Wer die Danksagungen kennt, die der Historiker Reinhart Koselleck (1923 – 2006) 1959 seiner berühmten Dissertation Kritik und Krise vorangestellt hat, wird von dem vorliegenden Briefwechsel einige Erhellungen erwarten dürfen. Dort dankt Koselleck nicht nur Carl Schmitt (1888 – 1985), »der mir in Gesprächen Fragen stellen und Antworten suchen half«, sondern auch seinen »Freunden« Gerhard Hergt, Hanno Kesting und Nicolaus Sombart. Mit der Aufzählung dieser Namen hat Koselleck einen frühen Hinweis auf die Netzwerke veröffentlicht, die Carl Schmitt in den 1950er Jahren unter vielversprechenden Nachwuchsakademikern zu spinnen begann und die es spätestens seit Dirk van Laaks grundlegender Arbeit über die Gespräche in der Sicherheit des Schweigens (1993) auch zu einiger Bekanntheit gebracht haben.
Die vier Freunde hatten sich in Heidelberg im privaten Kolloquium von Alfred Weber, dem heute vergessenen jüngeren Bruder Max Webers, kennengelernt. Sombart, Sohn des berühmten Soziologen Werner Sombart, kannte Carl Schmitt aus seinem Berliner Elternhaus und brachte seine Freunde mit Schmitt zusammen. Im knappen Nachwort des Herausgebers heißt es dazu: »In Lokalen der Altstadt konnte Schmitt sich beim Wein mit den aufgeweckten Studenten von seinem familiären Kummer [Schmitts Ehefrau wurde in Heidelberg wegen eines Krebsleidens behandelt und starb dort im Dezember 1950] ablenken und einmal wieder jüngere Leute mit seinem scharfen Geist und seiner rhetorischen Brillanz in den Bann schlagen.«
Von den Freunden gaben Kesting und Koselleck Schmitt allen Grund zur Freude, weil sie den antiutopistischen Impuls von ihm weitertrugen, als 1959 gleichzeitig Kestings Geschichtsphilosophie und Weltbürgerkrieg und Kosellecks bereits erwähnte Dissertation erschienen. Von der »kritischen« Öffentlichkeit, insbesondere Jürgen Habermas, wurde der Schmittianismus der beiden kritisch bemerkt. Dennoch erhielten beide in den sechziger Jahren eine Professur. Der 1975 verstorbene Kesting sah sich Angriffen der studentischen Linken ausgesetzt, wohingegen Koselleck sehr geschmeidig und überlegt seine Karriere anging, die ihn schließlich zum bedeutendsten deutschen Historiker des 20. Jahrhunderts machen sollte. Die Bezugnahme auf Schmitt behinderte ihn dabei offensichtlich nicht besonders. In einem als Ergänzung (und sinnvolle Zugabe) abgedruckten Interview aus dem Jahr 1994 sagt Koselleck dazu: »Man wird als Schmittianer abgestempelt, und das hat auch heute noch Folgen.«
Der Briefwechsel, der von 1953 an über dreißig Jahre geführt wurde und 119 Briefe umfaßt, ist leider inhaltlich nicht besonders ergiebig, wenn man ihn an denen mit Forsthoff oder Sander mißt. Das ist vor allem dem Umstand geschuldet, daß Koselleck bald nach seiner Berufung stark vom Universitätsbetrieb in Anspruch genommen war und Mühe hatte, seinen publizistischen Verpflichtungen nachzukommen. Es liegt zudem in der Natur von Schüler-LehrerVerhältnissen, daß im Laufe der Jahre eine, hier sehr milde, Emanzipation des Schülers erfolgt. Schmitt reagiert auf Kosellecks mitunter recht ausführliche Schilderungen seines Professorenalltags nicht und äußert sich kaum noch zu den zahlreichen Veröffentlichungen Kosellecks, die ihm dieser regelmäßig schickt. Kosellecks Beileidschreiben zum Tod von Schmitts einziger Tochter ist der letzte überlieferte Brief.
Fruchtbar ist der Briefwechsel vor allem in der Anfangsphase, als sich beide in regem Austausch über Kosellecks Dissertation befinden. Allerdings erfolgte auch hier der wesentliche Austausch mündlich, da Koselleck allein 1953 zweimal in Plettenberg zu Besuch war und dort die Arbeit breit erörtert wurde. Da die Arbeit erst 1959 gedruckt erschien und Carl Schmitt dazu eine Rezension verfaßte, die er mit Koselleck abstimmte, zieht sich das wesentliche Thema dieses Briefwechsels einige Jahre hin. Dabei ging es um den Ursprung des Weltbürgerkrieges, in dem sich beide Schreiber verorteten. Koselleck sah in der Utopie, die im 18. Jahrhundert als Antwort auf den Absolutismus entstanden war, den entscheidenden Impuls, der zur Moralisierung der Politik und Verschärfung des Bürgerkrieges führte. In der Geschichtsphilosophie erblickten beide den Schleier, der über die Gewalt von 1789ff. gelegt wurde.
Eher am Rande wird einer der weiteren Impulsgeber für dieses Thema, Karl Löwith, behandelt, dessen Buch Meaning in History von Kesting und Koselleck auf Vermittlung Schmitts ins Deutsche übersetzt wurde. Auch wenn Koselleck den rebellierenden Studenten 1968 gegenüber zu Zugeständnissen bereit war, was Schmitt nicht kommentiert, liegt hier nicht der Grund für die Verflachung des Briefwechsels in den späteren Jahren.
Koselleck blieb seinen nicht utopischen Überzeugungen treu, wenn er 1978 gegenüber Schmitt bekannte: »Die rationale Anerkennung des Feindes ist wohl die einzige Einstellung in der Politik, die nicht utopisch sein kann.« Damit weist er auf ein weiteres Resultat seiner lebenslangen Beschäftigung mit Schmitt hin, die geschickte Integration der »Freund und Feind«-Unterscheidung Schmitts als »asymmetrische Gegenbegriffe« in die Geschichtswissenschaft unter gleichzeitiger Würdigung von Schmitts Entdeckungstat. Um solche Bezüge zu verstehen, muß man allerdings die entsprechenden Schriften zur Hand nehmen, weil der Briefwechsel lediglich Andeutungen bietet.
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Den Briefwechsel zwischen Schmitt und Koselleck kann man hier bestellen.