Vera Brittain: Vermächtnis einer Jugend

Vera Brittain: Vermächtnis einer Jugend, Berlin: Matthes & Seitz Berlin 2018. 525 S., 30 €

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Eine Frau in Schwes­tern­tracht lächelt vom Buch­ti­tel, mild, beschei­den, lieb­rei­zend. Es ist Vera Brit­t­ain (1893 – 1970); in Ham­burg und Ber­lin füh­ren Stra­ßen den Namen die­ser eng­li­schen Schrift­stel­le­rin, Frau­en­recht­le­rin und »Bot­schaf­te­rin des Pazi­fis­mus«. (Brit­t­ain hat­te anno 1917 als Schwes­tern­hel­fe­rin auch deut­sche Sol­da­ten gepflegt, einen Welt­krieg spä­ter ver­ur­teil­te sie die alli­ier­ten Flä­chen­bo­mar­de­ments auf deut­sche Städte.) 

Ihre nun ins Deut­sche über­setz­ten frü­hen Memoi­ren – den Zeit­raum bis zu ihren ers­ten schrift­stel­le­ri­schen Erfol­gen 1923 / 24 umfas­send – sind 1933 erschie­nen, bis 1939 ver­kauf­ten sich ansehn­li­che 120 000 Exem­pla­re, bis heu­te beträgt die Gesamtauf¬lage eine Drei­vier­tel Mil­li­on. Vor vier­zig Jah­ren hat­te die BBC Brit­t­a­ins Bericht als Serie ver­filmt, so erfolg­reich, daß sich die Pro­duk­ti­on in zwan­zig Län­der ver­kauf­te. Brit­t­ain ist Sproß einer wohl­ha­ben­den Unter­neh­mer­fa­mi­lie aus Staf­ford­shire. Dem ehr­gei­zi­gen, lite­ra­risch gebil­de­ten wie enthu­si­as­mier­ten Mäd­chen gelang es – gegen fami­liä­re Wider­stän­de – ein Sti­pen­di­um für Oxford zu ergat­tern; Haupt­an­trieb: der ver­ach­te­ten pro­vin­zi­el­len Enge des Städt­chens Bux­ton zu ent­kom­men. Die jun­ge Dame mit ihrer Abnei­gung gegen schlecht­sit­zen­de, schä­bi­ge Klei­dung und gegen von Unbil­dung zeu­gen­de Dia­lek­te weiß früh, daß sie »eine gebo­re­ne Demo­kra­tin mit über­wäl­ti­gen­der Lie­be zur Mensch­heit« sowie Proto­fe­mi­nis­tin ist.

Irgend­wie – zwi­schen Ten­nis­stun­den, Ein­kaufs­tou­ren und Alt­spra­chen­pau­ke­rei wird es wie am Ran­de wahr­ge­nom­men – bricht dann der Welt­krieg aus. Brit­t­a­ins gelieb­ter Bru­der Edward und ihre – zeit­le­bens – gro­ße Lie­be Robert Leigh­ton, ein hoff­nungs­vol­ler Dich­ter, zie­hen ins Feld. Brit­t­ain mel­det sich – wobei die Motiv­la­ge nur ange­deu­tet, aber nicht plas­tisch wird – zum Vol­un­t­a­ry Aid Detach­ment, zur frei­wil­li­gen Hilfs­trup­pe. Lan­ge bevor die bei­den Vetrau­ens­per­so­nen fal­len, rückt das Grau­en des Krie­ges näher. Vor allem der Schmutz und die Ent­beh­run­gen! Rasch wird näm­lich klar, daß die Titel­phy­sio­gno­mie trügt. Beschei­den­heit und Zurück­hal­tung sind nicht Sache der Autorin, sie wirkt qua ihres Aus­drucks und ihrer Emp­fin­dun­gen weni­ger als vor­gest­ri­ge, denn als sehr heu­ti­ge Toch­ter des Zeit­geis­tes. Wenn ihr Ton denn von einer Art spöt­tisch-humor­vol­len Her­ab­las­sung geprägt wäre – man täte sich gern auf eine gewis­ser­ma­ßen selbst­iro­ni­sche Distanz zu den Zeit­läuf­ten einlassen. 

Aber nein, es ist ein ver­bit­ter­tes Hadern, ein Pikiert­sein in Per­ma­nenz. Man kann nicht täg­lich baden, der Weg zwi­schen Schwes­tern­wohn­heim und Arbeits­stel­le beträgt einen knap­pen Kilo­me­ter (berg­auf!), im Laza­rett spie­len sie nerv­tö­ten­de Gram­mo­phon­mu­sik. Wenn Brit­t­ain schreibt, daß sie anno 1914 »offen­kun­dig an einem Min­der­wer­tig­keits­kom­plex« litt, wird die­se Selbst­ein­schät­zung eine Zei­le drun­ter kon­ter­ka­riert. Denn damals schick­te ihr Leigh­ton »eins sei­ner eigen­ar­tig pro­phe­ti­schen Gedich­te« mit dem Titel »I walk alo­ne«. Brit­t­ain inter­pre­tiert, er kön­ne damit nicht sei­nen eige­nen Kampf gemeint haben, son­dern sie selbst und ihre Ziele! 

Ulki­ger­wei­se wird in einer der weni­gen Fuß­no­ten erläu­tert, daß die Rede vom »Gre­at War« den Ers­ten Welt­krieg meint – wer wüß­te es nicht? Allein­ge­las­sen wird die Lese­rin (denn es besteht von den ers­ten Sei­ten an kein Zwei­fel, daß es sich hier­bei um genui­ne Frau­en­li­te­ra­tur han­delt) mit ande­ren Schlag­wor­ten und Bezugs­punk­ten: Andrew Langs Mär­chen­bü­cher? Befrei­ung von Mafe­king? Wer war Oli­ve Schrei­ner? Wer über­haupt »Tha­ckery«? Was ist eine Pass-Mods-Prü­fung? Und war­um gleicht die Rek­to­rin des Oxfor­der Col­leges aus­ge­rech­net einer »Tiger­kat­ze«? Ein selt­sa­mer Wäl­zer und eine Gedulds­pro­be. »In gewis­ser Wei­se war ich mein Krieg, und mein Krieg war ich«, schreibt Brit­t­ain, nach­dem sie im Feuil­le­ton ange­kom­men und zum Phä­no­typ der libe­ra­len Aus­rich­tung des Zeit­geis­tes gewor­den ist. Da ist was dran.

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Ver­mächt­nis einer Jugend von Vera Brit­t­ain kann man hier bestel­len.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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