Der Sachbuchautor Klaus-Rüdiger Mai (1963) dürfte spätestens seit Anfang des Jahres 2018, dem Beginn seiner regelmäßigen Autorschaft für Tichys Einblick, bei vielen unserer Leser auf dem Radar erschienen sein. Einigen ist vielleicht auch schon sein Buch Gehört Luther zu Deutschland? (2016) aufgefallen, in dem er die Unart des derzeit herrschenden Zeitgeistes, alles was nicht seinen Vorstellungen entspricht, auf den Müllhaufen der Geschichte zu entsorgen, am Beispiel des offiziellen Umgangs mit der Gestalt Luthers kritisierte. Mit seinem neuen Buch setzt Mai diesen Weg des Hinterfragens der gegenwärtigen Maßstäbe auf dem Gebiet der christlichen Religion fort.
Wer die übergriffigen Aktionen der Kirchen, nicht nur der evangelischen, gegen politisch unliebsame Zeitgenossen, sei es von Pegida oder von der AfD, in Erinnerung hat, wird die Notwendigkeit eines solchen Buches nicht bezweifeln. Die Kirchen wollen vielerorts lediglich als verlängerter Arm der rotgrünen Ideologien wahrgenommen werden und tun alles dafür, den Glauben möglichst als Nebensache erscheinen zu lassen. Sozialpädagogisches Engagement, ob für Flüchtlinge oder gegen rechts, hat die Verkündigung des Glaubens abgelöst.
Mai geht von diesen Beobachtungen aus, die jeder, der überhaupt noch etwas mit den großen Kirchen zu tun hat, bereits ähnlich anstellen konnte, um die Zukunft der Kirche auszuloten. Dazu braucht es kein kirchliches Amt und auch kein theologisches Studium: »Ich bin nichts weiter als ein evangelischer Christ, Lutheraner. Aber als Lutheraner trage ich wie jeder andere Christ, wie jedes andere Glied unserer Kirche, für diese Kirche Verantwortung.« Der Hauptimpuls für seine Überlegungen kommt dabei aus der Erfahrung, daß viele Freunde die Kirche verlassen, weil sie deren zeitgeistiges Gewand nicht mehr ertragen. Dieses Gewand versucht Mai in acht Kapiteln zu zerpflücken.
Seine These lautet: »Nie war Kirche wichtiger als heute. Und nie war Kirche bedrohter als heute, obwohl ihr alle Wege offenstehen.« Streng genommen müßte im zweiten Satz das »obwohl« durch ein »gerade« ersetzt werden, was aber implizieren würde, daß Liberalismus die Kirche notwendigerweise zu einem Freizeitangebot unter anderen, also zu einem Gehilfen der liberalen Weltbeglücker macht. Die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, will Mai nicht ziehen. Zum einen, weil er noch Hoffnung hat, daß die Kirche sich wieder auf sich selbst besinnt, zum anderen, weil er in der gegenwärtigen Entwicklung kein notwendiges Entwicklungsstadium des Liberalismus erblickt, sondern eine hypermoralische Entartung, die zu all den Phänomenen geführt habe, die wir täglich beobachten dürfen.
Sein Buch ist daher stellenweise weniger eine an die Kirche gewandte Streitschrift, sondern eine (gute) Zusammenfassung dessen, was in den Publikationen rechts des Mainstreams Konsens ist, wenn es um die Beschreibung der gegenwärtigen Mißstände geht. Mai wählt also den Umweg: er führt den Christen die Absurdität der gegenwärtigen Ideologie vor Augen, um sie gegen die Zumutungen ihrer Kirchenoberen zu stärken. Die Verfasser des Barmer Bekenntnisses wählten 1934 den geraden Weg: »Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Worte Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen.«
Damit wäre auch heute noch alles gesagt, wenn wir uns nicht in der perversen Situation befänden, daß die gegenwärtige Kirche, die nicht mehr Gottes Wort, sondern Demokratie, Menschenrechte, Antifaschismus und Toleranz als Gottes Offenbarung anerkennt, daß eben diese Kirche das Barmer Bekenntnis in eine Reihe mit den Texten der Bibel stellt. Insofern tut Mai genau das richtige, wenn er heute die Gegnerschaft nicht theologisch, sondern politisch definiert.
Geht der Kirche der Glaube aus? von Klaus-Rüdiger Mai kann man hier bestellen.