Amor Towles: Ein Gentleman in Moskau.

Amor Towles: Ein Gentleman in Moskau. Roman, Berlin: List 2017. 560 S., 22 €

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Als Graf Alex­an­der Ros­tov am 21. Juni 1922 als Ver­tre­ter des vor­re­vo­lu­tio­nä­ren Adels in Mos­kau vor Gericht gestellt wird, ret­ten ihn eini­ge sozi­al­kri­ti­sche Ver­se aus dem Jahr 1913 vor der Erschie­ßung. Sei­ne Stra­fe wird abge­mil­dert in einen lebens­lan­gen Haus­ar­rest, und das Haus, daß Ros­tov nie wie­der ver­las­sen darf, ist das Mos­kau­er Hotel »Metro­pol«, mit­hin »die Ver­län­ge­rung der Stadt ins Gebäu­de«, wie Ros­tov es aus­drückt. Die­se Aus­gangs­si­tua­ti­on ist natür­lich ein radi­ka­les Gleich­nis für das beding­te, in einen sehr engen Rah­men gefaß­te Leben an sich: Man kann in jeder Fest­le­gung, jeder Grenz­set­zung eine Ver­hin­de­rung der Frei­heit sehen, man kann aber auch akzep­tie­ren, daß dies nun der Lebens­rah­men sei, den man aus­zu­ma­len habe, daß kein Jam­mern etwas dar­an ändern wer­de und man am bes­ten gleich damit begin­nen soll­te, mit kräf­ti­gen Pin­sel­stri­chen eine Spur zu hinterlassen.

Vier Jahr­zehn­te ver­bringt Graf Ros­tov im »Metro­pol«, rich­tet sich ein, durch­dringt das Gebäu­de, schafft sich sei­ne Refu­gi­en und hilft zuletzt als Ober­kell­ner sei­nen Freun­den (dem Chef­koch und dem Emp­fangs­chef), das Hotel als Wider­stand­sort gegen die in allen Lebens­aspek­ten (Umgangs­for­men, Küche, Wein, Musik, Gespräch, Klei­dung, Bil­dung) ein­set­zen­de Ein­eb­nung zu ver­tei­di­gen. Gran­di­os ist die Sze­ne, als der Graf bei einem neu­en Kell­ner einen beson­de­ren Wein bestellt, zur Aus­wahl aber nur noch »weiß« oder »rot« ste­hen. Ein Gang hin­ab in den welt­be­rühm­ten Wein­kel­ler des »Metro­pol« bringt Auf­klä­rung: Die Bol­sche­wis­ten haben von zehn­tau­send Fla­schen die Eti­ket­ten ablö­sen las­sen, um der bour­geoi­sen Ver­fei­ne­rung des Gau­mens ein Ende zu berei­ten – der­lei ist für sich genom­men vielleicht
eine Ver­falls­schil­de­rung von damals, beim Blick aber auf den Zustand der Geis­tes­wis­sen­schaf­ten an deut­schen Uni­ver­si­tä­ten ein erschüt­tern­des Gleich­nis für heute. 

Daß Graf Ros­tov sein Leben ganz anders wür­de geführt haben, wenn er nicht unter Haus­ar­rest (und nicht an die Wand) gestellt wor­den wäre, durch­zieht als Gewiß­heit den Roman, aber immer auch mit einem Schul­ter­zu­cken: Es ist nicht zu ändern, und so treibt der Graf nun Din­ge, die er andern­falls nie­mals getrie­ben hät­te. Unter ande­rem erzieht er im Abstand von zwei Jahr­zehn­ten zwei klei­ne Mäd­chen, die auf unter­schied­li­che Wei­se unter sei­ne Fit­ti­che gera­ten. Er ver­sucht ihnen bei­zu­brin­gen, daß es immer einen hor­tus con­clus­us für die­je­ni­gen geben müs­se, die in der Wür­di­gung und in der Aneig­nung jahr­hun­der­te­al­ten Erfah­rungs­schat­zes sowie im vor­sich­ti­gen eige­nen Bei­trag dazu den Sinn ihres Daseins sähen. Genau­so fein ist der Erzie­hungs­stil. Wenn die klei­ne Nina fragt: »Braucht man bei einem Ban­kett wirk­lich einen Spar­gel­he­ber?«, ant­wor­tet der Graf: »Braucht man in einem Orches­ter wirk­lich ein Fagott?«

Man möch­te die kul­tur­pes­si­mis­ti­schen Grund­fra­gen hin­ter­her­schie­ben: Wem fällt es über­haupt noch auf, wenn hier das eine und dort das ande­re fehlt, und wer wäre noch dank­bar dafür, daß bei­des einst erfun­den wur­de? Den Hin­ter­grund des Romans bil­det die Kon­so­li­die­rung der bol­sche­wis­ti­schen Herr­schaft, eine grau­en­haf­te Zeit. Durch die schwe­ren Bro­kat­vor­hän­ge des »Metro­pol« drin­gen die poli­ti­schen Ver­wer­fun­gen nur gedämpft ins Inne­re, denn »moch­te der Sieg der Bol­sche­wi­ken über die pri­vi­le­gier­ten Schich­ten zuguns­ten des Pro­le­ta­ri­ats noch so klar gewe­sen sein, sie wür­den gewiß bald Ban­ket­te ver­an­stal­ten.« Selbst der Zwei­te Welt­krieg, der dem Gra­fen die Frei­heit hät­te brin­gen kön­nen, bleibt im Schnee ste­cken, bevor er das Metro­pol erreicht, und Ros­tov wird einen der füh­ren­den Köp­fe der Par­tei jah­re­lang in ver­edel­ten Umgangs­for­men, in fran­zö­si­scher, eng­li­scher, ame­ri­ka­ni­scher Kul­tur unter­rich­ten müs­sen – ein Umstand, der ihm wie­der­um den Kopf ret­ten wird, als er aus einer Not her­aus sei­nen Haus­ar­rest bricht. 

Das ist alles glän­zend inein­an­der ver­wo­ben und für­ein­an­der vor­be­rei­tet, obwohl es nicht fol­ge­rich­tig im Sin­ne einer Plan­bar­keit abläuft. Die klei­ne Nina wird spä­ter trotz Ros­tovs Erzie­hung als über­zeug­te Tech­no­kra­tin die Ertrags­stei­ge­rung in der Ukrai­ne mit ins Werk set­zen wol­len, deren Ergeb­nis vor allem in Mil­lio­nen ver­hun­ger­ter Bau­ern besteht. Spä­ter wird Nina ihren depor­tier­ten Mann suchen und selbst ver­lo­ren­ge­hen. Die klei­ne Sofia hin­ge­gen, Ninas Toch­ter, bleibt im Hotel, bei Ros­tov, und sie ist mit ihrem dank­ba­ren Gemüt und ihrem lau­schen­den Wesen emp­fäng­li­cher für das, was der Graf zu leh­ren hat. Was haben sie zu leh­ren, Ros­tov und die­ser Roman? 

Auf die Fra­ge, war­um man dar­auf ver­zich­ten soll­te, Dubai zu besu­chen oder auf die Sey­chel­len zu rei­sen, soll­te man eine zugleich melan­cho­li­sche und stol­ze Ant­wort geben: Es gibt in unse­rem eige­nen Land und über­haupt im »alten Euro­pa« noch unend­lich viel, was wir noch nicht besucht, auf­ge­so­gen, gekos­tet und gewür­digt haben. Wir haben dem, was uns umgibt und was durch die Jahr­hun­der­te hin zu einer Hoch­kul­tur in allen Berei­chen ver­fei­nert wur­de, unse­ren Dank noch nicht im gebüh­ren­den Maße abge­stat­tet. Viel­leicht müß­te man uns zu unse­rem Bes­ten unter Haus­ar­rest stel­len. Das Eigent­li­che – es käme zu uns. 

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Ein Gen­tle­man in Mos­kau von Artur Tow­les kann man hier bestel­len.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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