Muß man derartiges … beachten? Sagen wir so: Vor einem guten Jahrzehnt war Frau Şahin eine gewisse Nummer. Eine Muslima / Alevitin, die den Deutschrap prägte. Die schockte. Ihre expliziten Texte »nicht jugendfrei« zu nennen, wäre untertrieben. Daß sie sich als Tochter türkischer Einwanderer (*1980) bereits in Kinderjahren selbst »Bitch« (dt. Schlampe) titulierte, sagt viel. In den Nullerjahren war Lady Bitch Ray (LBR) ein Phänomen. Sie war hübsch, rappte ihren »Vagina Style« voller expliziter, krasser Wendungen – und war zugleich Doktorandin und Dozentin im Fach Linguistik.
Das Ganze ließ sich ganz gut unter den Etiketten Selbstermächtigung, Nonkonformismus, Emanzipation und »Neue Deutsche« verkaufen. Öffentlichkeitswirksam goß sie ein Glas über »Talkteilnehmer« Ulf Poschardt aus (sie fand ihn zu »schwul«) und überreichte in einer anderen Fernsehsendung Oliver Pocher ein Döschen mit eigenem Vaginalsekret. Eine Skandalnudel also.
Kaum jemand interessiert sich heute noch für diese Frau. Ich schon, und es mischt sich ein wenig Schadenfreude hinein. Diese bezieht sich nicht auf die (es mag herablassend klingen, ist aber ernstgemeint) eher bemitleidenswerte Person LBR, sondern auf das Thema, das sie hier zu Tode reitet. Faszinierend nämlich, dem Feminismus hier bei seiner Implosion zuzusehen! Immerhin hat ein Verlag mit echt »großem Rükken« (wie man in der Rap-Szene solide, allerdings dort meist kriminelle Strukturen nennt) dieses Buch publiziert. Dies ist erstaunlich.
Das fast zeitgleich bei der Konkurrenz erschienene Buch von Lady Bitch Rays delinquenter, etwas jüngerer Konkurrentin Schwesta Ewa (»Das Leben fickt am härtesten«) verkauft sich selbst aus dem Knast heraus deutlich besser. Schwesta Ewa liefert Unterhaltung für sensationslüsterne Kaputtnicks. LBR beansprucht hingegen gesellschaftliche Relevanz und feministische Deutungshoheit.
Was will uns Dr. Bitch Ray ein Jahrzehnt nach Abklingen ihrer Prominenz sagen? Vor allem, daß sie unter Intersektionalität leidet. Das ist einer der zahlreichen Modebegriffe aus LBRs Viktimologie (wie auch »Slutshaming«, »Tokenismus«, »Whitewashing«; es gibt einen lesenswerten Erklärapparat): Intersektionell leidet der / diejenige, der / die mehrfach diskriminiert wird. Der Klassiker hierzu wäre die »Lesbische schwarze Behinderte« (Funny van Dannen). Gerade über diese drei Kategorien mag man im Fall von LBR streiten. Sie selbst sieht sich benachteiligt mindestens via Geschlecht, Religion, Hautfarbe und Sozialstatus.
Sie betrachtet sich – siehe Cover!- als WoC, als Woman of Color, als Farbige, was hier synonym mit »Schwarze« verwendet wird. Ein gewisser Knick in der Optik deutet sich an. LBR ärgert sich, daß niemand ihr Talkshowgespräch mit der Schauspielerin Michaela May (2007) als Meilenstein des Feminismus begriffen hatte. Damals hatte sie gerade ihre Lieder »Fick mich« und »Deutsche Schwänze« veröffentlicht. Alle seien immer fies zu ihr gewesen: Sie reduzierten nämlich diese Wunderfrau »auf das Sexuelle«. Der »vaginalen Göttin der Gerechtigkeit sei dank« (diese Wendung wiederholt sich) folgten allerdings bis heute alle maßgeblichen feministischen Streiterinnen LBR – selbst, wenn niemand es wahrhaben wolle.
Ihre »queerfeministischen Kunstabsichten« hätten die meisten Kritiker mißverstanden, nämlich: das »Schwanzsystem von innen heraus zu dekonstruieren«. Nur deshalb habe sie den Begriff der Bitch positiv umgedeutet und ihn »wie einen Tampon in den Deutschrap eingeführt«. Daß LBR kurzzeitig als promovierte Lehrbeauftragte universitär reüssieren konnte, hält sie für heldenhaft. Denn normalerweise brauchten sich Personen »mit einer linkspolitischen Einstellung in der Fuckademie gar nicht erst sehen zu lassen.« Soso! Der Verlag, der das druckt, verbreitet und promotet, hat auch Bücher von Simon Strauß, Jonathan Lethem, Luisa Neubauer und Alexander Wendt im aktuellen Portefeuille. Was heißt das nun?
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Yalla, Feminismus von Reyhan Şahin kann man hier bestellen.