Mit diesem neuerlichen Ukas verleihen die Regierungen dem Ausnahmezustand gewissermaßen äußere Gestalt – und Gesicht.
Symbolpolitik hätte man das zu Normalzeiten genannt, jetzt wirkt es als Ikonographie der Angst und Zwangsvereinnahmung, als Maskerade der Vereinheitlichung bei geflissentlicher Unterordnung, ja Unterwerfung gegenüber den exekutiven Dekretierungen, die ihrerseits mit medizinischen Autoritätsbeweisen aufgerüstet sind.
Mundschutz anlegen! Alle! Die Regierung tut etwas: Sie erlaubt den Freigang Richtung Einkauf und Nahverkehr unter der Bedingung, eine Maske zu tragen. Und freudig-servil macht bereits alles mit und bastelt sich ganz individuell einen coolen bunten Mini-Niqab. Wer hätte gedacht, wie lebendig der Untertanengeist geblieben ist, gerade unter den sogenannten jungen urbanen Schichten, die doch als so unangepaßt und alternativ galten. Nun ist’s, als hätten sie auf ihre äußere Uniformierung gewartet, innerlich auf Linie waren sie offenbar längst.
Aber es handelt sich mit dem obligatorisch anzulegenden Mundschutz tatsächlich um ein beredtes Symbol; kein anderes könnte derzeit treffenden sein, nämlich das des Maulkorbes. Ganz passenderweise trugen die Parlamente ihn als erstes, bestätigten einerseits weitgehend widerspruchsfrei alle Einschränkungen und gaben andererseits die immensen Finanzmittel für einen Verteilungssozialismus frei, der kraft Alimentierungen – neben der Angst – für einen faulen inneren Frieden sorgt.
Sogleich denkt man an die bekannte urliberale Vormärz-Karikatur des Denkerklubs von 1819, die sich damals gegen die Karlsbader Beschlüsse und deren Zensur- und Aufsichtsgesetze richtete. Darauf sind acht hilflose Gelehrte rund um einen Tisch durch knebelartige Mundbinden am Reden gehindert und gestikulieren so ungelenk wie hilflos unter dem Spruchband: „Wichtige Frage, welche in heutiger Sitzung bedacht wird: Wie lange möchte uns das Denken wohl noch erlaubt bleiben?“
Genau die richtige Frage jetzt, insofern wir von der bloß politisch korrekten nunmehr mit angelegtem Zaumzeug auf dem Weg in die vormundschaftlich durchgeschaltete oder gar gleichgeschaltete Gesellschaft sind, und zwar jetzt endlich sogar äußerlich so kenntlich. Die weißen Hauben der Unterwürfigen aus Margret Atwoods “Der Report der Magd” fallen einem ein. Immerhin ist es in der selbsterklärt “bunten Republik” kulanterweise gestattet, sich die Motive für den Fetzen Entmündigung noch selbst zu wählen. Ausnahmezustand kann so originell sein! Wer mitmacht, darf gern ein wenig „authentisch“ bleiben. Die Ratgeberseiten der Zeitungen zeigen, wie man sich lächelnd das passende Stück schneidert.
Weltärztepräsident Montgomery hält die Maskenpflicht für falsch. Und findet sie “lächerlich”. Aber es ist hier nicht über den medizinischen Sinn oder Unsinn dieser Zwangsmaskierung zu befinden, nur darauf aufmerksam zu machen, daß noch jede Zeit das, was in ihr ideell und psychologisch webt und wirkt, zunächst unterschwellig und halbbewußt, schließlich doch in eindrucksvollen Symbolen und Fetischen zum Ausdruck bringt. Ja, stilbildend. In diesem Fall: Bedrückend!
Mag sein, wir hatten es lange nicht klar bezeichnen können, aber die Dynamik der Angst und die ihr aufgesattelten Hygiene- und Quarantäne-Vorschriften brachte es als ein an die Bilder Paul A. Webers erinnerndes Motiv ganz augenfällig in unsere Straßen: Wir tragen jetzt Mundschutz – als unbedingt notwendige Vorbeugung und Todesabwehr, wie man uns erklärt, gleichzeitig aber Maske und Maulkorb als Zeichen, daß gegen die Rigorosität der Exekutive und die Notstandsgesetze der ihr zugeschalteten Parlamente keine mündigen Einwände mehr statthaft sind.
Wollen wir raus, dann nur zu zwei Dritteln gesichtsverhüllt. Maul halten! Weitergehen! Seid froh, daß euch das erlaubt ist. Beim nächsten Lockdown kommt’s noch schlimmer. Haltet euch endlich an die Regeln. Sommer und Oktoberfest könnt ihr vergessen. Es ist zu eurem Besten, selbstverständlich. Ihr kennt uns doch.
Loyal
Zu dieser Interpretation der Mundschutzpflicht gehört schon reichlich intellektualisierte Phantasie.
Mag es bei Corona auch nur mit den zertifizierten Masken einen tatsächlichen Schutz geben, tragen diese Masken erwiesenerweise zu einer Verringerung des Ansteckungsrisikos anderer bei.
Wenn ich das Verhalten unserer Bürger nun positiv wende, könnte ich zu dem Schluß kommen, daß sich gerade in der Befolgung der Mundschutzpflicht nicht der Untertanengeist, sondern die nationale Solidargemeinschaft artikuliert.
Aber diese Interpretation wäre auch nur intellektuelles Gerede.