Nein, nein, es geht nicht um Carl Schmitt. Die Ähnlichkeit mag frappierend sein, aber sie tut nichts zur Sache. Der, der hier rechts unten im Bild als CS-Look-alike einen Juristen spielt, bleibt im Film namenlos und spielt eine sprachlose Rolle. Es geht um Hatun Sürücü, Rufname Aynur. Sie ist nicht im Bilde. Sie ist tot. Ich erinnere mich gut an die Nachrichten über ihre Ermordung im Jahre 2005. Es hatte mich aufgewühlt. Damals war Hatun / Aynur 23 Jahre alt. Sie hätte meine kleine Schwester sein können, derselbe Jahrgang.
Zu dieser Zeit gab es auf der »Rechten« ein paar Leute, die mit dem Islam liebäugelten. Weil es dort klare Regeln und Rollen gibt, Entschiedenheit, Strenge, Polarität statt anstrengender Ambivalenz, Eindeutigkeit statt Licht und Schatten. Manche sind tatsächlich dort hängengeblieben. In vielen islamisch geprägten Ländern, ob Albanien, Türkei, Iran oder Kirgistan pflegt man zudem eine großherzige Gastfreundschaft gegenüber westlichen Besuchern. Diese Gemengelage machte und macht die Botschaft attraktiv, gerade für heimatlose Rechte.
Aynur nun: Sie mußte sterben, weil sie der westlichen Dekadenz anheimgefallen war. Sie traf sich mit Jungs, legte ihr Kopftuch ab, lernte Elektroinstallateurin. Sie war ziemlich normal für deutsche Verhältnisse. Aber, das weicht ab, sie lebte nicht nur in deutschen Verhältnissen, sondern in einer strenggläubigen islamischen Familie, deren Ehre sie mit ihrer Lebensweise beschmutzte.
Dafür hatte sie den Tod verdient – nach Auffassung derer, die wir hier in zweiter Reihe lümmeln oder in sich schauen sehen. Es sind drei ihrer Brüder. Sieben ihrer acht Geschwister sind in Deutschland geboren – von einer Mutter, die mit ihrem Mann in den siebziger Jahren aus Ostanatolien nach Berlin gezogen war, beide sunnitische, strenggläubige Kurden.
Aynur war die erste Tochter nach vier Söhnen. Sie ging in Berlin zur Schule – freilich mit Kopftuch. Mit 16 wurde sie zurück in die Türkei geschickt und dort mit ihrem Cousin verheiratet. 1999 wurde sie schwanger. Ihr Mann schlug sie fortwährend. Aynur flüchtete zurück – kann man sagen, in »ihre Heimat«? Wenn ja, handelte es sich auch um das Heimatland ihrer Brüder Tarik (der bei der Bundeswehr dient), Sinan (der ein echter Kotzbrocken ist) und Nuri (der sie erschießen wird)?
Die Sache ist kompliziert. Man kann nicht sagen, diese arroganten Fratzen, die wir hier sehen, seien »nicht unser Problem«. Natürlich sind sie es. Aynurs ältester Bruder kommt übrigens nicht vor; er ist dauerdelinquent und verbringt die meiste Zeit im Gefängnis. Ein weiterer Bruder kommt vor, sitzt aber nicht auf der Anklagebank; er hatte immer zu seiner Schwester gehalten.
Kommt wo vor? Es geht hier um einen Film, den die Regisseurin Sherry Hormann gedreht hat und der seit Mitte Mai in deutschen Kinos gezeigt wird: Nur eine Frau. Sherry Hormann, Jahrgang 1960, geboren in New York, 2009 mit dem Film Wüstenblume über Frauenbeschneidungen im muslimischen Afrika bekannt geworden, ist das, was man tough nennt: Sie verbrämt nichts, sie – produziert wurde der Film übrigens von Sandra Maischberger, man staune – geht ans Eingemachte. (Hormann war übrigens mit Dominik Graf und Michael Ballhaus verheiratet – dies als Fußnote für Cineasten.) Über Hormanns neuen mit Originalaufnahmen gespickten Film heißt es in den Mainstreammedien (etwa bild.de), daß »Shootingstar Almila Bagriacik (4 Blocks) die Hauptrolle« spielt. Das wäre die unkritische Lesart dieses Films.
Shootingstar – das ist wirklich eine grandiose Wortwahl! Almila / Aynur wird ja am Ende tatsächlich erschossen – von dem kleinen Bruder, den sie einst gewickelt hatte. Die kritischere (von den Intellektuellenmedien rundum gestellte) Frage an die Regisseurin lautet selbstverständlich: »Was haben Sie getan, um sich vor dem Beifall von der falschen Seite zu schützen?«
Immerhin wird in Hormanns Film genau das gezeigt, was wir hier im Bilde sehen: Drei selbstgefällige orientalische Typen sitzen auf der Anklagebank. Sympathisch wirkt keiner der drei. Verbissen, hochmütig, präpotent, stur, unbelehrbar wirken sie. Von Demut oder Reue keine Spur. Ist das überzeichnet? Nein. Wer je an einem »Ehrenmord«-Prozeß teilgenommen hat (ein Wort übrigens, daß bis 2005 sich nicht im deutschen Sprachgebrauch fand), weiß, daß diese Typen exakt so drauf sind.
Sie treten nach, feixen in Richtung der Opferfamilien, gebärden sich ungebrochen. Sie geben die Zügel nicht aus der Hand, und niemand weiß, ob das bloß eine Pose ist. Man kann es nur ahnen. Ihre Glaubensgewißheit – und wir sehen im Film die islamische Katechese – ist unerschütterlich. Die drei Blutsbrüder hier mögen im Vergleich zu »Carl Schmitt« und Kollegen wenig gebildet und ungeschliffen sein.
Hier geht es aber nicht um Anwaltshonorare, Bescheidwissen oder akademische Grade – »Ehre« ist nur hierzulande eine abseitige Kategorie, nicht in der islamischen Identität. Die drei Verschwörer – wären sie je integrierbar gewesen in unsere papierne Grundgesetzwelt? – dringen in ein Vakuum. Das Filmmagazin kinozeit.de betont: »Außerdem verengt der dargestellte Fall den Blick darauf, dass ›Ehrenmorde‹ kein rein muslimisches Problem sind, sondern auch in anderen religiösen wie gesellschaftlichen Zusammenhängen geschehen.«
Also etliche christliche Ehrenmorde darunter? Hat »nichts mit dem Islam zu tun?« Bei wikipedia lesen wir, daß dieser »Ehrenmord« an Frau Sürüncü »laut einer Studie des Bundeskriminalamtes kein Einzelfall« sei, sondern »einer von einem Dutzend Tötungsdelikten, die pro Jahr in Deutschland ›im Kontext patriarchalisch geprägter Familienverbände‹« stattfinden. Das ist schön gesagt. Und zwölf Morde pro Jahr in diesem »Kontext« – das wäre noch überschaubar.
Aber dann blättert man nach auf der politisch völlig unverdächtigen und sauber recherchierten Netzseite ehrenmord.de. Hier gibt es seit Aynurs Tod kein einziges Jahr, in dem nicht überdeutlich mehr als »ein Dutzend« Ehrenmorde verzeichnet sind. 2018 sollen es mindestens 39, 2017 sogar 56, 2016 insgesamt 41 gewesen sein. Und allesamt sind sie äußerst tragisch, heißt, sie hätten Filmpotential.
Und natürlich kommen die würgenden, schießenden, stechenden Täter allesamt aus exakt einem Kulturkreis: Verübt werden Ehrenmorde in Deutschland vor allem von Türken, Afghanen, Syrern und Irakern, aber auch andere islamische Länder der stellen jeweils ihr Koningent, und gemessen an der Größe der Ausländergruppen sind die Türken längst nicht die aggressivste Gruppe.
Insgesamt eben: ein rein islamisches Problem. Sherry Hormann kennt das unwürdige Dilemma und sagte dazu dem Deutschlandfunk:
Ich bin davon überzeugt, dass viele Leute sagen, ja, du spielst denen in die Hände. Nur, wenn ich keine Geschichten mehr erzählen darf in der Differenziertheit, Angst haben muss, dass ich jemandem in die Hände spiele, dann werde ich nur noch schweigen, und ich will nicht schweigen. Ich lebe in einer Demokratie, und es ist meine Verpflichtung, Stoffe dieser Art zu beleuchten.
Mehr muß eine Künstlerin nicht tun.