In der Selbstbeschreibung als »Häretiker« steckt immer ein Stückchen Eitelkeit, weil sich bei dem Begriff unwillkürlich Assoziationen vom dunklen Verließ bis zum Scheiterhaufen einstellen, die immer an die Wurzel der Existenz rühren. Außerdem stellt der Ketzer seine Ansichten in aller Regel über sein Leben, was es schwer macht, sich ihn als Sanguiniker vorzustellen.
All das trifft so gar nicht auf Roger Scruton (geb. 1944) zu, den Philosophen, der dem Leser in der vorliegenden Aufsatzsammlung als ein freundlicher, seine Worte wägender, lebensfroher alter Herr entgegentritt, dem man gern zuhört (und größtenteils auch folgt). Er spielt mit dieser Selbstbeschreibung auf die gegenwärtige Situation an, in der vom Mainstream abweichende Meinungen leicht in den Geruch des Ketzerischen kommen. Die zwölf Essays haben durchaus häretisches Potential, wenn Scruton über das Sagen des Unsagbaren, Beobachtungen aus dem täglichen Leben oder die Verteidigung des Westens gegen den islamischen Herrschaftsanspruch sinniert.
Für letztere versammelt er Merkmale westlicher Gesellschaften, die sie vom Islam unterscheiden und die es zu verteidigen gilt. Scruton zeigt uns, was wir an uns haben und will, daß wir diese Eigenheiten bewußt pflegen, weil sie sonst zu leicht als Nebensächlichkeit betrachtet werden, was der erste Schritt zur Aufgabe wäre. Das sind dann nicht nur so grundsätzliche Dinge wie Bürgerrechte, Nationalstaat und Christentum, sondern auch Dinge wie die Ironie oder das Trinken: »es bringt Fremde zusammen in einer Gemütsverfassung kontrollierter Aggression, man fühlt sich in der Lage und bereit, sich für alles Mögliche zu engagieren, was im Lauf einer Unterhaltung Thema wird.« Auf der anderen Seite des Spektrums seiner Zuneigung steht die Hauskatze bzw. deren Halter.
Im Gegensatz zu anderen Haustieren könne man sich Katzen nicht dienstbar machen, da sich alles »in ihrer Natur« nur auf das eine Ziel richte, »zu töten«. Katzen sind, da sie Vögel und Kleinsäugetiere jagen, Schädlinge, weshalb es das Schlimmste sei, »daß es dank der Sentimentalität britischer Tierfreunde als Verbrechen gilt, sie abzuschießen«. Mit anderen Worten: Scruton ist bei aller Wertschätzung der Vergangenheit und der Beschaulichkeit nicht sentimental, sondern durchaus Realist.
Das wird auch bei einem alten Streitthema, der Sterbehilfe, deutlich. Scruton macht es sich hier nicht einfach, sondern trennt zwischen geistigem und körperlichem Verfall. Bei schwerem Leiden plädiert er für die Sterbehilfe, nicht zuletzt um den fragwürdigen Möglichkeiten der Lebensverlängerung etwas entgegenzusetzen. Gegen den geistigen Verfall empfiehlt er den Mut, der zu einem riskanten Leben gehört. Das hält geistig fit! Bei anderen Themen, wie dem Bauen, dem Umweltschutz und dem Regieren allgemein, tritt vereinzelt eine gewisse Unzulänglichkeit der Antworten, die Scruton auf die Herausforderungen der Gegenwart geben kann, zutage.
Natürlich wäre es schöner, wenn wir alle in Orten lebten, die menschlichem Maß entsprechen und sich in allen Belangen in die Umwelt integrieren. Doch sind wir dafür nicht einfach zu viele? Hier liegt ein Problem, um das Scruton einen Bogen macht. Etwas widersprüchlich sind seine Aussagen zum Staat, den er einerseits gegen die Libertären verteidigt, ihn andererseits aber als Urheber der Umweltverschmutzung zum Grundübel erklärt. Diese Kleinigkeiten fordern den Leser zum Widerspruch heraus und bestärken ihn gleichzeitig darin, daß Scrutons Essays derzeit zu dem Besten gehören, was unsere Seite aufzubieten hat.
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