Reinhart Koselleck / Carl Schmitt: Der Briefwechsel 1953 – 1983 und weitere Materialien

Reinhart Koselleck / Carl Schmitt: Der Briefwechsel 1953 – 1983 und weitere Materialien. Hrsg. von Jan Eike Dunkhase, Berlin: Suhrkamp 2019. 459 S., 42 €

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

Wer die Dank­sa­gun­gen kennt, die der His­to­ri­ker Rein­hart Koselleck (1923 – 2006) 1959 sei­ner berühm­ten Dis­ser­ta­ti­on Kri­tik und Kri­se vor­an­ge­stellt hat, wird von dem vor­lie­gen­den Brief­wech­sel eini­ge Erhel­lun­gen erwar­ten dür­fen. Dort dankt Koselleck nicht nur Carl Schmitt (1888 – 1985), »der mir in Gesprä­chen Fra­gen stel­len und Ant­wor­ten suchen half«, son­dern auch sei­nen »Freun­den« Ger­hard Hergt, Han­no Kes­t­ing und Nico­laus Som­bart. Mit der Auf­zäh­lung die­ser Namen hat Koselleck einen frü­hen Hin­weis auf die Netz­wer­ke ver­öf­fent­licht, die Carl Schmitt in den 1950er Jah­ren unter viel­ver­spre­chen­den Nach­wuchs­aka­de­mi­kern zu spin­nen begann und die es spä­tes­tens seit Dirk van Laaks grund­le­gen­der Arbeit über die Gesprä­che in der Sicher­heit des Schwei­gens (1993) auch zu eini­ger Bekannt­heit gebracht haben.
Die vier Freun­de hat­ten sich in Hei­del­berg im pri­va­ten Kol­lo­qui­um von Alfred Weber, dem heu­te ver­ges­se­nen jün­ge­ren Bru­der Max Webers, ken­nen­ge­lernt. Som­bart, Sohn des berühm­ten Sozio­lo­gen Wer­ner Som­bart, kann­te Carl Schmitt aus sei­nem Ber­li­ner Eltern­haus und brach­te sei­ne Freun­de mit Schmitt zusam­men. Im knap­pen Nach­wort des Her­aus­ge­bers heißt es dazu: »In Loka­len der Alt­stadt konn­te Schmitt sich beim Wein mit den auf­ge­weck­ten Stu­den­ten von sei­nem fami­liä­ren Kum­mer [Schmitts Ehe­frau wur­de in Hei­del­berg wegen eines Krebs­lei­dens behan­delt und starb dort im Dezem­ber 1950] ablen­ken und ein­mal wie­der jün­ge­re Leu­te mit sei­nem schar­fen Geist und sei­ner rhe­to­ri­schen Bril­lanz in den Bann schlagen.«

Von den Freun­den gaben Kes­t­ing und Koselleck Schmitt allen Grund zur Freu­de, weil sie den anti­uto­pis­ti­schen Impuls von ihm wei­ter­tru­gen, als 1959 gleich­zei­tig Kes­t­ings Geschichts­phi­lo­so­phie und Welt­bür­ger­krieg und Kosellecks bereits erwähn­te Dis­ser­ta­ti­on erschie­nen. Von der »kri­ti­schen« Öffent­lich­keit, ins­be­son­de­re Jür­gen Haber­mas, wur­de der Schmit­tia­nis­mus der bei­den kri­tisch bemerkt. Den­noch erhiel­ten bei­de in den sech­zi­ger Jah­ren eine Pro­fes­sur. Der 1975 ver­stor­be­ne Kes­t­ing sah sich Angrif­fen der stu­den­ti­schen Lin­ken aus­ge­setzt, wohin­ge­gen Koselleck sehr geschmei­dig und über­legt sei­ne Kar­rie­re anging, die ihn schließ­lich zum bedeu­tends­ten deut­schen His­to­ri­ker des 20. Jahr­hun­derts machen soll­te. Die Bezug­nah­me auf Schmitt behin­der­te ihn dabei offen­sicht­lich nicht beson­ders. In einem als Ergän­zung (und sinn­vol­le Zuga­be) abge­druck­ten Inter­view aus dem Jahr 1994 sagt Koselleck dazu: »Man wird als Schmit­tia­ner abge­stem­pelt, und das hat auch heu­te noch Folgen.«

Der Brief­wech­sel, der von 1953 an über drei­ßig Jah­re geführt wur­de und 119 Brie­fe umfaßt, ist lei­der inhalt­lich nicht beson­ders ergie­big, wenn man ihn an denen mit Forst­hoff oder San­der mißt. Das ist vor allem dem Umstand geschul­det, daß Koselleck bald nach sei­ner Beru­fung stark vom Uni­ver­si­täts­be­trieb in Anspruch genom­men war und Mühe hat­te, sei­nen publi­zis­ti­schen Ver­pflich­tun­gen nach­zu­kom­men. Es liegt zudem in der Natur von Schü­ler-Leh­rer­Ver­hält­nis­sen, daß im Lau­fe der Jah­re eine, hier sehr mil­de, Eman­zi­pa­ti­on des Schü­lers erfolgt. Schmitt reagiert auf Kosellecks mit­un­ter recht aus­führ­li­che Schil­de­run­gen sei­nes Pro­fes­so­ren­all­tags nicht und äußert sich kaum noch zu den zahl­rei­chen Ver­öf­fent­li­chun­gen Kosellecks, die ihm die­ser regel­mä­ßig schickt. Kosellecks Bei­leid­schrei­ben zum Tod von Schmitts ein­zi­ger Toch­ter ist der letz­te über­lie­fer­te Brief. 

Frucht­bar ist der Brief­wech­sel vor allem in der Anfangs­pha­se, als sich bei­de in regem Aus­tausch über Kosellecks Dis­ser­ta­ti­on befin­den. Aller­dings erfolg­te auch hier der wesent­li­che Aus­tausch münd­lich, da Koselleck allein 1953 zwei­mal in Plet­ten­berg zu Besuch war und dort die Arbeit breit erör­tert wur­de. Da die Arbeit erst 1959 gedruckt erschien und Carl Schmitt dazu eine Rezen­si­on ver­faß­te, die er mit Koselleck abstimm­te, zieht sich das wesent­li­che The­ma die­ses Brief­wech­sels eini­ge Jah­re hin. Dabei ging es um den Ursprung des Welt­bür­ger­krie­ges, in dem sich bei­de Schrei­ber ver­or­te­ten. Koselleck sah in der Uto­pie, die im 18. Jahr­hun­dert als Ant­wort auf den Abso­lu­tis­mus ent­stan­den war, den ent­schei­den­den Impuls, der zur Mora­li­sie­rung der Poli­tik und Ver­schär­fung des Bür­ger­krie­ges führ­te. In der Geschichts­phi­lo­so­phie erblick­ten bei­de den Schlei­er, der über die Gewalt von 1789ff. gelegt wurde. 

Eher am Ran­de wird einer der wei­te­ren Impuls­ge­ber für die­ses The­ma, Karl Löwi­th, behan­delt, des­sen Buch Mea­ning in Histo­ry von Kes­t­ing und Koselleck auf Ver­mitt­lung Schmitts ins Deut­sche über­setzt wur­de. Auch wenn Koselleck den rebel­lie­ren­den Stu­den­ten 1968 gegen­über zu Zuge­ständ­nis­sen bereit war, was Schmitt nicht kom­men­tiert, liegt hier nicht der Grund für die Ver­fla­chung des Brief­wech­sels in den spä­te­ren Jahren. 

Koselleck blieb sei­nen nicht uto­pi­schen Über­zeu­gun­gen treu, wenn er 1978 gegen­über Schmitt bekann­te: »Die ratio­na­le Aner­ken­nung des Fein­des ist wohl die ein­zi­ge Ein­stel­lung in der Poli­tik, die nicht uto­pisch sein kann.« Damit weist er auf ein wei­te­res Resul­tat sei­ner lebens­lan­gen Beschäf­ti­gung mit Schmitt hin, die geschick­te Inte­gra­ti­on der »Freund und Feind«-Unterscheidung Schmitts als »asym­me­tri­sche Gegen­be­grif­fe« in die Geschichts­wis­sen­schaft unter gleich­zei­ti­ger Wür­di­gung von Schmitts Ent­de­ckungs­tat. Um sol­che Bezü­ge zu ver­ste­hen, muß man aller­dings die ent­spre­chen­den Schrif­ten zur Hand neh­men, weil der Brief­wech­sel ledig­lich Andeu­tun­gen bietet. 

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Den Brief­wech­sel zwi­schen Schmitt und Koselleck kann man hier bestel­len.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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