Bauchs Buch ist nicht originell. Es ist aber aus zwei Gründen perfekt. Der erste Grund sind Erscheinungsort, Titel und Aufmachung. Einen Text, der den Leser anhand bekannter Themen und Anlässe schwuppdiwupp in die soziologische Systemtheorie und die Philosophie des Deutschen Idealismus verschleppt, damit dieser um ein paar Augenöffner reicher hervorkommt, beim Kopp-Verlag unter dem inzwischen schon genrehaften Titel Abschied von Deutschland (weitere Genrevertreter sind Deutschland schafft sich ab, Finis Germania, Deutschland von Sinnen usw.) erscheinen zu lassen, ist sehr gut erdacht.
Auf diese Weise erreicht das Buch einen Leserkreis, der ihm sonst verschlossen geblieben wäre: der konservative Leser scheut reißerische Aufmachungen, der rechtsintellektuelle Leser jenen Verlag, der typische Kopp-Leser hingegen, ohne ihm zu nahe treten zu wollen, dann doch eher die philosophische und soziologische Theorie.
Der zweite Grund ist gerade das Nichtoriginelle, das Eklektische. Genau solche Bücher sind 2018 nötig, um Grundideen zum Verständnis der deutschen Gegenwart zu erklären, aufzubereiten, anzuwenden, ihnen einen doppelt festen Boden zu bereiten.
Bauch geht von drei Großen aus: Kant, Spengler und Luhmann. Spenglers Niedergangsthese der Kultur hilft, einen »tapferen Pessimismus« zu bewahren, wenn Deutschland abdankt. Luhmann hilft, Kategorien zu trennen. »Aus der Weltgesellschaft (Luhmann) folgt in der Logik der One-World-Theoretiker der Weltstaat, die globale Weltregierung. Und aus dieser wird dann die Unaufhaltsamkeit der multikulturellen Gesellschaft, besser der Multiminoritäten-Gesellschaft, geschlossen. Auch hier liegt ein kolossaler Denkfehler vor.« Und Kants Schrift zum Ewigen Frieden braucht man nur noch einmal genau zu lesen, um reinen antiglobalistischen Ethnopluralismus avant la lettre zu finden: Das Völkerrecht »setzt die Absonderung vieler voneinander unabhängig benachbarter Staaten voraus, weil diese Absonderung besser ist als eine Zusammenschmelzung derselben durch eine die anderen überragende und in eine Universalmonarchie übergehende Macht (…), weil die Gesetze mit dem vergrößerten Umfange der Regierung immer mehr an ihrem Nachdruck einbüßen, und ein seelenloser Despotismus, nachdem er die Keime des Guten ausgerottet hat, zuletzt doch in Anarchie verfällt.«
Doch auch mikrosoziologisch kombiniert Bauch Altes und erkennt Neues. Hier hat er sich besonders den Luhmannschüler Peter Fuchs zu eigen gemacht und überlegt mit dessen Begriff der »Komplettberücksichtigung der Person« und Luhmanns »Totalinklusion«, ob Kinder in Alleinerzieher- und Patchworkfamilien noch diejenige Berücksichtigung ihres gesamten Wesens erhalten, die sie zur Entwicklung einer heilen Identität brauchen, und ob den Bildschirmmedien verfallene Bürger noch Bürger sein können, wenn sie anderweitig »total¬inkludiert« werden. Die »Opfer«-Diskussionen dieser Tage führt Bauch auf die Subjektphilosophie des Deutschen Idealismus zurück und kombiniert sie mit der deutschen narzißtischen Moralhypertrophie. Der Islam läßt sich ebenfalls mit Luhmann abklopfen auf »Totalinklusions«-Ansprüche.
Hier ist Bauch nicht ganz konsequent, da er Luhmanns »funktionale Differenzierung« der modernen Gesellschaft und die bekannten Säkularisierungsargumente gegen den Islam wendet, damit aber genau die Kritikebene, die er in seinem letzten Kapitel über Identität entwickelt, unterbieten muß. Identität faßt er einleuchtend als »Sichdurchhalten eines Seienden« (diese Definition hat er, und das ist typisch für Bauch, an entlegener Stelle in einem philosophischen Wörterbuch von 1967 gefunden).
Das gilt für Individiduen wie für Völker. Bauchs Volksbegriff umfaßt daher einen biologisch-ethnischen Identitätskern, einen gemeinschaftlich-historischen und an dritter Stelle erst einen konstruktivistischen Identitätsbegriff der Zustimmung zum Grundgesetz, der auf den beiden anderen ruht.
Bauch befindet sich haargenau an derselben Stelle des Übergangs der Reflexion von der beobachtenden Soziologie hin zu existenziellem Eingreifenmüssen, an der auch Karl-Albrecht Schachtschneider steht, der in seinem glasklaren, bisweilen etwas holzschnittartig-polemischen Nachwort zu Abschied von Deutschland schreibt, er habe früher immer Kants Definition von Politik als »ausübender Rechtslehre« bevorzugt. Doch diese ist normativ, nicht existenziell. Die Invasion des Islam nach Deutschland dränge ihn nun zum Umdenken. »Erst in der existenziellen Lage überzeugt die Schmittsche Dogmatik. Starke Kräfte betreiben den Niedergang des Deutschen, gegen die sich der Einzelne nicht wehren kann.« Luhmann fürs Beobachten, Kant fürs Begriffeschärfen, Spengler und Schmitt fürs politische Eingreifen. So soll es sein.
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Abschied von Deutschland von Jost Bauch kann man hier bestellen.