Manfred Spitzer: Die Smartphone Epidemie

Manfred Spitzer: Die Smartphone Epidemie. Gefahren für Gesundheit, Bildung und Gesellschaft, Stuttgart, Klett-Cotta 2018. 368 S. 20 €

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Man­fred Spit­zer hat wie­der gelie­fert. Nach Vor­sicht Bild­schirm! (2005), sei­nem Ver­kaufs­schla­ger Digi­ta­le Demenz (2012; sie­he Sezes­si­on 51 / 2012) und Cyber­krank (2015) hat Spit­zer, Jahr­gang 1958, erneut ein dickes Buch zu sei­nem The­ma ver­faßt. Die Essenz von Die Smart­phone-Epi­de­mie in Kür­ze: Smart­phones machen dick, dumm, aggres­siv. Kann man das so sagen? Ange­sichts der offen­kun­dig vie­len schlan­ken, schlau­en, pazi­fis­ti­schen Smart­phone-Nut­zer? Nun – wo geho­belt wird, da fal­len Späne.

Muß man hobeln, wo auch die fei­ne Fei­le zur Ver­fü­gung stün­de? Dar­über könn­te man strei­ten. Nur, ste­hen wir, steht Spit­zer nicht in einem Wett­be­werb, wo alle ande­ren aus­schließ­lich den Hobel bedie­nen? Die Rede von den »Chan­cen und Poten­tia­len« der digi­ta­len Wen­de ertönt aus tau­send Mün­dern. Neh­men wir nur Anja Kar­lic­zek (CDU), unse­re Bil­dungs­mi­nis­te­rin. Sie steht hin­ter dem Digi­tal­pakt, der fünf Mil­li­ar­den Euro an Steu­er­gel­dern abwer­fen wird, um unse­re Kin­der digi­tal »zukunfts­fä­hig« zu halten. 

O‑Ton Kar­lic­zek: »Ich habe mich immer geär­gert, wie schwer es Geschichts­leh­rern fällt, Schü­ler für ihre The­men zu inter­es­sie­ren. Wenn ich mir moder­ne his­to­ri­sche Doku­men­ta­tio­nen mit nach­ge­stell­ten Sze­nen anschaue, den­ke ich: Wow! Zum ande­ren kann die digi­ta­le Bil­dung das Ler­nen indi­vi­dua­li­sie­ren: Ein Kind, das rich­tig gut ist, bekommt schwie­ri­ge­re Auf­ga­ben als ein Klas­sen­ka­me­rad, der sich schwe­rer tut. (…) Wir wer­den Infra­struk­tur bezah­len: das Ver­kehrs­mi­nis­te­ri­um die Breit­band­zu­gän­ge für die Schu­len. WLAN, Smart­boards oder sta­tio­nä­re End­ge­rä­te über­nimmt das Bil­dungs­mi­nis­te­ri­um. Aber wir wol­len auch eine bun­des­wei­te Schul­cloud ein­rich­ten, in die zum Bei­spiel Fil­me hoch­ge­la­den wer­den.« Ja, das klingt … cool. Frau Kar­lic­zek, die »inten­si­ve Lern­erfah­run­gen durch digi­ta­le Bil­dung ermög­li­chen« will, ist gelern­te Hotel­fach­frau. Man­fred Spit­zer ist Hirn­for­scher und als Psych­ia­ter tätig, er ist sowohl in Medi­zin als auch in Phi­lo­so­phie pro­mo­viert. Daher stellt es eine Zusatz­qua­li­fi­ka­ti­on dar, wenn sich ein der­art Gelehr­ter auch an der Werk­bank ver­steht, wie er es hier erneut vorführt.

Wir alle ahnen, daß die Lob­hu­de­lei­en auf die smart new kids hane­bü­chen sind. Wie soll ein Kind durch das flim­mern­de Vier­eck Ori­en­tie­rung fin­den, wenn selbst die meis­ten Erwach­se­nen durch FakeN­ews und Ablen­kungs­links gehirn­ge­wa­schen sind? Daß sich die Sui­zid­ra­te US-ame­ri­ka­ni­scher Mäd­chen seit Ein­füh­rung des Smart­phones ver­dop­pelt hat; daß sich die schu­li­schen Leis­tun­gen und Ergeb­nis­se eines Lan­des unge­fähr im sel­ben Maße ver­schlech­tert, gemes­sen dar­an, wie­viel Geld das Land für den Aus­bau sei­ner digi­ta­len Infra­struk­tur aus­ge­ge­ben hat; daß das Ein­stiegs­al­ter der Smart­phonen­ut­zung suk­zes­si­ve sinkt (man­che Eltern fin­den es soo nied­lich, wenn ihr Zwei­jäh­ri­ges schon »wischen« kann!) und sich die Nut­zungs­dau­er zugleich erhöht; daß Ein­kom­mens­hö­he und Smart­phonen­ut­zung nega­tiv kor­re­lie­ren; daß die umfas­sen­de Com­pu­te­ri­sie­rung vor allem den schwä­che­ren Schü­lern scha­det: Spit­zer behaup­tet der­glei­chen nicht nur, sein Buch ist ein Weg­wei­ser durch Dut­zen­de wis­sen­schaft­li­che Stu­di­en. Digi­ta­le Medi­en scha­den den Kin­dern auch, wenn nur die Eltern sie nut­zen: Jeder kennt die Mut­tis, die den Kin­der­wa­gen schie­ben und dabei den klei­nen Bild­schirm vor Augen haben. Die Vatis, die am Sand­kas­ten­rand sit­zen und tip­pen, statt zu bemer­ken, welch tol­len Höh­len­gang der Klei­ne grad erschaf­fen hat. ADHS ist nur eine der Dia­gno­sen, die sol­chen Kin­dern ins Haus steht, deren Eltern das Gerät­chen inter­es­san­ter schien als das leben­di­ge klei­ne Wesen.

In einer Fuß­no­te erwähnt Spit­zer, daß Ange­la Mer­kel bei der Eröff­nung der Games­com, der Com­pu­ter­spiel­mes­se, ernst­haft Schil­ler zitier­te: »Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.« Im Ernst? Hat Schil­ler damit Com­pu­ter­spie­le anti­zi­piert? Kei­ne Mut­ter, kein Vater ist in Wahr­heit froh, den Sohn oder die Toch­ter mit geneig­tem Kopf (geneigt über eine Bild­schirm­ober­flä­che) zu sehen. Wir alle wün­schen uns Kin­der mit auf­rech­tem Gang, mit wachem Blick für die unmit­tel­ba­re Umwelt. Nie­mand will Kin­der, die per­ma­nent unter Strom ste­hen. Kur­ze Skep­sis: Hat Dr. Dr. Spit­zer denn Kin­der? Oh ja: sechs. Um erneut Schil­ler zu zitie­ren, der bekannt­lich nicht nur zu Com­pu­ter­spie­len Bescheid wuß­te: »Lie­be Freun­de! Es gab schön­re Zei­ten / Als die unsern – das ist nicht zu strei­ten!« Den neu­en und erneut kul­tur­pes­si­mis­ti­schen Spit­zer soll­te man lesen oder ver­schen­ken: An Leu­te mit Bedarf an Gegengift. 

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Die Smart­phone Epi­de­mie von Man­fred Spit­zer kann man hier bestel­len.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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