Bereits seit Wochen pflege ich – immer mal wieder – mit dem Töchterlein Diskussionen darüber, wer ein »Prominenter« ist. Das Thema hatten sie gerade in der Schule. Es ist nicht einfach. Angela Merkel dürfte nahezu 100 Prozent der Deutschen ein Begriff sein, Helene Fischer über 90 Prozent.
Aber was wäre mit … Christian Kracht? Jonathan Meese? Neo Rauch? Könnten über fünf Prozent der Deutschen irgend etwas mit diesen Namen verbinden? Im ländlichen Süden Sachsen-Anhalts definitiv nicht. Bei Namensabfragen wie Tom Kaulitz oder Katja Krasavice sähe es hier anders aus, selbst unter Befragten im Erwachsenenalter.
Tja, was macht Prominenz mit dem Prominenten? Ich war mir heute nicht zu blöd, vierzehn Leute in meiner Umgebung – ja, das gilt noch nicht als repräsentativ; außerdem wissen die Leute, daß ich oft solche Kurzinterviews führe – zu fragen, was sie mit dem Namen Michel Houellebecq verbinden: eine Mitarbeiterin (bewußt nicht unsere Vertriebschefin!), zwei Lehrer, einen Postmenschen usw.
Fünf mit akademischem Abschluß, neun ohne. Die Mitarbeiterin konnte den jüngsten Titel und den vorletzten Titel nennen – beide Bücher haben wir hunderte Male verkauft. Von den anderen kannte nur eine den Namen, aber keinen Buchtitel.
Nun hat dieser Houellebecq immerhin ein paar Dutzend Millionen Bücher weltweit verkauft. (Bücher, dies für den Rest der Welt, sind diese Dinger aus Papier und Pappe, wo sich die Leute was drauf einbilden, wenn sie darin lesen.)
Was ich sagen will: Auch hier zeigt sich ein Riß, eine Kluft.
Einer, der ein paar tausend Deutschen als literarischer Gott gilt, sagt dennoch der überwiegenden Mehrheit nichts. Jetzt wird es kompliziert: So sehr Houellebecq von geisteswissenschaftlichen Akademikern, also von mehrheitlich linksliberalen Menschen, geschätzt wird (auch wenn es keine Hochliteratur ist: Schuhverkäufer und Lokführerinnen lesen solche Romane nicht), so wenig ist dieser Autor linksliberal.
Grad im Gegenteil. Houellebecq ist (übrigens genausowenig wie Sarrazin) andererseits keine typische Lektüre für Pegidagänger und Verwandte. Adam Soboczynski, ein zwar habituell ein bißchen autistisch wirkender, dennoch kluger ZEIT-Autor, hat zurecht diese Frage gestellt:
Michel Houellebecq hat sich als neurechter Denker zu erkennen gegeben. Seltsam nur: Die Kritiker blenden das weitgehend aus. Warum eigentlich?
Das ist die Frage. Wir sehen den vielfach preisgekrönten Prominenten hier auf einem Photo, das weder schmeichelhaft ist noch das Gegenteil. So schaut er halt aus, der sechzigjährige Geschichtenerzähler, der vielfach preisgekrönte knallharte Misanthrop und überzeugte Pessimist: weiche Hand, schütteres, im übrigen unfrisiertes Haar, knittriges Gesicht mit herabgezogenen Mundwinkeln.
Gebeugte Haltung, beinahe zusammengesackt. Das Jackett ist nicht wirklich maßgeschneidert, erst recht nicht die schlotternde Blue Jeans. Die Beine hat er übereinandergeschlagen, was man nicht als genuin unmännliche Haltung bezeichnen möchte, allein: Der Eindruck großer Schwäche vermittelt sich dadurch, daß es das linke, überschlagene Bein nicht ganz über das rechte Knie geschafft hat, jedenfalls nicht inklusive Jeansstoff.
Was wäre das passende Attribut für diese Erscheinung? Gealtert oder verbraucht träfe es nicht ganz, beides erfaßte nicht die geistige Haltung hinter dem Äußerlichen. Abgehalftert? Abgefuckt (um die Zeitgenossenschaft zu betonen)? Liebenswürdig jedenfalls erscheint hieran nichts.
Ein Säugling mit vom Weinen verzerrten Gesicht erschüttert und rührt uns – sechzig Jahre später hingegen hat er keine Chance mit seinem Gezeter. Durch die Brille des Mitleids betrachtet: Dieser Mensch, Houellebecq, leidet seit langem an Depressionen.
Seine stets zumindest autobiographisch grundierten Romane geben Zeugnis davon. Der Mann leidet wirklich. Ist er uns dadurch sympathischer? Leider nicht. Aber er spiegelt gewisse Bedürfnisse, gewisse Nöte – daher sein durchschlagender Erfolg.
Niemand verkörpert und symbolisiert selbst subkutan so sehr den unheimlichen Aufstieg der Rechten wie Houellebecq – leider. Es ist eine seltsam heterogene Rechte, die in den vergangenen Jahren ans Licht der Öffentlichkeit gekommen ist. Genuin rechte Affekte pflegen sich nämlich aufzuspalten – je nach Trägersubstanz.
Heimatliebe kann zur Besinnung auf’s Eigene führen oder zum Haß auf alles Fremde. Feminismusskepsis kann Misogynie bedeuten oder eine Betonung der Weiblich- und Mütterlichkeit. Daß selbst Linksliberale Houellebecqs »prophetische Fähigkeiten« und seinen »glasklaren Zynismus« bewundern, nämlich unter dem Mäntelchen der reinen Literaturkritik, ist vielsagend.
Logisch: Er ist ja kein Politiker oder »Metapolitiker«, sondern nur der »Seismograph« – wer würde denn auf einen solchen eindreschen? Herr Soboczynski schrieb (freilich nur teils wahrheitsgemäß) :
Während die gesamte Buch- und Medienbranche durchdreht, wenn der neurechte Antaios-Verlag ein paar Ladenhüter auf der Messe vorstellt oder Uwe Tellkamp in Dresden Ungelenkes zur Meinungsfreiheit formuliert, ist man bereit, Houellebecq auch im linksliberalen Milieu zumeist mit nervöser Ehrerbietung zu feiern.
Das ist nicht selbstverständlich, wo es doch immer und überall um die berühmte Haltung geht, die man publizistisch gegen rechts so braucht. Und es ist regelrecht kurios, wenn man sich Houellebecqs allerneueste politische Verlautbarungen vor Augen führt.
In der gesinnungsethisch so superfein justierten Publizistik unserer Zeit müsste man solche frohen Botschaften geißeln wie Pest, Cholera und Gauland zusammen, aber hier wird auf einmal die Zartheit der Beschreibung der Depression gewürdigt.
Oh ja – und nun, angesichts der Veröffentlichung des neuen Romans Serotonin wieder einmal! Von der FAZ nicht zu reden – selbst die Kritiker der taz und der Frankfurter Rundschau zeigen sich literarisch hochbeglückt. Kapieren sie nicht, daß Houellebecqs Schreibe keine Rollenprosa ist? Daß es ihm reichlich ernst ist mit seiner Islamkritik, seinem Frauenhaß?
Mensch! Heute bleiben Romane ungedruckt, weil Verlagschefs finden, es dürfe nicht sein, daß innerhalb der Handlung eine junge Europäerin einem Moslemmädchen zur Seite springt – denn dies weise Muslimen eine Rolle als hilfsbedürftige Opfer zu.
Werbung wird vom Netz genommen, weil man ein Tüpfelchen Sexismus zu erkennen meint, »Klimawandelskeptiker« werden gebrandmarkt, weil sie gegen ein weiteres Gebot der politischen Korrektheit verstoßen. Und Houllebecq hingegen, der hier – erneut, und stets ironiefrei – »Mösen« nach ihrer Faltigkeit beurteilt und Münder danach, wie gut sie sich auf Fellatio verstehen, wird mit Meriten überschüttet, als stünde er unangreifbar in einer Reihe mit Homer, Shakespeare, Goethe und … Mosebach.
Es ist mehr als ulkig, wie die Klientel, die als Scharfrichter über die Grenzen der Meinungsäußerungsfreiheit entscheidet und dabei liebend gern mit dem Fallbeil spielt, diese kaputten, fäkalrechten Grenzüberschreitungen goutiert. Soboczynski hat recht:
Houellebecq ist kein Spieler, kein Provokateur, kein Clown. Er schreibt, was er denkt. Und er sagt, was er meint. Und was geschieht, wenn man ihn, gewiß zu seinem Vergnügen, aus Opportunismus gegen den Strich liest, ist leider sehr simpel, und man traut es sich wegen der Floskelhaftigkeit kaum auszusprechen: Man macht rechtes, antiliberales Gedankengut salonfähig.
Ja. Nur: Das ist nicht unser Verständnis von »rechts«, nicht unser Antiliberalismus. Es ist dessen Perversion. Wie dichtete die aufmüpfige, kurhessische Spitzfeder Franz von Dingelstedt (1814–1881) bezüglich des damals schon sprichwörtlichen »Deutschen Michels« in seinen Liedern eines kosmopolitischen Nachtwächters?
Herr Michel und der Vogel Strauß
Sind leibliche Geschwister:
Aus diesem guckt’s Kamel heraus,
Aus jenem der Philister.Sie flögen gern und könnten’s auch,
Die Schwingen sind gegeben,
Doch bleiben sie nach altem Brauch
Fein an der Erde kleben.Der eine birgt den Kopf im Sand
Und läßt den Steiß sich blasen,
Der andre wühlt sich mit Verstand
In Bücher ein und Phrasen. (…)
Ihr, Franzosen, habt Euren Michel. Wir unseren. Wirklich gut dran ist derzeit keiner von uns.
Michel Houellebecqs neusten Roman Serotonin können Sie hier, bei Antaios, bestellen.