Michael Kühnlein (Hrsg.): konservativ?!

Michael Kühnlein (Hrsg.): konservativ?! Miniaturen aus Kultur, Politik und Wissenschaft, Berlin: Duncker & Humblot 2019. 490 S., 24.90 €

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

Es ist doch ein Kreuz mit die­sem Main­stream! Kaum pro­vo­ziert man sie, wol­len sie alle mit­pro­vo­zie­ren. Der Sam­mel­band mit dem Titel kon­ser­va­tiv?! (in ganz pro­gres­si­ver Klein­schrei­bung und Inter­punk­ti­on übri­gens, oder ist das schon wie­der kon­ser­va­tiv?) beruht auf einer Tagung, in deren Fol­ge hun­dert wei­te­re Leu­te der Auf­for­de­rung gefolgt sind, jeder drei Sei­ten zum hin­ge­wor­fe­nen Stich­wort »kon­ser­va­tiv« hin­zu­wer­fen. Da fin­den sich Namen wie Cem Özd­emir, Petra Pau, Gre­gor Gysi oder Ralf Ste­g­ner, von denen man sich Kon­ser­va­tis­mus-Bas­hing erwar­tet und auch gelie­fert bekommt, aber selbst sie liebäugeln.

Dann fin­den sich auf der ande­ren Sei­te Thi­lo Sar­ra­zin, Vera Lengs­feld oder Uwe Tell­kamp, auch hier: gelie­fert wie bestellt. Der Über­druß am poli­ti­schen Riß, am gesäß­geo­gra­phi­schen Lager­kampf, an Freund und Feind, hat sei­nem Her­aus­ge­ber zufol­ge die­sen Sam­mel­band moti­viert. End­lich woll­te er mal Refle­xio­nen aus dem beschä­dig­ten Leben lesen statt die immer­glei­chen Vor­wür­fe. Der Main­stream schnappt sich den Begriff des Kon­ser­va­ti­ven, dreht und wen­det ihn, und­her­aus kommt bei zwei Drit­teln der Bei­trä­ge das, was ein Grand­sei­gneur des Kon­ser­va­tis­mus, Her­mann Lüb­be, in sei­nem Schluß­text in die Paro­le faßt: »Poli­ti­scher Kon­ser­va­tis­mus – das ist der poli­ti­sche Wil­le, in einer rasch zusam­men­wach­sen­den Welt sich in der Kon­se­quenz sei­ner unver­füg­ba­ren Her­kunft zukunfts­fä­hig zu halten«. 

Ist das nicht lang­wei­lig? Lang­wei­lig ist, was alle machen. Die Autoren fin­den fast durch die Bank Kon­ser­va­tis­mus gut, gehen meist in sich, för­dern dies und jenes kon­ser­va­ti­ve Sen­ti­ment oder Res­sen­ti­ment, Bio­gra­phie­stück­chen, Bibel‑, Bur­ke- oder Hegel­zi­tat zuta­ge, aber »zukunfts­fä­hig«, das wol­len sie dann doch alle sein. »Immer wie­der ein neu­es Ja bau­en« (Wolf­gang Schäub­le), »Unter­wegs blei­ben – Erhal­tens­wer­tes bewah­ren und aus­bau­en« (Rita Süss­muth), »Kon­ser­va­tiv heißt reform­fä­hig« (Tho­mas Stern­berg). Man ist doch kein Reak­tio­när. Und auch bit­te nicht »rechts« oder der »Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on« nahe­ste­hend. Wenn Kon­ser­va­tis­mus als Distan­zie­rungs­ges­te her­hält, wird er unerträglich. 

Der Band kon­ser­va­tiv!? lädt zum Über­blät­tern ein. Das ist sei­ne gute Sei­te. Auf die Idee, unaka­de­misch lau­ter Minia­tu­ren zu ver­sam­meln zur Zer­streu­ung der Leser muß man erst ein­mal kom­men. Blü­ten­le­send, ton­fall­ver­glei­chend, lei­der auch manch­mal ein wenig inqui­si­to­risch schar­rend und von der noto­ri­schen Begriffs­ge­schich­te »von lat. con­ser­va­re statt von Kon­ser­ve« ermü­det, liest man immer wei­ter. Plötz­lich scharrt man dann einen Fund frei. Beson­ders die über­haupt nicht begriffs­ge­schicht­li­chen son­dern pri­va­ten Geschich­ten ber­gen sol­che. Sven­ja Flaß­pöh­lers Ehe­streit um den Fami­li­en­na­men ihrer Kin­der, Susan­ne Gasch­kes Lob des Alko­hol­trin­kens zu Mit­tag, Hans Plesch­in­skis Vater, der Schmied, oder Yehu­da Aha­ron Horo­vitz’ Beschrei­bung des Con­ser­va­ti­ve Juda­ism sind Funde. 

Fun­de gibt es auch, wenn es inhalt­lich inter­es­sant wird: Chris­toph Tür­cke zieht die Fäden des Chan­ge Mana­ging von der Nach­kriegs­umer­zie­hung bis zur Gegen­warts­päd­ago­gik, Lorenz Jäger his­to­ri­siert abschlie­ßend den allen Kon­ser­va­ti­ven nach­ge­sag­ten »auto­ri­tä­ren Cha­rak­ter«, und end­lich wür­digt jemand Gerd-Klaus Kal­ten­brun­ners Ver­dienst, den Kon­ser­va­tis­mus nicht bloß e con­tra­rio zu defi­nie­ren, son­dern mit einem Lebens­füh­rungs­auf­trag zu füllen. 

Wahr­schein­lich sind es dann ganz am Schluß die drei For­meln, die der Phi­lo­soph Klaus‑M. Kodal­le fin­det, die über kon­ser­va­ti­ves Ver­hal­ten das Wesent­li­che aus­sa­gen: 1.) Der Zeit­geist wirkt hin­ter­rücks, erst im Nach­hin­ein bemerkt man sei­ne eige­ne Ange­paßt­heit, 2.) der Kon­ser­va­ti­ve leis­tet kat­echon­ti­schen Wider­stand ange­sichts der Sog­kraft des Wir-Gefühls, so daß 3.) das Ethos der Nach­sich­tig­keit und Selbst­zu­rück­nah­me gebo­ten ist. Mögen sich die Sam­mel­band­au­to­ren alle drei For­meln immer wie­der ver­ge­gen­wär­ti­gen. Und wir Leser genau­so. Wir wol­len ja kon­ser­va­tiv sein. 

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kon­ser­va­tiv?! von Micha­el Kühn­lein kann man hier bestel­len.

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

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