Wer Curzio Malapartes Schilderungen über die Weltkriegsgreuel auf dem Balkan in seinem Werk Kaputt für dichterische Übertreibung hielt, wird bei Slavko Goldsteins epochalem Werk 1941 an der einen oder anderen Stelle innerlich Buße tun. Gewiß: Als Linksintellektueller mit Partisanenbiographie hat der kroatisch-jugoslawische Verleger Goldstein (1928 – 2017) seine eigenen ideologischen Interessen, die subkutan auch in vorliegendem Werk eine Rolle spielen. Aber 1941 ist keine kommunistische Mythenreproduktion.
Goldstein entwirft ein Panorama der Gewalt, das im Jahr 1941 weder entstand noch endete, aber eben in vielerlei Hinsicht in diesem Schicksalsjahr kulminierte, als der Führer der kroatisch-katholischen Radikalnationalisten Ante Pavelic den Unabhängigen Staat Kroatien (Nezavisna Država Hrvatska, NDH) ausrief – mit italienischer und deutscher Unterstützung. War das Streben der Kroaten zu ihrem eigenen Nationalstaat historisch verständlich und innerhalb der kroatischen Siedlungsgebiete weitgehend erhofft worden, sorgten vor allem die massiven Verbrechen der »wilden Ustasche« ab Mai 1941 dafür, daß auch patriotische Kroaten auf Abstand zu den »Aufständischen« (Ustasche) gingen, die seit 1929 vor allem aus dem Ausland als klandestine Verschwörer gegen Belgrad wirkten.
Als das »Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen« innerhalb weniger Tage nach dem deutschen Angriff im Frühjahr 1941 auseinanderfiel und die Ustasche in den kroatischen Landesteilen die Waffengewalt erhielten, entlud sich die in zwölf Jahren aufgestaute Wut. Der monatelang ungezügelte Terror vor allem gegen Serben, aber auch gegen Juden und andere, sorgte für eine Widerstandstätigkeit nicht nur der (ohnehin gegen den NDH eingestellten) Kommunisten und orthodoxen Serben, sondern auch relevanter Teile der katholisch-kroatischen Landbevölkerung, denen die Foltermaßnahmen, Erschießungen und Massenmorde der aus dem (meist italienischen) Exil heimgekehrten Ustasche deutlich zu weit gingen. Das sahen auch Wehrmachtsstellen und italienische Verantwortliche so, und Goldstein skizziert deren Beschwerdepolitik ebenso plastisch wie die Liquidationspolitik der Ustasche.
Dies führte dazu, daß das (an der Küste um seine Kronjuwelen Istrien, Zadar und Split beschnittene) NDH-Kroatien weitere Gebietssouveränität an italienische und deutsche Militärs abtreten mußte; zu stark sorgten die Verbrechen für ein Anwachsen der Partisanenbewegung unter Josip »Tito« Broz.
Goldstein versteht es, die Irrationalität der Ustasche darzulegen. Denn die von den Ustascha-Führern offen artikulierte Vernichtungslust an knapp zwei Millionen Serben überwog jede taktische Überlegung; der Drang nach Vergeltung an den vermeintlich oder tatsächlich Begünstigten des untergegangenen südslawischen Einheitsstaats unter serbisch-imperialer Dominanz schien gewichtiger zu sein als die Sicherung des jungen Staates. Anders ist es nicht zu erklären, daß man auf »Säuberungsaktionen« auch dann nicht verzichtete, als man längst bemerkte, daß man durch ebensolche Liquidationen Partisanenzuwächse und militärische Sollbruchstellen en masse generierte. Der Untergang des NDH, zeigen sich so unterschiedliche Beobachter wie Goldstein, Malaparte und deutsche Militärs einig, wurde durch den Massenterror rasant beschleunigt.
Goldstein beläßt es aber nicht bei der Darstellung der NDH-Entwicklung entlang seiner eigenen dramatischen Lebensgeschichte, sondern er untersucht auch zwei wichtige weitere Bausteine des oftmals unüberwindbar wirkenden chauvinistischen Hasses auf dem Balkan.
Erstens verweist er auf das schändliche Massaker im österreichischen Bleiburg im Mai 1945, als britische Generäle geschehen ließen, daß Zehntausende Kriegsverlierer – kroatische Ustasche, slowenische Weißgardisten, serbische Tschetniks, bosniakische und albanische Freiwillige, montenegrinische Nationalisten und Reste der Heeresgruppe E der Wehrmacht sowie Tausende Zivilisten – durch die Hand antifaschistischer Häscher umgebracht wurden: »Die Gefangenen wurden massenweise ermordet. Es war eine Orgie rachsüchtigen Zorns.« Bemerkenswert offen formuliert der Autor, daß »Bleiburg« ein Kriegsverbrechen war, »das jeder moralischen, politischen oder juristischen Rechtfertigung entbehrt« – und das auch nicht dadurch entschärft werden kann, daß Tito am 14. Mai 1945 das Einstellen des Massenmords anordnete.
Zweitens begreift man mit Goldsteins Übergängen in die Kriege von 1991 ff. und in die Gegenwart, wie tief die Traumata durch die gegenseitigen Verbrechen von 1941 bis 1945 beim kroatischen und serbischen Volk saßen und teils noch sitzen. Es wird verständlich, daß das föderale, ausgleichende Jugoslawien als Entität aller Südslawen im Rahmen einer (von Tito verordneten) »Brüderlichkeit und Einigkeit« objektiv notwendig war.
Aber ebenso deutlich wird, daß entfesselte subjektive Leidenschaften stärker sind als rationale Überlegungen zur Eindämmung chauvinistischer Exzesse. Das Buch rechnet nicht auf, es schärft den Blick für die heikle Situation auf dem Balkan, die sich auch heute bedrohlich zuspitzen kann, wenn insbesondere interne Widersprüche externalisiert werden. Gutmeinende Kräfte auf allen Seiten werden aus der blutigen Geschichte lernen können. Goldsteins Buch kann dabei, trotz gewisser antifaschistischer Einfärbungen, helfen.
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1941. Das Jahr, das nicht vergeht von Slavko Goldstein kann man hier bestellen.