Sachsen

PDF der Druckfassung aus Sezession 90/Juni 2019

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Es ist selt­sam und tröst­lich zugleich, daß wir auch nach vier­ein­halb Jah­ren PEGIDA, nach Jah­ren der Erfah­rung mit der bun­des­weit ers­ten Land­tags­frak­ti­on der AfD in Dres­den, nach den beschä­mend blö­den Berich­ten über Sach­sen als dem fins­te­ren Her­zen Dun­kel­deutsch­lands, nach den wider­stän­di­gen, bür­ger­li­chen Stel­lung­nah­men und der in Losch­witz for­mu­lier­ten »Char­ta 2017« zur Ver­tei­di­gung der Mei­nungs­frei­heit, nach der Initi­ie­rung des Kunst­pro­jekts »Tro­ja­ni­sches Pferd« im Her­zen Dres­dens und nach dem Jubel über die AfD-Direkt­man­da­ten zur Bun­des­tags­wahl im Erz­ge­bir­ge, der Säch­si­schen Schweiz, Gör­litz und Baut­zen – daß wir also nach der Mobi­li­sie­rung hun­der­tau­sen­der Sach­sen gegen das Ber­li­ner Gesell­schafts­expe­ri­ment noch immer nicht hin­rei­chend Aus­kunft dar­über geben kön­nen, wer die Sach­sen sind und war­um sie so wesent­lich anders sind als die anderen.

Wir haben für das The­men­heft der Sezes­si­on nach­denk­li­che und tief­sin­ni­ge Tex­te von Sach­sen wie Ber­nig, Hen­nig, Krah, Sei­del, Tell­kamp, Wawerka zusam­men­tra­gen kön­nen; gibt einer von ihnen erschöp­fend Aus­kunft dar­über, war­um in kei­nem ande­ren Bun­des­land der Wider­stand gegen die Auf­lö­sung aller Din­ge durch die post­mo­der­ne Belie­big­keit vom ein­fa­chen Arbei­ter über den gebil­de­ten Pfar­rer bis zum fein­sin­ni­gen Lyri­ker so mas­siv und beharr­lich und klug vor­ge­tra­gen wird: auf der Stra­ße, am Info­stand, in der Pre­digt, auf dem Papier, Paro­le für Paro­le, Stro­phe für Strophe?

Nein, natür­lich nicht. Die Zusam­men­stel­lung ist vol­ler Andeu­tun­gen und Umkrei­sun­gen, und mehr kann sie auch nicht sein: Denn es gibt kei­ne Sach­sen-For­mel, kei­nen Trick, den man kopie­ren, adap­tie­ren könn­te, um andern­orts, also: jen­seits die­ses Stam­mes­ge­bie­tes, nein: Bun­des­lan­des so etwas wie die säch­si­sche Men­ta­li­tät ein­zu­pflan­zen oder nachzubauen.

Man kann sie weder rasch auf­zie­hen noch künst­lich erzeu­gen, es gibt kei­ne For­mel für sie, und kein Trick, kein Zylin­der mit dop­pel­tem Boden ver­ber­gen einen »wah­ren Grund« oder ein Res­sen­ti­ment: Immer wie­der nimmt man eine gera­de­zu unbe­lehr­ba­re Beharr­lich­keit wahr, mit der das abge­lehnt wird, was nicht über­zeu­gen kann, und dies allein (wie gesund!) reicht hin, um das Bewähr­te dem Spleen vorzuziehen.

Ja, das könn­te eine For­mel sein: Das Neue muß über­zeu­gen, sonst wird es ver­wor­fen, und die Ent­schei­dung dar­über, was einen Ver­such wert sein könn­te, soll­te tun­lichst kein ande­rer tref­fen, vor allem nicht Ber­lin, wobei Ber­lin wohl als Syn­onym für das gilt, was über­ge­stülpt wer­den soll, obwohl es nicht über­zeugt. Wer wüß­te bes­ser, was für Sach­sen gut ist, als die Sach­sen selbst?

Man braucht dort kei­ne Gou­ver­nan­ten und schert sich nicht beson­ders um den »Ruf in der Welt«, zumal dann nicht, wenn ihn das Ber­li­ner Estab­lish­ment dro­hend her­bei­schreibt und her­bei­quatscht. Wir erin­nern uns, daß es »in den Medi­en« Mon­tag­aben­de gab, an denen kein Dun­kel­häu­ti­ger sich in Dres­den mehr auf die Stra­ße hat wagen kön­nen, daß die­se fre­che Behaup­tung und mie­se Lüge aber zugleich im Ver­lauf der fri­d­li­chen PEGI­DA-Stun­den durch kei­ne Erfah­rung, kei­nen Vor­fall gedeckt war.

Und auch die kon­stru­ier­ten Pro­gno­sen, es wür­de ein Rück­gang der Frem­den­ver­kehrs­zah­len für den Frei­staat zu ver­zeich­nen sein auf­grund des Frem­den­has­ses, erfüll­ten sich nicht, Jahr für Jahr nicht, viel­mehr: das Gegen­teil. Erst auf­grund sol­cher Lügen­ge­schich­ten­er­fah­run­gen, aus dem Abgleich von Wahr­neh­mung und Bericht­erstat­tung, ent­stand das Schimpf­wort »Lügen­pres­se«, das den Leu­ten zunächst ganz und gar nicht leicht von den Lip­pen ging, recht bald aber ener­gisch und befrei­end klang.

Dann und zuletzt der hin­ter­häl­tigs­te Schuß: die Sach­sen als die­je­ni­gen, die zuwe­nig Wes­ten hät­ten genie­ßen kön­nen, vor der »Wen­de«, und die damit in einen unauf­hol­ba­ren men­ta­len Rück­stand auf die mora­li­schen Spit­zen­rei­ter aus Baden-Würt­tem­berg, Bre­men, Rhein­land-Pfalz, Hes­sen und­so­wei­ter gera­ten seien.

Nein, die­se »Gesin­nung« ist nichts, das man nach­ho­len müß­te. Und doch: Nach­hol­be­darf in einem ganz ande­ren Sin­ne: von der Geschich­te auf eine unstatt­haf­te Art ins Hin­ter­tref­fen gerückt wor­den zu sein, und nun, flei­ßig, unbe­irr­bar und eben nicht als west-ver­rück­tes Beu­teland sich wie­der nach vorn arbei­tend – auch das ist Sach­sen, spür­bar und sicht­bar, empör­tes Selbst­be­wußt­sein, fei­ner Stolz. Gut: Ich idea­li­sie­re. Aber so ist das eben, wenn man hofft.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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