Eugen Ruge: Metropol, Roman

Eugen Ruge: Metropol, Roman, Hamburg: Rowohlt 2019. 432 S., 24 €

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Der Autor Eugen Ruge wur­de im Juni 1954 gebo­ren, also ein gutes Jahr nach Sta­lins Tod. Sein Vater war ein an den Ural depor­tier­ter deut­scher Kom­mu­nist, sei­ne Mut­ter eine Rus­sin. 1956 konn­te die Fami­lie in die DDR aus­sie­deln. 2011 leg­te Ruge den mehr­fach aus­ge­zeich­ne­ten Fami­li­en­ro­man In Zei­ten des abneh­men­den Lichts vor, einen DDR- und Wen­de­ro­man. Mit Metro­pol hat er nun die damals aus­ge­klam­mer­te Lebens­ge­schich­te sei­ner Groß­mutter Char­lot­te nach­ge­reicht, ver­dich­tet auf jene 477 Tage, die sie gemein­sam mit ihrem Mann im Hotel Metro­pol, Mos­kau, ver­brin­gen muß­te, fest­ge­hal­ten wie Forel­len im Aqua­ri­um eines Restau­rants, von denen eine nach der ande­ren abge­fischt wird. 

Im Metro­pol wer­den nach und nach unter Ver­dacht gera­te­ne Mit­glie­der der Kom­mu­nis­ti­schen Inter­na­tio­na­len (Kom­in­tern) ein­quar­tiert. In den Jah­ren 1936 bis 1938, der Zeit der sta­li­nis­ti­schen »Säu­be­run­gen«, wur­de auch der Nach­rich­ten­dienst der Kom­in­tern, die soge­nann­te OMS, liqui­diert. Im Epi­log, einem edi­to­ri­schen Bericht Ruges über sei­ne Recher­chen und den unglaub­li­chen Zufall, der sei­ne Groß­mutter über­le­ben ließ, sind die reel­len Per­so­nen hin­ter den Roman­fi­gu­ren auf­ge­lis­tet: Jeder Absatz schließt mit dem Datum der Erschie­ßung oder des Todes im Gulag.

Man kennt die­se dür­ren Auf­lis­tun­gen (»erschos­sen«, »zu Tode gefol­tert«, »ver­hun­gert«, »erfro­ren«) aus wis­sen­schaft­li­chen Arbei­ten und Fall­pro­to­kol­len. Aber den Weg dort­hin, den Weg bis zu dem Moment, in dem es mor­gens um halb vier an der Tür klopft und man abge­holt wird, wäh­rend man in den Wochen und Mona­ten zuvor die ehe­ma­li­gen Kol­le­gen ver­schwin­den sah: Die­sen Weg hat Ruge nun so beklem­mend beschrie­ben wie sel­ten jemand zuvor. Wie gelingt das? 

Ruge nimmt nie eine vor­grei­fen­de oder all­wis­sen­de Per­spek­ti­ve ein, auch nicht indi­rekt dadurch, daß eine sei­ner Figu­ren (sei­ne Groß­mutter bei­spiels­wei­se) den will­kür­li­chen, bru­ta­len, rechts­frei­en, auf Macht­si­che­rung abzie­len­den Ter­ror Sta­lins durch­schau­te, mit den bedroh­ten Kol­le­gen offe­ne Wor­te dar­über sprä­che oder Flucht­plä­ne schmie­de­te. Viel­mehr ver­mu­tet jeder allent­hal­ben kla­re, also in der Ratio der Par­tei und den kom­mu­nis­ti­schen Bewe­gungs­ge­set­zen lie­gen­de Indi­zi­en dafür, war­um wohl der eine ver­haf­tet, der ande­re liqui­diert, der drit­te abge­setzt wor­den sei.
Die­se Gläu­big­keit in die Unfehl­bar­keit von Par­tei und Füh­rung, die Empö­rung über Ver­rä­ter und Hin­ter­trei­ber (»Trotz­kis­ten«) und die Über­zeu­gung, daß Säu­be­run­gen not­wen­dig sei­en, wird kon­ter­ka­riert von einem Ver­hal­tens­miß­trau­en in die Klar­heit der Kri­te­ri­en: Kaum ist einer ver­haf­tet, bricht Panik bei denen aus, die sich einer »Ver­stri­ckung« bewußt sind, und sei­en es der Ver­kauf eines gebrauch­ten (oder doch neu­en?) Gram­mo­phons an den Über­führ­ten, gemein­sa­me Bekann­te oder Erin­ne­run­gen an eine Kampf­zeit, die weit zurück­liegt, aber plötz­lich so wirkt wie heu­te ein Goog­le-Tref­fer auf eine Jugend­sün­de aus dem Jahr 1997.

Wenn es doch gerech­te, ein­deu­ti­ge Maß­stä­be für die Bewer­tung einer Tat, einer Par­tei­bio­gra­phie gibt, mag die Offen­le­gung der Kon­takt­schuld zum Ver­bre­cher das gebo­te­ne Mit­tel sein – aber war­um nicht frei her­aus damit? War­um feilt Char­lot­tes Mann wochen­lang an jeder For­mu­lie­rung? Ist das alles so leicht miß­zu­ver­ste­hen? Ist die Bekannt­schaft mit einem, der im Schau­pro­zeß gestän­dig war, bereits ein Schuld­grund? Sind sol­che Maß­stä­be gerecht? Oder weiß die Par­tei ein­fach mehr, und man selbst ver­brämt sich den unauf­merk­sa­men Umgang mit dem »Ele­ment« auf­grund bür­ger­li­cher Ver­hal­tens- und Bewer­tungs­rück­stän­de? Die­ses Leben auf dünns­tem Eis wird end­lich aus­ge­spro­chen, als am Abend vor der Ver­haf­tung ein Ehe­paar Bekann­te und ehe­ma­li­ge Kol­le­gen zu einer Geburts­tags­fei­er ein­lädt. Die Hälf­te kommt nicht (Kon­takt­angst), ein paar kön­nen gar nicht mehr kom­men (bereits ver­haf­tet) und der Rest? Sitzt zusam­men, tas­tet ein wenig – dann bre­chen die Zwei­fel auf: »Inge, als sprä­che sie zu nie­man­dem: Als ich in die Par­tei ein­trat, da waren sie­ben Leu­te im Polit­bü­ro. Von den sie­ben ist einer heu­te der unum­strit­te­ne Füh­rer, und fünf sind Volks­fein­de. – Paul sagt: Du willst doch nicht ernst­haft bezwei­feln, dass das objek­tiv Volks­fein­de sind. – Ich bezweif­le gar nichts, sagt Inge. 

Aber wenn du mor­gen ver­haf­tet wirst, bist du dann auch ein Volks­feind?« »Intel­li­genz schützt nicht vor Ideo­lo­gi­sie­rung«, sagt Ruge. Sein Zeit­ro­man Metro­pol ist das lite­ra­ri­sche Mahn­mal für die zeit­lo­se Gül­tig­keit die­ser The­se. Das Fol­ter­be­steck ros­tet nicht: Ver­dacht, Denun­zia­ti­on, Unsi­cher­heit, Ver­ein­ze­lung, Stig­ma­ti­sie­rung, Rat­lo­sig­keit – oder weiß jemand Rat? »Schreib an Sta­lin, sagt Hil­de.« Eine hal­be Sei­te wei­ter: »Es dau­ert lan­ge, bis sie begreift, dass es an ihre Tür pocht.« 

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Metro­pol von Eugen Ruge kann man hier bestel­len.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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