Markus Metz/Georg Seeßlen: Der Rechtsruck

Markus Metz/Georg Seeßlen: Der Rechtsruck. Skizzen zu einer Theorie des politischen Kulturwandels, Berlin: Bertz+Fischer 2018. 236 S., 12 €

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Vor vie­len Jah­ren gab es mal bei Antai­os die lus­ti­ge Idee, eine Art Kaba­rett­stück zu publi­zie­ren, ein Geis­ter­ge­spräch zwi­schen Heid­eg­ger, Jün­ger, Schmitt, Diet­mar Dath, Haber­mas und Georg Seeß­len als Talk­teil­neh­mer. Es wäre schön ulkig gewor­den, da unse­re Bei­trä­ger je den einen oder ande­ren Duk­tus und Jar­gon gran­di­os imi­tie­ren konn­ten. Die Idee wur­de fal­len­ge­las­sen, auch, weil die »Geis­ter« ja teils noch leben­di­ge sind. Scha­de eigent­lich! Seeß
Die len (1948), der als »Pop­theo­re­ti­ker«, »Kul­tur­kri­ti­ker« oder »Quas­sel­kas­per« fir­miert und ein elo­quen­ter Viel­schrei­ber (vor­nehm­lich in lin­ken Publi­ka­ti­ons­or­ga­nen) ist, hat nun mit sei­nem Dau­er­kom­pa­gnon Mar­kus Metz einen Essay­band zum »Rechts­ruck« vor­ge­legt, der hier rich­tig als »poli­ti­scher Kul­tur­wan­del« auf­ge­faßt wird. 

In der Sum­me regiert hier das Urdra­ma des genu­in lin­ken Ver­blen­dungs­zu­sam­men­hangs (Mot­to: ein Kon­glo­me­rat aus Kapi­ta­lis­ten und proto­fa­schis­ti­schen Reak­tio­nä­ren beherrscht die west­li­che Welt). Im Ein­zel­nen (es sind elf Auf­sät­ze plus Vor­wort und Ein­lei­tung) irr­lich­tern die meist flott zu lesen­den, gele­gent­lich ordi­när gespreiz­ten, oft aber ori­gi­nel­len Beob­ach­tun­gen auf ambi­va­len­tem Grat. Seeß­len und Metz sehen fol­gen­des ganz rich­tig: Die Rech­te (einer­lei, ob sie sich im Ein­zel­fall so eti­ket­tie­ren las­sen will; die Autoren gemein­den Hele­ne-Fischer-Fans und Sar­ko­zy-Anhän­ger mit ein) ist mitt­ler­wei­le der­art dif­fe­ren­ziert, daß sich nahe­zu unbe­grenzt Anschluß­mög­lich­kei­ten fin­den. Man kann sich eli­tär-intel­lek­tu­ell rechts ein­ord­nen, man kann es »unpolitisch«-popkulturell tun, man kann Par­tei­gän­ger sein oder aber sich auf Pro­le­ten­ba­sis in die­sem hete­ro­ge­nen Spek­trum ver­or­ten. Es gibt heu­te, anders als noch vor fünf­zehn Jah­ren, kei­nen Lebens­be­reich, kein Gen­re, kei­nen Stil mehr, der in gewis­sen Nischen nicht »rechts­of­fen« ist. 

Auch rich­tig: Das lin­ke Lebens­ge­fühl schwapp­te im Zuge von 1968 als Wel­le über die Gesell­schaft – das rech­te Den­ken, Leben, Füh­len hin­ge­gen wur­de in den ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten müh­sam erar­bei­tet, eine »Stein-für-Stein-Arbeit«, eine »lan­ge, zähe Arbeit an der Rekon­struk­ti­on der Ge- und Zer­stör­ten«. Ja, so war es doch! »Unmerk­lich, lang­sam, aber mit zäher Kraft began­nen sich die Gren­zen nach rechts zu öff­nen.« Und, selt­sa­mer­wei­se: Kon­ver­sio­nen von links nach rechts sind die Regel, wäh­rend die umge­kehr­te Rich­tung eine Aus­nah­me bleibt. Auch das kon­sta­tiert das Autoren­duo zurecht. War­um aber ist der rech­te Weg plötz­lich so attraktiv?
Natür­lich schrei­ben Seeß­len und Metz in dem uner­schüt­ter­li­chen Bewußt­sein, daß lin­ke Posi­tio­nen heu­te in den Medi­en völ­lig unter­re­prä­sen­tiert und muti­ge Äuße­run­gen Ein­zel­ner sei­en – eine not­wen­di­ge Zutat der lin­ken Rea­li­täts­ver­wei­ge­rung. Bekla­gens­wer­ter­wei­se (aber logisch) hät­ten die Rech­ten das »Phan­tas­ma der Jugend­lich­keit« geka­pert: »Das Gut­men­schen­tum wird den Senio­rin­nen und Senio­ren der Pop­kul­tur über­las­sen, lasst Meryl Streep oder Sting Huma­nis­mus und Demo­kra­tie ver­tei­di­gen, wir dage­gen spal­ten die Jugend vom Pro­jekt der pro­gres­si­ven Zivil­ge­sell­schaft ab. (…) rechts ist hef­tig, dras­tisch, pro­vo­ka­tiv, links dage­gen ein­ge­schla­fen laa­ang­wei­lig, defen­siv.« Nur auf der rech­ten Sei­te kön­ne man heu­te noch »wild und gefähr­lich« sein. Die kul­tu­rel­le Hege­mo­nie der Lin­ken, schrei­ben die Autoren, sei irre­al gewor­den, wie es die Dis­kus­si­on um safe spaces, über Trig­ger­war­nun­gen und Poli­ti­cal cor­rect­ness gezeigt hät­ten. Hier (auf dem Cam­pus, in links­li­be­ra­len Milieus) sei eine Welt ent­stan­den, die mit der »rau­en Wirk­lich­keit wenig zu tun hat­te«. Was sei schon die­ser lah­me »links­li­be­ra­le Brei«, wo »die Rech­te auch ihre ambi­gue Sexy­ness« hat? So ist es wohl.

Die Seeß­len­sche Para­noia (die Rech­ten wol­len alle Lebens­be­rei­che unter­jo­chen, auch »Rei­sen, Klei­dung, Natur«), die sowohl in den stu­pi­den (»Die Spra­che der Ver­blö­dung«; ein Ver­such, rech­te Rhe­to­rik zu über­füh­ren, der aber auf jede Art Polit­sprech ange­wen­det wer­den kann) als auch in den luzi­den (»Auf­stieg, Kri­se und Wie­der­kehr des Neo­kon­ser­va­tis­mus und der Rechts­in­tel­lek­tu­el­len«) Essays auf­scheint, ist durch­aus beflü­gelnd. Seeß­len und Metz fin­den, daß die (lin­ken) Intel­lek­tu­el­len heu­te »öko­no­misch erpreßt« wür­den: Sie müß­ten »ver­stum­men oder nach rechts gehen«. Haben wir es hier mit Pro­phe­ten oder Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­kern zu tun? 

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Der Rechts­ruck von Mar­kus Metz und Georg Seeß­len kann man hier bestel­len.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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