Alexander von Schönburg: Die Kunst des lässigen Anstands

Alexander von Schönburg: Die Kunst des lässigen Anstands. 27 altmodische Tugenden für heute, München: Piper 2018. 368 S, 20€.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Alex­an­der von Schön­burg war 1999 als Teil des Jung-Dan­dy-Quin­tetts Tris­tesse Roy­al in Erschei­nung getre­ten. Für das gleich­na­mi­ge Buch hat­ten sich kul­tu­rell und finan­zi­ell pri­vi­le­gier­te Her­ren ein paar Tage im Ber­li­ner Hotel »Adlon« ein­ge­mie­tet, um Pro­to­koll zu füh­ren, wie man stil­voll, zynisch und mit­tels her­me­ti­scher Anspie­lun­gen den Unter­gang des ¬Abend­lan­des begie­ßen könn­te. Ach, was für eine läs­si­ge Pose! 

Heu­te fun­giert Alex­an­der von Schön­burg – ein Bru­der Glo­ri­as von Thurn und Taxis – als Teil der BILD-Chef­re­dak­ti­on. Vom Regen in die Trau­fe, mag man unken. Eli­te, in Anfüh­rungs­zei­chen! Will man sich von »so einem« ernst­haft »27 alt­mo­di­sche Tugen­den für heu­te« erläu­tern lassen? 

Um es vor­weg­zu­neh­men: Die­ses Buch ist phan­tas­tisch gut, es über­trifft sogar die ähn­lich gela­ger­ten und bereits berühmt gewor­de­nen Manie­ren- und 12-Rules-Bücher von Asfa Wos­sen-Asser­ra­te und Jor­dan Peter­son. Bei­de Autoren zitiert von Schön­burg übri­gens als Gewährs­leu­te, wie er über­haupt fast aus­schließ­lich (über den Diver­si­täts­phi­lo­so­phen K. A. Appiah wol­len wir schwei­gen …) bei den klügs­ten Den­kern und Rat­ge­bern Anlei­hen nimmt: Aris­to­te­les, Tho­mas von Aquin, Josef Pie­per, Ches­ter­ton, Han­nah-Bar­ba­ra Gerl-Fal­ko­vitz, Simo­ne Weil. Im Vor­wort wird – sehr unzeit­ge­mäß – die Artus¬epik, ein mit­tel­al­ter­li­cher Rit­ter­ro­man, als bei­spiel­haf­te Erzäh­lung her­an­ge­zo­gen. Abend­land? Hier ist es, stil­bil­dend und entstaubt! 

Wel­che Tugen­den will von Schön­burg (* 1969, Vater drei­er Kin­der) gestärkt sehen? Neben erwart­ba­ren wie Beschei­den­heit, Höf­lich­keit, Mit­ge­fühl und Tole­ranz sind es auch erstaun­li­che wie Humor, »Deko­rum« und Mil­de sowie gänz­lich unzeit­ge­mä­ße: Keusch­heit, Gehor­sam, Zucht und Fleiß. Was die­se Tugend­leh­re so beson­ders macht, ist, daß sie einer­seits ohne jeg­li­chen gou­ver­nan­ten­haf­ten Pre­di­ger­ton aus­kommt. Hier lesen wir kei­ne Kanz­lei­an­s­pra­che von einem, der sich gera­de die Flie­ge zurecht­ge­rückt hat und »denen da unten« ein­gießt. Wenn der Autor sein Tugend­ka­ta­log­pro­jekt damit umreißt, daß er »Cool­ness« (begrif­fen als welt­män­ni­sche Läs­sig­keit) und »Kind­ness« (ver­stan­den als mit­füh­len­de Güte) ver­ei­nen woll­te, spricht dar­aus eigent­lich genau die form­voll­ende­te, glo­ba­lis­ti­sche Glät­te, die das Werk (und so soll­te man es durch­aus nen­nen) eben nicht aufweist. 

Und auch die­ser hohe Ton bei gleich­zei­ti­gem Halt­su­chen in gän­gi­gen, viel­mehr: ela­bo­rier­ten Anglizsmen, die­ses Ich-bin-auch-bloß-einer-von-euch-Tief­sta­peln – es wirkt nie kokett, son­dern authen­tisch. Von Schön­burg schreibt als einer, der mit dem klas­si­schen Tugend­ka­non groß­ge­wor­den ist, als Ade­li­ger, der längst ein (Ber­li­ner) Groß­stadt­le­ben führt, »mir steht kei­ne ande­re Per­spek­ti­ve zu Ver­fü­gung.« Er gesteht, daß er selbst hier und dort gele­gent­lich oder oft ver­sagt – auch Zurück­nah­men wie die­se machen das Buch in sei­ner erns­ten Hei­ter­keit so emi­nent lesenswert.
Was also lehrt er uns, bei­spiels­wei­se in punk­to »Klug­heit«, die nach Tho­mas von Aquin die Vor­be­din­gung für sämt­li­che ande­re Tugen­den sei? Klug­heit ist nicht »Cle­ver­ness«, sie umfaßt einer­seits doci­li­tas, die Bereit­schaft, sich beleh­ren zu las­sen, sprich, sich nicht von Algo­rith­men der eige­nen Fil­ter­bla­se lei­ten zu lassen.

Ande­rer­seits sol­er­tia, wie­der­um ein tho­mis­ti­scher Wink: die Fähig­keit, kom­ple­xe Situa­tio­nen rasch zu erfas­sen und umge­hend die rich­ti­ge Ent­schei­dung zu tref­fen. Wie aber? Das führt zum Kern aller Tugen­dübung: Durch das Ein­schlei­fen der rech­ten Hand­lun­gen und Ein­stel­lun­gen. Tugend­trai­ning heißt, Tag für Tag, Schritt für Schritt durch Gewohn­heit und gute Gesell­schaft die bes­te Ver­si­on sei­ner selbst aus sich her­aus­zu­ho­len. Taug­lich auch, was der Autor uns über die Tugend des »Deko­rum« lehrt, frei über­setzt: sich zusam­men­neh­men. Das reicht von adret­ter Klei­dung (auch im Som­mer nicht alle Hül­len fal­len las­sen bedeu­tet, daß man dem Wet­ter über­le­gen ist!) und führt den Autor dazu, sei­ne Kin­der anzu­hal­ten, am Cir­cus Maxi­mus sich mit »ähn­li­cher Pie­tät wie in einer KZ-Gedenk­stät­te zu bewe­gen.« Muß man das alles so eng sehen? Nein. Die Sün­de ver­ab­scheu­en, jedoch die Sün­der lie­ben – das ist hier ohne­hin (Stich­wort: »Mil­de«) die Devi­se. Aber: Man muß die Regeln ken­nen, die For­men ver­in­ner­licht haben, um sie dann und wann – es kann ange­bracht sein! – bre­chen zu können.

Ein paar der klei­nen (und eher knig­ge­ar­ti­gen) Tips, die neben­bei als auf­lo­ckern­de Sei­ten ein­ge­fügt sind, mag man als neben­säch­li­che Geschmacks­fra­gen abhef­ten: Ist es wirk­lich ein abso­lu­tes Unding, nach der »Toi­let­te« zu fra­gen? Darf wirk­lich nie­mand nie je einen schwar­zen Anzug tra­gen? Muß eine Ein­la­dung zum Abend­essen wirk­lich strikt nach der Nah­rungs­auf­nah­me ihr Ende haben? 

Adels­ty­pisch sind auch die klei­nen Sei­ten­hie­be auf das bekann­ter­ma­ßen ver­korks­te, nie roma­ni­sier­te Ostel­bi­en: Die Sach­sen sei­en eben durch die dau­ern­de, jahr­hun­dert­lan­ge Nähe zur Bar­ba­ren­gren­ze gleich­sam not­ge­drun­gen zu einem xeno­pho­ben und rau­hen Stamm gewor­den – daß von Schön­burg selbst neben­bei auch einer »von Glauch­au« ist, wie­wohl er die­sen Titel­an­hang nicht offen führt, soll­te man wis­sen. War­um aber all die­se Anstren­gung in einer oft erbar­mungs­lo­sen Welt, die dem­je­ni­gen mehr Meri­ten ver­heißt, der sich tugend­be­freit in ihr bewegt? Die­se Fra­ge nun beant­wor­tet der Autor leich­ter­hand: Weil die Abkehr von der Tugend in die Höl­le führt.
Alex­an­der von Schön­burg hat eine Kul­tur­kri­tik vor­ge­legt, die es in sich hat, aber ohne Schaum vorm Mund und ohne her­ab­ge­zo­ge­ne Mund­win­kel: voilà!
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Die Kunst des läs­si­gen Anstands von Alex­an­der von Schön­burg kann man hier bestel­len.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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