Ersteren müssen wir Lesern dieses Blogs wohl kaum vorstellen. Auch Levy dürfte den meisten bekannt sein, handelt es sich doch um einen der wichtigsten französischen Intellektuellen, der ein authentischer Vertreter der liberalen, globalistischen Agenda ist.
Eine interessante Ausgangslage für eine Debatte also, die das niederländische Nexus-Institut in einem aufwendigen Rahmen organisiert hatte. In den einleitenden Worten machte Rob Riemen, der Leiter des Instituts klar, was er dem Publikum hier bieten wollte. Die berühmte Debatte aus Thomas Manns Zauberberg zwischen dem reaktionären Jesuiten Naphta und dem liberalen Freimaurer Settembrini, in der zwei Weltsichten aufeinanderprallten, sollte sich hier wiederholen.
Dieser Vergleich war schon häufig gezogen worden. Wesentlich passender hatte beispielsweise Rüdiger Safranski die Debatte zwischen Martin Heidegger und Ernst Cassirer in Davos als Realisierung von Manns Romanfiguren beschrieben.
Diese philosophischen Höhen erreichte das Gipfeltreffen zwischen Traditionalist und Globalist keinesfalls. Schuld daran war nicht Dugin. Auch hier erlebt man ein Gegenüber von zwei Weltsichten. Keine Rede kann aber von einem „Aufeinanderprallen“ sein. Es handelte sich kaum um eine echte Auseinandersetzung. Dugins Versuche, das Gespräch auf eine philosophische Ebene zu heben, scheiterten konsequent an Levys theatralischen moralischen Appellen an die westlich-liberale Blase, die auch meist eilfertig applaudierte.
Dugins vertritt den Standpunkt des Ethnopluralismus und der Universalismuskritik, die er, an die Nouvelle Droite anknüpfend, geopolitisch gefaßt und zu einer „4. politischen Theorie“ weiterentwickelt hat. Levy stand für westliche Werte, also linksliberalen Universalismus, Egalitarismus und Fortschrittsoptimismus. Gegen den russischen Denker führte er einen plumpen, ungeschichtlichen Anti-Totalitarismus ins Feld.
Dugins entscheidendes Argument: Der moderne Westen gibt sich universalistisch und absolut, doch auch er vertrete nur eine spezifische, kontigente Auffassung von Moral, Staat und Gesellschaft. Er blendet seine eigenen Entstehungsbedingungen und metaphysischen Grundlagen aus und versucht sein Konzept, mit moralischen Argumenten, rund um den ganzen Globus zu expandieren. Dagegen verteidigt Dugin einen Ethnodifferentialismus und einen antimodernen Traditionalismus, als ontologisch gleichwertige Alternativen.
Zwar mag die westliche Moderne erfolgreicher und komfortabler sein. Das mache sie aber nicht wahrer. Ihr Universalismus verunmögliche Kritik und Selbstreflektion und verberge daher die Schwächen und inneren Widersprüche diese Systems.
Levy betrachtet dagegen den Status Quo als notwendiges Endergebnis einer linear-progressiven, konvergenten Menschheitsgeschichte. Ihr Ziel ist die Befreiung des Individuums von archaischen, mythischen und daher irrational-zufälligen Banden. Alle „unfreiwilligen Assoziationen“ (Michael Walzer), welche die individuelle Identität prägen, von biologischen Geschlecht, bis Herkunft und tradierter Religion, müssen unschädlich gemacht werden.
Alles was nicht diesem Ziel dient, ist rückständig und barbarisch. Es muß assimiliert und aufgeklärt werden. Kulturen und Völker können in dieser aufklärerischen (Un)Heilsgeschichte nur eine temporäre „Rolle“ spielen. Sie haben jedoch keinen eigenständigen Wert, abgesehen von dieser universalistischen Funktion, die sie nach Hegel nur als Staaten und historische Subjekten des Weltgeistes, nach Marx als Klassen und revolutionären Subjekten des HistoMat ausüben können. Verdeutlicht wird dieser Gegensatz in der Rolle Rußlands und der Frage nach der Demokratie, zwei zentralen Punkten der Debatte, die sich vom restlichen Geplänkel um „Rassimus“ und „Antisemitismus“, bishin zur lächerlichen Verschwörungstheorie „russischer Beeinflussung“ unserer Wahlen, abhob.
Dugin sieht Rußland als eigenen politischen und kulturellen Akteur, ein ethnokulturelles Dasein, das eine eigene Politik und Weltanschauung vertritt. Es ist für Dugin daher legitim, daß Rußland für sich eine eigene Auslegung von Begriffen wie „Demokratie”, „Rechtsstaat“, „Freiheit“ und „Grundrecht“ wählt.
Levy appellierte dagegen an eine Art sekundären russischen „Liberalpatriotismus“. Dugin warf Levy vor, daß seine Weltsicht bestimmte Werte ohne Grundlage und Rechtfertigung als absolut setze und damit andere Weltsichten abwerte. Er habe kein positives Verständnis vom Anderen. Darauf antwortete Levy sinngemäß, daß doch jede Kultur etwas Wertvolles habe, womit sie zu seiner Ideologie “beitragen” könnte.
Dugins eigentliche Frage, auf welcher Basis Levy Werte aufbauen und mit welcher Rechtfertigung er wertvoll und wertlos unterscheidee, wurde weggewischt. Stattdessen rief Levy berühmte Russen, die er als individualistisch und protomodern deutet, als Kronzeugen auf. Russische Denker wie Solschenizyn hätten einen „einzigartigen“ Beitrag zur Kritik des Totalitarismus und zum Fortschritt des Universalismus geleistet, wie Levy gönnerhaft unterstrich. Dieser „einzigartige Beitrag“ zum Fortschritt, den Rußland und jedes Volk leisten könne, sollte Dugin stolz machen.
Dieselbe Sprache verwenden religiöse und ideologische Universalisten anderer Provenienz. Der Salafist Pierre Vogel spricht immer wieder von der „einzigartigen Aufgabe“ Deutschlands in der islamischen Dawah. Die deutsche historische Sendung der DDR, von Müntzer über Marx bis Honecker zur Beförderung des Weltsozialismus fällt in dieselbe Kategorie. Statt eine einzigartige Identität zu bewahren und diese in eigenen politischen und gesellschaftlichen Entwürfen zu entfalten, reduziert sich die nationale Identität hier auf ihren „Beitrag“ zum Internationalismus.
Als die Debatte auf das Thema der Demokratie kam und Levy seinem Gegenpart vorwarf, Antidemokrat zu sein, entlarvte sich sein unreflektierter ideologischer Imperialismus endgültig. Dugin wies völlig zurecht darauf hin, daß es unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten von Begriffen wie „Freiheit“ und „Demokratie“ gebe. Er erwähnt seine (ebenfalls sehenswerte) Debatte mit Francis Fukuyama, der die liberale Demokratie als eine Art „Herrschaft der Minderheiten über die Mehrheit“, definierte.
Levy wurde hier mit einem unschlagbaren Argument konfrontiert. Die universalistischen Westlichen Werte beanspruchten religiöse Charakteristika, da sie zeitlos, ortlos, unveränderbar und unerzeugt, auf ihre „Entdeckung“ und politische Verwicklungen warteten. Da sie aber politische Begriffe und keine Dogmen sein wollen und die westliche Moderne explizit atheistisch ist, müssen sie diesen religiösen Anspruch verbergen. Wenn man sie allerdings begründet, historisch herleitet und den Kontext ihrer Entstehung betrachtet, dann relativiert und entzaubert man sie.
Levy konnte und wollte hier Dugin also keine echte Antwort geben. Stattdessen sagte er das: „Demokratie ist eine komplexe Architektur, die sich selbst bereichert, die immer offen ist, offen für Veränderung, offen für Fortschritt, offen für Bereicherungen“. Levy verneinte, daß der heutige Demokratiebegriff ideologisch aufgeladen ist. Ebenso negierte er natürlich, dass es auch im linksliberalen, demokratischen Westen Staatsdoktrine, Meinungsverbote und Gesinnungsjustitz gibt.
Möglicherweise ist es ihm gar nicht bewußt, da all diese Einschränkungen der Freiheit ja im „Namen der Freiheit“, gegen die Feinde des linksliberalen Universalismus ergehen. Das Denken in „geschlossenen Zivilisationsblöcken“, das er Dugin unterstellte, führt in seinen Augen zu einem „Diskurs des Krieges“, der Putins Außenpolitik erkläre. Die Außenpolitik der USA, die Levy gelegentlich verteidigt, ist nach diesem Verständnis aber nicht kriegerisch, da es sich ja um eine vorweggenommene Weltinnenpolitik handelt.
Sie ist deswegen natürlich nicht weniger gewaltsam, wie Alain de Benoist in seinen Betrachtungen zu Carl Schmitt klarstellt: „Das bedeutet, daß das Verschwinden des Krieges als geordnete Konfrontation zwischen gleichermaßen legitimierten Gegnern nicht das Verschwinden der Gewalt bedeutet, sondern vielmehr ihren Triumph“.
Zur Entfaltung solcher Gedanken kam es im Gespräch aber gar nicht. Denn hier stand kein Settembrini und schon gar kein Cassirer sondern nur ein Bernard-Henri Levy. Und der hat, außer bombastisch vorgetragener Phrasen wenig zu bieten. Auch Dugins klassisches rhetorisches Manöver, nämlich den westlichen Universalismus als „kulturellen Rassismus“ zu bezeichnen, ihn damit an eine Ethnie zu binden um dann an den Ethnomasochismus seiner Vertreter zu appellieren, zeigte bei Levy keine Wirkung.
Während der russische Philosoph hartnäckig versuchte, das Gespräch auf eine philosophischen Ebene zu heben, um über die Begründung von universalen Menschenrechten, und den Nihilismus zu sprechen, zog Levy eine pseudointellektuelles Show ab, evozierte eine humanistische Heiligenlitanei an Autoren und Denkern und hielt Dugin Putins Ukrainepolitik vor. Was diese Debatte am Ende aussagt: daß sich hier zwei Welten gar nichts mehr zu sagen haben.
Die linksliberale Ideologie und der neuzeitliche Subjektivismus sind so omnipräsent, daß ihre Alternative gar nicht mehr denkbar erscheint. Diese Ideologie erklärt ihren apriorischen Erfahrungsrahmen zur Wahrheit an sich und verliert in den Augen ihrer Träger den Charakter einer Ideologie.
Ihre Aussagen und Ansichten werden zur Norm und in einem ontologischen Reduktionismus mit dem Seienden an sich identifiziert. Wie sie den Menschen sehen, so „ist“ er auch. Was sie als Freiheit definieren, das „ist“ sie. Was Dugin darstellt, ist daher nach deren Sicht nicht nur falsch und unmoralisch, es „ist“ gar nicht nicht mehr. Es existiert nur als Privation der herrschenden Moral, so wie ein Loch in einem Stück Stoff „existiert“.
Damit ist eine Debatte wie in Manns “Zauberberg” gar nicht mehr möglich. Denn dort, wo ein anderes Denken beginnt und Dugins Kritik ansetzt, sieht Levy nur einen Abgrund, oder wie er es ausdrückt: „morbiden Todesgeruch und Nihilismus“. Ein Nihilismus, als dessen Essenz wieder einmal „die Nazis“ herhalten müssen, die als „böser dunkler Wind“ erneut durchs Gefilde blasen würden.
Dugin antwortete darauf zutreffend und lakonisch: „Die gesamte Moderne ist nihilistisch. Ich bin insofern Nihilist, als ich den Universalismus der modernen westlichen Werte verwerfe.“
Der_Juergen
An Dugin gibt es das eine oder andere zu kritisieren, aber er ist fraglos ein bedeutender Denker. Begrüssenswerterweise hat der Bonus-Verlag einige seiner Bücher auf deutsch herausgebracht. Levy ist ein Schaumschläger, eine intellektuelle und moralische Nullnummer. Dass er in einer Debatte mit Dugin keine Chance haben würde, war vorauszusehen.