nächs­te Erkran­kung ist, so wie das Leben die abschüs­si­ge Bahn Rich­tung Tod.

Davon befreit – wie so oft – die kon­se­quen­te gedank­li­che Umkehr. Man den­ke das Leben vom Tode her. Und wenn man das nicht aus­hält, so eben vom „Stirb und wer­de!“, inso­fern wir in jedem Moment aus­at­men und ein­at­men, wel­ken und wach­sen, abbau­en und auf­bau­en, schla­fen und wachen, ster­ben und leben. Goe­the in der letz­ten Stro­phe des Gedichts „Seli­ge Sehn­sucht“ im „West-öst­li­chen Divan“: „Und so lang du das nicht hast,/Dieses: ‚Stirb und Werde!‘,/bist du nur ein trü­ber Gast/auf der dunk­len Erde.“

Der Wes­ten ist trotz sei­ner viel­be­schwo­re­nen jüdisch-christ­li­chen Grund­la­gen daseins­fi­xiert, seins­ver­lo­ren, in sein eige­nes klei­nes Leben ver­narrt und ver­krallt, obwohl die reli­giö­sen Mythen ihn ermu­ti­gen soll­ten, den Gedan­ken an den Tod aus­zu­hal­ten. Wem das Geschenk des Glau­bens nicht zuteil wur­de, der fin­det anders­wo noch Trost für sei­ne epi­ku­rei­sche Trau­rig­keit, wenn er nun unbe­dingt getrös­tet wer­den will. Hier pro­be­wei­se ein Vade­me­cum dafür.

Weil aber Kar­frei­tag naht, die Fins­ter­nis vor dem Licht, der Tod vor der Auf­er­ste­hung, sei ein gro­ßer Theo­lo­ge zitiert, Karl Rah­ner (1904 – 1984). Erbau­lich dar­an: Sei­ner Ermu­ti­gung fehlt das Süß­li­che, sie ist viel­mehr getra­gen vom Lebens­ernst, der aus dem Bewußt­sein des Todes erwächst, bevor wir uns dann „Fro­he Ostern!“ wün­schen dür­fen oder wie die ortho­do­xen Chris­ten: „Chris­tus ist auf­er­stan­den! Er ist wahr­haf­tig auf­er­stan­den!“ Gol­ga­tha, die Schä­del­stät­te, und neu­es Leben … – Theo­lo­gi­sches kann exis­ten­tia­lis­tisch klingen.

Karl Rah­ner zum Karfreitag:

„Was soll also der Karfreitag?

Er soll zunächst ein­mal ein­fach ganz nüch­tern uns an den eige­nen Tod erin­nern. Nicht weil der Kar­frei­tag nicht zuerst und zuletzt das Gedächt­nis des Todes des Herrn und letzt­lich sei­nes Todes allein wäre. Aber man kann die­sen Tod nur wahr­haft ver­ste­hen und bege­hen, wenn man sich selbst als den dem Tod Über­ant­wor­te­ten weiß und annimmt. Sonst ist man von vorn­her­ein blind und erblickt den Gekreu­zig­ten gar nicht wahr­haf­tig. Dar­um müs­sen wir zuerst unse­res eig­nen Todes gedenken.

Es ist nun ein­mal so: wir alle sit­zen im Ker­ker unse­res Daseins als zum Tod Ver­ur­teil­te und war­ten, bis wir dran­kom­men. Bis dahin kann man Kar­ten spie­len, eine Hen­kers­mahl­zeit gut fin­den und für den Augen­blick ver­ges­sen, daß die Ker­ker­tür bald auf­geht und wir her­aus­ge­ru­fen wer­den zum letz­ten Gang. Aber ver­ges­sen, eben das sol­len wir nicht. Dem Tier ist sein Tod ver­bor­gen oder nur in dump­fer Lebens­angst prä­sent. Wir aber wis­sen vom Tod und soll­ten die­ses Wis­sen nicht ver­drän­gen. Wir soll­ten im Ange­sicht des Todes leben.

Wis­sen, daß wir ein­fach in die uner­bitt­li­che Ein­sam­keit des Todes gesto­ßen wer­den, wohin kei­ner mehr mit­geht, das Geschwätz auf­hört, kei­ner sich mehr hin­ter einem ande­ren ver­ste­cken, kei­ner sich auf eines ande­ren Mei­nung hin­aus­re­den kann. Wo nur noch gilt, was man dahin­ein mit­neh­men kann: je ich sel­ber, der ich war im letz­ten Abgrund des Her­zens, des Her­zens voll Lie­be oder des Her­zens voll tückisch vor mir und ande­ren ver­steck­ter Selbst­sucht. Nichts neh­men wir in die­se Ver­las­sen­heit mit als das, was wir in der letz­ten Grund­ent­schei­dung unse­res Her­zens sel­ber sind.

Wir soll­ten jetzt schon unser Leben, Tag für Tag, auf der Waa­ge des Todes wie­gen, so trach­ten, ein­mal unse­ren eige­nen Tod ster­ben zu kön­nen; die Gewichts­lo­sig­keit des einen, das wir tun, und das Gewicht des ande­ren, das wir tun soll­ten – bei­des gilt es anzu­er­ken­nen; die inne­re Hei­ter­keit des­sen zu ler­nen, der dem Tod gelas­sen ent­ge­gen­ge­hen kann, nicht weil er zynisch ver­zwei­felt ist, son­dern weil er bereit ist, das Geheim­nis des Todes als Geheim­nis unbe­greif­li­chen Sin­nes anzunehmen.

Wir soll­ten im Leben den Tod ein­üben, weil es zwar klar ist, daß man auf jeden Fall den bio­lo­gi­schen Exitus fer­tig brin­gen wird, nicht aber schon ein­deu­tig ist, daß wir den wahr­haft mensch­li­chen Tod zu ster­ben ver­mö­gen, in dem das Unver­füg­ba­re die Mit­te der berei­ten Frei­heit wird.“

(Karl Rah­ner, Schrif­ten zur Theo­lo­gie VII, S. 141 f.)

Heino Bosselmann

Heino Bosselmann studierte in Leipzig Deutsch, Geschichte und Philosophie für das Lehramt an Gymnasien.

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