David Armitage: Bürgerkrieg. Vom Wesen innerstaatlicher Konflikte, Stuttgart: Klett-Cotta. 384 S., 25 €
Als Kain seinen Bruder Abel erschlug, beging er nach Vorstellung des Christentums das erste Verbrechen der Menschheit. Das Verstörende dieser Tat liegt nicht nur in ihrer Blutrünstigkeit, sondern vor allem in dem Grauen, Gewalt gegen den am allernächsten Stehenden anzuwenden. Der Kampf zwischen Brüdern wurde zum Symbol dafür, daß aus politischer Eintracht mörderische Zwietracht werden kann. Betrachtet man die Geschichte der Menschheit, scheint dies ihr Fluch zu sein. Von den zwischen 1816 und 2001 erfaßten 484 einzelnen Kriegen stellen jüngsten Auswertungen zufolge 296 Bürgerkriege dar. Der Harvard-Professor David Armitage nähert sich mit seiner Abhandlung Bürgerkrieg nun dem Phänomen aus ideengeschichtlicher Perspektive. Wie so oft zeigt der Blick auf das englische Original die Unfähigkeit deutscher Verleger, treffende Untertitel zu generieren. Denn Armitage geht es tatsächlich um A History of Ideas und nicht darum – wie die deutsche Ausgabe suggeriert –, »vom Wesen innerstaatlicher Konflikte« zu berichten. Armitage strebt keine Theorie des Bürgerkrieges an, er möchte nicht politische, kulturelle und psychologische Auswirkungen dieses Zivilisationsbruchs auf ein Kollektiv ergründen, sondern darlegen, wie die Deutung des Bürgerkriegs zu einem selbständigen Narrativ wurde, welches die Menschheit seitdem begleitet. Seine Darstellung wird von einem optimistischen Blick geleitet, für Armitage sind Bürgerkriege »weder unendlich noch unerklärlich«. Im Gegenteil, er ist der Überzeugung, daß der Mensch die Deutungshoheit über diese zurückgewinnen muß, um nicht ewig Getriebener in der Spirale aus Zwietracht und Gewalt zu bleiben. Zu diesem Zweck führt er den Leser mit kundiger Hand durch die Jahrhunderte. Die zahlreichen Mosaikstücke unterschiedlichster innerstaatlicher Konflikte setzt er zu einem Panorama der Bürgerkriegsgeschichte zusammen, das von der Antike bis zum heutigen Syrien reicht.
Die erste große Erzählung des Bürgerkrieges macht Armitage bei den Römern und nicht bei ihren griechischen Lehrmeistern aus. In ihrem Konzept der gesellschaftlichen Spaltung (stasis) will er deutliche Unterschiede zum bellum civile der Römer erkennen. Anders als bei den Römern sei für die antiken Griechen ein Krieg innerhalb der polis im metaphysischen Sinne nicht vorstellbar gewesen, lautet Armitages Fazit. Dies bringt ihn in deutlichen Widerspruch zu Giorgio Agambens Neuinterpretation des Bürgerkrieges (Stasis, 2015), die überwiegend auf der griechischen Theorie basiert.
Für die Römer hatte der bellum civile etwas zutiefst Beunruhigendes. Den Begriff daher zuerst nur widerwillig nutzend, drängte sich römischen Historikern zunehmend die Vorstellung auf, die eigene Geschichte bestehe hauptsächlich aus einer Reihe von Bürgerkriegen. Daraus ergab sich das erste Narrativ des Bürgerkrieges, welches darüber hinaus bis zur Neuzeit bestehen sollte: Er wurde als wiederkehrender und unverhinderbarer Zivilisationsbruch aufgefaßt.
Armitage macht nun einen Sprung durch die Jahrhunderte, um bei den drei ideengeschichtlichen Wendepunkten in der Bewertung des Bürgerkrieges anzusetzen, die er für entscheidend hält. Den ersten erkennt er im ausgehenden 18. Jahrhundert. Dort tritt die Revolution als neue Kategorie des tiefgreifenden und gewaltsamen Umbruchs auf. Die Idee des Bürgerkrieges als sich wiederholendes Übel wird nach der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung durch die Vorstellung einer selbst initiierbaren Revolution ersetzt. Armitage verweist auf den interessanten Umstand, daß der Bürgerkrieg in Lexika der Aufklärung nicht mehr als Begriff auftaucht. So gedachte man diese reaktionäre Erscheinung für die Zukunft auszumerzen. Die Revolution aber gilt seitdem vielen als legitimes und notwendiges Mittel, um verkrustete gesellschaftliche Zustände zu sprengen.
Den nächsten drastischen Perspektivwechsel macht Armitage in der Mitte des 19. Jahrhunderts aus. Mit dem amerikanischen Sezessionskrieg (1861 – 1865) treten die Historiker als Deuter dieser Konfliktart zurück, und Juristen rücken an ihre Stelle. Von nun an gilt es, dem Bürgerkrieg die barbarische Urgewalt zu nehmen und ihn zu zivilisieren, indem man ihn in rechtlichen Kategorien einzuhegen versucht. Dies gelingt nur bedingt – auch im ausgehenden 19. Jahrhundert bleibt der Bürgerkrieg etwas schwer Begreifbares, was dazu führt, daß allein für den Sezessionskrieg 120 verschiedene Bezeichnungen existieren.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde der Bürgerkrieg zu einer alltäglichen Erscheinung. Er liegt seitdem im Deutungsbereich der Sozialwissenschaftler, die ihn mit einem technokratischen Terminus als »innerstaatlichen Konflikt« abstrahieren. Für Armitage fehlt jedoch eine abschließende Definition des Bürgerkrieges, die über den Minimalkonsens der Genfer Konvention hinausgeht, welche 1949 vom »Fall eines bewaffneten Konfliktes, der keinen internationalen Charakter hat« spricht. Bezeichnend hierfür ist der bis heute schwelende Streit um den Zustand des Iraks nach der US-amerikanischen Invasion 2003: Bürgerkrieg oder nicht? David Armitages schlüssige ideengeschichtliche Arbeit kommt dem Phänomen einen Schritt näher.
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