über den Fortgang dieses Blogs zu beraten, und zwar prinzipiell. Details (wieviele Artikel pro Tag?/ welche Länge verkraften Autoren und Leser?) sind nämlich gar nicht wichtig, wenn es um die Frage geht, ob wir das Netz-Tagebuch machen – oder ob es etwas mit uns macht.
Es macht etwas mit uns: Wir lesen vernutzend und nehmen vernutzend wahr. Wir machen unsere Beobachtungen am Badesee, in einer Ausstellungen, bei der Zeitungslektüre oder im Gespräch. Und im Kopfe bringen wirs schon für den Blogleser auf den Punkt und formulieren die Moral von der Geschicht. Das muß zu allem Überfluß auch noch schnell gehen, denn andernorts sitzen auch Kommentierer bereit, lassen nichts sacken, sondern ersetzen Qualität durch Reaktionsschnelligkeit.
Das scheint mir der entscheidende Aspekt zu sein: Es kommt im Netz nicht darauf an, daß etwas standhält. Es ist eh nach vier Tagen verschwunden. Wichtig ist, daß es rasch in der Welt ist und über die unzähligen Vernetzungsknotenpunkte rasch weite Verbreitung findet. Es ist wie das dauernde Geschrei der Gänse: Hier bin ich, wo bist du? Hier bin ich, wo bist du?
Leute wie der “Generation-Upload-Papst” Sascha Lobo haben diese Verwechslung von Qualität mit Stimmengewirr und Geräuschkulisse zur Perfektion getrieben, und er ist einer der wenigen, die damit sogar richtig viel Geld verdienen können. Nun ist uns Sascha Lobo wirklich herzlich egal, aber wir sehen, wie das, was er auf die Spitze treibt, als Epidemie in unterschiedlichen Intensitätsgraden um sich gegriffen hat: Wir sehen junge Autoren ihre halbverdaute Lektüre in entweder altklugen oder rein epigonalen Beiträgen veröffentlichen. Wir sehen, daß sie das beratungsresistent tun, weil sie auf ihren Blogs und Plattformen keine Lektoren und Redakteure akzeptieren müssen. Wir sehen, daß es den Lesern mittlerweile ziemlich egal ist, ob ein Beitrag duchgefeilt oder zusammengestottert ist: netztauglich ist irgendwie alles, denn nichts gilt ja lange. Wir sehen, daß also die Ruhe des Reifens abhanden gekommen ist, das Ablagern, Abhängen, Abwarten. Und wir sehen, daß die vermeintlich lustige Vernetzung nur eine Chimäre ist, die Vertuschung der Pflicht, sich ins “wahre Leben” zu stürzen. Einsamer nie als vor dem Rechner …
Schlußfolgerung: Wir verringern hiermit die Schlagzahl. Wir berichten und kommentieren, wenn es etwas gibt, das
a) kein anderer aufstöbert,
b) kein anderer aus unserer Sicht beurteilen kann,
c) einer von uns gründlich nachgedacht hat.
Das schafft jetzt keine neue Netz-Kultur, Gott bewahre! Aber es sorgt dafür, daß unser Tagebuch unverwechselbar und untypisch bleibt, und daß wir das Ping-Pong aus Twitter, eMail und Kommentierung nicht mitspielen müssen. Es ist ganz einfach auch in der Form, in der der Art der Herangehensweise nicht das, was heute als “bloggig” gilt, sondern –Sezession.
Es ist dabei übrigens ganz konsequent, daß die Abonnenten- und Absatzzahlen unserer Druckausgabe durch unser Blog nicht zurückgegangen sind. Anderen Zeitungen und Zeitschriften geht das so, ich habe aufschlußreiche Gespräche geführt in den vergangenen Wochen. Uns geht es aber nicht so, wir gewinnen sogar Abonnenten über unser Blog. Der Grund: Die Druckausgabe der Sezession ist von der formalen, handwerklichen und inhaltlichen Qualität so weit von jedem Internetauftritt entfernt, daß unser Netz-Tagebuch keinesfalls ein Ersatz dafür sein kann. Andere (auch “befreundete”) Publikationen haben es da schon schwieriger…
kolkrabe
Hab mir schon gedacht, dass sich nach der Sommerpause was ändern wird bei der SiN, von daher kam die Botschaft nicht überraschend. Dies zum Trost und zu weiterer Ermunterung: Manche Dinge im Netz sind nach vier Sekunden vergessen - andere nicht. Ich stöbere immer wieder mit Gewinn auch in euren älteren Beiträgen. Von daher ist es schade, wenn sich die Schlagzahl nun verringert. Mit Blick auf das Ruhen und Reifen ist es allerdings nachvollziehbar, das ist auch bei gutem Käse nicht anders (oder etwas weniger despektierlich: gutem Wein). Weiterhin produktives Schaffen und guten Erfolg!