Autorenporträt Antoine de Saint-Exupéry

PDF der Druckfassung aus Sezession 91/August 2019

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

Der fran­zö­si­sche Autor und Pio­nier des Luft­ver­kehrs Antoine de Sain­tE­x­upé­ry (1900–1945) war, anders als etwa die mit ihm bekann­ten Schrift­stel­ler­kol­le­gen Lou­is Ara­gon (1897–1982) und Pierre Drieu la Rochel­le (1893–1945), dem Kriegs­ein­satz in der Gran­de Guer­re 1914/18 knapp ent­gan­gen. Sei­ne spä­te­re Aben­teu­er­lust und die Suche nach Bewäh­rungs­pro­ben in extre­men Situa­tio­nen mögen unter ande­rem aus die­sem von ihm so emp­fun­de­nen Ver­säum­nis rühren.

Die Ent­ste­hung der Luft­fahrt, der Korps­geist der Pio­nie­re auf die­sem Gebiet, die star­ke Per­sön­lich­keit in einer star­ken Gemein­schaft – das wur­den anstel­le der Drieu et al. beein­dru­cken­den Schüt­zen­gra­ben­er­leb­nis­se jene Eck­pfei­ler, die das Werk von Saint-Exupé­ry konstituierten.

Gewiß: Die heu­te Leben­den ken­nen »Saint-Ex« vor­nehm­lich auf­grund sei­nes Best­sel­lers Der klei­ne Prinz (1943), ein Kin­der­buch auch für Erwach­se­ne, für Träu­mer jeden Alters, das der seit Jugend­ta­gen zeich­ne­risch begab­te Autor selbst illus­trier­te. Die­se Erzäh­lung über ein außer­ir­di­sches Wesen, das durch ste­tes Fra­gen und Suchen den wah­ren Din­gen auf den Grund gehen möch­te, ist in über 180 Spra­chen und Idio­me über­setzt wor­den – welt­weit wur­den bis heu­te rund 140 Mil­lio­nen Exem­pla­re gedruckt.

Weni­ger bekannt ist, zumin­dest im deut­schen Sprach­raum, neben der frü­hen Luft­fahrts­pu­bli­zis­tik die poli­ti­sche und phi­lo­so­phi­sche Essenz des Gesamt­wer­kes. Exupé­rys Gedan­ken krei­sen um Gott, die Lie­be (zu Gott und den Men­schen) und das Prin­zip der Treue (zu sei­ner Ein­heit, im Glauben).

Stil und Inhal­te kön­nen als eine Art Mischung aus Ernst Jün­ger (mit ihm teilt er die in den 1920er Jah­ren viru­len­te Kri­tik der »bour­geoi­sen« Gesell­schaft), Hen­ry de Mon­t­her­lant (mit ihm ver­bin­den ihn aris­to­kra­ti­sche Tugend­auf­fas­sun­gen) und Geor­ges Ber­na­nos (mit ihm asso­zi­iert man nicht zuletzt das Pro­ble­ma­ti­sie­ren des Ver­hält­nis­ses Persönlichkeit/Gemeinschaft) begrif­fen wer­den: das typi­sche Saint-Ex-Band, das die­se Topoi ver­bin­det, ist das Fliegen.

Antoine Jean-Bap­tis­te Marie Roger de Saint-Exupé­ry, 1900 in Lyon als Sproß einer bis ins Kreuz­zugs­zeit­al­ter nach­weis­ba­ren Fami­lie zur Welt gekom­men, saß als Zwölf­jäh­ri­ger das ers­te Mal in einem Flug­zeug, was ihn nach eige­nem Bekun­den in Eksta­se ver­setz­te. Zu jung für den Ein­satz im Ers­ten Welt­krieg, schloß der auf Schlös­sern auf­ge­wach­se­ne Jugend­li­che 1917 die Schu­le ab und imma­tri­ku­lier­te sich im Fach­be­reich Archi­tek­tur, da er an der Mari­ne­schu­le abge­lehnt wor­den war.

Es waren dies die Lei­dens­zei­ten des jun­gen Tech­nik- und Wis­sen­schafts­be­geis­ter­ten, der von Anstel­lung zu Anstel­lung wech­sel­te, ohne sei­ner Pas­si­on näher­kom­men zu kön­nen. Erst 1926 wur­de er in einem Flug­un­ter­neh­men tätig, ein Jahr spä­ter wur­de er Post­flie­ger zwi­schen Frank­reich und den Kolo­nien im Nor­den Afri­kas, 1929 nahm er eine lei­ten­de Stel­le im fran­zö­sisch orches­trier­ten süd­ame­ri­ka­ni­schen Luft­ver­kehr ein.

Neben die­sen Tätig­kei­ten als flie­gen­der Kurier unter­nahm Saint-Exupé­ry diver­se Rekord­ver­su­che. Sei­ne Aben­teu­er­lust und die Suche nach dem Neu­en führ­ten zwei­mal infol­ge eines Abstur­zes dazu, daß er lebens­be­droh­lich ver­letzt wur­de. Ein­mal – in der liby­schen Wüs­te – über­leb­te er dank Noma­den, die sei­nen Kame­ra­den und ihn fan­den und, was nicht immer selbst­ver­ständ­lich war, ver­schon­ten, ja ihnen sogar zur direk­ten Rück­kehr in die von Saint-Ex gelieb­te »Zivi­li­sa­ti­on« des fran­zö­si­schen Kolo­ni­al­stütz­punk­tes verhalfen.

Das ande­re Mal, beim Flug von der US-ame­ri­ka­ni­schen Ost­küs­te an die süd­ame­ri­ka­ni­schen Aus­läu­fer Feu­er­lands im Jah­re 1938, blie­ben nach­hal­ti­ge gesund­heit­li­che Schä­den zurück, die ihn bis ans Lebens­en­de mar­ter­ten. Die­se Erfah­run­gen sog der Tat-Mensch Exupé­ry, der vom epo­chen­ty­pi­schen nietz­schea­ni­schen Vita­lis­mus geprägt war, auf; sie ver­hal­fen ihm zu sei­ner lite­ra­ri­schen Geburt.

Er ver­ar­bei­te­te sie, neben ver­schie­de­nen Zeit­schrif­ten­bei­trä­gen, im Süd­ku­rier (1928), dem Nacht­flug (1931) sowie in Wind, Sand und Ster­ne (1939). Im letzt­ge­nann­ten Werk, der Ori­gi­nal­ti­tel war Terre des hom­mes (Die Erde der Men­schen), posi­tio­niert sich der Autor kurz nach sei­nem Feu­er­land-Aben­teu­er mit­tel­bar gegen­über dem Vor­wurf der Todessehnsucht.

»Mensch sein«, defi­niert sein Alter ego, bedeu­tet »Ver­ant­wor­tung füh­len«. Wei­ter führt der Prot­ago­nist aus: »Ich pfei­fe auf Todes­ver­ach­tung. Sie ist nur ein Zei­chen geis­ti­ger Armut oder jugend­li­cher Unrei­fe, wenn« – und das ist ent­schei­dend – »sie nicht in einer über­nom­me­nen Ver­ant­wor­tung wur­zelt.« Ver­ant­wor­tung über­neh­men in der Stun­de des all­ge­mei­nen Zer­falls der fran­zö­si­schen Armee 1940: Das hieß für Saint-Exupé­ry, das schein­bar »nutz­lo­se Die­nen« (Hen­ry de Mon­t­her­lant) vorzuleben.

In die­ser Hal­tung des ver­lo­re­nen Pos­tens kann man einen Stil erken­nen, und Saint-Exupé­ry zeig­te sich durch­aus über­zeugt, daß Stil und Hal­tung, Stil und Per­sön­lich­keit zusam­men­ge­hö­ren. »Denn der Stil ist die See­le. Und man erschafft nur inso­weit die­se See­le, als man sich einen Stil schmie­det. Sich bewußt wer­den heißt, einen Stil erwer­ben. Im Stil steckt die Bemü­hung, und sie ist Hand­lung«, heißt es in den Car­nets, den Notiz­hef­ten des Autors.

Der han­deln­de, täti­ge Mensch ist eines der Leit­mo­ti­ve Saint-Exupé­rys, und der Drang nach Hand­lung hieß bei ihm ganz kon­kret: Sehn­sucht nach dem Flie­gen. End­lich – und gesund­heit­li­chen wie welt­an­schau­li­chen Wid­rig­kei­ten zum Trot­ze, denn man hielt ihn im Krei­se der Gaul­lis­ten für einen ver­kapp­ten Pétain-Anhän­ger – in der Luft­waf­fe des »frei­en Frank­reichs«, erhielt Saint-Ex nach einem Auf­klä­rungs­flug über Arras das Kriegs­ver­dienst­kreuz mit Palme.

Er faß­te die­se Leis­tung lite­ra­risch 1942 in der – von den natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Besat­zern ver­bo­te­nen – Erzäh­lung Flug nach Arras zusam­men. In ihr beschrieb er nicht nur das Leben mit den Kame­ra­den und das stoi­sche Die­nen trotz der mög­li­chen Nie­der­la­ge, son­dern durch­dach­te auch die Opti­on der Résis­tance gegen die Fein­de Frank­reichs: »Der ers­te Akt des Wider­stan­des, kommt er zu spät, ist immer verlustreich.

Aber er ruft den Wider­stand wach. Viel­leicht geht aus ihm wie aus einem Samen­korn ein Baum her­vor.« Saint-Ex zeig­te sich über­zeugt, daß »die Nie­der­la­ge sich als der ein­zi­ge Weg zur Erneue­rung erwei­sen [kann], trotz ihrer Häß­lich­kei­ten«. Anders als für vie­le kon­ser­va­ti­ve, rech­te oder faschis­ti­sche Schrift­stel­ler sei­ner Zeit war die Kol­la­bo­ra­ti­on mit den deut­schen Besat­zungs­kräf­ten nach der Nie­der­la­ge 1940/41 jedoch im Sin­ne Saint-Exupé­rys kei­ne adäqua­te Lösung; sie wür­de die ewi­ge Treue zur Hei­mat negieren.

Für Saint-Exupé­ry, bei Druck­le­gung des Manu­skripts Flug nach Arras bereits im US-ame­ri­ka­ni­schen Exil, in dem er zwi­schen ver­schie­de­nen aus­lands­fran­zö­si­schen ideo­lo­gi­schen Frak­tio­nen ein Außen­sei­ter blieb, spal­te­te die Nie­der­la­ge das intak­te Hexa­go­ne, sie »zer­legt, was ganz war«. Für das Gros der ver­stän­di­gungs­ori­en­tier­ten Rech­ten war Frank­reich hin­ge­gen bereits durch die Epo­che der Drit­ten Repu­blik (1871–1940) frag­men­tiert und in feind­li­che welt­an­schau­li­che Blö­cke geteilt.

Frank­reich habe ver­lo­ren auf­grund sei­ner noto­ri­schen inne­ren Zer­ris­sen­heit, die es über­haupt erst für Deka­denz­er­schei­nun­gen einer libe­ra­len Demo­kra­tie anfäl­lig gemacht habe, so der Grund­kon­sens der (durch­aus hete­ro­ge­nen) Kol­la­bo­ra­ti­ons­rech­ten. Eine sol­che Über­le­gung ließ der theo­rie­scheue Saint-Exupé­ry nicht gelten.

Die Treue zum Vater­land ver­bot ihm eine ent­spre­chen­de poli­tik­theo­re­ti­sche Refle­xi­on, obschon er Charles de Gaul­le eben­so instink­tiv ablehn­te (als Ego­ma­nen) wie er Mar­schall Pétain (als Vater­fi­gur der Nati­on) nahe­zu ver­ehr­te. Gleich­wohl ver­blieb Saint-Exupé­ry im Lager de Gaulles; man fühlt sich unwei­ger­lich an das eng­li­sche »Right or wrong – my coun­try!« à la fran­çai­se erin­nert.

Dabei war Saint-Exupé­ry frei­lich kein Repu­bli­ka­ner; das Prin­zip der Gleich­heit – ele­men­ta­rer Bestand­teil der fran­zö­sisch-repu­bli­ka­ni­schen Tri­as »Liber­té, Ega­li­té, Fra­ter­ni­té« – irri­tier­te ihn. In der Moder­ne sei stän­dig eine sol­che Gleich­heit aller Men­schen gepre­digt worden.

Weil aber der Ein­zel­ne, der Mensch, die Per­sön­lich­keit ver­ges­sen wur­de, erschien der Begriff unscharf und über­holt: »Wie soll man die Gleich­heit auf der Ebe­ne der Indi­vi­du­en, zwi­schen dem Wei­sen und dem Roh­ling, dem Dumm­kopf und dem Genie, defi­nie­ren? Wenn wir sie fest­le­gen und ver­wirk­li­chen wol­len, ver­langt die Gleich­heit auf der Ebe­ne der Stof­fe, daß die­se alle den­sel­ben Platz ein­neh­men und die­sel­be Rol­le spie­len. Das ist absurd«, hieß es im Flug nach Arras ankla­gend. Gleich­heit exis­tie­re nur in kon­kre­ten Ein­hei­ten, nicht als Abstraktum.

In sei­nem Frag­ment geblie­be­nen, 1948 post­hum ver­öf­fent­lich­ten Werk Cita­del­le, das sowohl »kon­ser­va­ti­ve Uto­pie« (Joseph Hani­mann) als auch »Traum-Par­lan­do« (Léon Werth) titu­liert wur­de, und das in der deut­schen Über­set­zung unter dem Titel Die Stadt in der Wüs­te fir­miert, ergänz­te er die­se Kri­tik: »Ich wur­de gewahr, daß er [der Mensch] eben­so wert­los ist, wenn er in der Mas­se auf­geht, wenn er sich von ihr beherr­schen läßt und sich ihren Geset­zen unterwirft.«

Die ers­ten nie­der­ge­schrie­be­nen Sei­ten las er Ende der 1930er Jah­re aus­ge­rech­net sei­nem dama­li­gen Freund, Gal­li­mard-Kol­le­gen und spä­te­ren col­l­abo Pierre Drieu la Rochel­le vor, der zwar eben­falls eine gefühls­mä­ßi­ge Ableh­nung der »Mas­se« heg­te, aber im Zeit­al­ter der Mas­sen ihre faschis­ti­sche For­mie­rung erwar­tungs­froh begrüß­te. Saint-Ex lehn­te die Vor­stel­lung einer auto­ri­tä­ren Erzie­hungs­dik­ta­tur ab; die Unter­drü­ckung der Per­sön­lich­keit wür­de in die­ser wuchern, das Selbst­be­wußt­sein des Ein­zel­nen näh­me in ver­schie­de­ner Hin­sicht irrepa­ra­blen Schaden.

Die Kon­se­quenz aus die­ser Hal­tung läßt sich auch für das Zwi­schen­mensch­li­che unschwer erken­nen: »Ver­ach­te des­halb die Urtei­le der Mas­se! Denn sie füh­ren dich auf dich selbst zurück und hin­dern dich am Wach­sen.« Die bei­ßen­de Kri­tik der abs­trakt-uni­ver­sa­len Gleich­heit und der »Ver­mas­sung« ändert nichts dar­an, daß Saint-Exupé­ry von Lie­be beseelt war (und damit zu frei­zü­gig umging; sei­ne zahl­lo­sen Lieb­schaf­ten spre­chen Bände).

Zual­ler­erst galt die­se Lie­be aber Gott. Die fort­schrei­ten­de Säku­la­ri­sie­rung wur­de von ihm bean­stan­det – eine reli­giö­se Reno­va­tio wäre erfor­der­lich, die Reli­gi­on müß­te »die Men­schen ergrei­fen, sie kann sie sich nicht unter­wer­fen«. Dafür müs­se sich der Mensch jedoch eini­ger Din­ge gewahr wer­den: »Jedes Herz­klop­fen, jedes Leid, jedes Ver­lan­gen, jede Schwer­mut am Abend, jede Mahl­zeit, jede Mühe bei der Arbeit, jedes Lächeln, jede Müdig­keit im Lau­fe des Tages, jedes Erwa­chen, jedes Wohl­be­ha­gen beim Ein­schla­fen – sie alle erhal­ten ihren Sinn durch den Gott, der durch sie hin­durch zu lesen ist.«

Saint-Exupé­rys kri­ti­sches Bild vom Men­schen sei­ner Zeit bedeu­te­te nicht, daß er den Men­schen für unwi­der­ruf­lich gefühls­tot hielt; noch sei der Mensch zur Lie­be fähig. Denn schon »das Ver­lan­gen nach Lie­be ist Lie­be«, und eben hier sah er Hoff­nung kei­men, daß der ein­zel­ne Mensch als lie­ben­des Wesen – durch die Nächs­ten­lie­be, die Got­tes­lie­be – wei­ter­hin exis­tie­re und die Grund­la­ge für erneu­er­tes, ach­tungs­vol­les Zusam­men­le­ben schaffe.

Franz Wer­fels Dik­tum »Ohne Divi­ni­tät kei­ne Huma­ni­tät« könn­te als ein Axi­om der­ar­ti­ger Refle­xio­nen des Flie­ger­schrift­stel­lers begrif­fen wer­den; Saint-Exupé­rys Bio­graph Joseph Hani­mann prä­fe­rier­te der­weil die Bezeich­nung »kon­kre­ter Huma­nis­mus auf Augenhöhe«.

Wes­halb posi­tio­nier­te sich der gott­gläu­bi­ge, katho­li­sche, kon­ser­va­ti­ve und dezi­diert natio­na­le Schrift­stel­ler 1940ff. im Lager der Alli­ier­ten, neben den Mäch­ten des tota­len Indi­vi­dua­lis­mus, den USA, und des tota­li­tä­ren Kol­lek­ti­vis­mus, der UdSSR? Wie­so ging er nicht den Weg sei­nes zeit­wei­sen bel ami Drieu?

Es war nicht die Sym­pa­thie zum »Wes­ten«, des­sen kapi­ta­lis­ti­sche Pro­duk­ti­ons­wei­se und mer­kan­ti­le Geis­tes­hal­tung er glei­cher­ma­ßen als Scha­den für den Men­schen begriff, und eben­so­we­nig zum »Osten«, bei dem er ideo­lo­gisch kei­ner­lei Über­ein­stim­mun­gen erken­nen konnte.

Viel­mehr tru­gen zwei ande­re Fak­to­ren dazu bei. Zum einen war Saint-Exupé­ry nicht Wil­lens, die Zusam­men­ar­beit mit Besat­zern zu unter­stüt­zen. »Wag­nis« und die »Treue bis zum Tod« gegen­über dem Eid und sei­nem Lan­de bezeich­ne­te er als »Pflicht­er­fül­lun­gen«, die dazu bei­tra­gen, »das Edle im Men­schen hervorzubringen«.

Zum ande­ren ent­wi­ckel­te Saint-Ex, der auch jed­we­de Erschei­nungs­form des Anti­se­mi­tis­mus beharr­lich ablehn­te und sich daher mit kei­nem Flü­gel der fran­zö­si­schen Rech­ten akkli­ma­ti­sie­ren konn­te, nie die – jeden­falls heu­te naiv anmu­ten­de – Sym­pa­thie für Hit­lers Deutsch­land, wie sie bei­spiels­wei­se für Exupé­rys Kri­ti­ker und Bekann­ten Robert Bras­il­lach oder, noch in erhöh­ter Inten­si­tät, für Alphon­se de Châ­teau­bri­ant min­des­tens bis 1942 kenn­zeich­nend war. Für Saint-Exupé­ry – wie ja durch­aus auch für die col­la­bos – war klar, daß es kei­ne Nischen im Welt­bür­ger­krieg geben würde.

Er stell­te fest, daß es nun noch zwei Mög­lich­kei­ten für einen fran­zö­si­schen Patrio­ten gäbe; »ent­we­der ist man bereit, Hit­lers Skla­ve zu sein oder man lehnt ihn in Bausch und Bogen ab«, ter­ti­um non datur. Er ent­schied sich für die Ableh­nung, und zwar vor allem des­halb, weil er bei den Natio­nal­so­zia­lis­ten kei­ner­lei Ehr­furcht vor dem von Gott geschaf­fe­nen Men­schen fin­den konnte.

Das Gedan­ken­ge­bäu­de Hit­lers war für ihn eine Ideo­lo­gie der Gleich­schal­tung, in der ein »Robo­ter eines Ter­mi­ten­hau­fens« die Stel­le der mensch­li­chen Per­sön­lich­keit ein­nahm. Im Umkehr­schluß hieß das nicht, daß sich Saint-Exupé­ry im Lager der hete­ro­gen zusam­men­ge­setz­ten Résis­tance und ihrer Hel­fers­hel­fer gro­ßer Beliebt­heit erfreu­en konnte.

Die zeit­ge­nös­si­schen Kom­mu­nis­ten rie­ben sich bestim­mungs­ge­mäß an sei­nem osten­ta­ti­ven Anti­mar­xis­mus, und für Anhän­ger der par­la­men­ta­ri­schen Demo­kra­tie wur­de der berühmt gewor­de­ne »Brief an die Fran­zo­sen« kei­nes­wegs als eine Wer­be­re­de für eben­die­se Regie­rungs­form wahr­ge­nom­men. Saint-Ex sprach in die­ser eigent­li­chen Anti-Kol­la­bo­ra­ti­ons-Inter­ven­ti­on in »preu­ßi­scher« Dik­ti­on vom Die­nen als obers­tem Prin­zip, von der Über­win­dung von jed­we­dem »Par­tei­geist«, er rief, auch und ins­be­son­de­re ange­sichts der über­haupt mög­lich gewor­de­nen Besat­zung, die Fran­zo­sen zum Haß gegen »Par­tei­en, die Klün­gel und die Spal­tun­gen« auf.

Dies war kei­ne Brand­re­de für die Par­tei­en­de­mo­kra­tie; hier ver­schaff­te sich die zag­haf­te Hoff­nung auf ein geein­te­sund star­kes Frank­reich Frei­raum, ohne aber jenen mit Haß zu begeg­nen, die sich – im uner­schüt­ter­li­chen Glau­ben, durch ihr Enga­ge­ment etwas Posi­ti­ves für das Land leis­ten zu kön­nen – für die Opti­on Zusam­men­ar­beit mit den Deut­schen ent­schie­den hat­ten. Saint-Exupé­ry wuß­te nur zu gut um die töd­li­che Spreng­kraft inter­ner Aus­ein­an­der­set­zun­gen – und als fein­füh­li­ger, ewig zwei­feln­der und aus­glei­chen­der Mensch ver­zwei­fel­te er an ihnen.

Dro­hen­de Säu­be­rungs­ak­tio­nen gegen den mög­li­chen Bür­ger­kriegs­ver­lie­rer waren für ihn das ulti­ma­tiv Böse; er ver­lang­te einen Akt des Ver­ges­sens für den fol­gen­den Nach­krieg. Daß ihn die zahl­lo­sen Greu­el der épur­a­ti­on (Säu­be­rung) ab Ende 1944 ent­rüs­tet hät­ten, ist daher anzunehmen.

Doch schon als jour­na­lis­ti­scher Beob­ach­ter im Spa­ni­schen Bür­ger­krieg (1936 – 1939) zeich­ne­te er in sei­nem Arti­kel »Blu­ten­des Spa­ni­en« auf: »Im Bür­ger­krieg ist die Gren­ze unsicht­bar und geht durch das Herz der Men­schen hin­durch …« Jür­gen Hat­zen­bich­ler, für den Saint-Exupé­ry ein »Kon­ser­va­ti­ver Revo­lu­tio­när« zwi­schen allen Fron­ten gewe­sen ist, stellt daher mit Recht fest, daß weder die Sie­ger noch die Ver­lie­rer des Zwei­ten Welt­krie­ges ansatz­wei­se für das kämpf­ten, wofür Saint-Exupé­ry eintrat.

Dies hin­der­te ihn nicht dar­an, trotz fort­wäh­ren­der gesund­heit­li­cher Unzu­läng­lich­kei­ten wei­ter sei­nen Kriegs­dienst zu leis­ten. Er star­te­te am 31. Juli 1944 zu sei­nem letz­ten Auf­klä­rungs­flug im Groß­raum Gre­no­ble, von dem er nie zurück­kehr­te. Ob sei­ne P 38-Light­ning-Maschi­ne von der deut­schen Flak abge­schos­sen, ob er einen Unfall hat­te oder ob er den Frei­tod vor­zog, ist bis heu­te nicht gänz­lich geklärt.

Offi­zi­ell wird ein deut­scher Abschuß ver­mu­tet, aber Saint-Exupé­rys letz­ter Brief vom Tage des Flu­ges, in dem Abschied anklingt, nähr­ten zumin­dest vage Spe­ku­la­tio­nen über ein frei­wil­li­ges Aus­schei­den aus dem Leben: »Soll­te ich abge­schos­sen wer­den, wer­de ich rein gar nichts bedau­ern. Vor dem künf­ti­gen Ter­mi­ten­hau­fen graust mir. Und ich has­se ihre Robotertugend.«

Klar ist nicht nur auf­grund die­ser Zei­len, daß die der Ver­ein­heit­li­chung ent­ge­gen­stre­ben­de Welt nach dem Krieg, so wie sie sich für Saint-Exupé­ry abzeich­ne­te, nicht sei­nen Vor­stel­lun­gen ent­spre­chen wür­de. Von der Nach­kriegs­ord­nung erwar­te­te er nichts, in kei­nem der mög­li­chen Kriegs­re­sul­ta­te. Es emp­fiehlt sich daher, die letz­ten poli­ti­schen Emp­fin­dun­gen Saint-Exupé­rys, nie­der­ge­legt in einem »Brief an einen Gene­ral«, aus­führ­lich zu zitieren:

»Wir sind erstaun­lich gründ­lich kas­triert. So sind wir schließ­lich nun frei. Man hat uns Arme und Bei­ne abge­schnit­ten, dann ließ man uns frei her­um­lau­fen. Doch ich has­se die­se Epo­che, in der der Mensch unter dem all­ge­mei­nen tota­li­tä­ren Druck zu sanf­tem, höf­li­chem und ruhi­gem Vieh wird. […] Was ich am Mar­xis­mus has­se, das ist das Tota­li­tä­re, zu dem er führt. […] Was ich am Nazis­mus has­se, das ist das Tota­li­tä­re, das er wesens­mä­ßig anstrebt. […] Doch was wird aus den Ver­ei­nig­ten Staa­ten und aus uns, ja auch aus uns, in die­ser Epo­che eines all­ge­mei­nen Funk­tio­när­tums? Der Epo­che des Robo­ter­men­schen, des Ter­mi­ten­men­schen, des Men­schen, der hin- und her­pen­delt zwi­schen Fließ­band­ar­beit […] und Skat­spie­len? Des Men­schen, der sei­ner gan­zen Schöp­fungs­kraft beraubt wur­de und der nicht ein­mal mehr in sei­nem Dorf einen Tanz oder ein Lied her­vor­zu­brin­gen ver­mag. Des Men­schen, den man mit einer Kon­fek­ti­ons­kul­tur, mit Stan­dard­kul­tur ver­sorgt, so wie man das Rind­vieh mit Heu ver­sorgt. So sieht er aus, der Mensch von heute.«

Dies sind nicht die Wor­te eines Men­schen, der sich mit der zu erwar­ten­den Frie­dens- und Kon­sum­ge­sell­schaft arran­giert hat, und daher geht Saint-Exupé­ry als »hei­mat­lo­ser Rech­ter« in die Geschich­te ein, der, bei aller Bestimmt­heit sei­ner ver­tre­te­nen Posi­tio­nen, nie den Respekt vor dem Geg­ner aus den Augen verlor.

»Ein Mensch ver­dient Ach­tung«, so ein in der heu­ti­gen Sphä­re der Poli­tik des­avou­ier­tes Lebens­prin­zip Saint-Exupé­rys, »einer­lei wel­che Ideen er ver­tritt.« Die­ses rit­ter­li­che Leben Saint-Exupé­rys vor Augen, erscheint der Autor von Der klei­ne Prinz nicht nur als Schöp­fer eben­die­ses intel­li­gen­ten und geist­rei­chen Kin­der­bu­ches, son­dern eben­so als Den­ker der Kame­rad­schaft, der Kühn­heit, der Treue, der gegen­sei­ti­gen Soli­da­ri­tät und der frei­en, star­ken Persönlichkeit.

Mit sei­ner tie­fen Ver­wur­ze­lung im christ­li­chen Glau­ben, den er, bei aller wider­sprüch­li­chen Lebens­füh­rung, nie ver­lor, ver­kör­pert Antoine de Saint-Exupé­ry über­dies die imma­te­ri­el­len ewi­gen Säu­len des Lebens: Glau­be, Hoff­nung, Lie­be (1 Kor 13,13).

Benedikt Kaiser

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