Kwame Anthony Appiah: Identitäten

Kwame Anthony Appiah: Identitäten. Die Fiktionen der Zugehörigkeit, Berlin: Hanser Berlin 2019. 336 S., 24 €

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

Haben Iden­ti­tä­ten per se etwas Flui­des und Will­kür­li­ches an sich? Der kon­struk­ti­vis­ti­sche Natio­na­lis­mus-For­scher Ernest Gell­ner (1925 – 1995) ver­trat – zuge­spitzt zusam­men­ge­faßt – die Theo­rie, wonach Befür­wor­ter eines natio­na­len Gedan­kens sich ihre Nati­on von oben her­ab schu­fen, eine Nati­on »erfan­den«, wäh­rend es dafür kaum fak­ti­sche objek­ti­ve Erfor­der­nis­se – Abstam­mung, Spra­che, Geschich­te usw. – gab.

Die­ser Aus­druck eines ver­kehr­ten Bewußt­seins, das heu­te im libe­ra­len wie lin­ken kos­mo­po­li­ti­schen Milieu hege­mo­ni­al ist, erfährt nun Unter­stüt­zung von einem Phi­lo­so­phen. Kwa­me Antho­ny Appiah (Jg. 1954) macht sich in sei­ner Schrift Iden­ti­tä­ten dar­an, die Fik­tio­nen der Zuge­hö­rig­keit dar­zu­le­gen. Nur: Das gelingt ihm nicht. Sei­ne Haupt­the­se ver­spricht zunächst Span­nen­des: »Unse­re« Denk­wei­sen stam­men oft­mals aus dem 19. Jahr­hun­dert bzw. ver­wen­den des­sen Kate­go­rien. Im 21. Jahr­hun­dert gebe es neue Mög­lich­kei­ten, Pro­blem­fel­der, Her­aus­for­de­run­gen – dem­entspre­chend sei es Zeit, aktu­el­le Fra­ge­stel­lun­gen zur Iden­ti­tät zeit­ge­mäß zu diskutieren. 

Allein, dies folgt nicht im Rah­men des selbst gestell­ten Anspruchs. Appiah legt mit die­sem Buch viel­mehr den Ver­such vor, die eige­ne iden­ti­tä­re Zer­ris­sen­heit ideo­lo­gisch zu ver­klä­ren und damit auf­zu­wer­ten. Er räumt ein, daß er seit mehr als drei Jahr­zehn­ten an die­sem iden­ti­täts­po­li­ti­schen The­ma, das er selbst expli­zit auf sei­ne ver­schie­den­ar­ti­ge Her­kunft – bri­tisch-gha­na­isch-kos­mo­po­li­ti­sche Fami­li­en­kon­stel­la­ti­on – zurück­führt, arbei­tet. Viel­leicht ist er des­halb so ver­ses­sen dar­auf, tra­dier­te Gemein­schaf­ten und iden­ti­täts­bil­den­de Mar­ker ver­meint­lich zu dekon­stru­ie­ren. Iden­ti­tät, so Appiah, sei schlech­ter­dings ein »Tun«, kein »Ding«, und als sol­ches ste­ten Ver­än­de­run­gen (offen­bar: ohne Kon­stan­ten) unterworfen. 

Eine omni­prä­sen­te Form, Iden­ti­tät zu kon­stru­ie­ren, sei für Men­schen die Nati­on – und die­se erklärt Appiah noch abwe­gi­ger als Gell­ner: »Eine Nati­on«, so Appiah, »ist eine Grup­pe von Men­schen, die der Ansicht sind, gemein­sa­me Vor­fah­ren zu haben, und denen die­se angeb­li­che Tat­sa­che zudem auch wich­tig ist.« Sol­cher­lei »Defi­ni­tio­nen« las­sen den Leser rat­los zurück. Deren aka­de­mi­scher Anspruch bleibt weit hin­ter der – tat­säch­lich zu dis­ku­tie­ren­den – Kri­tik an Natio­na­lis­men aller Cou­leur und alt­vä­te­ri­schem Natio­nal­staats­den­ken, for­mu­liert von so unter­schied­li­chen Den­kern wie Alain de Benoist, Bene­dict Ander­son, Alex­an­der Dugin oder Stuart Hall, zurück.

Sei­ne The­sen erschei­nen selbst dort abwe­gig , wo Appiah ins Kon­kre­te zu über­ge­hen ver­sucht. Denn als Bei­spiel für eine eth­no­kul­tu­rell und reli­gi­ös viel­fäl­ti­ge funk­tio­nie­ren­de Nati­on (im Gegen­satz zu »klas­si­schen«, volk­lich eher homo­ge­nen Natio­nen) nennt er Sin­ga­pur, wo unter­schied­li­che Iden­ti­tä­ten zusam­men­wir­ken und ein Ensem­ble abge­ben. Was Appiah unter­schlägt: Der mul­ti­ple Son­der­fall Sin­ga­pur funk­tio­niert in die­ser Art und Wei­se nur, weil eine auto­ri­tä­re DNA die Stadt­staats­kon­struk­ti­on prägt und die unan­ge­foch­ten regie­ren­de »Volks­ak­ti­ons­par­tei« seit 1959 einen durch­aus illi­be­ral gesetz­ten Rah­men auf­recht erhält, an den sich alle Volks- und Reli­gi­ons­grup­pen bedin­gungs­los zu hal­ten haben. 

Appiahs Über­lei­tun­gen zu kul­tu­rel­len Iden­ti­tä­ten und ihrer vor­geb­lich belie­bi­gen Aus­ge­stal­tung durch das freie ratio­na­le Indi­vi­du­um selbst machen die Sache nicht bes­ser, lei­ten aber zu sei­nem fina­len The­ma, der Gen­der­the­ma­tik, über, die »uns aus alten patri­ar­cha­li­schen Unter­stel­lun­gen befreit hat«, und ohne die es ihm »nicht mög­lich gewe­sen (wäre), als ein schwu­ler Mann zu leben, der mit einem ande­ren Mann ver­hei­ra­tet ist«. Wie­der­um wird deut­lich, daß Appiahs Stu­die vor allem der eige­nen hybri­den iden­ti­täts­po­li­ti­schen Ver­ge­wis­se­rung dient, nicht aber dem objek­ti­ven Erkennt­nis­ge­winn. Allen­falls lie­fert er frag­men­ta­ri­sche Ideo­lo­gie­pro­duk­ti­on für Any­whe­res. Daß die­se Man­gel­wa­re für Lehr­stüh­le in Yale, Prince­ton, New York, Duke und Har­vard aus­reicht, spricht Bän­de über den uni­ver­sa­len Erfolg des kos­mo­po­li­ti­schen Scheins. 

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Iden­ti­tä­ten. Die Fik­tio­nen der Zuge­hö­rig­keit von Kwa­me Antho­ny Appiah kann man hier bestel­len.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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