Jost Bauch: Abschied von Deutschland

Jost Bauch: Abschied von Deutschland. Eine politische Grabschrift, Rottenburg: Kopp 2018. 255 S.,19.99 €.

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

Bauchs Buch ist nicht ori­gi­nell. Es ist aber aus zwei Grün­den per­fekt. Der ers­te Grund sind Erschei­nungs­ort, Titel und Auf­ma­chung. Einen Text, der den Leser anhand bekann­ter The­men und Anläs­se schwupp­di­wupp in die sozio­lo­gi­sche Sys­tem­theo­rie und die Phi­lo­so­phie des Deut­schen Idea­lis­mus ver­schleppt, damit die­ser um ein paar Augen­öff­ner rei­cher her­vor­kommt, beim Kopp-Ver­lag unter dem inzwi­schen schon gen­re­haf­ten Titel Abschied von Deutsch­land (wei­te­re Gen­re­ver­tre­ter sind Deutsch­land schafft sich ab, Finis Ger­ma­nia, Deutsch­land von Sin­nen usw.) erschei­nen zu las­sen, ist sehr gut erdacht. 

Auf die­se Wei­se erreicht das Buch einen Leser­kreis, der ihm sonst ver­schlos­sen geblie­ben wäre: der kon­ser­va­ti­ve Leser scheut rei­ße­ri­sche Auf­ma­chun­gen, der rechts­in­tel­lek­tu­el­le Leser jenen Ver­lag, der typi­sche Kopp-Leser hin­ge­gen, ohne ihm zu nahe tre­ten zu wol­len, dann doch eher die phi­lo­so­phi­sche und sozio­lo­gi­sche Theorie.
Der zwei­te Grund ist gera­de das Nich­to­ri­gi­nel­le, das Eklek­ti­sche. Genau sol­che Bücher sind 2018 nötig, um Grund­ideen zum Ver­ständ­nis der deut­schen Gegen­wart zu erklä­ren, auf­zu­be­rei­ten, anzu­wen­den, ihnen einen dop­pelt fes­ten Boden zu bereiten.

Bauch geht von drei Gro­ßen aus: Kant, Speng­ler und Luh­mann. Speng­lers Nie­der­gangs­the­se der Kul­tur hilft, einen »tap­fe­ren Pes­si­mis­mus« zu bewah­ren, wenn Deutsch­land abdankt. Luh­mann hilft, Kate­go­rien zu tren­nen. »Aus der Welt­ge­sell­schaft (Luh­mann) folgt in der Logik der One-World-Theo­re­ti­ker der Welt­staat, die glo­ba­le Welt­re­gie­rung. Und aus die­ser wird dann die Unauf­halt­sam­keit der mul­ti­kul­tu­rel­len Gesell­schaft, bes­ser der Mul­ti­mi­no­ri­tä­ten-Gesell­schaft, geschlos­sen. Auch hier liegt ein kolos­sa­ler Denk­feh­ler vor.« Und Kants Schrift zum Ewi­gen Frie­den braucht man nur noch ein­mal genau zu lesen, um rei­nen anti­glo­ba­lis­ti­schen Eth­no­plu­ra­lis­mus avant la lett­re zu fin­den: Das Völ­ker­recht »setzt die Abson­de­rung vie­ler von­ein­an­der unab­hän­gig benach­bar­ter Staa­ten vor­aus, weil die­se Abson­de­rung bes­ser ist als eine Zusam­men­schmel­zung der­sel­ben durch eine die ande­ren über­ra­gen­de und in eine Uni­ver­sal­mon­ar­chie über­ge­hen­de Macht (…), weil die Geset­ze mit dem ver­grö­ßer­ten Umfan­ge der Regie­rung immer mehr an ihrem Nach­druck ein­bü­ßen, und ein see­len­lo­ser Des­po­tis­mus, nach­dem er die Kei­me des Guten aus­ge­rot­tet hat, zuletzt doch in Anar­chie verfällt.«

Doch auch mikro­so­zio­lo­gisch kom­bi­niert Bauch Altes und erkennt Neu­es. Hier hat er sich beson­ders den Luh­mann­schü­ler Peter Fuchs zu eigen gemacht und über­legt mit des­sen Begriff der »Kom­plett­be­rück­sich­ti­gung der Per­son« und Luh­manns »Tota­lin­k­lu­si­on«, ob Kin­der in Allein­er­zie­her- und Patch­work­fa­mi­li­en noch die­je­ni­ge Berück­sich­ti­gung ihres gesam­ten Wesens erhal­ten, die sie zur Ent­wick­lung einer hei­len Iden­ti­tät brau­chen, und ob den Bild­schirm­me­di­en ver­fal­le­ne Bür­ger noch Bür­ger sein kön­nen, wenn sie ander­wei­tig »total¬inkludiert« wer­den. Die »Opfer«-Diskussionen die­ser Tage führt Bauch auf die Sub­jekt­phi­lo­so­phie des Deut­schen Idea­lis­mus zurück und kom­bi­niert sie mit der deut­schen nar­ziß­ti­schen Moral­hy­per­tro­phie. Der Islam läßt sich eben­falls mit Luh­mann abklop­fen auf »Totalinklusions«-Ansprüche.
Hier ist Bauch nicht ganz kon­se­quent, da er Luh­manns »funk­tio­na­le Dif­fe­ren­zie­rung« der moder­nen Gesell­schaft und die bekann­ten Säku­la­ri­sie­rungs­ar­gu­men­te gegen den Islam wen­det, damit aber genau die Kri­tik­ebe­ne, die er in sei­nem letz­ten Kapi­tel über Iden­ti­tät ent­wi­ckelt, unter­bie­ten muß. Iden­ti­tät faßt er ein­leuch­tend als »Sich­durch­hal­ten eines Sei­en­den« (die­se Defi­ni­ti­on hat er, und das ist typisch für Bauch, an ent­le­ge­ner Stel­le in einem phi­lo­so­phi­schen Wör­ter­buch von 1967 gefunden).

Das gilt für Indi­vi­di­du­en wie für Völ­ker. Bauchs Volks­be­griff umfaßt daher einen bio­lo­gisch-eth­ni­schen Iden­ti­täts­kern, einen gemein­schaft­lich-his­to­ri­schen und an drit­ter Stel­le erst einen kon­struk­ti­vis­ti­schen Iden­ti­täts­be­griff der Zustim­mung zum Grund­ge­setz, der auf den bei­den ande­ren ruht.
Bauch befin­det sich haar­ge­nau an der­sel­ben Stel­le des Über­gangs der Refle­xi­on von der beob­ach­ten­den Sozio­lo­gie hin zu exis­ten­zi­el­lem Ein­grei­fen­müs­sen, an der auch Karl-Albrecht Schacht­schnei­der steht, der in sei­nem glas­kla­ren, bis­wei­len etwas holz­schnitt­ar­tig-pole­mi­schen Nach­wort zu Abschied von Deutsch­land schreibt, er habe frü­her immer Kants Defi­ni­ti­on von Poli­tik als »aus­üben­der Rechts­leh­re« bevor­zugt. Doch die­se ist nor­ma­tiv, nicht exis­ten­zi­ell. Die Inva­si­on des Islam nach Deutsch­land drän­ge ihn nun zum Umden­ken. »Erst in der exis­ten­zi­el­len Lage über­zeugt die Schmitt­sche Dog­ma­tik. Star­ke Kräf­te betrei­ben den Nie­der­gang des Deut­schen, gegen die sich der Ein­zel­ne nicht weh­ren kann.« Luh­mann fürs Beob­ach­ten, Kant fürs Begrif­fe­schär­fen, Speng­ler und Schmitt fürs poli­ti­sche Ein­grei­fen. So soll es sein.

__________________________

Abschied von Deutsch­land von Jost Bauch kann man hier bestel­len.

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)