Den stärksten und den drolligsten König haben sie vorzuweisen. Ihren Dialekt nachzuäffen gilt in ansonsten pointenresistenten Kreisen noch immer als preiswerter Schenkelklopfer. Sie wissen, daß Gold auch weiß sein kann. Sie hatten die am längsten ununterbrochen regierende deutsche Dynastie. Bezüglich des Kriegshandwerks wären sie in den letzten Jahrhunderten besser damit gefahren, sich auf den Ausbau ihrer Prunkwaffensammlungen zu beschränken.
Vor knapp 170 Jahren konnten sie die weltweit größte Ziegelbrücke einweihen, fünf Jahre Bauzeit. Böse Zungen behaupten, ihre Landeshauptstadt wäre auch Hauptstadt der zweiten deutschen Diktatur geworden, gäbe es dort nicht einen Zwinger, in welchem die Einwohner die nur mäßig gelittene Staatsführung dann gern eingeschlossen hätten. Und, aber das ist eine relativ neue Entwicklung, sie bringen ihren Unmut durchaus zum Ausdruck, wenn ihnen Verordnetes unverständlich ist und offiziell Verlautbartes nicht mit dem übereinstimmt, was sie selbst erleben. Genau, von den Sachsen ist die Rede.
Am 3. Oktober 1990 fand nicht nur die deutsche Wiedervereinigung statt. An diesem Tag wurde zugleich auf der Albrechtsburg in Meißen das Land Sachsen wiedergegründet. Zumindest offiziell, also amtlich »wieder« gegründet, es war schließlich nicht verschwunden. Daß die Wahl für den auch symbolträchtigen Akt auf diesen Ort fiel, erklärt sich recht einfach mit der Bedeutung Meißens als Fixpunkt der sächsischen Geschichte, zumal ihrer mittelalterlichen Anfänge.
Fixpunkte hat die sächsische Geschichte eine ganze Reihe zu bieten und die – kaum eindeutig beantwortbare – Frage nach deren Anfängen wäre ein erstes Stichwort. Da sind die Sachsenkriege Karls des Großen, die Ottonen, die im 10. Jahrhundert sächsische Könige und Kaiser waren, und da ist der Welfe Heinrich der Löwe, bis 1180 Herzog von Sachsen. Geographisch spielte sich die sächsische Geschichte des Mittelalters jedoch vor allem im gegenwärtigen Niedersachen und Sachsen-Anhalt ab.
1089 ist eine der Zahlen, die für den Rückblick aus dem heutigen Sachsen als konstitutiv für die Frühzeit gilt. In diesem Jahr wurde ein Wettiner, Heinrich I., mit der Markgrafschaft Meißen belehnt. Die um 965 gegründete Mark Meißen vergrößerte sich. Bis zum Beginn des 13. Jahrhunderts entstanden etwa die Städte Freiberg, Leipzig und Dresden.
Genaue Gründungsdaten aus dieser Zeit sind naturgemäß schwierig zu bestimmen und umstritten. So gab es Stadtrecht und Marktprivilegien für Leipzig zwar erst 1165, aber da man gern Jubiläen feiert, kam der Stadt die Ersterwähnung in der Chronik des Thietmar von Merseburg 1015 zupaß. Also konnte man unlängst auf 1000 Jahre anstoßen. Neusiedler aus anderen deutschen Gebieten kamen in das meißnische Gefilde oder wurden »geworben«.
Hier sind auch die Wurzeln des freien Bauernstandes zu verorten, Leibeigenschaft war in Sachsen unbekannt. Die ursprünglich aus dem Böhmischen eingewanderten Sorben wurden christianisiert. Die Markgrafschaft Meißen profitierte stark von den erzgebirgischen Silbervorkommen, erste Funde sind 1168 belegt. Wo Geld ist, ist dann auch Platz für Kultur. Markgraf Heinrich der Erlauchte, der bis 1288 lebte, empfing Minnesänger und sang selber gerne mit.
Der Naumburger Dom ist nur eines der Bauzeugnisse, die zeigen, daß es um den Wohlstand dieser Zeit nicht allzu schlecht bestellt gewesen sein konnte, und um den Geschmack mit Sicherheit auch nicht. Erbstreitigkeiten der Wettiner hätte der König gern genutzt, um die inzwischen recht mächtige Mark Meißen für sich zurückzuholen.
Mit viel Glück konnten aber die Wettiner die Schlacht bei Lucka 1307 zu ihren Gunsten entscheiden. Hinzu kamen dann die Städte Zwickau und Chemnitz. Und die große Bildung wurde ein Jahrhundert später schließlich in Gang gesetzt, wenn auch via Einmarsch. Lehrkräfte und Studenten aus Prag monierten, daß das Kuttenberger Dekret die Böhmen in den nach »Nationes« abstimmenden Gremien eindeutig bevorzugte.
Sie zogen aus und gründeten 1409 die Leipziger Universität. Bislang ist von der Markgrafschaft Meißen die Rede. Und Sachsen? Das kommt sozusagen 1423 hinzu. In der Golden Bulle von 1356 war festgelegt, daß Sachsen eine von sieben Kurstimmen erhielt. Als Albrecht der Arme, Herzog von Sachsen-Wittenberg, aus dem Geschlecht der Askanier kinderlos starb, belohnte König Sigismund Markgraf Friedrich den Streitbaren von Meißen für dessen Unterstützung im Kampf gegen die Hussiten mit der Übertragung des Herzogtums inklusive Kurwürde.
Ein weiteres folgenschweres Datum liegt noch im selben Jahrhundert. 1485 erfolgte die »Leipziger Teilung« durch die Brüder Ernst und Albrecht. Die Söhne des Kurfürsten Friedrichs des Sanftmütigen waren als Jugendliche durch Ritter Kunz von Kauffungen entführt worden. Der fühlte sich durch den Herzog ungerecht behandelt und griff daher zu dieser drastischen Maßnahme. Das Ganze ist als »Altenburger Prinzenraub« von 1455 bekannt.
Die historische Relevanz des Ereignisses liegt bei ziemlich genau null, bot sich aber für literarische Verarbeitungen an, wovon auch reichlich Gebrauch gemacht wurde. Zurück zum Wesentlichen. In Folge der Teilung von 1485 entstanden die Ernestinische und die Albertinische Linie. Als Begründer der Letzteren residierte Albrecht der Beherzte in Dresden, Ernst, dem die Geschichte keinen der schönen Beinamen zugedacht hat, in Wittenberg. Die Liste der vorzeigbaren militärischen Leistungen der Sachsen ist eher kurz, aber kein ganz weißes Blatt.
So sei erwähnt, daß Albrecht der Beherzte 1488 den späteren Kaiser Maximilian I. aus der Gefangenschaft befreite, als er in der Stadt Brügge festgesetzt war. Die Kurwürde war bei den Ernestinern verblieben. Von diesen spielte Friedrich der Weise noch einmal eine bedeutende Rolle. Seine Residenzstadt Wittenberg entwickelte sich zum Zentrum der Reformation.
Er war es auch, der Martin Luther schützte. Nachdem über diesen die Reichsacht verhängt worden war, ließ ihn der Kurfürst auf die Wartburg bringen, wo er Zeit hatte, die Bibel zu übersetzen und nebenbei Wesentliches für die deutsche Sprache zu leisten. Auf dem Totenbett ist Friedrich der Weise, der auch eine monströse Reliquiensammlung besaß, zum Protestantismus übergetreten. Die Albertiner hielten es dagegen konsequent mit dem Papst, was sich erst nach dem Tod Georgs des Bärtigen im Jahr 1539 änderte.
Der Albertiner Moritz von Sachsen, aus gutem Grund auch bekannt als »Judas von Meißen«, da er sich vom Kaiser aus dem protestantischen Schmalkaldischen Bund hatte abwerben lassen, siegte in der Schlacht bei Mühlberg 1547 über seinen Ernestinischen Vetter. Kaiserliche Belohnung für Moritz, der sich dann wieder gegen den Kaiser stellen sollte, war die Kurwürde. Die Ernestiner verloren einen Teil ihres Gebietes. Deren Herrschaftsbereich, der sich dann nur noch im Thüringer Raum befand, zersplitterte. Die Vielzahl der Fürstentümer und Gebietswechsel zeichnet sich nicht gerade durch sonderliche Übersichtlichkeit aus.
Im Albertinischen Teil stabilisierte sich das, was in der Folge Sachsen war und bis heute ist. Im Rückblick gilt die Teilung des sächsischen Gebiets im Jahr 1485 in politischer Hinsicht als immenser Fehler, das Machtpotential eines geeinten sächsischen Territoriums hätte innerhalb des Reiches oder gar Europas ein wesentlich höheres Gewicht gehabt. Die Reformation und mehr oder weniger daraus resultierende Schlachtfelder prägten zwar das sächsische 16. Jahrhundert, aber es war auch Zeit für anderes. 1507 erhielt Leipzig ein kaiserliches Messeprivileg und stieg damit weiter zur Handelsmetropole auf.
1521 wurde mit der »Albrechtsburg« in Meißen der erste Schloßbau Deutschlands vollendet. Landesschulen, etwa Pforta, wurden gegründet, Georg Bartisch begründete mit seinem Werk »Augendienst« in Dresden die Augenheilkunde. Und »Vater August«, der jüngere Bruder von Moritz und dessen Nachfolger als Kurfürst von Sachsen, förderte den Bergbau.
Wenig väterlich verhielt er sich gegenüber dem Ernestiner, den er in kaiserlichem Auftrag gefangen setzte, da dieser sich mittels Bündnisschmiede gegen den Habsburger die Rückgewinnung der Kurwürde erhofft hatte. Aber da wären wir schon wieder beim Krieg. Der kam auch, und zwar in Gestalt des Dreißigjährigen. (Zuvor, 1615, gab es noch eine Wegmarke in puncto Kultur: Heinrich Schütz wurde als Hofkapellmeister nach Dresden berufen, was als Beginn einer eigenständigen deutschen Barockmusik gilt.)
Zwischen 1618 und 1648 war der sächsische Kurfürst bemüht, geschickt zu lavieren – mit nahezu maximalem Mißerfolg. Erst war er neutral, dann auf Seiten des Kaisers und auf Gewinn aus, dann lief er verlustängstlich zu den gerade siegreichen Protestanten – zu denen er konfessionell ja ohnehin gehört hätte – über, und schließlich war er wieder beim Kaiser.
1635 wurde der Friede von Prag geschlossen, mit abermaliger Festschreibung der sächsischen Neutralität. Praktische Folge war dennoch, daß Sachsen Kampfaustragungs- und Plünderungsort für beide Seiten wurde. Ein großer Soldat war er auch nicht, der wohl bekannteste sächsische Kurfürst.
August dem Starken fiel das Erbe nach dem überraschenden Tod seines Bruders 1694 zu. 1697 wurde er als August II. zusätzlich König von Polen, eines Landes, welches deutlich größer war als Sachsen und außerhalb des Reiches liegen mußte: In den dem Kaiser unterstehenden Gebieten konnte niemand König werden, und das war schließlich das Wichtigste bei der Sache.
Die Königskrone war gekauft, in Polen wurde der König gewählt. Im Schlachtenunglück ging sie dann allerdings nochmal verloren, bevor sie 1709 zumindest für August den Starken endgültig in Besitz genommen werden konnte. Ein Jahr später gab er die Gründung der Porzellanmanufaktur bekannt. Produziert wurde in Meißen. Maßgeblich »erfunden« hatte das Porzellan Johann Friedrich Böttger, der zunächst verkündet hatte, Gold herstellen zu können.
Um dies voranzutreiben, wurde er sicherheitshalber eingesperrt, und auch, nachdem er immerhin das »weiße Gold« herstellen konnte, nicht wieder freigelassen. Seinem Beinamen machte August der Starke wohl tatsächlich Ehre, obwohl allein mit Körperkraft verbogene Hufeisen schwer vorstellbar sind. Was die Damenwelt anbetrifft, war er kein Kostverächter, seine zeitweilige Favoritin, die ungewöhnlicherweise politisch ehrgeizige Gräfin Cosel, brachte ihn in solche Schwierigkeiten, daß sie auf seinen Befehl schließlich auf der Burg Stolpen inhaftiert wurde.
Repräsentationsfreude zeigte sich beispielsweise am durch die Baumeister Matthäus Daniel Pöppelmann und Balthasar Permoser errichteten Dresdner Zwinger. Oder am Grünen Gewölbe, der Schatzkammer, die seit 1724 zur Besichtigung für die Öffentlichkeit zugänglich war. August der Starke führte allerdings auch, noch vor den Preußen, ein »Geheimes Kabinett« als staatliche Zentralbehörde ein, und zwar im Jahr 1706.
Sein Sohn, Kurfürst Friedrich August II. von Sachsen, der 1733 die Nachfolge angetreten hatte und für den die polnische Krone ebenfalls gekauft wurde, verlegte sich vollends auf ein Dasein als Kunstsammler, ‑förderer, ‑initiator und Jäger. Die Dresdner Frauenkirche wurde fertiggestellt, Raffaels »Sixtinische Madonna« kaufte er an. In seiner Zeit wirkte Johann Sebastian Bach als Thomaskantor in Leipzig.
Das Regieren war völlig dem Minister Heinrich von Brühl überlassen, nicht unbedingt zum Segen des Landes. Antipreußische Ambitionen und die Annäherung an die Habsburger hatten zur Folge, daß Sachsen auch im Siebenjährigen Krieg auf der Verliererseite stand. 1763 endeten die Auseinandersetzungen, die Sachsen verloren die polnische Königskrone, für die sie extra wieder katholisch geworden waren.
Und es endete die kulturelle Blüte des Augusteischen Zeitalters, die Zeit Augusts des Starken, der sich sogar Hoffnungen auf die Kaiserkrone gemacht hatte, und seines Sohnes. Auf der Verliererseite stand Sachsen übrigens auch sprachlich. Galt »Meißner Kanzleideutsch« und die sächsische Grammatik einst als maßgeblich und orientierte sich die Aussprache des Deutschen am sächsischen Dialekt, so ging mit dem politischen Bedeutungsverlust auch die Verschiebung der bestimmenden Aussprache einher.
Nach dem Ende des Krieges erfolgte ein bemerkenswert schneller Wiederaufschwung, das sogenannte Rétablissement. Um 1800 stand Dresden in der Kunstwelt in höchstem Ansehen. Sachsen stieg zum Industriezentrum auf, Manufakturen, insbesondere die Textilproduktion wurden bestimmend. Chemnitz bezeichnete man mitunter als »sächsisches Manchester« – ein ähnlich unsinniges Attribut wie »Elbflorenz« für Dresden oder »Pleißathen« für das universitär-aufklärerische Leipzig.
Der Krieg gegen Napoleons Truppen gab abermals Gelegenheit, auf der falschen Seite zu stehen, so geschehen 1806 in der Schlacht bei Jena und Auerstedt, die gemeinsam mit Preußen verloren wurde. Sachsen kam zum Rheinbund. Das alte Reich wurde aufgelöst. Daher war es nun möglich, König von Sachsen zu werden, wenn auch von Napoleons Gnaden.
Der vormalige Kurfürst Friedrich August III. wurde es als Friedrich August I. Obwohl die Wettiner später den Königsrang behielten, fühlten sie sich wahrscheinlich so wohl nicht bei dem Ganzen. Eine sächsische Königskrone gab es nie. Und selbst in der Völkerschlacht bei Leipzig, mit über einer halben Million Beteiligter die bis dahin größte Schlacht der Weltgeschichte, stand der – sich an den Kampftagen mehr oder weniger in der Stadt versteckende – sächsische König auf der Verliererseite. Das war dieses Mal die französische.
Der Wiener Kongreß hätte um ein Haar das Ende Sachsens bedeutet. Preußen wollte es gern ganz nehmen, da die anderen verhandelnden Staaten daran kein Interesse hatten, verblieben Sachsen am Ende noch etwa vierzig Prozent seines Vorkriegsstaatsgebietes. 1831 wurde eine revolutionär durchgesetzte Verfassung installiert. Der Staatsmann Bernhard von Lindenau fungierte als Vorsitzender des Gesamtministeriums, der Monarch war nunmehr nur noch konstitutionell.
Barrikaden wurden zwei Jahrzehnte später noch einmal gebaut, die Aufstände erlebten in Sachsen 1849 ihren Höhepunkt. Eifrig beteiligt waren auch der Komponist Richard Wagner und der Architekt Gottfried Semper. Friedrich Ferdinand von Beust, unter anderem langjähriger Außenminister und alles andere als ein Revolutionär, war ein vehementer Vertreter der Idee einer Zusammenarbeit Sachsens mit anderen deutschen Mittelstaaten, um gemeinsam ein Gegengewicht zu Preußen und Österreich zu bilden: Geworden ist daraus nichts.
1866 war Sachsen im Deutschen Krieg an der Seite Österreichs abermals einer der Mitverlierer. Der wirtschaftliche Aufschwung hatte sich fortgesetzt. Die Eisenbahn war ein großes Thema. Initiiert durch Friedrich List, fuhr sie seit 1839 zwischen Leipzig und Dresden. 1851 wurde, ebenfalls für den Eisenbahnverkehr, die monumentale Göltzschtalbrücke eigeweiht. Und noch als Prinz übersetzte der nachmalige König Johann Dantes Göttliche Komödie.
Für beschauliche Erholung steht der 1864 in Leipzig gegründete »Schreberverein«, der sich um das Kleingartenwesen verdient machte. Für politische Aufregungen sorgte der im Jahr zuvor ebenfalls in Leipzig durch Ferdinand Lassalle gegründete »Allgemeine Deutsche Arbeiterverein«. Sachsen wurde als »rotes Königreich« bekannt, mit ausgeprägt starker Sozialdemokratie und entsprechenden Stimmenverhältnissen.
In Mandaten spiegelte sich das nicht wider, ein gegen die SPD gerichtetes, restriktives Wahlrecht wurde geschaffen. Der sächsische Erfolgsschriftsteller Karl May hatte derweil die Indianer ganz gut beschrieben, ohne sie jemals selbst gesehen zu haben. In der Bildenden Kunst gab der Symbolist Max Klinger den Ton an.
1912 wurde die Deutsche Bücherei als »Archiv des deutschsprachigen Schrifttums« gegründet – in Leipzig als dem deutschen Verlags- und Buchhandelszentrum. In Zwickau gründete August Horch seine Automobilwerke. In Sachsen, das um 1900 die höchste Bevölkerungsdichte Europas vorzuweisen hatte, ging mit dem Ende des Ersten Weltkrieges 1918 – über verlorene Kriege wurde bereits alles gesagt – die Herrschaftszeit der am längsten durchgängig regierenden Dynastie in Deutschland, der Wettiner, zu Ende: 829 Jahre.
Mit König Friedrich August III. dankte zugleich einer der volkstümlichsten und anekdotenträchtigsten Monarchen der Geschichte ab. Berühmt sind seine – natürlich im von ihm gepflegten sächsischen Idiom vorgebrachten – Worte: »Macht doch Euren Dreck alleine!« Geklärt ist zwar inzwischen, daß er gerade diesen Satz wohl nicht gesagt hat. Geklärt ist ebenso, daß ihn kaum ein von ihm geäußerter Satz besser charakterisieren würde. Sachsen wurde Freistaat, man trauerte dem König nach, wählte aber sozialdemokratisch.
Als Erich Zeigner 1923 als SPD-Ministerpräsident Kommunisten in sein Kabinett aufnahm und die KPD einen bewaffneten »roten Oktober« vorbereitete, wurde er durch Kanzler Stresemann via Reichsexekution abgesetzt. Von der 1929 ausbrechenden Weltwirtschaftskrise war Sachsen stärker als andere Regionen betroffen. Die Zeit zwischen 1933 und 1945 brachte einerseits Figuren wie den Gauleiter und Ministerpräsidenten Martin Mutschmann hervor.
Auf der anderen Seite stand Carl Goerdeler, der im Falle eines Gelingens des Staatstreichs vom 20. Juli 1944 Reichskanzler werden sollte. Er war von 1930 bis 1937 Oberbürgermeister von Leipzig. Aus Dresden stammten der unmittelbar am Attentat beteiligte Friedrich Olbricht sowie Hans Oster, der innerhalb des militärischen Geheimdienstes maßgeblich den Widerstand koordinierte.
Alle wurden vor Kriegsende hingerichtet. Mit dem Angriff auf Leipzig am 4. Dezember 1943 erreichten die alliierten Bombardierungen Sachsen. Symbolträchtiger Höhepunkt war der Angriff auf Dresden am 13. Februar 1945 sowie an den Folgetagen mit der Zerstörung der Barockstadt und einer Anzahl von Todesopfern, die bis heute Gegenstand von Debatten ist, wobei eine niedrigere Opferzahl das Geschehen kaum in ein besseres Licht rücken würde als eine höhere.
Das 1945 gebildete Land Sachsen zerschlug die DDR 1952, wie auch die anderen historischen Länder, zu Bezirken. Chemnitz erhielt den Namen Karl-Marx-Stadt. Der Aufstand des 17. Juni 1953, der auch auf Sachsen übergriff, richtete sich nicht zuletzt gegen einen gebürtigen Sachsen – Walter Ulbricht. Vor allem angesichts der in der DDR offiziell gewünschten Verhältnisse erstaunt die relativ schnell einsetzende Traditionspflege bezüglich der sächsischen Geschichte.
1956 wurde das aus Schutzgründen im Krieg abgebaute Reiterstandbild Augusts des Starken in Dresden wieder aufgestellt. An die wettinischen Fürsten erinnerte man auch anderweitig, gegenwärtig waren sie immer durch den »Dresdner Fürstenzug«, ein über 100 Meter langes Porzellanwandbild, natürlich Meißner, welches die meisten sächsischen Herrscher zeigt und den Luftangriff von 1945 relativ gut überstanden hatte.
Identitätsvergewisserung zeigte sich vielfach, etwa wenn erzgebirgische Bergparaden sächsische Fahnen mitführten, an der Pflege von Bräuchen oder an Heimatvereinen. Für die 1980er Jahre wird sogar von einer regelrechten »Sachsenrenaissance« gesprochen.
Hierher gehört wohl auch die aufwendige und vielfach ausgestrahlte Fernsehproduktion Sachsens Glanz und Preußens Gloria. Die Verfilmung mehrerer historischer Romane war ideologisch erstaunlich schwach angehaucht und vermittelt, trotz fiktiver Elemente, ein passables Bild des Augusteischen Zeitalters.
1989 war es Sachsen, insbesondere Leipzig, wo sich die Proteste und Demonstrationen gegen die DDR-Führung massierten. Der entscheidende Tag war der 9. Oktober mit mindestens 70 000 Demonstranten in der Leipziger Innenstadt. Die überraschende Vielzahl war wesentlicher Grund dafür, daß das Eingreifen der Staatsmacht unterblieb.
Politisch wechselte das einstmals »rote Sachsen« nach der Wiedergründung 1990 die Farbe. Beherrschend wurde die CDU, wobei der zugereiste Kurt Biedenkopf, der für zwölf Jahre Ministerpräsident werden sollte, als Person durchaus vorhandene Wünsche nach einer starken personalen Mitte befriedigte.
Dies war auch deutlich am Rückgang der Ergebnisse seiner Partei erkennbar, nachdem er nicht mehr zur Wahl stand. Politisch zeigt das Land parlamentarisch und außerparlamentarisch in der jüngsten Vergangenheit, daß es noch immer Potential hat, eigene Weg zu gehen und auf eigene Weise die sächsische Geschichte auch als eine besondere Geschichte fortzuschreiben.