Dieter Thomä: Warum Demokratien Helden brauchen

Dieter Thomä: Warum Demokratien Helden brauchen, Berlin: Ullstein 2019. 272 S., 20 €

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

Burk­hard Voß: Wenn der Kapi­tän als ers­ter von Bord geht. Wie Post­he­ro­is­mus unse­re Gesell­schaft schwächt, Müns­ter: Soli­bro 2019. 176 S., 16.80 €.

Was ist eigent­lich ein Held? Im Augen­blick sei­ner Frag­wür­dig­keit wäre er um so nöti­ger, es liegt aber in der Natur des Zwei­fels, immer grö­ße­re Stü­cke fes­ten Bodens mit sich zu rei­ßen. Die­ter Tho­mä, Phi­lo­so­phie­pro­fes­sor in St. Gal­len, sucht Hel­den, die dem Zwei­fel stand­hal­ten. Sei­ne kul­tur­ge­schicht­li­che Suche – Tho­mäs Lieb­lings­ge­währs­leu­te sind Emer­son und Toque­ville – beginnt beim Gil­ga­mesch-Epos und endet bei Black Pan­ther und Won­der Woman.

Wich­ti­ger als das Her­bei­zi­tie­ren gro­ßer Figu­ren quer durch alle Kul­tur­schich­ten (ein typi­sches Merk­mal post­mo­der­nen Den­kens) und her­vor­ra­gend brauch­bar sind sei­ne begriff­li­chen Klä­run­gen. Was unter­schei­det den »Hel­den der Über­erfül­lung« vom »Hel­den der Über­win­dung«? Wie trag­fä­hig ist Rous­se­aus Vor­stel­lung des All­tags­hel­den? Rous­se­au hat­te 1751 die Tugend des Hel­den all­tags­taug­lich gedimmt: »Räu­men wir ein, daß die Völ­ker die krie­ge­ri­sche Mann­haf­tig­keit ohne rech­te Über­le­gung geschätzt haben, und daß es eben­so wider­sprüch­lich wie abscheu­lich wäre zu glau­ben, die Wohl­tä­ter des Men­schen­ge­schlechts bräch­ten ihr Wesen durch Ver­nich­tung der Men­schen zum Aus­druck. (…) Der wah­re Held bewährt sich hin­ge­gen alle Tage und sei­ne Tugen­den wer­den häu­fig benötigt.« 

Für Die­ter Tho­mä ist der All­tags­held der wah­re Held. Gegen »Pseu­do­hel­den« und »Trotz­hel­den« muß er ver­tei­digt wer­den: Der »Pseu­do­held« ist der kapi­ta­lis­ti­sche Pro­jek­te­ma­cher, der glo­bal play­er, der sei­ne Tat­kraft unter Beweis stel­len darf, nicht aber den Ein­satz für eine gro­ße Sache. Das Hel­den­tum lei­det im Kapi­ta­lis­mus unter inne­rer Aus­zeh­rung, dia­gnos­ti­ziert Tho­mä völ­lig kor­rekt. Der »Trotz­held« sei der übels­te Stö­ren­fried der Demokratie. 

In sei­nem vor­he­ri­gen Buch über die Geschich­te des Stö­ren­frieds (Puer Robus­tus, Sezes­si­on 76 / 2017) sor­tier­te er die popu­lis­ti­schen, »faschis­ti­schen« und über­haupt rech­ten Stö­ren­frie­de in die Schub­la­de »gestör­te Stö­rer«. Mit dem »Trotz­hel­den« ver­hält es sich kaum bes­ser. Wenn der wah­re Held der Wohl­tä­ter des Men­schen­ge­schlechts ist, dann kann ein Auf­be­geh­ren gegen die­se Umdeu­tung des Hel­den nur einem fal­schen Affekt, näm­lich rück­wärts­ge­wand­tem Trotz, ent­sprin­gen. Daß die­ser Affekt von Kol­lek­ti­vis­men instru­men­ta­li­siert wird (es folg­lich im Faschis­mus oder Bol­sche­wis­mus von Hel­den wim­melt), ist einer­seits wahr, ande­rer­seits führt dies zu einem Argu­ment, das mei­nen über­gro­ßen Zwei­fel an Tho­mäs The­sen zu prä­zi­sie­ren hilft. 

Die Frag­wür­dig­keit des Hel­den­tums gebiert not­wen­dig Trotz­re­ak­tio­nen: Wenn uns Hel­den madig gemacht wer­den, wol­len wir sie um so vehe­men­ter ver­tei­di­gen. Tho­mä trotzt der Mär von der post­he­roi­schen Gesell­schaft – auch »die Demo­kra­tie« brau­che Hel­den, denn eine Demo­kra­tie, in der alle gleich sind, stirbt ab. Hel­den, die »ers­tens der Gefahr ins Auge sehen, zwei­tens sich einer gro­ßen Sache wid­men, und drit­tens Bewun­de­rung ern­ten« ent­spre­chen dem Voll­bild des Hel­den. Gebricht es ihnen an einer der drei Eigen­schaf­ten, tau­gen sie nur bedingt. 

Das Kon­zept des »Pseu­do­hel­den« mar­kiert den stets not­wen­di­gen Irr­tums­vor­be­halt. Nicht allein der Kapi­ta­lis­mus erzeugt Pseu­do­hel­den, auch – hier liegt der wun­de Punkt der vor­lie­gen­den The­se – die »Demo­kra­tie« schafft am lau­fen­den Band unech­te Hel­den. Tho­mä nimmt näm­lich das gan­ze Spek­trum der heu­te beju­bel­ten »Hel­den« für bare Mün­ze: von Rosa Parks bis Gre­ta Thun­berg, selbst Frau Reker und Herr Lüb­cke dür­fen alle dabei­sein. Zu jeder die­ser Hel­den­ge­schich­ten gibt es Hin­ter­grün­de der Finan­zie­rung, Insze­nie­rung und Ein­bet­tung in einen gro­ßen Zusam­men­hang. Die­ter Tho­mä unter­steht dem poli­ti­schen Gebot der Mehr­deu­tig­keit von »Demo­kra­tie«: die idea­le Staats­form ist nicht das­sel­be wie die real­exis­tie­ren­de Bun­des­re­pu­blik und nicht das­sel­be wie eine links­glo­ba­lis­ti­sche Programmdemokratie. 

So wer­den sei­ne Hel­den zu Pseu­do­hel­den, da die gesam­te herr­schen­de poli­ti­sche Agen­da die­se Figu­ren als Hel­den fei­ert. Noch vehe­men­ter zu for­dern, was ohne­hin alle for­dern, nennt man Gra­tis­mut. Kann man dage­gen ein ande­res Set von bes­se­ren Hel­den auf­fah­ren? Dies hat der Psych­ia­ter Burk­hard Voß in sei­nem Buch Wenn der Kapi­tän als ers­ter von Bord geht ver­sucht. Zuerst die »Anti­hel­den« (wobei die­ser Begriff falsch ist, in der Lite­ra­tur­wis­sen­schaft bezeich­net er Roman­fi­gu­ren wie Woy­zeck oder Oskar Mat­zer­ath, die unter die Räder der Geschich­te kom­men): besag­ter Kapi­tän der »Cos­ta Con­cor­dia«, Albert Speer, Che Gue­va­ra und jene Dame, die Jörg Kachelm­ann Ver­ge­wal­ti­gung unter­stellt hat.

Dann die Hel­den, von Sokra­tes über Stauf­fen­berg bis zu jenem rus­si­schen Offi­zier, der 1983 den over­kill ver­hin­der­te, indem er einen Fehl­alarm nicht als ame­ri­ka­ni­schen Erst­schlag deu­te­te. Wo Tho­mä als Phi­lo­soph kla­re Kri­te­ri­en her­aus­prä­pa­riert, ver­läßt sich Voß voll auf den gesun­den Men­schen­ver­stand. Im Kapi­tel über Gre­ta Thun­berg, die er als »Pseu­do­hel­din« beschreibt und zwi­schen dem Krank­heits­bild Autis­mus und der media­len Figur dif­fe­ren­ziert, kommt ihm sein ärzt­li­cher Sach­ver­stand zugu­te. Von Irr­tums­vor­be­halt aber bei Burk­hard Voß kei­ne Spur. Hel­den muß man ein­fach ver­tei­di­gen, nicht dekon­stru­ie­ren. Voß rutscht dadurch auf die Ebe­ne sei­nes Gegen­stan­des, zum Glück ist sei­ne Beschrei­bungs­spra­che dabei non­cha­lant statt pathe­tisch. Wer heu­te Hel­den kürt, muß tau­sen­der­lei beden­ken und soll­te einen stän­di­gen Zwei­fel mit­füh­ren bezüg­lich der Benutz­bar­keit sei­ner Heldenriege. 

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Alle genann­ten Wer­ke kann man hier bestel­len

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

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