Venezuela – mit Links gegen die Liberalen?

PDF der Druckfassung aus Sezession 89/April 2019

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

Die Aver­sio­nen, die das Gros der Kon­ser­va­ti­ven und ein obli­ga­ter Anteil der Rech­ten gegen­über all dem offen­ba­ren, was »links« mar­kiert ist, sind tra­di­tio­nell groß. Die instink­ti­ve Ableh­nung wird oft­mals mit wohl­fei­ler Empö­rung (über lin­ke Machen­schaf­ten, Akteu­re usf.) gar­niert, die an spie­gel­ver­kehr­te Ver­hal­tens­mus­ter des Anti­fa­schis­mus erinnert.

Armin Moh­ler mokier­te sich in sei­nem rich­tungs­ge­ben­den Essay Gegen die Libe­ra­len ob die­ser fal­schen Tra­di­ti­on. Der Urva­ter einer Neu­en Rech­ten ver­wies dar­auf, daß Rech­te, die sich pri­mär als Kom­mu­nis­ten­fres­ser ver­tun, letzt­lich apo­li­ti­sche, harm­lo­se Men­schen seien.

Bei dem­je­ni­gen jedoch, der sei­nen Blick dem Libe­ra­lis­mus und sei­nen Erschei­nungs­for­men zuwen­de, wer­de die Sache ernsthafter:

Denn die­ser Rech­te hat einen Feind, der bereits inner­halb der Burg agiert und unse­re Abwehr so weich macht, daß der äuße­re Feind ein­drin­gen kann.

Die­ser Rech­te, so kann man ergän­zen, »hat« die­sen »Feind« nicht nur. Er weiß auch, daß gera­de der Libe­ra­lis­mus jenen Boden bestellt, den lin­ke Strö­mun­gen chro­nisch benö­ti­gen, um zu gedei­hen. Des­halb (dar­auf ver­weist ein enger Freund Moh­lers, Alain de Benoist) bleibt der Libe­ra­lis­mus wirt­schaft­lich, gesell­schaft­lich und poli­tisch der pri­mä­re Geg­ner; lin­ke Gesin­nun­gen ver­kör­pern die unver­meid­li­che Kehr­sei­te libe­ra­ler Dekonstruktion.

Daß die­ser zeit­lo­se Befund als kein Spe­zi­fi­kum der Bun­des­re­pu­blik zu gel­ten hat, wird auf­grund glo­ba­ler libe­ra­ler Omni­prä­senz gemein­ver­ständ­lich. Wird nun der Blick auf den aktu­el­len inter­na­tio­na­len Kri­sen-Hot­spot Vene­zue­la gerich­tet, könn­te die Moh­lersche Grund­re­gel man­chen Beob­ach­tern ana­chro­nis­tisch erscheinen.

Schließ­lich haben, so Ver­tre­ter der harm­lo­sen Rech­ten, »die Lin­ken« ein pro­spe­rie­ren­des Idyll erd­öl­ba­sier­ter libe­ra­ler Demo­kra­tie in fins­te­re sozia­lis­ti­sche Tyran­nei gestürzt, wovon das vene­zo­la­ni­sche Volk nur durch Ret­tung des stets prä­sen­ten Außen – Donald Trump ante por­tas? – befreit wer­den könne.

Doch zeigt das Exem­pel Vene­zue­la, daß libe­ra­les Trei­ben erst jene »lin­ken« Zustän­de her­vor­ruft, die man sodann aus­ge­rech­net mit libe­ra­ler Medi­zin kurie­ren möch­te: ein Teu­fels­kreis, der wie­der­keh­rend, und zwar auf latein­ame­ri­ka­ni­scher wie glo­ba­ler Ebe­ne, zu dia­gnos­ti­zie­ren ist.

Latein­ame­ri­ka ist seit Mit­te des 20. Jahr­hun­derts – ob in Mit­tel­ame­ri­ka, in der Kari­bik oder in Süd­ame­ri­ka – gekenn­zeich­net vom dua­lis­ti­schen Rin­gen zwi­schen libe­ra­len und lin­ken Kräf­ten. Es ist kein Groß­raum, in dem die poli­ti­sche Rech­te glän­zen kann: De fac­to ste­hen sich libe­ra­le und lin­ke Regimes und Par­tei­en gegenüber.

Selbst volks­na­he und »iden­ti­tä­re« Stand­punk­te fin­den sich in diver­sen »lin­ken« Frak­tio­nen wie­der, wäh­rend die Rech­te als devo­te Kli­en­tel­par­tei klei­ne­rer Gesell­schafts­schich­ten und bestimm­ter, in Rich­tung Washing­tons ori­en­tier­ter Kapi­tal­frak­tio­nen fungiert.

Die­ses ver­ein­fach­te Sche­ma – kapi­tal- und US-höri­ge libe­ra­le Frak­ti­on samt rech­ten Rudi­men­ten ver­sus indi­ge­ne, iden­ti­tä­re oder kom­mu­nis­ti­sche Lin­ke – bestimmt seit Jahr­zehn­ten die ideo­lo­gi­sche Front­stel­lung im latein­ame­ri­ka­ni­schen Raum.

Dort sahen sich lin­ke Kräf­te Ende der 1980er Jah­re mit der Zwangs­la­ge kon­fron­tiert, über kei­ne rea­lis­ti­sche Macht­op­ti­on mehr zu ver­fü­gen. Der par­la­men­ta­ri­sche Weg, das zeig­ten CIA-gestütz­te Put­sche gegen sieg­rei­che lin­ke Bewe­gun­gen wie in Chi­le, war ver­baut: Im Fal­le eines Wahl­siegs im »Hin­ter­hof« inter­ve­nie­ren die Ver­ei­nig­ten Staaten.

Eine bewaff­ne­te Erhe­bung? Seit Kubas Revo­lu­ti­on gelang sie nir­gends mehr, kos­te­te bei den gleich­wohl gestar­te­ten Ver­su­chen zahl­rei­che Men­schen­le­ben. Dann, nach etli­chen Jah­ren poli­ti­scher Dür­re, rich­te­te sich aller Elan auf das geo­gra­phi­sche Herz Latein­ame­ri­kas, am Nord­rand Süd­ame­ri­kas, am Süd­rand der Kari­bik: Das Vene­zue­la, das Chá­vez ab 1998 zu bau­en ver­such­te, wur­de Ide­al- und Leit­bild, und auch heu­te, 20 Jah­re nach der Geburt die­ses mate­ria­li­sier­ten Mythos, tun sich ins­be­son­de­re Euro­pas Lin­ke schwer mit einer Distan­zie­rung vom idea­li­sier­ten cha­vis­ti­schen Pro­jekt, das (tem­po­rär) reüs­sie­ren konn­te, weil libe­ra­le Regie­run­gen jahr­zehn­te­lang die Vor­aus­set­zun­gen schufen.

Dabei ist der vene­zo­la­ni­sche Fall span­nend und zeigt, was pas­siert, wenn ein Staat an sei­nem apo­dik­ti­schen Extrak­ti­vis­mus in Form einer »mono­kul­tu­rel­len Erd­öl­wirt­schaft« (Ste­fan Peters) schei­tert. Das Land ver­fügt über die größ­ten Erd­öl­re­ser­ven welt­weit; selbst die Staa­ten des Ara­bi­schen Golfs kön­nen nicht auf­schlie­ßen (aller­dings ist vene­zo­la­ni­sches Roh­öl extrem schwer zu ver­ar­bei­ten; Öl ist nicht gleich Öl).

Seit über 100 Jah­ren gilt Vene­zue­la als Roh­stoff­aus­beu­tungs­land: 1914 inves­tier­te Roy­al Dutch (heu­te: Shell) in Ölge­win­nung, drei Jah­re spä­ter folg­ten die ers­ten Lie­fe­run­gen nach Euro­pa. Die dar­auf­hin ein­set­zen­de und bis heu­te bestehen­de Aus­rich­tung der gesam­ten Volks­wirt­schaft auf den tota­len Roh­stoff­ex­port wur­de in den 1920er und 1930er Jah­ren zementiert.

Unter Dik­ta­tor Juan Vicen­te Gómez (1857 – 1935), der ab 1908 bis zu sei­nem Tod regier­te, boom­te das Ölge­schäft; es ver­schaff­te der am Export betei­lig­ten Schicht exor­bi­tan­te Gewin­ne, stell­te aber auch ärme­re Schich­ten durch Ent­las­tun­gen zufrieden.

Gómez leg­te die Grund­stei­ne für Pro­ble­me, die auch 2019 noch domi­nie­ren: Mehr Fokus­sie­rung auf Roh­stof­fe bedeu­tet weni­ger Ent­wick­lung ande­rer Berei­che, weil sich die Vor­stel­lung fest­setzt, daß das eine schwar­ze Gold alle Pro­ble­me dau­er­haft lösen könnte.

In jener Pha­se setz­te im Zuge des neu­en Reich­tums die kul­tu­rel­le Anglei­chung an die USA ein. Es galt fort­an schick in der Haupt­stadt Cara­cas, der um 1929 teu­ers­ten Stadt der Welt, in die Ver­ei­nig­ten Staa­ten zu rei­sen, Base­ball zu ver­fol­gen (bis heu­te der belieb­tes­te Sport Vene­zue­las) und exzes­siv zu konsumieren.

Die Kon­ti­nui­tät des Kon­su­mis­mus und der USA-Ori­en­tie­rung besit­zen­der Schich­ten wur­de ein­ge­lei­tet und setzt sich fort – bis heu­te. Die auf Gómez fol­gen­den Herr­scher hiel­ten grosso modo an des­sen Gesell­schafts- und Wirt­schafts­mo­dell fest; erst Dik­ta­tor Mar­cos Pérez Jimé­nez (1914–2001) ver­such­te in den 1950er Jah­ren, den Begüns­tig­ten­kreis des Ölex­port-Wohl­stands zu ver­brei­tern und hat des­halb trotz auto­ri­tä­rer Maß­nah­men noch heu­te Anhän­ger im Land.

1958 wur­de er ins Exil getrie­ben. Im Abkom­men von Pun­to Fijo wur­de der Grund­stein für die peren­nie­ren­de pro­porz­ähn­li­che Aus­beu­tung des Ölreich­tums gelegt: Sozi­al- und Christ­de­mo­kra­ten teil­ten den Kuchen unter sich auf.

Die kul­tu­rel­le Ame­ri­ka­ni­sie­rung der urba­nen Bevöl­ke­rung wur­de auf die­se Wei­se ver­ste­tigt, der Wohl­stand wur­de »fair« ver­teilt auf die unter­schied­li­chen Kli­en­tels der füh­ren­den groß­städ­ti­schen Schicht. Der Neben­ef­fekt war eine Ren­ten­men­ta­li­tät samt ent­spre­chen­der, natio­na­ler Wirt­schafts­kul­tur, bei­de sind bis heu­te verankert.

Als ver­hee­rend erwies sich, daß Vene­zue­la es ver­paß­te, dem Extrak­ti­vis­mus eine »euro­päi­sche« Note bei­zu­ge­sel­len. Wäh­rend in Nor­we­gen etwa ein Invest­ment­fonds gegrün­det wur­de, der heu­te eine Bil­li­on Dol­lar umfaßt und den Reich­tum der skan­di­na­vi­schen Öl-Nati­on und ihrer Bür­ger sichert, wur­de ein ent­spre­chen­der Fonds in Cara­cas zwar ein­ge­rich­tet, aber nie gefüllt: Die libe­ra­len Eli­ten ver­praß­ten das durch den Roh­öl­ex­port gewon­ne­ne Kapi­tal ohne Bil­dung von Rück­la­gen und inves­tier­ten in Pri­vat­be­sitz in süd­li­chen US-Bundesstaaten.

Nicht zuletzt weil die Nah­ost-Ölkri­se von 1973 Vene­zue­la einen wei­te­ren Reich­tums­schub ver­schaff­te, war es mög­lich, ohne Mas­sen­pro­tes­te durch­zu­kom­men: »Sau­di-Vene­zue­la« pro­spe­rier­te, und die unte­ren wie mitt­le­ren Schich­ten wur­den durch öffent­li­che Maß­nah­men wie Ben­zin- und Lebens­mit­tel­sub­ven­tio­nen sowie kos­ten­lo­sen Nah­ver­kehr dar­an beteiligt.

Die­ser »Fahr­stuhl­ef­fekt« – alle Klas­sen stre­ben nach oben, wenn­gleich in unter­schied­li­cher Inten­si­tät – wur­de ver­stärkt, als Car­los Andrés Pérez (1922–2010) von 1974 bis 1979 das Ölge­schäft ver­staat­lich­te, den staats­ei­ge­nen Erd­öl­kon­zern PDVSA instal­lier­te und die Sehn­sucht nach Gran Vene­zue­la kundtat.

Die­se Erwar­tung wur­de nicht erfüllt. Das lag zum einen am Ölpreis – die Lage in Nah- und Mit­tel­ost sta­bi­li­sier­te sich – und zum ande­ren dar­an, daß das Grund­pro­blem seit 1917 die Ver­tei­lung der Gewin­ne, der mühe­lo­sen Ren­te, ist. Die Kon­flikt­li­nie im libe­ra­len vene­zo­la­ni­schen Ren­ten­ka­pi­ta­lis­mus hieß nicht (wie im indus­tri­el­len Euro­pa) Arbeit gegen Kapi­tal, son­dern Ver­tei­lung der Erträge.

Auf die­se Wei­se sind Wirt­schafts- und Finanz­po­li­tik mit­tel- oder gar län­ger­fris­tig kaum plan­bar. Es war dies der libe­ra­le Sün­den­fall des Ren­tier­staa­tes Vene­zue­la: Jede Inter­es­sens­grup­pe bedien­te und ver­sorg­te ihre eige­ne Kli­en­tel – und bis 1978 gedieh die­ses Modell über­wie­gend störungsfrei.

Dann stürz­te das Land von Kri­se zu Kri­se und erleb­te bis 1998 eine Rezes­si­on. Der Reich­tum, der durch den Extrak­ti­vis­mus erzielt wur­de, schwand; begüns­tigt wer­den konn­ten nur noch klei­ne Krei­se der Cara­cas-Eli­ten. Ver­schie­de­ne Nega­tiv­schü­be (z. B. »Schwar­zer Frei­tag« vom 18. Febru­ar 1983 oder die mani­fes­te Ban­ken­kri­se im Jahr 1994) sorg­ten für eine Ver­schlech­te­rung der Lebens­ver­hält­nis­se brei­ter Schichten.

Auch die Rück­kehr an die Macht des eins­ti­gen Herr­schers Car­los Andrés Pérez änder­te dar­an nichts. Pérez star­te­te 1989 ein neo­li­be­ra­les Reform­pro­jekt, des­sen Fol­gen dar­in bestan­den, daß die Sozi­al­aus­ga­ben im Ver­gleich zu 1981 um 40 Pro­zent gesenkt wurden.

Von der Ver­dopp­lung der Ben­zin­prei­se und der Auf­he­bung der Sub­ven­tio­nen für Lebens­mit­tel wie auch von der Preis­stei­ge­rung für Strom, Was­ser und Gas wur­de die abso­lu­te Bevöl­ke­rungs­mehr­heit getrof­fen. Im Febru­ar kam es zu Mas­sen­aus­schrei­tun­gen, dem soge­nann­ten Cara­ca­zo.

Bis zu 3000 Tote waren das Resul­tat von Mas­sen­pro­tes­ten und ihrer gewalt­sa­men Nie­der­schla­gung. Das Land kam fort­an nicht mehr zur Ruhe, Kri­mi­na­li­tät und Armut nah­men zu. 1992 kul­mi­nier­te eine neu­er­li­che Pro­test­wel­le in einem (dilet­tan­ti­schen) Putsch­ver­such. Einer der Mili­tärs war der dama­li­ge Oberst­leut­nant Hugo Chávez.

Wäh­rend sei­ne Mit­strei­ter flüch­te­ten, stell­te sich Chá­vez: Als einer, der Ver­ant­wor­tung über­nahm und sich nicht davon stahl, wur­de er lan­des­weit popu­lär; zahl­lo­se Men­schen pil­ger­ten zu sei­nem Gefäng­nis. Unter ihnen befand sich Nor­ber­to Cere­so­le (1943–2003).

Der argen­ti­ni­sche Publi­zist bau­te ein Ver­trau­ens­ver­hält­nis zu Chá­vez auf und wur­de nach sei­ner vor­zei­ti­gen Haft­ent­las­sung des­sen engs­ter Bera­ter und Reden­schrei­ber (von 1994 bis 1999). Er war ideo­lo­gisch in den Zwi­schen­räu­men zwi­schen Links­fa­schis­mus und Natio­nal­bol­sche­wis­mus zu ver­or­ten – als ehe­ma­li­ges Mit­glied der sowje­ti­schen Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten war Cere­so­le eben­so aktiv wie als zeit­wei­li­ges Sprach­rohr der liba­ne­sisch-schii­ti­schen His­bol­lah-Bewe­gung in Spa­ni­en; die Anspra­chen von Chá­vez ver­zier­te er mit Vor­lie­be mit Zita­ten von Carl Schmitt oder Karl Haushofer.

Chá­vez’ Selbst­ver­ständ­nis als cha­ris­ma­ti­scher Füh­rer wur­de durch Cere­so­les zur Schau gestell­te Bewun­de­rung wie auch ideo­lo­gi­sche Set­zun­gen – »Cau­dillo, Armee, Volk« – gestärkt. Das Cau­dil­lo-Bild ent­wi­ckel­ten Cere­so­le und Chá­vez anhand des vene­zo­la­ni­schen und latein­ame­ri­ka­ni­schen Libert­ador Simón Bolí­var (1783–1830).

Bolí­var war ein uner­schro­cke­ner Mili­tär­füh­rer, der im Zuge sei­ner Waf­fen­gän­ge gegen euro­päi­sche Kolo­ni­sa­to­ren und regio­na­le Kon­kur­ren­ten mehr Kilo­me­ter zurück­ge­legt hat­te als Han­ni­bal, Alex­an­der der Gro­ße und Cäsar zusam­men. Cere­so­le ent­wi­ckel­te die Leit­idee, daß ein mili­tä­ri­scher Anfüh­rer von Bolí­vars Schla­ge dem genu­in latein­ame­ri­ka­ni­schen Herr­scher­ty­pus entspräche.

Da Chá­vez kein klas­si­scher Lin­ker war, son­dern ein Mili­tär mit popu­la­ren Nei­gun­gen, frem­del­te die gro­ße, aber zer­split­ter­te Lin­ke Vene­zue­las mit ihm. 1998 kan­di­dier­te er mit sei­ner Bewe­gung Fünf­te Repu­blik zur Wahl. Sei­ne Zie­le waren das Ende der eli­tis­ti­schen Pro­porz­auf­tei­lung des Reich­tums sowie der Unter­gang der ver­haß­ten Vier­ten Repu­blik samt der von die­ser begüns­tig­ten US-Hinterhofpolitik.

Die Rede war von einer Poli­tik für eine Bevöl­ke­rungs­mehr­heit, nicht für die Rei­chen, wes­halb man das Chá­vez-Kon­zept als Links popu­lis­mus avant la lett­re bezeich­nen könn­te: Dafür spre­chen auch die (nach Regie­rungs­an­tritt bei­be­hal­te­ne) direk­te Anspra­che des Vol­kes und die Feind­schaft zu den »Alt­par­tei­en«.

Das Sys­tem sei der Feh­ler, unter­strich Chá­vez, also müs­se etwas Neu­es her – gestützt von der wich­tigs­ten Säu­le, dem Mili­tär. Mit sei­nem »Plan Bolí­var 2000« leg­te der Wahl­sie­ger Chá­vez sei­ne poli­ti­schen Zie­le offen: Er streb­te den Umbau von Staat und Gesell­schaft durch ple­bis­zi­tä­re Akte an, und als er den Eid als Prä­si­dent ableg­te, schwor er wört­lich auf die »tod­ge­weih­te Verfassung«.

1999 ließ er zunächst über eine ver­fas­sungs­ge­ben­de Ver­samm­lung abstim­men, in der auch »Bür­ger­ko­mi­tees« ihre Ideen ein­brin­gen konn­ten. 92 Pro­zent der Bür­ger (bei einer Wahl­be­tei­li­gung von nur 37 Pro­zent) stimm­ten im April für die Einberufung.

Im Dezem­ber erziel­te Chá­vez dann bei der ent­spre­chen­den Volks­ab­stim­mung über die von der Kon­sti­tu­an­te erar­bei­te­te neue Ver­fas­sung der nun aus­ge­ru­fe­nen Boli­va­ri­schen Repu­blik – boy­kot­tiert durch rele­van­te Oppo­si­ti­ons­struk­tu­ren – 72 Pro­zent (Wahl­be­tei­li­gung: 44 Prozent).

Das direkt­de­mo­kra­ti­sche Ele­ment des lan­des­wei­ten Ple­bis­zits räum­te man auch der Oppo­si­ti­on ein: Die­se schei­ter­te aber im August 2004 mit einem Miß­trau­ens­vo­tum über die wei­te­re Prä­si­dent­schaft Chá­vez’ – der Prä­si­dent erhielt 59 Pro­zent und konn­te sei­ne Macht als Wahl­sie­ger, der den Urnen­gang bei offe­nem Aus­gang ermög­lich­te, fes­ti­gen (er ver­lor 2007 gleich­wohl eine Abstim­mung über eine neu­er­li­che Ver­fas­sungs­re­form denk­bar knapp).

Die zumin­dest teil­wei­se in Wahl­sie­gen mani­fes­tier­te Popu­la­ri­tät lag an Erfol­gen, die Chá­vez zunächst ver­bu­chen konn­te. Zwi­schen Amts­über­nah­me und 2006 sank die Armut (gemäß Anga­ben der Ver­ein­ten Natio­nen) von 50 auf 30 und die Arbeits­lo­sig­keit von 17 auf zwölf Pro­zent, die Lebens­er­war­tung stieg, Analpha­be­tis­mus wur­de erfolg­reich bekämpft, die Gesund­heits­ver­sor­gung wur­de Stück für Stück moder­ni­siert und allen Bür­gern zugänglich.

Dies gelang, obwohl der Cau­dil­lo einen auf­grund neo­li­be­ra­ler Maß­nah­men und Selbst­be­die­nungs­men­ta­li­tät aus­ge­blu­te­ten Staat ohne effek­ti­ve Sozi­al­struk­tur über­nom­men hat­te und der Ölpreis auf nied­ri­gem Niveau sta­gnier­te. 2002 über­leb­te Chá­vez einen Putsch unzu­frie­de­ner Mili­tärs, die via CNN ihre Zie­le verkündeten.

Der Umsturz, von der Regie­rung Geor­ge W. Bushs unter­stützt, miß­lang, ver­här­te­te aber den Cha­rak­ter der Füh­rungs­cli­que – Bolí­vars »Wir oder die« wur­de zum Man­tra. Als 2003 der Ölpreis anstieg und neue Erfol­ge mög­lich wur­den, ver­san­de­te das Kapi­tal in schwar­zen Löchern der cha­vis­ti­schen Eli­te: Man war selbst zum kor­rup­ten Kli­en­te­lis­mus übergegangen.

Dies wur­de durch Chá­vez’ man­geln­de Ent­schlos­sen­heit zu einer Umkehr in der aus­schließ­lich auf Erd­öl fixier­ten Volks­wirt­schaft begüns­tigt; struk­tu­rel­le Ein­grif­fe blie­ben eben­so aus wie Inves­ti­tio­nen. Statt des­sen fokus­sier­te sich die Regie­rung Chá­vez auf anti­im­pe­ria­lis­ti­sche Rhe­to­rik und Zurück­drän­gung US-ame­ri­ka­ni­scher Ein­flüs­se in Lateinamerika.

2005 grün­de­te man die TV-Sta­ti­on Tele­Sur als Gegen­part zur über­grif­fi­gen US-Sen­der­welt; 2006 ver­kün­de­te man den »Sozia­lis­mus des 21. Jahr­hun­derts« – einen Ter­mi­nus, den man sich vom deut­schen Sozio­lo­gen Heinz Die­te­rich lieh, der nach Cere­so­les (auch von kuba­ni­schen Men­to­ren) erzwun­ge­nem Abgang der bedeut­sams­te Rat­ge­ber Chá­vez’ wurde.

Die­te­rich, der seit 1976 in Mexi­ko-Stadt lehr­te und der mei­st­über­setz­te leben­de poli­ti­sche Autor in Mexi­ko ist, ver­wob latein­ame­ri­ka­nisch-auto­chtho­ne Ideen mit mar­xis­ti­schen Ideo­lo­gie­frag­men­ten. Heu­te hat er sich vom vene­zo­la­ni­schen Regime abge­wandt: Er spricht ver­drieß­lich von einem »cha­ris­ma­tisch-bona­par­tis­ti­schen Herrschaftsmodell«.

2007 ließ Chá­vez den vene­zo­la­ni­schen Besitz eini­ger US-Kon­zer­ne ent­eig­nen. Der erziel­te Ertrag wur­de jedoch nicht für Inves­ti­tio­nen oder Rück­la­gen ver­wen­det, und eben­so­we­nig wur­den neue Zwei­ge der Pro­duk­ti­on erschlos­sen: 95 Pro­zent der Export­erlö­se wur­den wei­ter aus Erd­öl erzielt, wäh­rend fast alle ande­ren Güter impor­tiert wer­den mußten.

Als der Ölpreis wie­der fiel, war das kon­su­mis­ti­sche Modell nicht mehr durch­zu­hal­ten; die Kri­se gewann an Fahrt. 2013 starb Chá­vez an Krebs und wur­de durch den Nicht-Mili­tär Nicolás Madu­ro ersetzt. Unter Madu­ro eska­lier­te die bereits unter Chá­vez ange­leg­te Kor­rup­ti­on; die ver­ei­nig­te Lin­ke war längst zur Selbst­be­rei­che­rung über­ge­gan­gen, die für die ver­ei­nig­ten libe­ra­len Par­tei­en einst so kenn­zeich­nend war.

Madu­ros »Vater­lands­plan« – mit dem Ziel der wirt­schaft­li­chen Umsteue­rung auf meh­re­re Zwei­ge der Pro­duk­ti­on – schlug fehl. Das lag auch dar­an, daß die Ein­nah­men aus dem Ölex­port, die man hier­für benö­tigt hät­te, in die Schul­den­til­gung gesteckt wer­den muß­ten – bis zu 45 Pro­zent Zin­sen wur­den von Gold­man Sachs und ande­ren abgerufen.

Die ste­ti­ge Ver­schlech­te­rung der Lebens­ver­hält­nis­se führ­te zu einer Rück­kehr der Gewalt- und All­tags­kri­mi­na­li­tät: Cara­cas ist heu­te eine der gefähr­lichs­ten Städ­te der Welt, wor­an die Madu­ro-treue Miliz und »Frie­dens­kol­lek­ti­ve« als mobi­le Ein­griffs­trup­pen nicht viel ändern – und oft­mals nicht viel ändern wol­len, ver­spricht selek­ti­ves »Sicher­heits­ma­nage­ment« doch Ein­fluß und Gel­der von jenen, die es sich leis­ten können.

Die aktu­el­le Kri­sen­si­tua­ti­on von 2019 liegt ganz wesent­lich im Mai 2017 begrün­det. Eine »Ver­fas­sungs­ge­ben­de Ver­samm­lung« wur­de von Madu­ro ein­be­ru­fen, die Oppo­si­ti­on boy­kot­tier­te. Har­te Geset­ze wur­den erlas­sen, die auch den deut­schen neo­kon­ser­va­ti­ven Jour­na­lis­ten Bil­ly Six tra­fen, der trotz sei­nes labi­len Gesund­heits­zu­stan­des für über hun­dert Tage in einer Haft­an­stalt inter­niert war.

Im Mai 2018 wur­de Madu­ro gleich­wohl für wei­te­re sechs Jah­re im Amt bestä­tigt, auch hier boy­kot­tier­ten die rele­van­ten Oppo­si­ti­ons­struk­tu­ren den Urnen­gang. Par­al­lel über­schlu­gen sich die Ereig­nis­se: Hat­te bereits Donald Trumps Vor­gän­ger Barack Oba­ma Vene­zue­la zu einer »außer­or­dent­li­chen Bedro­hung für die natio­na­le Sicher­heit« der USA erklärt, ver­schärf­te Trump den Ton, was den ita­lie­ni­schen Phi­lo­so­phen Die­go Fus­aro dazu ani­miert, im Fal­le der heu­ti­gen Putsch­stim­mung gegen Madu­ro von einem lang­fris­ti­gen »Ergeb­nis einer impe­ria­lis­ti­schen Stra­te­gie« zu sprechen.

In der Tat haben die USA wie kei­ne zwei­te Nati­on auf einen Staats­streich in Vene­zue­la hin­ge­ar­bei­tet. Madu­ro sei ein »kran­ker Tyrann«, sei­ne »Tage sei­en gezählt«, urteil­te US-Außen­mi­nis­ter Mike Pom­peo, der offen­si­ve Maß­nah­men ankündigte.

Die­ses Ansin­nen wur­de von wei­te­ren Akteu­ren der libe­ra­len Welt­ord­nung flan­kiert: Ende 2018 ver­wei­ger­te die Bank of Eng­land die Rück­ga­be des vene­zo­la­ni­schen Gol­des. 14 Ton­nen gin­gen der Staats­kas­se in Cara­cas so ver­lo­ren, was um so fol­gen­schwe­rer wirkt, da das eige­ne Gold die letz­te gro­ße Devi­sen­op­ti­on für den Ein­kauf von Nah­rung und Medi­ka­men­ten ist; alles ande­re ist durch weit­rei­chen­de Sank­tio­nen gegen Vene­zue­la längst irre­al geworden.

Wer ein­mal mehr das US-Nar­ra­tiv der Besorg­nis um ein­ge­hal­te­ne Men­schen­rech­te bezwei­felt und mate­ri­el­le Inter­es­sen hin­ter der fol­gen­schwe­ren Wühl­ar­beit ver­mu­tet, liegt nicht falsch. Am 1. Janu­ar 2019 über­nahm Vene­zue­la plan­mä­ßig den Vor­sitz der Orga­ni­sa­ti­on erd­öl­ex­por­tie­ren­der Län­der (OPEC).

Madu­ro kün­dig­te an, bei Rech­nungs­le­gun­gen vom US-Dol­lar auf ande­re Wäh­run­gen umzu­stei­gen. Nach­dem Ruß­land bereits 2018 begon­nen hat­te, eine Bil­li­on Dol­lar Reser­ven in Yuan, Yen und Euro umzu­tau­schen, ver­hieß die­ser Schritt für die USA wei­te­re Probleme.

Drei Wochen spä­ter erklär­te sich der 35jährige libe­ra­le Poli­ti­ker Juan Guai­dó – sei­ne Par­tei­far­be ist das obli­ga­to­ri­sche Regime-Chan­ge-Oran­ge – zum Inte­rims­prä­si­den­ten Vene­zue­las (Guai­dó ver­tritt sei­nen unter Haus­ar­rest ste­hen­den Par­tei­chef Leo­pol­do López).

Guai­dós Cli­que berief sich auf die Ver­fas­sung; man sei »den Arti­keln 233 und 333 ver­pflich­tet«. Letz­te­rer ermög­licht de iure allen Vene­zo­la­nern Wider­stand im Fal­le eines Ver­fas­sungs­not­stands. Ers­te­rer nennt »Hin­de­rungs­grün­de« für den Fall, daß ein Prä­si­dent sein Amt nicht aus­üben kann (Tod, Krank­heit oder eine durch den Obers­ten Gerichts­hof ange­ord­ne­te Absetzung).

Tat­säch­lich erklär­te ein Obers­ter Gerichts­hof Madu­ro auf Basis eben­je­nes Arti­kels 233 für abge­setzt – aller­dings gibt es in Vene­zue­la zwei Obers­te Gerichts­hö­fe: Jeder Prä­si­dent hat der­zeit einen eige­nen. Rea­lis­ti­schen Schät­zun­gen zufol­ge ste­hen hin­ter Madu­ro wei­ter­hin 30 Pro­zent der Bevöl­ke­rung, das Mili­tär sowie die äuße­ren Poten­zen Chi­na und Rußland.

Chi­na hat 62 Mil­li­ar­den Dol­lar ins­be­son­de­re in den Roh­stoff­sek­tor inves­tiert. Die Hälf­te der Kre­di­te, die mit Erd­öl getilgt wer­den, sind noch nicht begli­chen, wes­halb Peking zuguns­ten Madu­ros optiert, aber sicher­lich fle­xi­bel auf einen Macht­wech­sel reagie­ren würde.

Auch Ruß­land ist in Vene­zue­la umtrie­big; Mos­kau ist der tra­di­tio­nel­le Han­dels­part­ner für Cara­cas im Bereich Waf­fen­käu­fe (Pan­zer, Kampf­jets, schwe­res Gerät). Ruß­land hat etwa 17 Mil­li­ar­den Dol­lar inves­tiert, eben­falls in den Rohstoffsektor.

Trotz mili­tä­ri­scher Part­ner­schaft und offen­si­ver Ver­ur­tei­lung der US-Inter­ven­ti­ons­po­li­tik dürf­te Ruß­land kein hohes Risi­ko ein­ge­hen. Guai­dó kann eben­falls bis zu 30 Pro­zent Unter­stüt­zung ver­bu­chen (der Rest ist unent­schlos­sen oder hat resi­gniert), hin­zu kommt eine illus­tre Alli­anz, die aus den USA, Bra­si­li­ens Jair Bol­so­n­a­ro, Mer­kel-Deutsch­land und Frank­reich besteht.

Die Selbst­kür Guai­dós respek­ti­ve der »von der US-Regie­rung unter­stütz­te Putsch­ver­such« (Tobi­as Lam­bert) fand dann auch Lob durch die ver­ein­te bun­des­deut­sche Poli­tik (ein­schließ­lich wei­ter Tei­le der AfD, trotz Moh­ler-Dik­tum). Ein­zig die Links­par­tei äußer­te Soli­da­ri­tät mit der Sou­ve­rä­ni­tät Vene­zue­las, ver­fing sich aber frei­lich in alt­ba­cke­nem Jar­gon gest­ri­ger Ideologien.

Was indes­sen Ange­la Mer­kel und Bea­trix von Storch nicht wahr­ha­ben wol­len: Die haupt­säch­lich aus libe­ra­len Kräf­ten (aber auch aus sozi­al­de­mo­kra­ti­schen und ex-cha­vis­ti­schen Akteu­ren) bestehen­de Oppo­si­ti­on ist nicht nur zer­strit­ten, son­dern sie wird aus­schließ­lich durch den Wil­len ver­eint, (wie­der) zu den Fut­ter­trö­gen der Macht zu gelangen.

Die­ses gegen­ständ­li­che Inter­es­se und die offen­kun­di­ge Len­kung Guai­dós aus dem Aus­land dürf­te die Ursa­che dafür sein, daß trotz der in jeder (sozia­len, öko­no­mi­schen, poli­ti­schen usf.) Hin­sicht ekla­tan­ten Män­gel des Madu­ro-Regimes ein Regie­rungs­wech­sel nicht in Sicht ist: Guai­dós Auf­ru­fe an Mili­tär und Poli­zei, zu deser­tie­ren, verhallen.

Seit Janu­ar setz­ten sich nach über­ein­stim­men­den Schät­zun­gen 600 Sicher­heits­kräf­te ab – das reicht nicht für den gewünsch­ten Bür­ger­krieg. Guai­dó kehr­te Anfang März unbe­hel­ligt zurück nach Cara­cas (am Flug­ha­fen beju­belt von Bot­schafts­mit­ar­bei­tern aus EU-Län­dern) und kün­dig­te – wie immer über Twit­ter – an, noch im März und April eine Ent­schei­dung zu erzwin­gen, denn die Zeit für »fal­sche Dia­lo­ge« sei vorbei.

Eine Lösung der Kri­se ist damit nicht in Sicht. Aus Per­spek­ti­ve der Staats­sou­ve­rä­ni­tät ist der Ein­griff des Wes­tens in die inne­ren Ange­le­gen­hei­ten Vene­zue­las zu ver­ur­tei­len, doch darf dies nicht mit einem Blan­ko­scheck für die Madu­ro-Regie­rung ver­wech­selt wer­den: Die Armut in Vene­zue­la liegt heu­te bei 87 Prozent.

Nach Anga­ben der Uni­ver­si­tät UCAB in der Haupt­stadt gilt dabei jeder als »arm«, des­sen Haus­halts­ein­kom­men nicht aus­reicht, um die Lebens­hal­tungs­kos­ten zu decken. Die Gesamt­schuld Vene­zue­las liegt bei 181 Mil­li­ar­den US-Dol­lar (80 Pro­zent des BIP), Kor­rup­ti­on und Kli­en­te­lis­mus sind all­ge­gen­wär­tig, eine Mil­li­on Vene­zo­la­ner leben im Ausland.

Im Zustand der ver­ewig­ten Kri­se mit Wäh­rungs­ver­fall und Preis­explo­si­on auf den Schwarz­märk­ten nei­gen nun vie­le Vene­zo­la­ner, so der Publi­zist und Sozio­lo­ge Edgar­do Lan­der, zu »indi­vi­dua­lis­ti­schen und kom­pe­ti­ti­ven Reak­tio­nen«. Ange­sichts der nach­hal­ti­gen Fokus­sie­rung der Oppo­si­ti­on auf die neo­li­be­ra­le Oppo­si­ti­ons­par­tei Vol­un­tad Popu­lar ist zu befürch­ten, daß jener libe­ra­le Ungeist von lin­ker Stüm­pe­rei pro­fi­tiert, der eben­die­se Ver­falls­ge­schich­te erst ermöglichte.

Fällt Madu­ro, kommt Guai­dó – und das impli­ziert: Jahr­zehn­te libe­ra­ler Miß­wirt­schaft in Vene­zue­la schei­nen nach dem Schei­tern des (Post-)Chavismus ver­ges­sen; die libe­ra­len Kli­en­tel­po­li­ti­ker bekä­men ihre nächs­te Chan­ce, und es ist anzu­neh­men, daß nach ent­spre­chen­den Schock­the­ra­pien wie­der­um lin­ke Strö­mun­gen an Bedeu­tung gewönnen.

Der Teu­fels­kreis ist ein Kreis. Vene­zue­la als Exem­pel ver­weist damit auf die Not­wen­dig­keit nicht­lin­ker und nicht­li­be­ra­ler Wege: In die­sem Fall ist tat­säch­lich jede Sei­te die fal­sche, und das Moh­lersche Assor­ti­ment »Mafia oder Gulag« bewahr­hei­tet sich ein­mal mehr.

Doch eine poli­ti­sche Rech­te, die damit Schluß zu machen trach­tet und Poli­tik im Sin­ne des über­ge­ord­ne­ten Staats und des gesam­ten Vol­kes betrei­ben könn­te – sie exis­tiert in Vene­zue­la nicht. So tau­meln 30 Mil­lio­nen Men­schen in den Abgrund.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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