Kompetenzfestungen nennt Gunnar Heinsohn jene Länder, deren Einwanderungspolitik strikt leistungsorientiert ist, die »Pässe nur an Asse« vergeben. Die Herkunft der Leistungsträger ist dabei gleichgültig. Das Konzept hat in Heinsohns Denken unverkennbar normative Obertöne, als eine an sich nicht fremdenfeindliche Antwort auf die Bevölkerungsexplosion des globalen Südens.
Diese Obertöne können jedoch nicht die deskriptive Beschreibung eines Umganges mit den demographischen Realitäten des 21. Jahrhunderts übertönen, der nicht nur auf politischen Entscheidungen beruht, sondern starke gesellschaftliche Eigendynamiken auf seiner Seite hat: Grund genug sich damit zu befassen.
Tendenzen, die beides auf sich vereinen, haben herausragende Durchsetzungskraft und gute Aussichten, die Zukunft zu bestimmen. Die weltweite Migration besteht nicht nur aus den unqualifizierbaren Massen der Dritten Welt. Auch die Besten sind mobiler geworden. Fehlen ihnen in einem Land die Perspektiven, dann wandern sie ab.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes verließen im Jahr 2017 249 000 Deutsche die Bundesrepublik. Im gleichen Jahr kehrten jedoch nur 167 000 Deutsche (inklusive Spätaussiedler) in die Heimat zurück. Das bedeutet einen Verlust von 82 000 Deutschen. Viele von ihnen sind hochqualifiziert.
Daß die Einwanderung Unqualifizierter die Auswanderung Qualifizierter verstärkt, ist längst kein Geheimnis mehr. Nicht nur die direkte Steuerlast zur Finanzierung der Einwanderung in die Sozialsysteme vergrault die Leistungsträger. Daß Länder, die hohe Anforderungen an Einwanderer stellen und Unbrauchbare fernhalten, als Magnet für weitere Hochqualifizierte aus aller Welt wirken, während Länder, die ihre Grenzen allem und jedem öffnen, ihre Besten verlieren, ist längst keine Hypothese Heinsohns mehr, sondern empirisch belegt.
Am drastischsten zeigt sich diese Dynamik im Wanderdungsverhältnis zwischen dem moslemüberspülten Britannien und seinen ehemaligen Kronkolonien Australien, Kanada und Neuseeland. Diese drei Länder sind, neben Singapur, Heinsohns Paradebeispiele für Kompetenzfestungen: Im Jahr 2015 lebten 2,3 Millionen Menschen aus dem alten Mutterland dort.
Von diesen Dynamiken gestützt, ist die Kompetenzfestung ein Konkurrenzmodell zur Nation, und zwar als eine Form, in der sich die globale demographische Katastrophe überdauern läßt. Sie muß den Humanitarismus und den Globalismus nicht frontal angehen, sondern kanalisiert seine Grenzenlosigkeit.
Und sie muß keine völkische Absonderung predigen, um den Leistungsstandard aufrechtzuerhalten. Die Kompetenzfestung ist Teil des Globalismus. Sie pickt sich jedoch die Rosinen heraus. Bis zu einem gewissen Grad kann sie den funktionierenden Multikulturalismus leben und ist dadurch hochattraktiv für die mobile, globalistische Oberschicht, die auf Nationalismus als Kompensationshaltung für Versager herabblickt.
Daß mit Justin Trudeau eine karikaturhafte Verkörperung des »Globo-Bobo« Premierminister der Kompetenzfestung Kanada ist, paßt wie die Faust aufs Auge. Der erste Einwand gegen die Kompetenzfestung ist klar: Was soll diesen Haufen bloßer Leistungsträger denn zusammenhalten?
Der stets auf die Zurschaustellung seines Nichtchauvinismus bedachte Heinsohn spricht dieses Problem kaum an. Wo doch, da setzt er für den Zusammenhalt allein auf den Standorterfolg. Die Kompetenzfestung soll einfach ein Ort sein, an dem es sich gut leben und Geld verdienen läßt.
Es wäre aber auch ein anderer Weg denkbar: die Ethnogenese und damit das Entstehen einer neuen Volksidentität. Das ist eine sehr reale Möglichkeit. Derartige Vorgänge haben in den letzten drei Jahrhunderten die Völker der Amerikaner, Kanadier, Australier, Neuseeländer und Buren ins Leben gerufen.
Die unter Europäern weitverbreitete Vorstellung, daß ein Volk nur wirklich sei, wenn seine Herkunft sich im Dunkel der Überlieferung verliert, ist nicht richtig. Das Wort »Volk« wird extrem unpräzise verwendet, es bezeichnet zu viele verschiedene Dinge.
Von einer Gruppe aus einigen hundert Amazonasindianern, über Kulturgemeinschaften wie den Hellenen, bis hin zu den heutigen Chinesen, die sich traditionell als die – nicht eine (!) – Zivilisation auffassen, in den letzten anderthalb Jahrhunderten aber auch Elemente des europäischen Nationalismus übernommen haben und zudem über ein ausgeprägtes Rassenbewußtsein verfügen, wird alles Mögliche als Volk bezeichnet.
Aus einer Reihe von Gründen stimmen Völker meist mit rassischen und sprachlichen Gruppen überein, doch der Sache nach ist ein Volk weder das eine noch das andere. Ein Volk entsteht, indem eine Gruppe Menschen sich als politisches Wir begreift. Es ist keineswegs ausgeschlossen, daß die Bewohner einer Kompetenzfestung ein Gemeinschaftsgefühl entwickeln, das zumindest ausreicht, um die politische Funktionalität zu gewährleisten.
So entstehende Völker werden vielleicht nicht dieselbe Festigkeit aufweisen, wie sie den ein Jahrtausend alten europäischen Nationen eigen war. Doch für einen funktionierenden politischen Prozeß und eine beschränkte Krisenfestigkeit dürfte es allemal reichen.
Zwar zeigt das amerikanische Beispiel auch, daß die ethnogenetischen Kräfte spätestens bei Großrassen an ihre Grenzen geraten, doch die Mehrheit der potentiellen Einwanderer in die Kompetenzfestungen wären Weiße. Aus einem Asien, das auf zukunftsträchtigen Innovationsfeldern von der künstlichen Intelligenz über Finanzinformatik bis zur Humangenetik führend ist, dürften nur wenige Menschen auswandern wollen.
Ein deutscher oder französischer Auswanderer hingegen fühlt sich aller Erfahrung nach spätestens in der zweiten Generation als Kanadier oder Australier. Nationen abendländischen Zuschnitts vertragen keine Massenwanderung von Menschen mehr. Kompetenzfestungen nutzen aber gerade diese Wanderungen, um sich zu verbessern.
Nichts wird das 21. Jahrhundert so prägen, wie das massive weltweite Überangebot an unqualifizierter Arbeitskraft und das gleichzeitige ebenso massive Unterangebot an qualifizierter Arbeitskraft. Dafür ist die Bevölkerungsexplosion der Dritten Welt nicht allein verantwortlich und diese Einsicht geht oft unter.
Als Thilo Sarrazin 2010 Deutschland schafft sich ab (hier bestellen) veröffentlichte, konzentrierte sich der ganze Aufruhr darauf, daß er die Behauptung gewagt hatte, orientalische Einwanderer seien genetisch nicht gerade für ein Studium der Bioinformatik prädestiniert.
Daß die Einwanderungsproblematik für Sarrazin nur einen besonderen Fall der dysgenischen Anreizstruktur des Sozialstaates darstellte, die Deutsche prinzipiell genauso betrifft, ging dabei unter. Der Sozialstaat verhilft der Unterschicht zu einem Fortpflanzungsvorsprung gegenüber der Oberschicht, den letztere auch noch finanzieren muß.
Durch die Drittwelteinwanderung wird dies massiv verschärft, das Problem bestünde aber auch ohne sie. Kompetenzfestungen lösen dieses Problem nun auch nicht. Trotz des selbstbewußt-martialischen Namens schaffen sie weder den Sozialstaat ab, noch bestehen sie nur aus eingewanderten Fach- und Spitzenkräften.
Immerhin lebt auf ihrem Boden ein Volk, das »schon etwas länger da ist«, und das bedeutet: Auch in einer Kompetenzfestung gibt es viele Menschen von nur geringer bis mittelmäßiger Kompetenz. Was die Festung aber tut: Sie verbessert das Qualitätsprofil ihres Humanmaterials auf Kosten anderer Länder.
Das wenig bescheidene Ziel besteht darin, in einer Welt, in der Intelligenz die knappste aller Ressourcen ist, Einwanderer anzuziehen, die qualifizierter als der eigene Bevölkerungsdurchschnitt sind. Sind sie damit einmal auf Kurs und verweigern sie weiterhin die Aufnahme Unterqualifizierter, kommt eine Spirale in Gang: Die Differenz im Lebensstandard zwischen den Kompetenzfestungen und den übrigen Ländern nimmt zu und lockt weitere Könner an. Damit entziehen sie den Nationen, die sich nicht zu Kompetenzfestungen wandeln, die dringend benötigten Spitzenkräfte.
Der Kampf um die Köpfe einer global mobilen Elite findet statt und läßt sich durch keine Nationalromantik aus der Welt schaffen. In diesem Kampf um die besten Köpfe haben Kompetenzfestungen sehr gute Karten. 25 statt 50 Prozent Spitzensteuersatz sind allein ein durchschlagendes Argument und das Olympia-Prinzip des globalen Wettbewerbs wird es noch deutlich verstärken.
Doch anderen Ländern die Könner abwerben anstatt das Geburtenprofil zu verändern, ist Parasitismus, kein Weg zur demographischen Nachhaltigkeit. Die Politik der Kompetenzfestungen führt weder zu einer andern Geburtenpolitik, noch wirft sie den Menschenrechtsuniversalismus über Bord.
Anders als die Volksrepublik China, die keine Kompetenzfestung, sondern der Staat der Chinesen ist, sind Länder wie Kanada oder Australien zu grundsätzlichen Maßnahmen ebenso unfähig wie Deutschland oder Frankreich. Sie nehmen nur weniger Migranten auf.
Als die chinesische Regierung Anfang der 80er feststellte, daß die ökologische Tragfähigkeit des Landes um fast 100 Prozent überschritten war, setzte sie die Ein-Kind-Politik durch. Das war nicht immer schön, aber andernfalls würden heute zwei Milliarden Chinesen in einer Wüste leben. Das ist die die notwendige Verbindung aus Voraussicht und Handlungsbereitschaft.
Selbst wenn man auf Holzhammermethoden verzichtete: Schon eine bloße Umstrukturierung der Sozial- und Rentensysteme in einer Weise, daß sich Kinder für Leistungsträger lohnen und nicht für Sozialhilfeempfänger, ginge nicht ohne einen grundsätzlichen Wandel des Menschenbilds vonstatten.
Der Mut, sich über die Widerstände hinwegzusetzen, die einer Lösung der demographischen Frage des 21. Jahrhunderts entgegenstehen, wird nicht der Standortpflege entspringen. Die abendländischen Nationen sind deshalb unverzichtbar, weil sie als einzige politische Formen unseres Kulturkreises Reste eines Zukunftswillens verkörpern, der stark genug sein kann, diese Schwierigkeiten zu überwinden.
Kompetenzfestungen können im 21. Jahrhundert Inseln des Wohlstandes sein – unter chinesischer Ägide, versteht sich. Doch das 22. Jahrhundert gehört denen, die ihre demographische Tragfähigkeit wiederherstellen, nicht denen, die sich auf der Titanic um das Oberdeck prügeln.