Eine recht hübsche Geschichte haben sie auch

von Erik Lommatzsch
PDF der Druckfassung aus Sezession 90/Juni 2019

Den stärks­ten und den drol­ligs­ten König haben sie vor­zu­wei­sen. Ihren Dia­lekt nach­zu­äf­fen gilt in ansons­ten poin­ten­re­sis­ten­ten Krei­sen noch immer als preis­wer­ter Schen­kel­klop­fer. Sie wis­sen, daß Gold auch weiß sein kann. Sie hat­ten die am längs­ten unun­ter­bro­chen regie­ren­de deut­sche Dynas­tie. Bezüg­lich des Kriegs­hand­werks wären sie in den letz­ten Jahr­hun­der­ten bes­ser damit gefah­ren, sich auf den Aus­bau ihrer Prunk­waf­fen­samm­lun­gen zu beschränken.

Vor knapp 170 Jah­ren konn­ten sie die welt­weit größ­te Zie­gel­brü­cke ein­wei­hen, fünf Jah­re Bau­zeit. Böse Zun­gen behaup­ten, ihre Lan­des­haupt­stadt wäre auch Haupt­stadt der zwei­ten deut­schen Dik­ta­tur gewor­den, gäbe es dort nicht einen Zwin­ger, in wel­chem die Ein­woh­ner die nur mäßig gelit­te­ne Staats­füh­rung dann gern ein­ge­schlos­sen hät­ten. Und, aber das ist eine rela­tiv neue Ent­wick­lung, sie brin­gen ihren Unmut durch­aus zum Aus­druck, wenn ihnen Ver­ord­ne­tes unver­ständ­lich ist und offi­zi­ell Ver­laut­bar­tes nicht mit dem über­ein­stimmt, was sie selbst erle­ben. Genau, von den Sach­sen ist die Rede.

Am 3. Okto­ber 1990 fand nicht nur die deut­sche Wie­der­ver­ei­ni­gung statt. An die­sem Tag wur­de zugleich auf der Albrechts­burg in Mei­ßen das Land Sach­sen wie­der­ge­grün­det. Zumin­dest offi­zi­ell, also amt­lich »wie­der« gegrün­det, es war schließ­lich nicht ver­schwun­den. Daß die Wahl für den auch sym­bol­träch­ti­gen Akt auf die­sen Ort fiel, erklärt sich recht ein­fach mit der Bedeu­tung Mei­ßens als Fix­punkt der säch­si­schen Geschich­te, zumal ihrer mit­tel­al­ter­li­chen Anfänge.

Fix­punk­te hat die säch­si­sche Geschich­te eine gan­ze Rei­he zu bie­ten und die – kaum ein­deu­tig beant­wort­ba­re – Fra­ge nach deren Anfän­gen wäre ein ers­tes Stich­wort. Da sind die Sach­sen­krie­ge Karls des Gro­ßen, die Otto­nen, die im 10. Jahr­hun­dert säch­si­sche Köni­ge und Kai­ser waren, und da ist der Wel­fe Hein­rich der Löwe, bis 1180 Her­zog von Sach­sen. Geo­gra­phisch spiel­te sich die säch­si­sche Geschich­te des Mit­tel­al­ters jedoch vor allem im gegen­wär­ti­gen Nie­der­sa­chen und Sach­sen-Anhalt ab.

1089 ist eine der Zah­len, die für den Rück­blick aus dem heu­ti­gen Sach­sen als kon­sti­tu­tiv für die Früh­zeit gilt. In die­sem Jahr wur­de ein Wet­ti­ner, Hein­rich I., mit der Mark­graf­schaft Mei­ßen belehnt. Die um 965 gegrün­de­te Mark Mei­ßen ver­grö­ßer­te sich. Bis zum Beginn des 13. Jahr­hun­derts ent­stan­den etwa die Städ­te Frei­berg, Leip­zig und Dresden.

Genaue Grün­dungs­da­ten aus die­ser Zeit sind natur­ge­mäß schwie­rig zu bestim­men und umstrit­ten. So gab es Stadt­recht und Markt­pri­vi­le­gi­en für Leip­zig zwar erst 1165, aber da man gern Jubi­lä­en fei­ert, kam der Stadt die Erst­erwäh­nung in der Chro­nik des Thiet­mar von Mer­se­burg 1015 zupaß. Also konn­te man unlängst auf 1000 Jah­re ansto­ßen. Neu­sied­ler aus ande­ren deut­schen Gebie­ten kamen in das meiß­ni­sche Gefil­de oder wur­den »gewor­ben«.

Hier sind auch die Wur­zeln des frei­en Bau­ern­stan­des zu ver­or­ten, Leib­ei­gen­schaft war in Sach­sen unbe­kannt. Die ursprüng­lich aus dem Böh­mi­schen ein­ge­wan­der­ten Sor­ben wur­den chris­tia­ni­siert. Die Mark­graf­schaft Mei­ßen pro­fi­tier­te stark von den erz­ge­bir­gi­schen Sil­ber­vor­kom­men, ers­te Fun­de sind 1168 belegt. Wo Geld ist, ist dann auch Platz für Kul­tur. Mark­graf Hein­rich der Erlauch­te, der bis 1288 leb­te, emp­fing Min­ne­sän­ger und sang sel­ber ger­ne mit.

Der Naum­bur­ger Dom ist nur eines der Bau­zeug­nis­se, die zei­gen, daß es um den Wohl­stand die­ser Zeit nicht all­zu schlecht bestellt gewe­sen sein konn­te, und um den Geschmack mit Sicher­heit auch nicht. Erb­strei­tig­kei­ten der Wet­ti­ner hät­te der König gern genutzt, um die inzwi­schen recht mäch­ti­ge Mark Mei­ßen für sich zurückzuholen.

Mit viel Glück konn­ten aber die Wet­ti­ner die Schlacht bei Lucka 1307 zu ihren Guns­ten ent­schei­den. Hin­zu kamen dann die Städ­te Zwi­ckau und Chem­nitz. Und die gro­ße Bil­dung wur­de ein Jahr­hun­dert spä­ter schließ­lich in Gang gesetzt, wenn auch via Ein­marsch. Lehr­kräf­te und Stu­den­ten aus Prag monier­ten, daß das Kut­ten­ber­ger Dekret die Böh­men in den nach »Natio­nes« abstim­men­den Gre­mi­en ein­deu­tig bevorzugte.

Sie zogen aus und grün­de­ten 1409 die Leip­zi­ger Uni­ver­si­tät. Bis­lang ist von der Mark­graf­schaft Mei­ßen die Rede. Und Sach­sen? Das kommt sozu­sa­gen 1423 hin­zu. In der Gol­den Bul­le von 1356 war fest­ge­legt, daß Sach­sen eine von sie­ben Kur­stim­men erhielt. Als Albrecht der Arme, Her­zog von Sach­sen-Wit­ten­berg, aus dem Geschlecht der Aska­ni­er kin­der­los starb, belohn­te König Sigis­mund Mark­graf Fried­rich den Streit­ba­ren von Mei­ßen für des­sen Unter­stüt­zung im Kampf gegen die Hus­si­ten mit der Über­tra­gung des Her­zog­tums inklu­si­ve Kurwürde.

Ein wei­te­res fol­gen­schwe­res Datum liegt noch im sel­ben Jahr­hun­dert. 1485 erfolg­te die »Leip­zi­ger Tei­lung« durch die Brü­der Ernst und Albrecht. Die Söh­ne des Kur­fürs­ten Fried­richs des Sanft­mü­ti­gen waren als Jugend­li­che durch Rit­ter Kunz von Kauf­fun­gen ent­führt wor­den. Der fühl­te sich durch den Her­zog unge­recht behan­delt und griff daher zu die­ser dras­ti­schen Maß­nah­me. Das Gan­ze ist als »Alten­bur­ger Prin­zen­raub« von 1455 bekannt.

Die his­to­ri­sche Rele­vanz des Ereig­nis­ses liegt bei ziem­lich genau null, bot sich aber für lite­ra­ri­sche Ver­ar­bei­tun­gen an, wovon auch reich­lich Gebrauch gemacht wur­de. Zurück zum Wesent­li­chen. In Fol­ge der Tei­lung von 1485 ent­stan­den die Ernes­ti­ni­sche und die Alber­ti­ni­sche Linie. Als Begrün­der der Letz­te­ren resi­dier­te Albrecht der Beherz­te in Dres­den, Ernst, dem die Geschich­te kei­nen der schö­nen Bei­na­men zuge­dacht hat, in Wit­ten­berg. Die Lis­te der vor­zeig­ba­ren mili­tä­ri­schen Leis­tun­gen der Sach­sen ist eher kurz, aber kein ganz wei­ßes Blatt.

So sei erwähnt, daß Albrecht der Beherz­te 1488 den spä­te­ren Kai­ser Maxi­mi­li­an I. aus der Gefan­gen­schaft befrei­te, als er in der Stadt Brüg­ge fest­ge­setzt war. Die Kur­wür­de war bei den Ernes­ti­nern ver­blie­ben. Von die­sen spiel­te Fried­rich der Wei­se noch ein­mal eine bedeu­ten­de Rol­le. Sei­ne Resi­denz­stadt Wit­ten­berg ent­wi­ckel­te sich zum Zen­trum der Reformation.

Er war es auch, der Mar­tin Luther schütz­te. Nach­dem über die­sen die Reichs­acht ver­hängt wor­den war, ließ ihn der Kur­fürst auf die Wart­burg brin­gen, wo er Zeit hat­te, die Bibel zu über­set­zen und neben­bei Wesent­li­ches für die deut­sche Spra­che zu leis­ten. Auf dem Toten­bett ist Fried­rich der Wei­se, der auch eine mons­trö­se Reli­qui­en­samm­lung besaß, zum Pro­tes­tan­tis­mus über­ge­tre­ten. Die Alber­ti­ner hiel­ten es dage­gen kon­se­quent mit dem Papst, was sich erst nach dem Tod Georgs des Bär­ti­gen im Jahr 1539 änderte.

Der Alber­ti­ner Moritz von Sach­sen, aus gutem Grund auch bekannt als »Judas von Mei­ßen«, da er sich vom Kai­ser aus dem pro­tes­tan­ti­schen Schmal­kal­di­schen Bund hat­te abwer­ben las­sen, sieg­te in der Schlacht bei Mühl­berg 1547 über sei­nen Ernes­ti­ni­schen Vet­ter. Kai­ser­li­che Beloh­nung für Moritz, der sich dann wie­der gegen den Kai­ser stel­len soll­te, war die Kur­wür­de. Die Ernes­ti­ner ver­lo­ren einen Teil ihres Gebie­tes. Deren Herr­schafts­be­reich, der sich dann nur noch im Thü­rin­ger Raum befand, zer­split­ter­te. Die Viel­zahl der Fürs­ten­tü­mer und Gebiets­wech­sel zeich­net sich nicht gera­de durch son­der­li­che Über­sicht­lich­keit aus.

Im Alber­ti­ni­schen Teil sta­bi­li­sier­te sich das, was in der Fol­ge Sach­sen war und bis heu­te ist. Im Rück­blick gilt die Tei­lung des säch­si­schen Gebiets im Jahr 1485 in poli­ti­scher Hin­sicht als immenser Feh­ler, das Macht­po­ten­ti­al eines geein­ten säch­si­schen Ter­ri­to­ri­ums hät­te inner­halb des Rei­ches oder gar Euro­pas ein wesent­lich höhe­res Gewicht gehabt. Die Refor­ma­ti­on und mehr oder weni­ger dar­aus resul­tie­ren­de Schlacht­fel­der präg­ten zwar das säch­si­sche 16. Jahr­hun­dert, aber es war auch Zeit für ande­res. 1507 erhielt Leip­zig ein kai­ser­li­ches Mes­se­pri­vi­leg und stieg damit wei­ter zur Han­dels­me­tro­po­le auf.

1521 wur­de mit der »Albrechts­burg« in Mei­ßen der ers­te Schloß­bau Deutsch­lands voll­endet. Lan­des­schu­len, etwa Pfor­ta, wur­den gegrün­det, Georg Bar­tisch begrün­de­te mit sei­nem Werk »Augen­dienst« in Dres­den die Augen­heil­kun­de. Und »Vater August«, der jün­ge­re Bru­der von Moritz und des­sen Nach­fol­ger als Kur­fürst von Sach­sen, för­der­te den Bergbau.

Wenig väter­lich ver­hielt er sich gegen­über dem Ernes­ti­ner, den er in kai­ser­li­chem Auf­trag gefan­gen setz­te, da die­ser sich mit­tels Bünd­nis­schmie­de gegen den Habs­bur­ger die Rück­ge­win­nung der Kur­wür­de erhofft hat­te. Aber da wären wir schon wie­der beim Krieg. Der kam auch, und zwar in Gestalt des Drei­ßig­jäh­ri­gen. (Zuvor, 1615, gab es noch eine Weg­mar­ke in punc­to Kul­tur: Hein­rich Schütz wur­de als Hof­ka­pell­meis­ter nach Dres­den beru­fen, was als Beginn einer eigen­stän­di­gen deut­schen Barock­mu­sik gilt.)

Zwi­schen 1618 und 1648 war der säch­si­sche Kur­fürst bemüht, geschickt zu lavie­ren – mit nahe­zu maxi­ma­lem Miß­er­folg. Erst war er neu­tral, dann auf Sei­ten des Kai­sers und auf Gewinn aus, dann lief er ver­lust­ängst­lich zu den gera­de sieg­rei­chen Pro­tes­tan­ten – zu denen er kon­fes­sio­nell ja ohne­hin gehört hät­te – über, und schließ­lich war er wie­der beim Kaiser.

1635 wur­de der Frie­de von Prag geschlos­sen, mit aber­ma­li­ger Fest­schrei­bung der säch­si­schen Neu­tra­li­tät. Prak­ti­sche Fol­ge war den­noch, daß Sach­sen Kampf­aus­tra­gungs- und Plün­de­rungs­ort für bei­de Sei­ten wur­de. Ein gro­ßer Sol­dat war er auch nicht, der wohl bekann­tes­te säch­si­sche Kurfürst.

August dem Star­ken fiel das Erbe nach dem über­ra­schen­den Tod sei­nes Bru­ders 1694 zu. 1697 wur­de er als August II. zusätz­lich König von Polen, eines Lan­des, wel­ches deut­lich grö­ßer war als Sach­sen und außer­halb des Rei­ches lie­gen muß­te: In den dem Kai­ser unter­ste­hen­den Gebie­ten konn­te nie­mand König wer­den, und das war schließ­lich das Wich­tigs­te bei der Sache.

Die Königs­kro­ne war gekauft, in Polen wur­de der König gewählt. Im Schlach­ten­un­glück ging sie dann aller­dings noch­mal ver­lo­ren, bevor sie 1709 zumin­dest für August den Star­ken end­gül­tig in Besitz genom­men wer­den konn­te. Ein Jahr spä­ter gab er die Grün­dung der Por­zel­lan­ma­nu­fak­tur bekannt. Pro­du­ziert wur­de in Mei­ßen. Maß­geb­lich »erfun­den« hat­te das Por­zel­lan Johann Fried­rich Bött­ger, der zunächst ver­kün­det hat­te, Gold her­stel­len zu können.

Um dies vor­an­zu­trei­ben, wur­de er sicher­heits­hal­ber ein­ge­sperrt, und auch, nach­dem er immer­hin das »wei­ße Gold« her­stel­len konn­te, nicht wie­der frei­ge­las­sen. Sei­nem Bei­na­men mach­te August der Star­ke wohl tat­säch­lich Ehre, obwohl allein mit Kör­per­kraft ver­bo­ge­ne Huf­ei­sen schwer vor­stell­bar sind. Was die Damen­welt anbe­trifft, war er kein Kost­ver­äch­ter, sei­ne zeit­wei­li­ge Favo­ri­tin, die unge­wöhn­li­cher­wei­se poli­tisch ehr­gei­zi­ge Grä­fin Cosel, brach­te ihn in sol­che Schwie­rig­kei­ten, daß sie auf sei­nen Befehl schließ­lich auf der Burg Stol­pen inhaf­tiert wurde.

Reprä­sen­ta­ti­ons­freu­de zeig­te sich bei­spiels­wei­se am durch die Bau­meis­ter Mat­thä­us Dani­el Pöp­pel­mann und Bal­tha­sar Per­mo­ser errich­te­ten Dresd­ner Zwin­ger. Oder am Grü­nen Gewöl­be, der Schatz­kam­mer, die seit 1724 zur Besich­ti­gung für die Öffent­lich­keit zugäng­lich war. August der Star­ke führ­te aller­dings auch, noch vor den Preu­ßen, ein »Gehei­mes Kabi­nett« als staat­li­che Zen­tral­be­hör­de ein, und zwar im Jahr 1706.

Sein Sohn, Kur­fürst Fried­rich August II. von Sach­sen, der 1733 die Nach­fol­ge ange­tre­ten hat­te und für den die pol­ni­sche Kro­ne eben­falls gekauft wur­de, ver­leg­te sich voll­ends auf ein Dasein als Kunst­samm­ler, ‑för­de­rer, ‑initia­tor und Jäger. Die Dresd­ner Frau­en­kir­che wur­de fer­tig­ge­stellt, Raf­fa­els »Six­ti­ni­sche Madon­na« kauf­te er an. In sei­ner Zeit wirk­te Johann Sebas­ti­an Bach als Tho­mas­kan­tor in Leipzig.

Das Regie­ren war völ­lig dem Minis­ter Hein­rich von Brühl über­las­sen, nicht unbe­dingt zum Segen des Lan­des. Anti­preu­ßi­sche Ambi­tio­nen und die Annä­he­rung an die Habs­bur­ger hat­ten zur Fol­ge, daß Sach­sen auch im Sie­ben­jäh­ri­gen Krieg auf der Ver­lie­rer­sei­te stand. 1763 ende­ten die Aus­ein­an­der­set­zun­gen, die Sach­sen ver­lo­ren die pol­ni­sche Königs­kro­ne, für die sie extra wie­der katho­lisch gewor­den waren.

Und es ende­te die kul­tu­rel­le Blü­te des Augus­te­ischen Zeit­al­ters, die Zeit Augusts des Star­ken, der sich sogar Hoff­nun­gen auf die Kai­ser­kro­ne gemacht hat­te, und sei­nes Soh­nes. Auf der Ver­lie­rer­sei­te stand Sach­sen übri­gens auch sprach­lich. Galt »Meiß­ner Kanz­lei­deutsch« und die säch­si­sche Gram­ma­tik einst als maß­geb­lich und ori­en­tier­te sich die Aus­spra­che des Deut­schen am säch­si­schen Dia­lekt, so ging mit dem poli­ti­schen Bedeu­tungs­ver­lust auch die Ver­schie­bung der bestim­men­den Aus­spra­che einher.

Nach dem Ende des Krie­ges erfolg­te ein bemer­kens­wert schnel­ler Wie­der­auf­schwung, das soge­nann­te Réta­blis­se­ment. Um 1800 stand Dres­den in der Kunst­welt in höchs­tem Anse­hen. Sach­sen stieg zum Indus­trie­zen­trum auf, Manu­fak­tu­ren, ins­be­son­de­re die Tex­til­pro­duk­ti­on wur­den bestim­mend. Chem­nitz bezeich­ne­te man mit­un­ter als »säch­si­sches Man­ches­ter« – ein ähn­lich unsin­ni­ges Attri­but wie »Elb­flo­renz« für Dres­den oder »Pleiß­athen« für das uni­ver­si­tär-auf­klä­re­ri­sche Leipzig.

Der Krieg gegen Napo­le­ons Trup­pen gab aber­mals Gele­gen­heit, auf der fal­schen Sei­te zu ste­hen, so gesche­hen 1806 in der Schlacht bei Jena und Auer­stedt, die gemein­sam mit Preu­ßen ver­lo­ren wur­de. Sach­sen kam zum Rhein­bund. Das alte Reich wur­de auf­ge­löst. Daher war es nun mög­lich, König von Sach­sen zu wer­den, wenn auch von Napo­le­ons Gnaden.

Der vor­ma­li­ge Kur­fürst Fried­rich August III. wur­de es als Fried­rich August I. Obwohl die Wet­ti­ner spä­ter den Königs­rang behiel­ten, fühl­ten sie sich wahr­schein­lich so wohl nicht bei dem Gan­zen. Eine säch­si­sche Königs­kro­ne gab es nie. Und selbst in der Völ­ker­schlacht bei Leip­zig, mit über einer hal­ben Mil­li­on Betei­lig­ter die bis dahin größ­te Schlacht der Welt­ge­schich­te, stand der – sich an den Kampf­ta­gen mehr oder weni­ger in der Stadt ver­ste­cken­de – säch­si­sche König auf der Ver­lie­rer­sei­te. Das war die­ses Mal die französische.

Der Wie­ner Kon­greß hät­te um ein Haar das Ende Sach­sens bedeu­tet. Preu­ßen woll­te es gern ganz neh­men, da die ande­ren ver­han­deln­den Staa­ten dar­an kein Inter­es­se hat­ten, ver­blie­ben Sach­sen am Ende noch etwa vier­zig Pro­zent sei­nes Vor­kriegs­staats­ge­bie­tes. 1831 wur­de eine revo­lu­tio­när durch­ge­setz­te Ver­fas­sung instal­liert. Der Staats­mann Bern­hard von Lin­den­au fun­gier­te als Vor­sit­zen­der des Gesamt­mi­nis­te­ri­ums, der Mon­arch war nun­mehr nur noch konstitutionell.

Bar­ri­ka­den wur­den zwei Jahr­zehn­te spä­ter noch ein­mal gebaut, die Auf­stän­de erleb­ten in Sach­sen 1849 ihren Höhe­punkt. Eif­rig betei­ligt waren auch der Kom­po­nist Richard Wag­ner und der Archi­tekt Gott­fried Sem­per. Fried­rich Fer­di­nand von Beust, unter ande­rem lang­jäh­ri­ger Außen­mi­nis­ter und alles ande­re als ein Revo­lu­tio­när, war ein vehe­men­ter Ver­tre­ter der Idee einer Zusam­men­ar­beit Sach­sens mit ande­ren deut­schen Mit­tel­staa­ten, um gemein­sam ein Gegen­ge­wicht zu Preu­ßen und Öster­reich zu bil­den: Gewor­den ist dar­aus nichts.

1866 war Sach­sen im Deut­schen Krieg an der Sei­te Öster­reichs aber­mals einer der Mit­ver­lie­rer. Der wirt­schaft­li­che Auf­schwung hat­te sich fort­ge­setzt. Die Eisen­bahn war ein gro­ßes The­ma. Initi­iert durch Fried­rich List, fuhr sie seit 1839 zwi­schen Leip­zig und Dres­den. 1851 wur­de, eben­falls für den Eisen­bahn­ver­kehr, die monu­men­ta­le Göltzsch­tal­brü­cke eige­weiht. Und noch als Prinz über­setz­te der nach­ma­li­ge König Johann Dan­tes Gött­li­che Komödie.

Für beschau­li­che Erho­lung steht der 1864 in Leip­zig gegrün­de­te »Schre­ber­ver­ein«, der sich um das Klein­gar­ten­we­sen ver­dient mach­te. Für poli­ti­sche Auf­re­gun­gen sorg­te der im Jahr zuvor eben­falls in Leip­zig durch Fer­di­nand Lass­alle gegrün­de­te »All­ge­mei­ne Deut­sche Arbei­ter­ver­ein«. Sach­sen wur­de als »rotes König­reich« bekannt, mit aus­ge­prägt star­ker Sozi­al­de­mo­kra­tie und ent­spre­chen­den Stimmenverhältnissen.

In Man­da­ten spie­gel­te sich das nicht wider, ein gegen die SPD gerich­te­tes, restrik­ti­ves Wahl­recht wur­de geschaf­fen. Der säch­si­sche Erfolgs­schrift­stel­ler Karl May hat­te der­weil die India­ner ganz gut beschrie­ben, ohne sie jemals selbst gese­hen zu haben. In der Bil­den­den Kunst gab der Sym­bo­list Max Klin­ger den Ton an.

1912 wur­de die Deut­sche Büche­rei als »Archiv des deutsch­spra­chi­gen Schrift­tums« gegrün­det – in Leip­zig als dem deut­schen Ver­lags- und Buch­han­dels­zen­trum. In Zwi­ckau grün­de­te August Horch sei­ne Auto­mo­bil­wer­ke. In Sach­sen, das um 1900 die höchs­te Bevöl­ke­rungs­dich­te Euro­pas vor­zu­wei­sen hat­te, ging mit dem Ende des Ers­ten Welt­krie­ges 1918 – über ver­lo­re­ne Krie­ge wur­de bereits alles gesagt – die Herr­schafts­zeit der am längs­ten durch­gän­gig regie­ren­den Dynas­tie in Deutsch­land, der Wet­ti­ner, zu Ende: 829 Jahre.

Mit König Fried­rich August III. dank­te zugleich einer der volks­tüm­lichs­ten und anek­do­ten­träch­tigs­ten Mon­ar­chen der Geschich­te ab. Berühmt sind sei­ne – natür­lich im von ihm gepfleg­ten säch­si­schen Idi­om vor­ge­brach­ten – Wor­te: »Macht doch Euren Dreck allei­ne!« Geklärt ist zwar inzwi­schen, daß er gera­de die­sen Satz wohl nicht gesagt hat. Geklärt ist eben­so, daß ihn kaum ein von ihm geäu­ßer­ter Satz bes­ser cha­rak­te­ri­sie­ren wür­de. Sach­sen wur­de Frei­staat, man trau­er­te dem König nach, wähl­te aber sozialdemokratisch.

Als Erich Zeig­ner 1923 als SPD-Minis­ter­prä­si­dent Kom­mu­nis­ten in sein Kabi­nett auf­nahm und die KPD einen bewaff­ne­ten »roten Okto­ber« vor­be­rei­te­te, wur­de er durch Kanz­ler Stre­se­mann via Reichs­exe­ku­ti­on abge­setzt. Von der 1929 aus­bre­chen­den Welt­wirt­schafts­kri­se war Sach­sen stär­ker als ande­re Regio­nen betrof­fen. Die Zeit zwi­schen 1933 und 1945 brach­te einer­seits Figu­ren wie den Gau­lei­ter und Minis­ter­prä­si­den­ten Mar­tin Mut­sch­mann hervor.

Auf der ande­ren Sei­te stand Carl Goer­de­ler, der im Fal­le eines Gelin­gens des Staatstreichs vom 20. Juli 1944 Reichs­kanz­ler wer­den soll­te. Er war von 1930 bis 1937 Ober­bür­ger­meis­ter von Leip­zig. Aus Dres­den stamm­ten der unmit­tel­bar am Atten­tat betei­lig­te Fried­rich Olbricht sowie Hans Oster, der inner­halb des mili­tä­ri­schen Geheim­diens­tes maß­geb­lich den Wider­stand koordinierte.

Alle wur­den vor Kriegs­en­de hin­ge­rich­tet. Mit dem Angriff auf Leip­zig am 4. Dezem­ber 1943 erreich­ten die alli­ier­ten Bom­bar­die­run­gen Sach­sen. Sym­bol­träch­ti­ger Höhe­punkt war der Angriff auf Dres­den am 13. Febru­ar 1945 sowie an den Fol­ge­ta­gen mit der Zer­stö­rung der Barock­stadt und einer Anzahl von Todes­op­fern, die bis heu­te Gegen­stand von Debat­ten ist, wobei eine nied­ri­ge­re Opfer­zahl das Gesche­hen kaum in ein bes­se­res Licht rücken wür­de als eine höhere.

Das 1945 gebil­de­te Land Sach­sen zer­schlug die DDR 1952, wie auch die ande­ren his­to­ri­schen Län­der, zu Bezir­ken. Chem­nitz erhielt den Namen Karl-Marx-Stadt. Der Auf­stand des 17. Juni 1953, der auch auf Sach­sen über­griff, rich­te­te sich nicht zuletzt gegen einen gebür­ti­gen Sach­sen – Wal­ter Ulb­richt. Vor allem ange­sichts der in der DDR offi­zi­ell gewünsch­ten Ver­hält­nis­se erstaunt die rela­tiv schnell ein­set­zen­de Tra­di­ti­ons­pfle­ge bezüg­lich der säch­si­schen Geschichte.

1956 wur­de das aus Schutz­grün­den im Krieg abge­bau­te Rei­ter­stand­bild Augusts des Star­ken in Dres­den wie­der auf­ge­stellt. An die wet­ti­ni­schen Fürs­ten erin­ner­te man auch ander­wei­tig, gegen­wär­tig waren sie immer durch den »Dresd­ner Fürs­ten­zug«, ein über 100 Meter lan­ges Por­zel­lan­wand­bild, natür­lich Meiß­ner, wel­ches die meis­ten säch­si­schen Herr­scher zeigt und den Luft­an­griff von 1945 rela­tiv gut über­stan­den hatte.

Iden­ti­täts­ver­ge­wis­se­rung zeig­te sich viel­fach, etwa wenn erz­ge­bir­gi­sche Berg­pa­ra­den säch­si­sche Fah­nen mit­führ­ten, an der Pfle­ge von Bräu­chen oder an Hei­mat­ver­ei­nen. Für die 1980er Jah­re wird sogar von einer regel­rech­ten »Sach­sen­re­nais­sance« gesprochen.

Hier­her gehört wohl auch die auf­wen­di­ge und viel­fach aus­ge­strahl­te Fern­seh­pro­duk­ti­on Sach­sens Glanz und Preu­ßens Glo­ria.  Die Ver­fil­mung meh­re­rer his­to­ri­scher Roma­ne war ideo­lo­gisch erstaun­lich schwach ange­haucht und ver­mit­telt, trotz fik­ti­ver Ele­men­te, ein pas­sa­bles Bild des Augus­te­ischen Zeitalters.

1989 war es Sach­sen, ins­be­son­de­re Leip­zig, wo sich die Pro­tes­te und Demons­tra­tio­nen gegen die DDR-Füh­rung mas­sier­ten. Der ent­schei­den­de Tag war der 9. Okto­ber mit min­des­tens 70 000 Demons­tran­ten in der Leip­zi­ger Innen­stadt. Die über­ra­schen­de Viel­zahl war wesent­li­cher Grund dafür, daß das Ein­grei­fen der Staats­macht unterblieb.

Poli­tisch wech­sel­te das einst­mals »rote Sach­sen« nach der Wie­der­grün­dung 1990 die Far­be. Beherr­schend wur­de die CDU, wobei der zuge­reis­te Kurt Bie­den­kopf, der für zwölf Jah­re Minis­ter­prä­si­dent wer­den soll­te, als Per­son durch­aus vor­han­de­ne Wün­sche nach einer star­ken per­so­na­len Mit­te befriedigte.

Dies war auch deut­lich am Rück­gang der Ergeb­nis­se sei­ner Par­tei erkenn­bar, nach­dem er nicht mehr zur Wahl stand. Poli­tisch zeigt das Land par­la­men­ta­risch und außer­par­la­men­ta­risch in der jüngs­ten Ver­gan­gen­heit, daß es noch immer Poten­ti­al hat, eige­ne Weg zu gehen und auf eige­ne Wei­se die säch­si­sche Geschich­te auch als eine beson­de­re Geschich­te fortzuschreiben.

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