Funken über unser Land – Neofolk

PDF der Druckfassung aus Sezession 90/Juni 2019

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

»Wer sich schon immer gefragt hat, was eigent­lich das Gegen­teil von Funk ist oder auf einer Par­ty damit ange­ben möch­te, die uncools­te Musik des Pla­ne­ten ent­deckt zu haben: Bei Neo­folk wird er fün­dig«, schrieb das in Ber­lin ansäs­si­ge Musik­ma­ga­zin Rol­ling Stone im August 2016 in einem Arti­kel über »die Begleit­mu­sik der Iden­ti­tä­ren Bewe­gung«, die unter ande­rem von Mar­tin Sell­ner als »rech­te Alter­na­ti­ve« zum pop­mu­si­ka­li­schen Main­stream geprie­sen wurde.

»Fast allen Bands gemein sind ein ver­klär­ter Anti­mo­der­nis­mus«, fuh­ren die Autoren fort, »und die unaus­ge­spro­che­ne Fra­ge, wie Folk­mu­sik klän­ge, hät­te es die US-ame­ri­ka­ni­sche Pop­ge­schich­te nie gege­ben.« Der ers­te Teil des Sat­zes ist durch­aus zutref­fend für die Band­brei­te der inter­na­tio­na­len Kapel­len, die unter dem Sam­mel­be­griff »Neo­folk« fir­mie­ren, wobei etli­che mit »Folk« im eigent­li­chen Sin­ne wenig bis gar nichts zu tun haben.

Der zwei­te Teil des Sat­zes paßt zumin­dest zu einer Vari­an­te des Gen­res, die ihre Blü­te­zeit unge­fähr zwi­schen 1997 und 2005 hat­te und über­wie­gend in einem Teil Deutsch­lands ent­stan­den ist, der von Ber­lin aus gese­hen gene­rell eher uncool, rück­stän­dig und ver­däch­tig erscheint: näm­lich Mit­tel- oder Ost­deutsch­land, mit den Schwer­punk­ten Sach­sen, Sach­sen-Anhalt und Thüringen.

Es war wohl kein Zufall, daß sich gera­de in die­sen »neu­en Bun­des­län­dern« eine spe­zi­fisch deut­sche Form des Neo­folk her­aus­bil­de­te, die am Ende wenig mit den angel­säch­si­schen Vor­bil­dern zu tun hat­te, die sich um das bri­ti­sche Label World Ser­pent gruppierten.

Die unhei­li­ge, exzen­tri­sche Drei­fal­tig­keit des klas­si­schen Neo­folk oder wahl­wei­se »Apo­ca­lyp­tic Folk«, Death in June, Cur­rent 93 und Sol Invic­tus, war 1991 durch Deutsch­land getourt und hat­te die hie­si­ge Gothic-Sze­ne mit ihrem düs­ter-melan­cho­li­schen Sound aus Akus­tik­gi­tar­ren, mar­tia­li­schen Trom­meln, Gei­gen und Flö­ten eben­so in den Bann geschla­gen wie mit ihrem »umstrit­te­nen« okkul­tis­ti­schen, sata­nis­ti­schen, neo­heid­ni­schen oder krypto­fa­schis­ti­schen Image, das den Fans end­lo­ses fas­zi­nier­tes Rät­sel­ra­ten aufgab.

Ande­re, nicht min­der kon­tro­ver­se Bands aus die­sem Umfeld waren NON, Blood Axis oder Coil. Eini­ges davon war schon vor der Wen­de als begehr­tes sub­kul­tu­rel­les Gut in den Osten gesi­ckert, und wur­de nun – zusam­men mit all den ande­ren gän­gi­gen Darkwave‑, Punk- und Post­punk­pro­duk­ten – von einer ste­tig wach­sen­den »Gruftie«-Szene begie­rig aufgesaugt.

1992 wur­de das Wave-Gotik-Tref­fen in Leip­zig ins Leben geru­fen, das bis heu­te all­jähr­lich zu Pfings­ten statt­fin­det und bis zu 20 000 Gäs­te aus aller Welt anzieht. Eine star­ke Stel­lung inner­halb der Sze­ne nahm Anfang bis Mit­te der neun­zi­ger Jah­re das Spar­ten­pro­gramm der »Neu­en Deut­schen Todes­kunst« ein, für das Grup­pen wie Goe­thes Erben, Das Ich oder Rela­ti­ves Mensch­sein standen.

Zen­triert um das in Ober­fran­ken ansäs­si­ge Label Dan­se Macab­re han­del­te es sich hier um eine rein west­deut­sche Erschei­nung. Einer der zahl­lo­sen Ost­gruf­ties, die vom Neo­folk­fie­ber gepackt wur­den, war der 1973 in Dres­den gebo­re­ne Ste­phan Pock­randt, der ab 1993 das ein­fluß­rei­che Fan­zine Sigill her­aus­gab, das bald den Unter­ti­tel »Maga­zin für die kon­ser­va­ti­ve Kul­tur­avant­gar­de Euro­pas« ver­paßt bekam.

Pock­randts Her­an­ge­hens­wei­se war die eines enthu­si­as­ti­schen Dilet­tan­ten, unbe­fan­gen, naiv und mit gerin­gem Bewußt­sein für die womög­lich »poli­ti­sche« Dimen­si­on der behan­del­ten The­men – eine Dis­po­si­ti­on, die wohl auch der von West-Kom­ple­xen abge­schirm­ten DDR-Sozia­li­sa­ti­on zu ver­dan­ken war.

Die poli­ti­sche Pola­ri­sie­rung setz­te erst ab unge­fähr 1996 ein, als die links­ra­di­ka­le Publi­zis­tik in Tei­len der »Schwar­zen Sze­ne« eine fri­sche Beu­te ent­deckt zu haben glaub­te, mit der man treff­lich anti­fa­schis­ti­sche Denun­zia­ti­ons­süpp­chen kochen konn­te. Volk­mar Wölk ver­öf­fent­lich­te in die­sem Jahr unter dem Pseud­onym Jean Cremet (nach einem fran­zö­si­schen Kom­mu­nis­ten und Sowje­t­agen­ten) den fol­gen­rei­chen Arti­kel »Jen­seits von Böh­se Onkelz und Skrew­dri­ver: Über (neo-)faschistische Ten­den­zen in der Inde­pen­dent-Musik« (ana­ly­se & kri­tik, Nr. 389), der immer­hin das Ver­dienst hat­te, etli­che Zeit­ge­nos­sen auf jene inter­es­san­ten Pfa­de geführt zu haben, mit deren Anpran­ge­rung und Bekämp­fung Wölk sei­nen Lebens­un­ter­halt bestreitet.

Fort­an hat­te Sigill (wie auch sei­ne Nach­fol­ger Zin­no­ber und Zwie­licht) trotz sei­ner apo­li­ti­schen Hal­tung den Stem­pel eines »Kul­tur­ma­ga­zins einer moder­ni­sier­ten Rech­ten« für »extre­me, okkul­te, reak­tio­nä­re und obsku­re Posi­tio­nen« (Chris­ti­an Dornbusch).

1997 war schließ­lich so etwas wie das Geburts­jahr des ost­deut­schen Neo­folks, der mit west­deut­schen Bands wie Ern­te ( Moers, Nord­rhein-West­fa­len) oder Heka­te (Koblenz) eine Hand­voll Vor­läu­fer hat­te (Von Thron­stahl des in Mün­chen leben­den Sze­neve­te­ra­nen Josef Klumb folg­te erst 1998).

Pock­randt grün­de­te in Dres­den das Label Eis & Licht, eigens um das unbe­ti­tel­te Debüt­al­bum des Hal­len­ser Duos Orp­lid her­aus­zu­brin­gen, das sich zu einem der wich­tigs­ten Pro­jek­te der Sze­ne ent­wi­ckeln soll­te. 1999 folg­te die Grup­pe For­se­ti um den aus Jena stam­men­den Andre­as Rit­ter mit der CD Jen­zig, eben­falls auf Eis & Licht; und als Drit­ter im Bun­de der neu­en Drei­fal­tig­keit schloß sich im sel­ben Jahr Hen­ryk Vogel aus dem bran­den­bur­gi­schen Fins­ter­wal­de mit sei­nem Pro­jekt Dark­wood an, auf einem eige­nen Label namens Hei­den­volk, eben­falls mit Sitz in Dresden.

Eis & Licht wur­de in der Fol­ge zum Zen­trum der »neu­en deut­schen Wel­le« des Neo­folk, und brach­te Bands wie Leger des Heils (Hal­le), Dies Nata­lis (säch­si­sche Lau­sitz), Son­ne Hagal (Rathe­now, Bran­den­burg), Nebe­lung (Bonn) aber auch inter­na­tio­na­le Pro­jek­te wie Sci­vi­as (Ungarn), Chan­ges (USA), Came­ra­ta Medio­la­nen­se (Mai­land) oder Ost­ara (Aus­tra­li­en / Groß­bri­tan­ni­en) heraus.

Für eine Bele­bung der Sze­ne beson­ders im Osten sorg­te außer­dem der Jenen­ser Chris­ti­an Kap­ke, der von 2001 bis 2005 das Kon­zert­fes­ti­val »Flam­men­zau­ber« auf der Was­ser­burg Hel­d­run­gen in Thü­rin­gen orga­ni­sier­te und das Rezen­si­ons- und Dis­kus­si­ons­por­tal »Licht­tau­fe« (spä­ter »Non­pop«) leitete.

Kap­ke war der Enge des NPD-Milieus ent­flo­hen und gehör­te einer völ­lig neu­en Gene­ra­ti­on von Neo­fol­kern an, die kei­ne Wur­zeln mehr in der »Schwar­zen Sze­ne« hat­te. Was im Dun­kel­deutsch­land von Hal­le, Jena, Leip­zig und Dres­den her­an­ge­wach­sen war, konn­te auf einen tra­di­tio­nel­len Fan der World-Serpent-»Familie« zunächst ziem­lich befremd­lich wirken.

Gewiß, da waren die Runen und Rui­nen, die Akus­tik­gi­tar­ren und Trom­meln, die stren­gen Posen, das Spiel mit der Ästhe­tik der zwan­zi­ger und drei­ßi­ger Jah­re, das Neu­hei­den­tum, die his­to­ri­schen Bezü­ge und Befra­gun­gen, die irri­tie­ren­den Samples, die ambi­va­len­te Insze­nie­rung des Heroischen.

Im Ver­gleich zu den anglo­pho­nen Paten erschie­nen die deut­schen Neo­fol­ker jedoch iro­nie- und humor­be­freit, steif, bemüht und schwüls­tig. Ihre bewußt deutsch­spra­chi­gen Tex­te hat­ten einen alter­tüm­li­chen, »heh­ren«, »poe­ti­sie­ren­den« Ton­fall, der nicht immer glück­te und zuwei­len knapp an unfrei­wil­li­ger Komik entlangschrammte.

Aber es fehl­te ihrer Musik auch das Per­ver­se, Deka­den­te und Über­dreh­te, für das David Tibet, Dou­glas Pear­ce oder Boyd Rice so berühmt-berüch­tigt waren. Der Unter­schied in der Stim­mung war etwa so groß wie zwi­schen Bau­de­lai­re und Eichen­dorff oder Jean Genet und Her­mann Hesse.

Als Deut­sche, die sich ihrer Wur­zeln sehr bewußt waren, grif­fen die Künst­ler fol­ge­rich­tig auf gänz­lich ande­re Quel­len zurück als die Eng­län­der, wobei sich die Jugend­be­we­gung, die deut­sche Roman­tik und die Mys­tik des »Gehei­men Deutsch­lands« von Ste­fan Geor­ge bis Rolf Schil­ling als nahe­lie­gen­de Anknüp­fungs­punk­te anboten.

Dazu gehör­te der Mut zum »Uncoo­len«, Pathe­ti­schen, Gemüt­vol­len und Erha­be­nen. Auch Ein­flüs­se aus der DDR wur­den über­nom­men. Auf dem legen­dä­ren Kon­zert im Juni 1999 auf der Burg Fal­ken­stein im Harz, das ihnen zum Durch­bruch ver­half, san­gen For­se­ti »Sag mir, wo du stehst« der »lini­en­treu­en« Grup­pe Okto­ber­klub – mit­hin ein Lied, das schon zu Ulb­richts und Hon­eckers Zei­ten sub­ver­siv gedeu­tet wer­den konnte.

An der Sei­te von ungleich kras­ser auf­tre­ten­den Bands, die sich mit SS-Toten­köp­fen, Wolfs­an­geln und eiser­nen Kreu­zen schmück­ten, führ­te Rit­ter damit die iko­no­klas­ti­sche Tra­di­ti­on des »alten« Neo­folk eben­so fort, wie er ihr Neu­es hinzufügte.

Schon die Song- und Album­ti­tel die­ser »Neu­en Deut­schen Folk­lo­re« rüt­tel­ten am Pur­ga­to­ri­um der aus der post­he­roi­schen, post­na­tio­na­len Bun­des­re­pu­blik ver­bann­ten Wör­ter, Bil­der und Stim­mun­gen: »Ver­lo­re­nes Heer«, »Not­wend­feu­er«, »Sturm­ge­weiht«, »Gehei­ligt sei der Toten Name«, »Nächt­li­che Jün­ger«, »Im Schat­ten der Ques­te«, »Gesang der Jüng­lin­ge«, »Deut­sche Son­nen­wend«, »Abend­land« und so weiter.

Immer wie­der war hier Trau­er um Ver­lo­re­nes und der Wunsch nach einer Wie­der­ver­zau­be­rung der Din­ge spür­bar. Das Ergeb­nis konn­te eben­so pein­lich wie ent­waff­nend und anrüh­rend sein, so etwa die bei­den Alben von Andre­as Rit­ter Wind­zeit (2002) und Erde (2004), die selbst ein­ge­fleisch­te Neo­folk­has­ser über­zeugt und ergrif­fen haben.

Das Schick­sal Rit­ters ver­lief tra­gisch: Er über­leb­te 2005 einen Herz­still­stand, der sei­ne Gesund­heit und sei­ne kogni­ti­ven Fähig­kei­ten irrepa­ra­bel beschä­dig­te. Auch um Orp­lid, bestehend aus Frank Mach­au und dem gebür­ti­gen Mer­se­bur­ger Uwe Nol­te, der auch als Lyri­ker und Gra­phi­ker tätig ist, ist es still gewor­den: Das bis­lang letz­te Album Grei­fen­herz erschien 2008; ein neu­es ist für die­ses Jahr angekündigt.

Hen­ryk Vogel ist mit Dark­wood gele­gent­lich noch auf der Büh­ne prä­sent, hat jedoch seit dem Album Schick­sals­fahrt (2013) nichts Neu­es mehr ver­öf­fent­licht. Als Erben des deutsch­spra­chi­gen Neo­folks à la Eis & Licht war noch bis 2016 die 2007 gegrün­de­te öster­rei­chi­sche Grup­pe Jän­ner­wein aktiv.

Die­se geriet im sel­ben Jahr in die Schlag­zei­len, weil sie – ein alter Krampf in der xten Neu­auf­la­ge – genö­tigt wur­de, sich von Mar­tin Sell­ners Lob und der Eti­ket­tie­rung als »Vor­zei­ge­band der Iden­ti­tä­ren« zu distan­zie­ren. Nichts­des­to­trotz emp­fahl ein anoy­mer iden­ti­tä­rer Rezen­sent ihr Album Eine Hoff­nung (2015) mit die­sen schwär­me­ri­schen Wor­ten: »Die alpi­ne Art ist ein ernst­haf­ter Aus­druck ihrer Iden­ti­tät; die Musik und die Tex­te geben ver­in­ner­lich­te Wer­te wie Hei­mat­ver­bun­den­heit, Idea­lis­mus und Wahr­neh­mung von Gött­lich­keit wieder.«

Wer wagt es, die Staf­fet­te von Rit­ter, Vogel oder Nol­te zu übernehmen?

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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