Rodney Stark: Der Sieg des Abendlandes. Christentum und kapitalistische Freiheit. Aus dem Englischen von Stefan Flach, Lüdinghausen /Berlin: Manuscriptum 2019. 431 S., 36 €
Der wohl prominenteste Verteidiger der Freiheit als Quintessenz der abendländischen Entwicklung ist kein Geringerer als Hegel. Er sieht – in Anlehnung an Paulus und Luther – alle frei »in Christo«, während im Alten Orient nur »einer« frei gewesen war, der allmächtige Despot, und zur Zeit der römischen wie griechischen Hochkultur nur wenige, die Aristokraten, dieses Privileg in Anspruch nehmen konnten. Natürlich bedarf eine solche philosophische Pointierung der historischen Verifizierung. Nur wenige Autoren in den letzten Jahren haben sich mit einer solchen Verve wie der us-amerikanische Religionssoziologe Rodney Stark darum bemüht.
Dessen Buch Gottes Krieger. Die Kreuzzüge in einem neuen Licht (2013) hatte vor einiger Zeit wegen »Islamophobie«-Verdachts (FAZ) zu Kontroversen geführt. Stark verbindet nun die Analyse der christlichen Hintergründe der Kultur mit den materiell-technischen Fortschritten, die sich vielfach daraus ergeben haben. Im Kontext seiner Argumentation hinterfragt Stark die These Max Webers vom Konnex zwischen der calvinistischen Variante des Christentums und der Genese des Kapitalismus.
Dieser Zusammenhang ist weltgeschichtlich weitaus später relevant als die wirtschaftsethischen Grundlagen, die hauptsächlich der katholische Glaube im Mittelalter legte. Besonders die Welt der ober- und mittelitalienischen Stadtstaaten in dieser Epoche ist immer wieder Gegenstand wirtschaftshistorischer Betrachtungen. Die beiden später heiliggesprochenen Persönlichkeiten Bernhardin von Siena und Antoninus von Florenz bewerteten Güter im 15. Jahrhundert nach ihrer Nützlichkeit, womit sie keine Einzelfälle darstellen. Unstrittig ist natürlich, daß von der christlichen Ethik unterschiedliche Impulse im Hinblick auf freies Wirtschaften ausgegangen sind.
Anders als zahlreiche bis heute kursierende Legenden aus der Zeit der Aufklärung brachte das Mittelalter vielfältige Innovationen hervor. Exemplarisch anzuführen sind die Erfindungen von Brillen, Uhren und der Dreifelderwirtschaft. Daß diese nicht unabhängig von den prägenden religiösen Kräften zu erklären sind, begründet der Autor ausführlich. Im Kontext seiner Erörterungen kommt Stark – der, Jahrgang 1934, sich übrigens selbst als Agnostiker bezeichnet – zu einem aussagekräftigen Ergebnis. Die europäischen Freiheiten basieren auf dreierlei Hauptpfeilern: christlicher Glaube, eine vielfältige Welt kleinerer oder mittelgroßer Territorien und die Aktivitäten unterschiedlicher Interessensgruppen.
Im fulminanten Fazit ruft Stark in Erinnerung, daß in außereuropäischen Regionen der Zusammenhang von Christentum, Vernunft und Modernität weitaus offenkundiger ist als dort, wo der Katholizismus einst kulturprägend gewesen ist. Dieser Studie ist große Aufmerksamkeit zu wünschen!
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