Michael Klonovsky: Der fehlende Hoden des Führers.

Eine Rezension von Konrad Gill

Micha­el Klo­novs­ky: Der feh­len­de Hoden des Füh­rers. Ver­misch­te Essais, Wien und Leip­zig: Karo­lin­ger 2019. 235 S., 23 €

Ein »neu­er« Klo­novs­ky! Waren bis­lang nur die Acta Diur­na des viel­schrei­ben­den Sti­lis­ten (welch selt­sa­me Kom­bi­na­ti­on!) aus Mün­chen in Buch­form erschie­nen, fand sich nun ein Ver­lag für eine Samm­lung ver­streut erschie­ne­ner, teils auch unver­öf­fent­lich­ter Tex­te aus 17 Jah­ren (2001 – 2017). Von dem lär­men­den Titel las­se sich nie­mand ver­schre­cken, der ist dem Band ent­nom­men und weist auf die unsäg­li­che Gier der zeit­ge­nös­si­schen Pres­se und soge­nann­ter His­to­ri­ker, sich noch der absei­tigs­ten Fra­gen um das Drit­te Reich anzu­neh­men, um damit Volks­päd­ago­gik zu betreiben.

Klo­novs­ky gelingt es, in einer »spi­ri­tu­el­len Leib­schau« zu zei­gen, wie die Gestalt des vor­letz­ten deut­schen Reichs­kanz­lers über jede Absur­di­täts­gren­ze hin­aus zum Sym­bol erho­ben und damit ent­mensch­licht wird. Sol­che Ver­läu­fe, längst selbst­ver­ständ­lich und selbst­lau­fend gewor­den, sieht nur, wer wei­ter blickt als ande­re. Auf den Schul­tern der rie­sen­haf­ten gege­be­nen Über­lie­fe­rung ste­hend gelingt das auch im 21. Jahr­hun­dert noch. 

Ob der Autor an den »Nicht­na­tio­nal­staat« Preu­ßen erin­nert, gro­ße Roma­ne über den Unter­gang Euro­pas rezen­siert oder den »Tran­szen­den­tal­de­mo­kra­ten« Haber­mas abfer­tigt, stets wird der über­gro­ße, auch kaum zu über­se­hen­de, Unter­schied zwi­schen dem höher stre­ben­den Ges­tern und dem schlap­pen Heu­te sicht­bar. Das sei nicht als ver­träum­te poli­ti­sche Roman­tik miß­ver­stan­den! Klo­novs­ky nimmt auch zukünf­tig erst wich­tig wer­den­de Ent­wick­lun­gen wahr, sieht einen her­auf­zie­hen­den »Kampf zwi­schen den­ken­der Bio­mas­se und rech­nen­der Technosphäre«. 

Aber er lebt und schreibt aus der gro­ßen Erin­ne­rung. Neben sei­nen bekann­ten apho­ris­ti­schen Hie­ben (»Wäh­rend alles Kunst­ge­wer­be den Markt sucht, lebt die Kunst auf Distanz.«) sind Klo­novs­kys bio­gra­phi­sche Skiz­zen beson­ders gelun­gen, ob Richard Wag­ner (über­ra­schend über­zeu­gend) als »deut­scher Lin­ker« in eine ganz unge­wohn­te Ahnen­rei­he sor­tiert, Michel Hou­el­le­becq als »nihi­lis­ti­scher Spät­ling« auf einen Sockel in der Ruh­mes­hal­le der zeit­ge­nös­si­schen Lite­ra­tur geho­ben, der gar nicht so lang­wei­li­gerns­te Imma­nu­el Kant demys­ti­fi­ziert wird oder Richard Strauss und sei­ne Gat­tin in ihrer gro­tes­ken Ehe dop­pel­por­trai­tiert wer­den. Der Auf­satz über Schil­ler kann ein gan­zes Buch ersetzen. 

Was der grau­b­un­ten deut­schen Feuil­le­ton­land­schaft als höchst wich­ti­ge mora­li­sche Wei­sun­gen und Stopp­schil­der an Dis­kurs­gren­zen gilt und was sie in ihrer oft rea­li­täts­blin­den Über­heb­lich­keit dekre­tiert, ver­wirft Klo­novs­ky als das, »was eben von tot­emis­ti­schen Pri­mi­ti­ven zur Ver­tei­di­gung ihrer Kul­te so vor­ge­tra­gen wird«. Die­se radi­ka­le (berech­tig­te) Respekt­lo­sig­keit gegen­über der Gesamt­heit spät­bür­ger­li­cher gefühls­lin­ker Phra­sen­dre­sche­rei ist Grund genug, Klo­novs­ky mit Freu­den zu lesen. 

Wer einen wei­te­ren Grund braucht, mag ihn in des Ver­fas­sers siche­rem Umgang mit den geis­ti­gen und künst­le­ri­schen Bestän­den des Abend­lan­des und sei­nem ver­läß­li­chen Stil­be­wußt­sein fin­den. Kein Text des Ban­des greift the­ma­tisch direkt in den nächs­ten, und den­noch flie­ßen sie alle inein­an­der: Klo­novs­ky han­delt von Euro­pa, sei­nen Quel­len, sei­ner Kunst und sei­nen Gefähr­dun­gen, und er tut das vol­ler Lie­be und mit der nöti­gen Ver­ach­tung. Wer die Feuil­le­tons im Land immer noch ernst nimmt, aber den Sinn für Schön­heit, Wahr­heit und Güte nicht ver­lo­ren hat, der hat die­se Auf­sät­ze als auf­we­cken­de Merk­hil­fe verdient. 

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Der feh­len­de Hoden des Füh­rers von Micha­el Klo­novs­ky kann man hier bestel­len.

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