Stauffenberg – Inflationäre Vereinnahmung

PDF der Druckfassung aus Sezession 91/August 2019

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

Fan­gen wir mit einem Zitat von 1958 an, das ein »Nein« gegen­über dem 20. Juli anmel­det: »Der Gesprächs­part­ner, gegen den unser Nein sich rich­ten muß, begeg­net uns in zahl­rei­chen Ver­öf­fent­li­chun­gen der mei­nungs­bil­den­den Orga­ne wie in amt­li­chen Ver­laut­ba­run­gen auf Schritt und Tritt; allent­hal­ben wird der ›20. Juli‹ so selbst­ver­ständ­lich bejaht, ja gera­de­zu von Amts wegen ver­klärt, daß er sei­nes atem­be­rau­bend unge­wöhn­li­chen Cha­rak­ters ver­lus­tig zu gehen droht […].

Man kann eine revo­lu­tio­nä­re Hal­tung von die­ser Art nicht gut leh­ren, tra­die­ren, in Stra­ßen­na­men oder etwa­igen Orden kon­ser­vie­ren und zum all­ge­mein­ver­bind­li­chen Rezept pro­kla­mie­ren, ohne das Eigent­li­che dar­an zu ver­wäs­sern.« Die­se Sät­ze sind von unge­bro­che­ner Aktua­li­tät, wenn man bedenkt welch merk­wür­di­gen Kult die Kanz­le­rin mit dem »20. Juli« treibt: Ganz ernst­haft hat sie näm­lich Stauf­fen­berg anläß­lich des 75. Jah­res­tags des Atten­tats auf Hit­ler zu einem Vor­kämp­fer gegen den Rechts­extre­mis­mus erklärt und damit gleich­zei­tig sug­ge­riert, daß die Bun­des­re­gie­rung mit ihrem Kampf gegen rechts sein Ver­mächt­nis bewahre.

Die zitier­ten Sät­ze sind aber auch inter­es­sant, weil immer wie­der betont wird, wie schwer man sich nach 1945 angeb­lich getan hat, Stauf­fen­berg zu ehren und ihn nicht als Feig­ling und Ver­rä­ter zu betrach­ten. Offen­bar gab es spä­tes­tens mit der Wie­der­be­waff­nung 1955, als man unver­fäng­li­che Tra­di­tio­nen brauch­te, eine gewis­se Über­be­an­spru­chung der Per­son Stauf­fen­bergs (auch wenn sie nicht so exzes­siv wie heu­te gewe­sen sein dürf­te), die sich vor allem in zwei Spiel­fil­men mani­fes­tier­te – sie kamen just 1955 in die Kinos.

Die oben zitier­ten Sät­ze jeden­falls stam­men von Ulrich Mann, einem heu­te lei­der ver­ges­se­nen evan­ge­li­schen Theo­lo­gen, der seit 1934 als Sol­dat und spä­ter als Offi­zier dien­te, nach der eng­li­schen Kriegs­ge­fan­gen­schaft Theo­lo­gie stu­dier­te und schließ­lich Pro­fes­sor in Saar­brü­cken wur­de. Das Buch, aus dem die Sät­ze stam­men, trägt den Titel Lor­beer und Dor­nen­kro­ne. Eine his­to­ri­sche und theo­lo­gi­sche Stu­die über das Wehr­ver­ständ­nis im deut­schen Soldatentum.

Im Gegen­satz zur heu­ti­gen Ein­di­men­sio­na­li­tät hat­te Mann durch­aus ein Gespür für die Tra­gik der mili­tä­ri­schen Wider­stands­be­we­gung. Er bejah­te sie grund­sätz­lich als Ehren­ret­tung der Armee, leg­te gleich­zei­tig aber Wert dar­auf, daß die­ses »Ja« das »Nein« dia­lek­tisch auf­he­ben müs­se. Er sieht die mili­tä­ri­sche Wider­stands­be­we­gung durch man­ches belas­tet, »was man nicht rund­weg beja­hen kann«. Das wären dann neben dem lan­gen Zögern und dem spä­ten Zeit­punkt der Tat, die Eid­pro­ble­ma­tik, die Momen­te der Sabo­ta­ge (Ver­rat von Angriffs­ter­mi­nen) und die Aus­sichts­lo­sig­keit, die selbst bei einem Erfolg zu befürch­ten war.

Doch um das Gelin­gen, dar­in stimmt Mann mit dem heu­ti­gen Main­stream über­ein, ging es den Män­nern des 20. Juli und damit vor allem Stauf­fen­berg letzt­lich gar nicht mehr, son­dern um ihr Gewis­sen (daher die Rede vom »Auf­stand des Gewis­sens«). Damit sind wir bei den Moti­ven und einem ziem­lich ver­min­ten Feld, denn offen­bar hat man sich dar­auf geei­nigt, daß wir es mit einem Mär­ty­rer zu tun haben, den kei­ne ratio­na­len Moti­ve lei­te­ten, son­dern der ein Zei­chen set­zen wollte.

Die dem Mit­ver­schwö­rer Hen­ning von Tres­kow zuge­schrie­be­nen Zita­te, daß man die Tat um jeden Preis wagen müs­se, weil es nicht mehr auf den prak­ti­schen Zweck ankom­me, gel­ten längst als das kom­pa­ti­bels­te Motiv, denn nur so kann man den Umstand igno­rie­ren, daß Stauf­fen­berg nicht gera­de Ideen ver­tre­ten hat, die dem Grund­ge­setz als Begrün­dung die­nen könn­ten. Im Gegen­teil: Der soge­nann­te Eid der Ver­schwö­rer wäre heu­te ein Fall für den Ver­fas­sungs­schutz, da zumin­dest die Rede der »Gleich­heits­lü­ge« gegen den Grund­satz der Men­schen­wür­de ver­sto­ßen dürfte.

Das Sym­bo­li­sche ist in die­sem Fall das Unver­fäng­li­che­re, und die­se Les­art hat Ernst Jün­ger, der selbst nichts von einem Atten­tat hielt, in sei­nem Roman Auf den Mar­mor­klip­pen 1939 vor­weg­ge­nom­men: Er ließ den Fürs­ten von Sun­my­ra auf­tre­ten, der gemein­sam mit einem Lands­knecht den Tyran­nen töten will. Sein Atten­tat schei­tert, aber sei­ne Brü­der im Geis­te, die gar nicht erst mit­ge­macht haben, ber­gen sein Haupt und ret­ten damit sein Vermächtnis.

Der Kon­sens, daß es den Ver­schwö­rern am 20. Juli um einen sym­bo­li­schen Akt ging, der gleich­sam die Inte­gra­ti­on des nie­der­ge­run­ge­nen Deutsch­lands in eine demo­kra­ti­sche Nach­kriegs­ord­nung erleich­tern soll­te, ist das Erzähl­mus­ter unse­rer Zeit. Wer die Geschich­te anders erzäh­len will, muß damit rech­nen, einer brei­ten Front der Ableh­nung gegenüberzustehen.

Ande­rer­seits dürf­te es schwie­rig sein, ohne eine sol­che Kon­sens­stö­rung ein Buch über Stauf­fen­berg pro­mi­nent zu pla­zie­ren. Wenn man das berück­sich­tigt, ist die Rech­nung von Tho­mas Kar­lauf mit sei­ner Stauf­fen­berg-Bio­gra­phie (Stauf­fen­berg. Por­trät eines Atten­tä­ters, Mün­chen: Bles­sing Ver­lag 2019) auf­ge­gan­gen. Die Kri­tik kam von allen Sei­ten. Jens Jes­sen schrieb in der Zeit, daß Stauf­fen­berg nach Mei­nung Kar­laufs nicht bes­ser als die Nazis war, in der Jun­gen Frei­heit sprach man von einer Demon­ta­ge des Hel­den, der in wei­ten Tei­len nun doch wie­der ein Natio­nal­so­zia­list gewe­sen sein soll, und eine Stauf­fen­berg-Enke­lin zeig­te sich entsetzt.

Bestä­tigt füh­len sich hin­ge­gen alle, die Stauf­fen­berg schon immer für einen Ver­tre­ter einer Kas­te hiel­ten, die viel zu lan­ge die glei­chen Zie­le wie die der Natio­nal­so­zia­lis­ten ver­folg­te und im letz­ten Moment den Bank­rott abwen­den woll­te. Wich­ti­ger ist aber die Fra­ge, wodurch Kar­lauf den Kon­sens so emp­find­lich stör­te? Kar­lauf legt den Fin­ger in die oft betrach­te­te Wun­de, daß das geis­ti­ge Haupt des Wider­stands gleich­zei­tig der Atten­tä­ter sein muß­te, der zudem als Kriegs­ver­sehr­ter in der Aus­füh­rung ein­ge­schränkt war.

»Unter ethisch-mora­li­schen Gesichts­punk­ten ist die­ser Befund wenig befrie­di­gend. Er bringt vor allem die­je­ni­gen in Erklä­rungs­not, die Stauf­fen­bergs Han­deln am 20. Juli zu einem frei­wil­li­gen Opfer­gang um der Ehre wil­len sti­li­sie­ren wol­len.« Dann näm­lich, so Kar­lauf, stellt sich die Fra­ge, was er eigent­lich noch in Ber­lin woll­te? Ob sich die Hand­lungs­op­tio­nen Stauf­fen­bergs in ein solch enges Sche­ma pres­sen las­sen, ist zumin­dest mit Blick auf die Lebens­er­fah­rung und den per­sön­li­chen Hin­ter­grund fragwürdig.

Denn immer­hin ent­stammt Stauf­fen­berg einem Kul­tur­kreis, in dem das Selbst­mord­at­ten­tat über kei­ne Tra­di­ti­on ver­fügt. Viel näher liegt die Annah­me, daß trotz der ein­kal­ku­lier­ten Mög­lich­keit des Schei­terns ein Fun­ken Hoff­nung glimm­te, daß die Tat der Aus­gangs­punkt einer Ent­wick­lung sein könn­te, die durch ein Wun­der oder Got­tes Fügung doch noch unge­ahn­te Mög­lich­kei­ten eröff­nen würde.

Der Selbst­mord hät­te dies alles von vorn­her­ein abge­schnit­ten. Den­noch ist Kar­laufs Grund­an­nah­me, daß Stauf­fen­berg mehr als nur ein Mär­ty­rer gewe­sen sei, plau­si­bel. Stauf­fen­berg war sich durch­aus bewußt, daß die blo­ße Tötung Hit­lers zum Bür­ger­krieg und zu einer Dolch­stoß­le­gen­de füh­ren konn­te. Hin­zu kommt, daß die Wahr­schein­lich­keit der Zustim­mung brei­ter Tei­le des Vol­kes zur Tat äußerst gering war.

Gera­de Stauf­fen­berg hat­te kein gro­ßes Ver­trau­en in die poli­ti­sche Urteils­kraft der Mas­sen. Kar­lauf bringt Anhalts­punk­te, die dafür spre­chen, daß Stauf­fen­berg mit einem Staats­streich das Ruder noch ein­mal her­um­rei­ßen woll­te. In einem letz­ten, ihm zuge­schrie­be­nen Doku­ment tau­chen Argu­men­te auf, mit denen sich Stauf­fen­berg schon lan­ge beschäf­tigt hat­te: die Unfä­hig­keit der Füh­rung, die unzweck­mä­ßi­ge Füh­rungs­struk­tur des Hee­res und die fal­sche Behand­lung der Ost­völ­ker, deren Inte­gra­ti­on in den Befrei­ungs­kampf gegen den Bol­sche­wis­mus er immer wie­der ange­spro­chen hatte.

Mora­li­sche Grün­de fin­den sich dort kei­ne. Kar­lauf hat aber auch Anstoß erregt, weil er Nach­kriegs­zeug­nis­se über Stauf­fen­berg als Quel­le aus­schei­det (wenn auch nicht an allen Stel­len kon­se­quent). Die Quel­len spru­deln vor dem 20. Juli natür­lich nicht so kräf­tig wie danach, als erst die Gesta­po ent­spre­chen­de Ver­hör­pro­to­kol­le anfer­ti­ge, sich dann in den alli­ier­ten Spruch­kam­mer­ver­fah­ren unzäh­li­ge Leu­te offen­bar­ten, die sich mit­tel­bar zur Ver­schwö­rung rech­ne­ten, und schließ­lich die Erin­ne­rungs­li­te­ra­tur im Sin­ne des neu­es Staa­tes die Tra­di­ti­ons­li­ni­en auszog.

Aus dem Dilem­ma der feh­len­den Quel­len füh­ren laut Kar­lauf nur Ana­lo­gien und Spe­ku­la­tio­nen her­aus, die man für plau­si­bel hal­ten kann oder auch nicht. Anstö­ßig sind sie nur für den­je­ni­gen, der in Stauf­fen­berg gern den Bun­des­bür­ger des 21. Jahr­hun­derts sehen möch­te und dafür jeg­li­chen Kon­text, in dem Stauf­fen­berg groß wur­de, sei es der Adel, der Geor­ge-Kreis oder eben das Mili­tär, aus­blen­den muß. Wer das nicht tut, muß zu dem Schluß kom­men, daß Stauf­fen­berg vor allem poli­ti­sche Grün­de für sei­ne Tat hatte.

Der Abwehr­re­flex gegen die­se Ein­sicht erklärt sich vor allem dar­aus, daß sich eine sol­che Tat und auch ein sol­cher Mann nicht so ein­fach ver­ein­nah­men las­sen. Ein Gesin­nungs­tä­ter paßt ein­fach bes­ser in das gegen­wär­ti­ge Kor­sett des poli­ti­schen Moralismus.

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Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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