Kersten Knipp: Die Kommune der Faschisten

Kersten Knipp: Die Kommune der Faschisten. Gabriele D’Annunzio, die Republik von Fiume und die Extreme des 20. Jahrhunderts, Darmstadt: wbg Theiss 2018. 288 S., 25 €

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

Vor eini­gen Jah­ren war ein klei­nes Büch­lein »Kult« unter (mir bekann­ten) Rech­ten aller Cou­leur: die Novel­le Fiume oder der Tod (2004 / 2010) des spä­ter von sei­ner Ehe­frau ermor­de­ten Evo­li­a­ners Oli­ver Rit­ter (1960 – 2016). Rit­ter erzähl­te die beweg­te Geschich­te der ita­lie­nisch-kroa­ti­schen Stadt Fiume (heu­te: Rije­ka), die der Dan­dy-Dich­ter Gabrie­le D’Annunzio (1863 – 1938) am 12. Sep­tem­ber 1919 mit sei­ner Mann­schaft und ihrem Füh­rungs­kern, den Ardi­ti, einnahm.

Die Erzäh­lung war eine groß­ar­ti­ge Apo­theo­se: 15 Mona­te D’Annunzio-Herrschaft wur­den zur Fei­er­stun­de des Lebens und der Sin­ne hoch­ge­ho­ben – Ästhe­tik als Gesetz, Rausch als Frei­heit, Genuß im Diens­te des Hero­is­mus. Gewiß, Rit­ter repro­du­zier­te hier meis­ter­haft einen Mythos; die Rea­li­tät in einer dama­li­gen Klein­stadt an der Adria war viel pro­fa­ner, pro­sa­ischer, prunk­lo­ser. Aber das stör­te weder Rit­ter in den 2000er Jah­ren noch den natio­na­len Dich­ter Ita­li­ens 80 Jah­re vor­her, des­sen Maxi­me »Wir wol­len die Wahr­heit nicht mehr. Gebt uns den Traum!« die exzen­trisch-uto­pi­sche Ader ihres Urhe­bers auf den Punkt bringt. 

Daß die Wahr­heit über Fiume eine ande­re ist als das blu­mig-heroi­sche »Nar­ra­tiv« D’Annunzios, sei­ner Weg­ge­fähr­ten und Anhän­ger, nicht zuletzt vie­ler Faschis­ten, tut dem Mythos kei­nen Abbruch, ist aber evi­dent. Dies macht nicht zuletzt eine nüch­ter­ne Stu­die deut­lich, die Kers­ten Knipp vor­ge­legt hat. Der Deutsch­land­funk­jour­na­list zeich­net des Dich­ters Leben ent­lang des­sen Mot­to »Espri­me­re è vive­re« (sich aus­zu­drü­cken heißt zu leben) über Roma­ne und Welt­kriegs­er­leb­nis­se nach, bevor er über Schlüs­sel­erfah­run­gen des Por­trä­tier­ten zur Rebel­li­on von Fiume kommt, die unter dem bei Pin­dar und Aischi­los ent­lehn­ten und zum Schlacht­ruf Fiu­mes erko­re­nen »Eia Eia Eia! Ala­là!« ste­hen sollte. 

Daß fast 200 Sei­ten benö­tigt wer­den, um zur Cau­sa Fiume und der dort behei­ma­te­ten, titel­ge­ben­den »Kom­mu­ne der Faschis­ten« zu kom­men, ist begründ­bar mit einem werk­bio­gra­phi­schen und his­to­ri­schen Rah­men, kann jedoch auch als stra­pa­zie­rend bean­stan­det wer­den. Fiume jeden­falls war nach dem Ers­ten Welt­krieg nicht Rom zuge­spro­chen wor­den, son­dern wur­de zu einer neu­tra­len Stadt unter Hoheit des Völ­ker­bun­des erklärt. Ita­li­ens Natio­na­lis­ten sahen sich in ihrem Stand­punkt vom »ver­stüm­mel­ten Sieg« bestärkt, D’Annunzio schwang sich zum Wort­füh­rer ihrer Pro­tes­te auf. Ita­li­ens Regie­rung stüt­ze ihn und die Sei­nen nicht? Me ne fre­go, einer­lei. Und so zog man mit einem zusam­men­ge­wür­fel­ten Hau­fen von Kriegs­ve­te­ra­nen, jun­gen Natio­na­lis­ten und Despe­ra­dos aller Art in die Hafen­stadt ein, ver­spot­te­te den untä­tig blei­ben­den Völ­ker­bund und fei­er­te mehr oder weni­ger fünf­zehn Mona­te lang berau­schen­de Fes­te, vom Land und von der See her ein­ge­kes­selt durch alli­ier­te Truppen. 

Fiume, das sei die Lebens­auf­ga­be aller Frei­wil­li­gen, die Stadt des Opfers und des Selbst­op­fers, so D’Annunzio; man wer­de der Welt zei­gen, was ein Lebens­ge­fühl erzeu­gen und gestal­ten kön­ne. Andau­ern­de Auf­mär­sche, cho­reo­gra­phier­te Fei­er des Per­so­nen­kults, wil­de Orgi­en und Dro­gen­es­ka­pa­den, homo­se­xu­el­le Par­tys – das fas­zi­nier­te denn auch vie­le Fiume-Legio­nä­re, reiz­te Dan­dys und Aben­teu­rer, aber irri­tier­te die anfäng­lich wohl­wol­len­de ita­lie­ni­sche Mehr­heits­be­völ­ke­rung. Knipp schil­dert dies alles plas­tisch und nimmt das Pro­jekt Fiume wohl­tu­end ernst, indem er auch die neue Stadt­ver­fas­sung – die Car­ta del Car­naro – unter­sucht, die ver­such­te, Liber­ti­na­ge mit Gemein­schaft­den­ken zu ver­ei­nen, Sozia­lis­mus mit Natio­na­lis­mus, Kos­mo­po­li­tis­mus mit Groß­machts­phan­ta­sien, Basis­de­mo­kra­tie mit Staatskult.

Die pathe­ti­sche und doch im Kern »fort­schritt­li­che« Ver­fas­sung soll­te, so Knipp, »einer Repu­blik von Fein­füh­li­gen und Tief­grün­di­gen« ein Fun­da­ment schaf­fen, sah sich aber kurz nach Bekannt­ga­be von den Ereig­nis­sen über­holt. Am 12. Novem­ber 1920 einig­ten sich Ita­li­en und das König­reich der Ser­ben, Kroa­ten und Slo­we­nen (spä­ter: Jugo­sla­wi­en) auf ein Frei­staat­s­ta­tut Fiu­mes, was D’Annunzio mit einer Kriegs­er­klä­rung an Ita­li­en beant­wor­te­te. Nach einem Beschuß durch ita­lie­ni­sche Kriegs­schif­fe, bei dem der Dich­ter­sol­dat leicht ver­letzt wur­de, zog er mit den letz­ten Getreu­en ab, kon­sta­tier­te den »Ein­zug des Ver­rats« und konn­te ab 1921 für vie­le Jah­re einen stil­vol­len Wohn­sitz am Gar­da­see ein­neh­men, wo er noch ein Muse­um sei­ner selbst ein­rich­te­te und sich als ästhe­ti­sie­ren­der Geg­ner einer deutsch-ita­lie­ni­schen »Ach­se« expo­nier­te (weil Hit­ler, »mit die­sem Haar­bü­schel unter der Nazi­na­se«, ein »Bau­ern­lüm­mel« sei), bevor er verstarb. 

Fiume samt direk­tem Umland wie­der­um blieb bis 1941 Frei­staat, wur­de dann von Ita­li­en und 1943 vom Deut­schen Reich annek­tiert, bevor es zwi­schen Kriegs­en­de bis 1947 de jure wie­der ein Frei­staat wur­de; danach zähl­te es zu Jugo­sla­wi­en und das Gros der Ita­lie­ner wur­de ver­trie­ben. Die­ses Ver­bre­chen war eine Retour­kut­sche für Ita­lia­ni­sie­rungs­ver­su­che, die unter D’Annunzio 1919 / 20 began­nen und 1941 bis 1943 unter ita­lie­ni­scher Besat­zung gewalt­sam erfolg­ten. Das Aben­teu­er von Fiume war also »kei­nes­falls nur eine gros­se Par­ty«, wie der kroa­ti­sche His­to­ri­ker Vjeran Pav­la­ko­vic in der NZZ (v. 24. Dezem­ber 2019) zitiert wird. Der Mythos wird frei­lich über­dau­ern, und es ist davon aus­zu­ge­hen, daß auch in eini­gen Jah­ren noch Oli­ver Rit­ters Fiume-Lau­da­tio zir­ku­liert, wäh­rend Kers­ten Knipps Dar­stel­lung dann durch leben­di­ger geschrie­be­ne Fol­ge­wer­ke ver­drängt wor­den sein dürfte. 

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Die Kom­mu­ne der Faschis­ten von Kers­ten Knipp kann man hier bestel­len.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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