Der französische Autor und Pionier des Luftverkehrs Antoine de SaintExupéry (1900–1945) war, anders als etwa die mit ihm bekannten Schriftstellerkollegen Louis Aragon (1897–1982) und Pierre Drieu la Rochelle (1893–1945), dem Kriegseinsatz in der Grande Guerre 1914/18 knapp entgangen. Seine spätere Abenteuerlust und die Suche nach Bewährungsproben in extremen Situationen mögen unter anderem aus diesem von ihm so empfundenen Versäumnis rühren.
Die Entstehung der Luftfahrt, der Korpsgeist der Pioniere auf diesem Gebiet, die starke Persönlichkeit in einer starken Gemeinschaft – das wurden anstelle der Drieu et al. beeindruckenden Schützengrabenerlebnisse jene Eckpfeiler, die das Werk von Saint-Exupéry konstituierten.
Gewiß: Die heute Lebenden kennen »Saint-Ex« vornehmlich aufgrund seines Bestsellers Der kleine Prinz (1943), ein Kinderbuch auch für Erwachsene, für Träumer jeden Alters, das der seit Jugendtagen zeichnerisch begabte Autor selbst illustrierte. Diese Erzählung über ein außerirdisches Wesen, das durch stetes Fragen und Suchen den wahren Dingen auf den Grund gehen möchte, ist in über 180 Sprachen und Idiome übersetzt worden – weltweit wurden bis heute rund 140 Millionen Exemplare gedruckt.
Weniger bekannt ist, zumindest im deutschen Sprachraum, neben der frühen Luftfahrtspublizistik die politische und philosophische Essenz des Gesamtwerkes. Exupérys Gedanken kreisen um Gott, die Liebe (zu Gott und den Menschen) und das Prinzip der Treue (zu seiner Einheit, im Glauben).
Stil und Inhalte können als eine Art Mischung aus Ernst Jünger (mit ihm teilt er die in den 1920er Jahren virulente Kritik der »bourgeoisen« Gesellschaft), Henry de Montherlant (mit ihm verbinden ihn aristokratische Tugendauffassungen) und Georges Bernanos (mit ihm assoziiert man nicht zuletzt das Problematisieren des Verhältnisses Persönlichkeit/Gemeinschaft) begriffen werden: das typische Saint-Ex-Band, das diese Topoi verbindet, ist das Fliegen.
Antoine Jean-Baptiste Marie Roger de Saint-Exupéry, 1900 in Lyon als Sproß einer bis ins Kreuzzugszeitalter nachweisbaren Familie zur Welt gekommen, saß als Zwölfjähriger das erste Mal in einem Flugzeug, was ihn nach eigenem Bekunden in Ekstase versetzte. Zu jung für den Einsatz im Ersten Weltkrieg, schloß der auf Schlössern aufgewachsene Jugendliche 1917 die Schule ab und immatrikulierte sich im Fachbereich Architektur, da er an der Marineschule abgelehnt worden war.
Es waren dies die Leidenszeiten des jungen Technik- und Wissenschaftsbegeisterten, der von Anstellung zu Anstellung wechselte, ohne seiner Passion näherkommen zu können. Erst 1926 wurde er in einem Flugunternehmen tätig, ein Jahr später wurde er Postflieger zwischen Frankreich und den Kolonien im Norden Afrikas, 1929 nahm er eine leitende Stelle im französisch orchestrierten südamerikanischen Luftverkehr ein.
Neben diesen Tätigkeiten als fliegender Kurier unternahm Saint-Exupéry diverse Rekordversuche. Seine Abenteuerlust und die Suche nach dem Neuen führten zweimal infolge eines Absturzes dazu, daß er lebensbedrohlich verletzt wurde. Einmal – in der libyschen Wüste – überlebte er dank Nomaden, die seinen Kameraden und ihn fanden und, was nicht immer selbstverständlich war, verschonten, ja ihnen sogar zur direkten Rückkehr in die von Saint-Ex geliebte »Zivilisation« des französischen Kolonialstützpunktes verhalfen.
Das andere Mal, beim Flug von der US-amerikanischen Ostküste an die südamerikanischen Ausläufer Feuerlands im Jahre 1938, blieben nachhaltige gesundheitliche Schäden zurück, die ihn bis ans Lebensende marterten. Diese Erfahrungen sog der Tat-Mensch Exupéry, der vom epochentypischen nietzscheanischen Vitalismus geprägt war, auf; sie verhalfen ihm zu seiner literarischen Geburt.
Er verarbeitete sie, neben verschiedenen Zeitschriftenbeiträgen, im Südkurier (1928), dem Nachtflug (1931) sowie in Wind, Sand und Sterne (1939). Im letztgenannten Werk, der Originaltitel war Terre des hommes (Die Erde der Menschen), positioniert sich der Autor kurz nach seinem Feuerland-Abenteuer mittelbar gegenüber dem Vorwurf der Todessehnsucht.
»Mensch sein«, definiert sein Alter ego, bedeutet »Verantwortung fühlen«. Weiter führt der Protagonist aus: »Ich pfeife auf Todesverachtung. Sie ist nur ein Zeichen geistiger Armut oder jugendlicher Unreife, wenn« – und das ist entscheidend – »sie nicht in einer übernommenen Verantwortung wurzelt.« Verantwortung übernehmen in der Stunde des allgemeinen Zerfalls der französischen Armee 1940: Das hieß für Saint-Exupéry, das scheinbar »nutzlose Dienen« (Henry de Montherlant) vorzuleben.
In dieser Haltung des verlorenen Postens kann man einen Stil erkennen, und Saint-Exupéry zeigte sich durchaus überzeugt, daß Stil und Haltung, Stil und Persönlichkeit zusammengehören. »Denn der Stil ist die Seele. Und man erschafft nur insoweit diese Seele, als man sich einen Stil schmiedet. Sich bewußt werden heißt, einen Stil erwerben. Im Stil steckt die Bemühung, und sie ist Handlung«, heißt es in den Carnets, den Notizheften des Autors.
Der handelnde, tätige Mensch ist eines der Leitmotive Saint-Exupérys, und der Drang nach Handlung hieß bei ihm ganz konkret: Sehnsucht nach dem Fliegen. Endlich – und gesundheitlichen wie weltanschaulichen Widrigkeiten zum Trotze, denn man hielt ihn im Kreise der Gaullisten für einen verkappten Pétain-Anhänger – in der Luftwaffe des »freien Frankreichs«, erhielt Saint-Ex nach einem Aufklärungsflug über Arras das Kriegsverdienstkreuz mit Palme.
Er faßte diese Leistung literarisch 1942 in der – von den nationalsozialistischen Besatzern verbotenen – Erzählung Flug nach Arras zusammen. In ihr beschrieb er nicht nur das Leben mit den Kameraden und das stoische Dienen trotz der möglichen Niederlage, sondern durchdachte auch die Option der Résistance gegen die Feinde Frankreichs: »Der erste Akt des Widerstandes, kommt er zu spät, ist immer verlustreich.
Aber er ruft den Widerstand wach. Vielleicht geht aus ihm wie aus einem Samenkorn ein Baum hervor.« Saint-Ex zeigte sich überzeugt, daß »die Niederlage sich als der einzige Weg zur Erneuerung erweisen [kann], trotz ihrer Häßlichkeiten«. Anders als für viele konservative, rechte oder faschistische Schriftsteller seiner Zeit war die Kollaboration mit den deutschen Besatzungskräften nach der Niederlage 1940/41 jedoch im Sinne Saint-Exupérys keine adäquate Lösung; sie würde die ewige Treue zur Heimat negieren.
Für Saint-Exupéry, bei Drucklegung des Manuskripts Flug nach Arras bereits im US-amerikanischen Exil, in dem er zwischen verschiedenen auslandsfranzösischen ideologischen Fraktionen ein Außenseiter blieb, spaltete die Niederlage das intakte Hexagone, sie »zerlegt, was ganz war«. Für das Gros der verständigungsorientierten Rechten war Frankreich hingegen bereits durch die Epoche der Dritten Republik (1871–1940) fragmentiert und in feindliche weltanschauliche Blöcke geteilt.
Frankreich habe verloren aufgrund seiner notorischen inneren Zerrissenheit, die es überhaupt erst für Dekadenzerscheinungen einer liberalen Demokratie anfällig gemacht habe, so der Grundkonsens der (durchaus heterogenen) Kollaborationsrechten. Eine solche Überlegung ließ der theoriescheue Saint-Exupéry nicht gelten.
Die Treue zum Vaterland verbot ihm eine entsprechende politiktheoretische Reflexion, obschon er Charles de Gaulle ebenso instinktiv ablehnte (als Egomanen) wie er Marschall Pétain (als Vaterfigur der Nation) nahezu verehrte. Gleichwohl verblieb Saint-Exupéry im Lager de Gaulles; man fühlt sich unweigerlich an das englische »Right or wrong – my country!« à la française erinnert.
Dabei war Saint-Exupéry freilich kein Republikaner; das Prinzip der Gleichheit – elementarer Bestandteil der französisch-republikanischen Trias »Liberté, Egalité, Fraternité« – irritierte ihn. In der Moderne sei ständig eine solche Gleichheit aller Menschen gepredigt worden.
Weil aber der Einzelne, der Mensch, die Persönlichkeit vergessen wurde, erschien der Begriff unscharf und überholt: »Wie soll man die Gleichheit auf der Ebene der Individuen, zwischen dem Weisen und dem Rohling, dem Dummkopf und dem Genie, definieren? Wenn wir sie festlegen und verwirklichen wollen, verlangt die Gleichheit auf der Ebene der Stoffe, daß diese alle denselben Platz einnehmen und dieselbe Rolle spielen. Das ist absurd«, hieß es im Flug nach Arras anklagend. Gleichheit existiere nur in konkreten Einheiten, nicht als Abstraktum.
In seinem Fragment gebliebenen, 1948 posthum veröffentlichten Werk Citadelle, das sowohl »konservative Utopie« (Joseph Hanimann) als auch »Traum-Parlando« (Léon Werth) tituliert wurde, und das in der deutschen Übersetzung unter dem Titel Die Stadt in der Wüste firmiert, ergänzte er diese Kritik: »Ich wurde gewahr, daß er [der Mensch] ebenso wertlos ist, wenn er in der Masse aufgeht, wenn er sich von ihr beherrschen läßt und sich ihren Gesetzen unterwirft.«
Die ersten niedergeschriebenen Seiten las er Ende der 1930er Jahre ausgerechnet seinem damaligen Freund, Gallimard-Kollegen und späteren collabo Pierre Drieu la Rochelle vor, der zwar ebenfalls eine gefühlsmäßige Ablehnung der »Masse« hegte, aber im Zeitalter der Massen ihre faschistische Formierung erwartungsfroh begrüßte. Saint-Ex lehnte die Vorstellung einer autoritären Erziehungsdiktatur ab; die Unterdrückung der Persönlichkeit würde in dieser wuchern, das Selbstbewußtsein des Einzelnen nähme in verschiedener Hinsicht irreparablen Schaden.
Die Konsequenz aus dieser Haltung läßt sich auch für das Zwischenmenschliche unschwer erkennen: »Verachte deshalb die Urteile der Masse! Denn sie führen dich auf dich selbst zurück und hindern dich am Wachsen.« Die beißende Kritik der abstrakt-universalen Gleichheit und der »Vermassung« ändert nichts daran, daß Saint-Exupéry von Liebe beseelt war (und damit zu freizügig umging; seine zahllosen Liebschaften sprechen Bände).
Zuallererst galt diese Liebe aber Gott. Die fortschreitende Säkularisierung wurde von ihm beanstandet – eine religiöse Renovatio wäre erforderlich, die Religion müßte »die Menschen ergreifen, sie kann sie sich nicht unterwerfen«. Dafür müsse sich der Mensch jedoch einiger Dinge gewahr werden: »Jedes Herzklopfen, jedes Leid, jedes Verlangen, jede Schwermut am Abend, jede Mahlzeit, jede Mühe bei der Arbeit, jedes Lächeln, jede Müdigkeit im Laufe des Tages, jedes Erwachen, jedes Wohlbehagen beim Einschlafen – sie alle erhalten ihren Sinn durch den Gott, der durch sie hindurch zu lesen ist.«
Saint-Exupérys kritisches Bild vom Menschen seiner Zeit bedeutete nicht, daß er den Menschen für unwiderruflich gefühlstot hielt; noch sei der Mensch zur Liebe fähig. Denn schon »das Verlangen nach Liebe ist Liebe«, und eben hier sah er Hoffnung keimen, daß der einzelne Mensch als liebendes Wesen – durch die Nächstenliebe, die Gottesliebe – weiterhin existiere und die Grundlage für erneuertes, achtungsvolles Zusammenleben schaffe.
Franz Werfels Diktum »Ohne Divinität keine Humanität« könnte als ein Axiom derartiger Reflexionen des Fliegerschriftstellers begriffen werden; Saint-Exupérys Biograph Joseph Hanimann präferierte derweil die Bezeichnung »konkreter Humanismus auf Augenhöhe«.
Weshalb positionierte sich der gottgläubige, katholische, konservative und dezidiert nationale Schriftsteller 1940ff. im Lager der Alliierten, neben den Mächten des totalen Individualismus, den USA, und des totalitären Kollektivismus, der UdSSR? Wieso ging er nicht den Weg seines zeitweisen bel ami Drieu?
Es war nicht die Sympathie zum »Westen«, dessen kapitalistische Produktionsweise und merkantile Geisteshaltung er gleichermaßen als Schaden für den Menschen begriff, und ebensowenig zum »Osten«, bei dem er ideologisch keinerlei Übereinstimmungen erkennen konnte.
Vielmehr trugen zwei andere Faktoren dazu bei. Zum einen war Saint-Exupéry nicht Willens, die Zusammenarbeit mit Besatzern zu unterstützen. »Wagnis« und die »Treue bis zum Tod« gegenüber dem Eid und seinem Lande bezeichnete er als »Pflichterfüllungen«, die dazu beitragen, »das Edle im Menschen hervorzubringen«.
Zum anderen entwickelte Saint-Ex, der auch jedwede Erscheinungsform des Antisemitismus beharrlich ablehnte und sich daher mit keinem Flügel der französischen Rechten akklimatisieren konnte, nie die – jedenfalls heute naiv anmutende – Sympathie für Hitlers Deutschland, wie sie beispielsweise für Exupérys Kritiker und Bekannten Robert Brasillach oder, noch in erhöhter Intensität, für Alphonse de Châteaubriant mindestens bis 1942 kennzeichnend war. Für Saint-Exupéry – wie ja durchaus auch für die collabos – war klar, daß es keine Nischen im Weltbürgerkrieg geben würde.
Er stellte fest, daß es nun noch zwei Möglichkeiten für einen französischen Patrioten gäbe; »entweder ist man bereit, Hitlers Sklave zu sein oder man lehnt ihn in Bausch und Bogen ab«, tertium non datur. Er entschied sich für die Ablehnung, und zwar vor allem deshalb, weil er bei den Nationalsozialisten keinerlei Ehrfurcht vor dem von Gott geschaffenen Menschen finden konnte.
Das Gedankengebäude Hitlers war für ihn eine Ideologie der Gleichschaltung, in der ein »Roboter eines Termitenhaufens« die Stelle der menschlichen Persönlichkeit einnahm. Im Umkehrschluß hieß das nicht, daß sich Saint-Exupéry im Lager der heterogen zusammengesetzten Résistance und ihrer Helfershelfer großer Beliebtheit erfreuen konnte.
Die zeitgenössischen Kommunisten rieben sich bestimmungsgemäß an seinem ostentativen Antimarxismus, und für Anhänger der parlamentarischen Demokratie wurde der berühmt gewordene »Brief an die Franzosen« keineswegs als eine Werberede für ebendiese Regierungsform wahrgenommen. Saint-Ex sprach in dieser eigentlichen Anti-Kollaborations-Intervention in »preußischer« Diktion vom Dienen als oberstem Prinzip, von der Überwindung von jedwedem »Parteigeist«, er rief, auch und insbesondere angesichts der überhaupt möglich gewordenen Besatzung, die Franzosen zum Haß gegen »Parteien, die Klüngel und die Spaltungen« auf.
Dies war keine Brandrede für die Parteiendemokratie; hier verschaffte sich die zaghafte Hoffnung auf ein geeintesund starkes Frankreich Freiraum, ohne aber jenen mit Haß zu begegnen, die sich – im unerschütterlichen Glauben, durch ihr Engagement etwas Positives für das Land leisten zu können – für die Option Zusammenarbeit mit den Deutschen entschieden hatten. Saint-Exupéry wußte nur zu gut um die tödliche Sprengkraft interner Auseinandersetzungen – und als feinfühliger, ewig zweifelnder und ausgleichender Mensch verzweifelte er an ihnen.
Drohende Säuberungsaktionen gegen den möglichen Bürgerkriegsverlierer waren für ihn das ultimativ Böse; er verlangte einen Akt des Vergessens für den folgenden Nachkrieg. Daß ihn die zahllosen Greuel der épuration (Säuberung) ab Ende 1944 entrüstet hätten, ist daher anzunehmen.
Doch schon als journalistischer Beobachter im Spanischen Bürgerkrieg (1936 – 1939) zeichnete er in seinem Artikel »Blutendes Spanien« auf: »Im Bürgerkrieg ist die Grenze unsichtbar und geht durch das Herz der Menschen hindurch …« Jürgen Hatzenbichler, für den Saint-Exupéry ein »Konservativer Revolutionär« zwischen allen Fronten gewesen ist, stellt daher mit Recht fest, daß weder die Sieger noch die Verlierer des Zweiten Weltkrieges ansatzweise für das kämpften, wofür Saint-Exupéry eintrat.
Dies hinderte ihn nicht daran, trotz fortwährender gesundheitlicher Unzulänglichkeiten weiter seinen Kriegsdienst zu leisten. Er startete am 31. Juli 1944 zu seinem letzten Aufklärungsflug im Großraum Grenoble, von dem er nie zurückkehrte. Ob seine P 38-Lightning-Maschine von der deutschen Flak abgeschossen, ob er einen Unfall hatte oder ob er den Freitod vorzog, ist bis heute nicht gänzlich geklärt.
Offiziell wird ein deutscher Abschuß vermutet, aber Saint-Exupérys letzter Brief vom Tage des Fluges, in dem Abschied anklingt, nährten zumindest vage Spekulationen über ein freiwilliges Ausscheiden aus dem Leben: »Sollte ich abgeschossen werden, werde ich rein gar nichts bedauern. Vor dem künftigen Termitenhaufen graust mir. Und ich hasse ihre Robotertugend.«
Klar ist nicht nur aufgrund dieser Zeilen, daß die der Vereinheitlichung entgegenstrebende Welt nach dem Krieg, so wie sie sich für Saint-Exupéry abzeichnete, nicht seinen Vorstellungen entsprechen würde. Von der Nachkriegsordnung erwartete er nichts, in keinem der möglichen Kriegsresultate. Es empfiehlt sich daher, die letzten politischen Empfindungen Saint-Exupérys, niedergelegt in einem »Brief an einen General«, ausführlich zu zitieren:
»Wir sind erstaunlich gründlich kastriert. So sind wir schließlich nun frei. Man hat uns Arme und Beine abgeschnitten, dann ließ man uns frei herumlaufen. Doch ich hasse diese Epoche, in der der Mensch unter dem allgemeinen totalitären Druck zu sanftem, höflichem und ruhigem Vieh wird. […] Was ich am Marxismus hasse, das ist das Totalitäre, zu dem er führt. […] Was ich am Nazismus hasse, das ist das Totalitäre, das er wesensmäßig anstrebt. […] Doch was wird aus den Vereinigten Staaten und aus uns, ja auch aus uns, in dieser Epoche eines allgemeinen Funktionärtums? Der Epoche des Robotermenschen, des Termitenmenschen, des Menschen, der hin- und herpendelt zwischen Fließbandarbeit […] und Skatspielen? Des Menschen, der seiner ganzen Schöpfungskraft beraubt wurde und der nicht einmal mehr in seinem Dorf einen Tanz oder ein Lied hervorzubringen vermag. Des Menschen, den man mit einer Konfektionskultur, mit Standardkultur versorgt, so wie man das Rindvieh mit Heu versorgt. So sieht er aus, der Mensch von heute.«
Dies sind nicht die Worte eines Menschen, der sich mit der zu erwartenden Friedens- und Konsumgesellschaft arrangiert hat, und daher geht Saint-Exupéry als »heimatloser Rechter« in die Geschichte ein, der, bei aller Bestimmtheit seiner vertretenen Positionen, nie den Respekt vor dem Gegner aus den Augen verlor.
»Ein Mensch verdient Achtung«, so ein in der heutigen Sphäre der Politik desavouiertes Lebensprinzip Saint-Exupérys, »einerlei welche Ideen er vertritt.« Dieses ritterliche Leben Saint-Exupérys vor Augen, erscheint der Autor von Der kleine Prinz nicht nur als Schöpfer ebendieses intelligenten und geistreichen Kinderbuches, sondern ebenso als Denker der Kameradschaft, der Kühnheit, der Treue, der gegenseitigen Solidarität und der freien, starken Persönlichkeit.
Mit seiner tiefen Verwurzelung im christlichen Glauben, den er, bei aller widersprüchlichen Lebensführung, nie verlor, verkörpert Antoine de Saint-Exupéry überdies die immateriellen ewigen Säulen des Lebens: Glaube, Hoffnung, Liebe (1 Kor 13,13).