Parallelgesellschaft

PDF der Druckfassung aus Sezession 90/Juni 2019

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Nein, nein, es geht nicht um Carl Schmitt. Die Ähn­lich­keit mag frap­pie­rend sein, aber sie tut nichts zur Sache. Der, der hier rechts unten im Bild als CS-Look-ali­ke einen Juris­ten spielt, bleibt im Film namen­los und spielt eine sprach­lo­se Rol­le. Es geht um Hatun Sürücü, Ruf­na­me Aynur. Sie ist nicht im Bil­de. Sie ist tot. Ich erin­ne­re mich gut an die Nach­rich­ten über ihre Ermor­dung im Jah­re 2005. Es hat­te mich auf­ge­wühlt. Damals war Hatun / Aynur 23 Jah­re alt. Sie hät­te mei­ne klei­ne Schwes­ter sein kön­nen, der­sel­be Jahrgang.

Zu die­ser Zeit gab es auf der »Rech­ten« ein paar Leu­te, die mit dem Islam lieb­äu­gel­ten. Weil es dort kla­re Regeln und Rol­len gibt, Ent­schie­den­heit, Stren­ge, Pola­ri­tät statt anstren­gen­der Ambi­va­lenz, Ein­deu­tig­keit statt Licht und Schat­ten. Man­che sind tat­säch­lich dort hän­gen­ge­blie­ben. In vie­len isla­misch gepräg­ten Län­dern, ob Alba­ni­en, Tür­kei, Iran oder Kir­gi­stan pflegt man zudem eine groß­her­zi­ge Gast­freund­schaft gegen­über west­li­chen Besu­chern. Die­se Gemenge­la­ge mach­te und macht die Bot­schaft attrak­tiv, gera­de für hei­mat­lo­se Rechte.

Aynur nun: Sie muß­te ster­ben, weil sie der west­li­chen Deka­denz anheim­ge­fal­len war. Sie traf sich mit Jungs, leg­te ihr Kopf­tuch ab, lern­te Elek­tro­in­stal­la­teu­rin. Sie war ziem­lich nor­mal für deut­sche Ver­hält­nis­se. Aber, das weicht ab, sie leb­te nicht nur in deut­schen Ver­hält­nis­sen, son­dern in einer streng­gläu­bi­gen isla­mi­schen Fami­lie, deren Ehre sie mit ihrer Lebens­wei­se beschmutzte.

Dafür hat­te sie den Tod ver­dient – nach Auf­fas­sung derer, die wir hier in zwei­ter Rei­he lüm­meln oder in sich schau­en sehen. Es sind drei ihrer Brü­der. Sie­ben ihrer acht Geschwis­ter sind in Deutsch­land gebo­ren – von einer Mut­ter, die mit ihrem Mann in den sieb­zi­ger Jah­ren aus Ost­ana­to­li­en nach Ber­lin gezo­gen war, bei­de sun­ni­ti­sche, streng­gläu­bi­ge Kurden.

Aynur war die ers­te Toch­ter nach vier Söh­nen. Sie ging in Ber­lin zur Schu­le – frei­lich mit Kopf­tuch. Mit 16 wur­de sie zurück in die Tür­kei geschickt und dort mit ihrem Cou­sin ver­hei­ra­tet. 1999 wur­de sie schwan­ger. Ihr Mann schlug sie fort­wäh­rend. Aynur flüch­te­te zurück – kann man sagen, in »ihre Hei­mat«? Wenn ja, han­del­te es sich auch um das Hei­mat­land ihrer Brü­der Tarik (der bei der Bun­des­wehr dient), Sinan (der ein ech­ter Kotz­bro­cken ist) und Nuri (der sie erschie­ßen wird)?

Die Sache ist kom­pli­ziert. Man kann nicht sagen, die­se arro­gan­ten Frat­zen, die wir hier sehen, sei­en »nicht unser Pro­blem«. Natür­lich sind sie es. Aynurs ältes­ter Bru­der kommt übri­gens nicht vor; er ist dau­er­de­lin­quent und ver­bringt die meis­te Zeit im Gefäng­nis. Ein wei­te­rer Bru­der kommt vor, sitzt aber nicht auf der Ankla­ge­bank; er hat­te immer zu sei­ner Schwes­ter gehalten.

Kommt wo vor? Es geht hier um einen Film, den die Regis­seu­rin Sher­ry Hor­mann gedreht hat und der seit Mit­te Mai in deut­schen Kinos gezeigt wird: Nur eine Frau. Sher­ry Hor­mann, Jahr­gang 1960, gebo­ren in New York, 2009 mit dem Film Wüs­ten­blu­me über Frau­en­be­schnei­dun­gen im mus­li­mi­schen Afri­ka bekannt gewor­den, ist das, was man tough nennt: Sie ver­brämt nichts, sie – pro­du­ziert wur­de der Film übri­gens von San­dra Maisch­ber­ger, man stau­ne – geht ans Ein­ge­mach­te. (Hor­mann war übri­gens mit Domi­nik Graf und Micha­el Ball­haus ver­hei­ra­tet – dies als Fuß­no­te für Cine­as­ten.) Über Hor­manns neu­en mit Ori­gi­nal­auf­nah­men gespick­ten Film heißt es in den Main­stream­m­e­di­en (etwa bild.de), daß »Shoo­ting­star Almi­la Bagria­cik (4 Blocks) die Haupt­rol­le« spielt. Das wäre die unkri­ti­sche Les­art die­ses Films.

Shoo­ting­star – das ist wirk­lich eine gran­dio­se Wort­wahl! Almi­la / Aynur wird ja am Ende tat­säch­lich erschos­sen – von dem klei­nen Bru­der, den sie einst gewi­ckelt hat­te. Die kri­ti­sche­re (von den Intel­lek­tu­el­len­me­di­en rund­um gestell­te) Fra­ge an die Regis­seu­rin lau­tet selbst­ver­ständ­lich: »Was haben Sie getan, um sich vor dem Bei­fall von der fal­schen Sei­te zu schützen?«

Immer­hin wird in Hor­manns Film genau das gezeigt, was wir hier im Bil­de sehen: Drei selbst­ge­fäl­li­ge ori­en­ta­li­sche Typen sit­zen auf der Ankla­ge­bank. Sym­pa­thisch wirkt kei­ner der drei. Ver­bis­sen, hoch­mü­tig, prä­po­tent, stur, unbe­lehr­bar wir­ken sie. Von Demut oder Reue kei­ne Spur. Ist das über­zeich­net? Nein. Wer je an einem »Ehrenmord«-Prozeß teil­ge­nom­men hat (ein Wort übri­gens, daß bis 2005 sich nicht im deut­schen Sprach­ge­brauch fand), weiß, daß die­se Typen exakt so drauf sind.

Sie tre­ten nach, fei­xen in Rich­tung der Opfer­fa­mi­li­en, gebär­den sich unge­bro­chen. Sie geben die Zügel nicht aus der Hand, und nie­mand weiß, ob das bloß eine Pose ist. Man kann es nur ahnen. Ihre Glau­bens­ge­wiß­heit – und wir sehen im Film die isla­mi­sche Kate­che­se – ist uner­schüt­ter­lich. Die drei Bluts­brü­der hier mögen im Ver­gleich zu »Carl Schmitt« und Kol­le­gen wenig gebil­det und unge­schlif­fen sein.

Hier geht es aber nicht um Anwalts­ho­no­ra­re, Bescheid­wis­sen oder aka­de­mi­sche Gra­de – »Ehre« ist nur hier­zu­lan­de eine absei­ti­ge Kate­go­rie, nicht in der isla­mi­schen Iden­ti­tät. Die drei Ver­schwö­rer – wären sie je inte­grier­bar gewe­sen in unse­re papier­ne Grund­ge­setz­welt? – drin­gen in ein Vaku­um. Das Film­ma­ga­zin kinozeit.de betont: »Außer­dem ver­engt der dar­ge­stell­te Fall den Blick dar­auf, dass ›Ehren­mor­de‹ kein rein mus­li­mi­sches Pro­blem sind, son­dern auch in ande­ren reli­giö­sen wie gesell­schaft­li­chen Zusam­men­hän­gen geschehen.«

Also etli­che christ­li­che Ehren­mor­de dar­un­ter? Hat »nichts mit dem Islam zu tun?« Bei wiki­pe­dia lesen wir, daß die­ser »Ehren­mord« an Frau Sürün­cü »laut einer Stu­die des Bun­des­kri­mi­nal­am­tes kein Ein­zel­fall« sei, son­dern »einer von einem Dut­zend Tötungs­de­lik­ten, die pro Jahr in Deutsch­land ›im Kon­text patri­ar­cha­lisch gepräg­ter Fami­li­en­ver­bän­de‹« statt­fin­den. Das ist schön gesagt. Und zwölf Mor­de pro Jahr in die­sem »Kon­text« – das wäre noch überschaubar.

Aber dann blät­tert man nach auf der poli­tisch völ­lig unver­däch­ti­gen und sau­ber recher­chier­ten Netz­sei­te ehrenmord.de. Hier gibt es seit Aynurs Tod kein ein­zi­ges Jahr, in dem nicht über­deut­lich mehr als »ein Dut­zend« Ehren­mor­de ver­zeich­net sind. 2018 sol­len es min­des­tens 39, 2017 sogar 56, 2016 ins­ge­samt 41 gewe­sen sein. Und alle­samt sind sie äußerst tra­gisch, heißt, sie hät­ten Filmpotential.

Und natür­lich kom­men die wür­gen­den, schie­ßen­den, ste­chen­den Täter alle­samt aus exakt einem Kul­tur­kreis: Ver­übt wer­den Ehren­mor­de in Deutsch­land vor allem von Tür­ken, Afgha­nen, Syrern und Ira­kern, aber auch ande­re isla­mi­sche Län­der der stel­len jeweils ihr Konin­gent, und gemes­sen an der Grö­ße der Aus­län­der­grup­pen sind die Tür­ken längst nicht die aggres­sivs­te Gruppe.

Ins­ge­samt eben: ein rein isla­mi­sches Pro­blem. Sher­ry Hor­mann kennt das unwür­di­ge Dilem­ma und sag­te dazu dem Deutschlandfunk:

Ich bin davon über­zeugt, dass vie­le Leu­te sagen, ja, du spielst denen in die Hän­de. Nur, wenn ich kei­ne Geschich­ten mehr erzäh­len darf in der Dif­fe­ren­ziert­heit, Angst haben muss, dass ich jeman­dem in die Hän­de spie­le, dann wer­de ich nur noch schwei­gen, und ich will nicht schwei­gen. Ich lebe in einer Demo­kra­tie, und es ist mei­ne Ver­pflich­tung, Stof­fe die­ser Art zu beleuchten.

Mehr muß eine Künst­le­rin nicht tun.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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