Wer gehört zu uns? Diese Frage zu stellen, führt unweigerlich zu Unterstellungen. Unterstellungen liegen in der Natur des Verstehens. Ohne etwas zu unterstellen, kann man noch nicht einmal den Anfang machen, etwas zu verstehen. Soweit also erst einmal nichts gegen Unterstellungen als Arbeitsbasis.
Die hier blitzschnell gezückte Unterstellung »Und wer gehört dann nicht zu uns? Und was passiert dann mit dem?« könnte ich vorschnell abweisen, indem ich dem, der sie vorbringt, meinerseits unterstelle, er baue einen Strohmann auf (»Rechte wollen die homogene Volksgemeinschaft von allem ethnisch Fremden säubern«) oder er frage nur, um Zank und Streit heraufzubeschwören.
Ich kann sie aber auch ernstnehmen, um meine eigenen Überzeugungen besser verstehen zu lernen. Niklas Luhmann sprach einmal von der »Kultur der nichtüberzeugten Verständigung«, die es erst noch zu entwickeln gelte, dächten doch alle möglichen Leute, Verständigung hieße, einer Meinung zu sein.
Da die Frage nach der Zugehörigkeit zu uns alle Deutschen (und a fortiori natürlich alle Völker der Erde) etwas angeht, auch die davon Nicht-Überzeugten, die sie gleich abweisen oder mißverstehen wollen, muß sie behutsam geklärt werden.
Ebene 1: Abstammungsdeutscher sein.
Deutschsein ist prima facie eine Frage der Abstammung. Alles weitere ist kontraintuitiv und daher begründungsbedürftig. »Deutsch ist, wer deutsche Eltern hat«, pflegt Götz Kubitschek zu sagen. Daß jemand auch aus anderen Gründen und auf anderen Ebenen Deutscher sein oder werden kann, ist selbstverständlich, und deshalb schiebt Kubitschek den zweiten Teil stets hinterher:
Deutscher kann werden, wer die Sache der Deutschen ohne Wenn und Aber, ganz und gar zu seiner eigenen Sache macht und dies unter Beweis stellt.
Diese Ergänzung setzt aber den Kern des Begriffs nicht außer Kraft: Abstammungsdeutscher zu sein liegt nicht in der Macht des Einzelmenschen, da kein Mensch abstammungssouverän, sondern jeder Mensch abstammungsdeterminiert ist.
Wer auf dieser ersten Ebene nicht zu den Deutschen gehört, gehört stattdessen seinerseits zu einem anderen Volk auf dieser Welt. Es ist daher nicht gehässig, fremdenfeindlich oder suprematistisch, den meisten Menschen auf Erden das Deutschsein abzusprechen, sondern das simple Anerkennen eines Teils ihrer Identität: ihrer ethnischen Abstammung.
Deutschland war nie im selben Maße ethnisch homogen wie beispielsweise Japan oder Island. Seit von »Deutschland« und »Deutschen« die Rede sein kann, sind Stämme und Gruppen in damalige oder nachmalige deutsche Lande eingewandert.
Es handelte sich stets und stetig um territoriale Nähebeziehungen – wer da wanderte, waren allesamt Europäer. Doch selbst wenn man an Hunneneinfälle denkt, bleibt ein logisches Argument aufrecht: Nur weil es de facto kein homogenes Deutschtum gibt und gegeben hat, läßt sich daraus nicht schließen, daß folglich jede Immigration gerechtfertigt oder gar begrüßenswert wäre.
Weil einstmals Hugenotten oder Polen nach Deutschland kamen, heißt das nicht, daß heute halb Afrika einwandern dürfte. Die Abstammung ist mithin keine Frage von Rassereinheit oder eine Frage danach, welche Germanenstämme es nun wirklich gab.
Abstammung ist in einem ganz materiellen Verständnis eine Frage von Gen- und Blutlinien, in einem umfassenderen Verständnis jedoch begreift sie auch große und lange Vererbungsstränge mit ein, die Charakterliches und atmosphärisch Typisches fortpflanzen.
Max Weber hat das Wort »ethnisch« in diesem Sinne definiert:
Wir wollen solche Menschengruppen, welche auf Grund von Ähnlichkeiten des äußeren Habitus oder der Sitten oder beider oder von Erinnerungen an Kolonisation und Wanderung einen subjektiven Glauben an eine Abstammungsgemeinschaft hegen, […] ›ethnische‹ Gruppen nennen, ganz einerlei, ob eine Blutsgemeinschaft objektiv vorliegt oder nicht.
(Wirtschaft und Gesellschaft, 1922)
Der aus physischer Vererbung und im weberschen Sinne aus ethnisch Gemeinsamem hervorgehende Phänotyp des Deutschen ist augenscheinlich. Wie jeder Phänotyp hat er unscharfe Ränder, birgt Verwechslungsmöglichkeiten, kennt Ausnahmeerscheinungen und wandelt sich historisch.
Er ist aber eindeutig nicht mit dem Phänotyp eines Schwarzafrikaners oder eines Koreaners zu verwechseln. Auch ein Mischlingskind ist für gewöhnlich nicht phänotypisch deutsch in Aussehen und Ausdruck. Wenn wir einen einzelnen Schwarzafrikaner hernehmen, der nach Deutschland kommt, eine Deutsche heiratet, mit ihr Kinder bekommt und sich sukzessive mit der deutschen Volksseele verbindet, dann nähern sich seine Kinder und Kindeskinder ihrerseits schrittweise dem Abstammungsdeutschtum an und werden so auch leibliche Teile des Volkes, somit jenes Volkskörpers, aus welchem wiederum abstammungsdeutsche Aszendenz möglich wird.
Daß es Fremde, Eingebürgerte und Mischlinge gibt, denen es mitunter viel besser als den meisten Deutschen gelingt, für Deutschland einzustehen, greift diesen Volkskörper nicht an, sondern bekräftigt und kräftigt ihn sogar. Womöglich erregt die Rede vom »Volkskörper« Befremden und es stellen sich auf der schiefen Bahn, hinab in das Lieblingsassoziationenreservoir der Deutschen, Kurzschlüsse ein.
Völker als Organismen zu betrachten, entstammt einer Denktradition des 18. Jahrhunderts, die sich am besten als Ausdrucks-Anthropologie bezeichnen läßt. Jedes Einzelne, ob Individuum oder Familie – oder eben Volk –, ist auch als physische Gestalt ein spezifischer Ausdruck seines Wesens, seiner »spezifischen Natur« (Lorraine Daston).
Es hat Körper und Seele und Geist, die je eigen und je eigenartig beschaffen sind. Johann Gottfried Herder hat diesen Gedanken am deutlichsten ausgeführt. Von dem, was heute mit dem Schlagwort »Biologismus« geschmäht wird, findet sich darin keine Spur, stattdessen Spurenmannigfaltigkeit in Richtung geistiger Individualität:
Es war Herder und die von ihm entwickelte Ausdrucks-Anthropologie, welche die epochemachende Forderung hinzufügte, daß die Realisierung meines menschlichen Wesens meine eigene sei, und das brachte die Vorstellung in Gang, daß jedes Individuum (in Herders Verwendung: jedes Volk) auf seine eigene Art menschlich ist, die es nicht mit der Art irgendeines anderen Individuums vertauschen kann – es sei denn auf Kosten einer gewaltsamen Verzerrung oder einer Selbstverstümmelung.
(Charles Taylor, Hegel, 1978)
Ebene 2: Paßdeutscher sein.
Einbürgerung macht den Begriff des deutschen Volkes nicht bedeutungsleer, wie die Mehrheit der heutigen Deutschen zu meinen beliebt. Daß ein Fünftel der deutschen Bevölkerung einen Migrationshintergrund hat, führt noch lange nicht dazu, das deutsche Volk als Kategorie aufgeben zu müssen.
Der Paßdeutsche ist und bleibt vom Abstammungsdeutschen unterscheidbar, auch wenn er in einem ganz bestimmten Sinne des Wortes ebenfalls »Deutscher« genannt werden muß. Es ist nicht wünschenswert, daß in Zukunft nur mehr dieser eine Wortsinn, Paßdeutscher, existieren sollte.
Paßdeutscher zu sein, ist Resultat eines reinen Verwaltungsakts, der niemanden mit Deutschland verbindet, sondern ihn lediglich in das Sozialsystem integriert und mit gewissen Rechten und Pflichten ausstattet. Aus diesem Grunde ist die Gefahr, die in der »linguistischen Therapie« (Herbert Marcuse) des Wortes »deutsch« durch Sinnamputation liegt, auch so groß.
Schneidet man den leiblichen und den seelischen Bedeutungsteil des Wortes ab, und behält nur den formalen bei, stattet ihn aber als Prothese mit Ersatzfunktionen aus, muß man dem Träger glaubhaft versichern, er hätte alles, was ein Mensch braucht, und seine Mitmenschen (selbst die, die noch intakte Vitalfunktionen haben) bräuchten auch nichts, als diese künstlichen Behelfe.
Eingewanderte Paßdeutsche leiden mitunter an fürchterlichen Phantomschmerzen. Es ist ein seelisches Leiden, Volksseelenschmerz. Die Abstammungsdeutschen trösten sich mit dem Surrogat des Grundgesetzes über das Fehlen geistiger Identität hinweg.
Manch böser Abwehrkampf und Volkstodwunsch hat seine Ursache in dieser Sinnamputation. Das Volk der Deutschen lebt zu großen Teilen auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland. Das Grundgesetz sieht zumindest fiktiv eine Doppeldefinition des deutschen Volkes vor, bestehend aus ius solis (Territorialprinzip) und ius sanguinis (Abstammungsprinzip).
Deutschland gehört zu denjenigen Staaten, die das Abstammungsprinzip bei der Vergabe der Staatsbürgerschaft mit zugrunde legen – »fiktiv«, weil es sich beim Grundgesetz nicht um eine vom Volk sich selbst gegebene Verfassung handelt und man daher das historisch existierende Volk des Jahres 1949 als Souverän nur als Tatsachenfiktion voraussetzen kann.
Nichtsdestoweniger muß man aber davon ausgehen, daß die Deutschen in den 1940er Jahren en gros abstammungsmäßige Deutsche und die Vertriebenen und Ostzonendeutschen jener Jahre explizit mitgemeint waren. Als Völkerrechtssubjekt ist Deutschland wie jedes Land auf ein Volk angewiesen.
Das »Selbstbestimmungsrecht der Völker« bedeutet nicht, daß Populationen Territorien bevölkern, außer in der sowjetischen Völkerrechtslehre, die unter »Volk« die jeweilige Bevölkerung eines bestimmten Gebietes verstand. Erforderlich waren in dieser Lehre nur ein gemeinsames Territorium und weitere Gemeinsamkeiten geschichtlicher, kultureller, sprachlicher und religiöser Art sowie die Verbindung durch gemeinsame Ziele, die sie (zirkulär) mit Hilfe des Selbstbestimmungsrechtes zu erreichen anstrebte.
Es steht zu befürchten, daß der gegenwärtigen Umdefinition des Volksbegriffs sowjetische Begrifflichkeiten und entsprechende Ziele zugrundeliegen. Frank Böckelmann bringt das Paradox des Paßdeutschen in der Herbstausgabe 2018 der Zeitschrift Tumult auf den Punkt, wenn er fragt:
Wie denn? – am Ende schriebe ein Grundgesetz aus den späten vierziger Jahren für den Fall der Einwanderung von Abermillionen ins deutsche Asyl die Selbstaufopferung des Staates vor? Verhielte es sich wirklich so, wäre es höchste Zeit für eine Verfassung von Deutschen für Deutsche.
Exogene Massen nach Deutschland Verschobener zerstören die semipermeable Membran des Volksorganismus – wie eine Zellwand ist er in einer Richtung durchlässig. Wenn es auf dieser Ebene quantitativ um den Abstammungsdeutschenerhalt ginge, müßten größere Zahlen von Ausländern wieder in ihre Heimat, im Falle heimatzwittriger Zweit- und Drittgenerationen in die ihrer Vorväter zurückkehren.
Doch wie dies bewerkstelligen? Nur den status quo zu konservieren und niemanden loszuwerden – oder nur Illegale und Kriminelle –, besiegelt bereits das demographische Ende der Abstammungsdeutschen aufgrund der Verschubmassen: »Nun sind sie halt da« (Angela Merkel).
Doch auf genau dieser Ebene des Paßdeutschen (Einbürgerung, Asylstatus, Duldung oder Abschiebung, Außerlandesschaffung, Remigration usw.) bringt der zu Ende gedachte Gedanke in logischer Folge »häßliche Bilder« (Sebastian Kurz) hervor.
Was ist das häßlichere Bild: der Untergang der Deutschen oder Grenzanlagen und Abschiebeflugzeuge? Wer glaubt, nur ersteres hätte eine geistige Dimension, der irrt. Wir müssen uns vollkommen klar sein über die rettende Sünde.
Iwan Iljin faßte unsere Lage in seinem Werk Über den gewaltsamen Widerstand gegen das Böse in folgendes Bild:
Derjenige, der unterdrückt, steht selbst im Moor, doch ein Fuß ist gegen festen Boden gestützt, und so hilft er den anderen, die in das Moor hineingezogen werden, selbst auf festen Boden zu kommen, indem er danach strebt, sie zu schützen und zu retten, und er versteht, dass er selbst aus dem Moor nicht mehr trocken hinauskommen kann.
Sündensouveränität wäre der Fluchtpunkt dieses Gedankens, den vor dem Zynismus zu bewahren eine existenziell kaum zu bewältigende Aufgabe ist.
Ebene 3: Volksseelendeutscher sein.
In einem Vortrag in Düsseldorf äußerte Rudolf Steiner im April 1909 Gedanken über das Problem der Wahrnehmungsunfähigkeit in Bezug auf die geistige Substanz eines Volkes:
Auf irgendeinem Territorium, meinetwillen in Deutschland oder Frankreich oder Italien, leben so und so viele Menschen, und weil die sinnlichen Augen nur so und so viele Menschen als äußere Gestalten sehen, so können sich solche Abstraktlinge das, was man Volksgeist oder Volksseele nennt, nur wie eine bloß begriffliche Zusammenfassung des Volkes vorstellen. Wirklich real ist für sie nur der einzelne Mensch, nicht die Volksseele, nicht der Volksgeist.
Die meisten Deutschen sind heute solche »Abstraktlinge«, sie zählen die Köpfe der Bevölkerung zum Zwecke demographischer Additions- und Subtraktionsexperimente. Deswegen entgeht ihrer Wahrnehmung auch Deutschlands geistige Zukunftsperspektive.
»Die Deutschheit liegt nicht hinter uns, sondern vor uns«, schrieb Friedrich Schlegel. Die Zukunft, die wir anstreben, bedarf einer anknüpfungsfähigen Herkunft. Eine Ansammlung von allenfalls verfassungspatriotischen »Werte«-Paßdeutschen zehrte nur geraume Zeit – in Abwandlung von Böckenfördes Diktum über den säkularen Staat – von der ethnischen Substanz.
Wenn wir auf diese Art und Weise auf Deutschland schauen, wird allerdings eines klar: Eine Menge Abstammungsdeutscher und ihnen zugezählter Paßdeutscher haben keinen Anteil an irgendeiner Form geistigen oder auch nur seelischen Deutschseins.
Wer nach Deutschland einwandert, um Paßdeutscher zu werden, jedoch nur die Vorteile dieses Status abgreifen will, ohne für die Volksseele auch nur ein Fünkchen Gespür zu haben, ist folglich genauso wie Inländer mit vergleichbarer Geistesverfassung ein Fremdkörperdeutscher:
Das positive Eintreten für das, was das Wesen eines Volkes ist, bedeutet im Grunde nichts anderes als das, was sich vergleichen läßt in dem individuellen Bewußtsein mit der Tatsache, daß man ja nur für seinen eigenen Körper sorgen kann, daß er möglichst in Ordnung ist, und nicht in derselben Weise für einen anderen Körper.
(Rudolf Steiner, Vortrag im Dezember 1914)
Dieses Fehlen geistiger Identität ist am Ende die größte Schwäche, unter der wir momentan leiden, und es wirkt überdies auf die physische Substanz zurück. Die »Selbstabdankung ihres einstigen geistigen Prinzips« (Oswald Spengler) wirkt auch auf Fruchtbarkeit und Wehrkraft.
Für seinen eigenen Körper sorgen zu können, ist eine komplexe Fähigkeit: In diesem Sinne »Volksdeutscher« zu sein, der wahrhaftig Teil seines Volkes ist, impliziert dann auch die Notwendigkeit ästhetischer und moralischer Selbsterziehung, eines Sich-Ausrichtens, Sich-Aufrichtens.
Denn von der Volksseele ist man als Einzelner nicht nur überwölbt und durchzogen. Was ist der Unterschied zwischen Volksseelendeutschen und Abstammungsdeutschen, die ihr Volk ignorieren oder verachten? Erstere haben die Seele nochmal eigens ergriffen.
Genauso wie man sagen kann: die Kultur ist tot, es lebe die Kultur, weil sie in jedem Moment neu ergriffen und wiederaufgerichtet werden muß, kann man auch sagen: die Volksseele erstirbt in jedem Moment, es sei denn, sie wird stets von neuem wiederbelebt.
Insofern stellt Jost Bauch in der spenglerianischen Schlußpassage seines Abschieds von Deutschland (2018) eine wahre Diagnose, die aber nicht die ganze Wahrheit ist. Völker gehen unter, geißeln sich zu Tode, das kam schon öfters vor – die historische (demographische, politische, soziologische) Perspektive legt dies auch für Deutschland dringend nahe.
Es gibt, wie es im zehnten Band des Großen Herder (= 5. Auflage von Herders Konversationslexikon) aus dem Jahr 1953 heißt, »jenen Zustand in der Geschichte, wo sich so viel sittliches und politisch-geistiges Versagen seit Generationen angehäuft hat, daß die Kultur gleichsam selbst erkrankt und der Untergang nicht mehr aufzuhalten ist.«
Womöglich müssen wir uns genau deshalb der oben beschriebenen rettenden Sünde entschlagen. In ebendiesem Band, der als Sonderausgabe parallel auch unter dem Titel Herders Bildungsbuch – Der Mensch in seiner Welt erschienen ist, geht es an der Stelle weiter:
Doch nie hat der Mensch ein Recht, dies von seiner Gegenwart zu behaupten. Immer muß er, auch wenn ihm der Untergang unaufhaltsam scheint, aus der Überzeugung handeln, daß Gott seinen aufhaltenden Widerstand erwartet. Wer ihn verweigert, will anmaßend über den Verlauf der Geschichte verfügen. In einer solchen Untergangszeit aber erweist sich der tiefe Unterschied zwischen dem Menschen als einem persönlichen geschichtlichen Wesen und dem geschichtlichen Zusammenhang einer Kultur.
Eine Kultur mag letztlich unrettbar sein, aber nie ist der Einzelne unrettbar. Ihm kann gerade aus dem geschichtlichen Untergang der Anspruch seines persönlich-geschichtlichen Augenblicks erwachsen, die Möglichkeit, nun ganz er selbst zu sein, sich nicht treiben zu lassen von den raumzeitlich bedingten Gegebenheiten, sondern sie in seine Verfügung zu nehmen und dadurch dem ihm gerade so gestellten Anspruch Gottes in der Zeit gerecht zu werden. Solche Menschen sind es dann auch, die über einen Untergang hinweg in ein neues Zeitalter hinüberwirken.
Solche Menschen gehören zu uns, unter ihnen finden sich gewiß auch deutschlandverehrende Abstammungsaraber oder junge chinesische, mit der Einverleibung der von ihnen verehrten fremden Seele befaßte Pianistinnen. Es handelt sich – allein dem Anspruch nach – um eine kaltenbrunnersche Elite, nicht um ein Massenphänomen, geschweige denn ein per Agenda herbeiführbares, geschichtlich verfügbares Phänomen, und auch nicht um einen abprüfbaren »Wertekanon«.
Die untere Ebene, die Abstammung, bildet das Substrat, in dem die oberen Ebenen wurzeln können. Das Substrat muß satt bleiben und darf nicht ausgezehrt werden. Wir müssen daher achtgeben, daß nichts, auch nichts Physisches, davon verloren geht, dessen das zukünftige Deutschtum bedarf, um sich hieraus kontinuierlich weiter entfalten zu können.
Abstammungsdeutsche werden dazu dringend benötigt. In ihnen ist aufgehoben, woraus sich das Deutsche überhaupt speisen kann, weil am Leibe die Seele festhängt. Die mittlere, »politisch-konstruktivistische« (J. Bauch) Ebene ist die fragilste, eben wegen ihrer Ideologieanfälligkeit.
Auf sie kann man nicht bauen, doch auf ihr finden die sichtbaren Sortierungsleistungen statt. Die eingangs unterstellte Frage, was denn mit den Nichtzugehörigen passieren solle, wird auf dieser Ebene politisch entschieden. Metapolitisch liegen ihr stets die untere Ebene und die ihr übergeordnete zugrunde und wirken auf sie ein.
Wer entscheidet, muß folglich wissen, welchen Eigenwert die Existenz Abstammungsdeutscher hat, und worauf Deutschlands geistige Zukunft weist: es als Einzelner in seine Verfügung zu nehmen.
Wer es dabei versucht, Deutschland als Organismus zu denken, wird beobachten, daß dieser sowohl selbstgebildete geistige als auch eingepflanzte leibliche Fremdkörper verkraften kann, aber nicht die Auflösung der Systemgrenze Organismus/Welt.