Peter Bickenbach: Judas EKD. Irrlehren einer abgefallenen Kirche, Neustadt an der Orla: Arnshaugk 2017. 296 S., 24 €
Was haben die in der EKD organisierten deutschen Großkirchen noch mit dem reformatorischen, insbesondere lutherischen, Erbe zu tun? Stehen an den theologischen Hauptstrom angepaßte Pfarrer heute überhaupt noch in der Tradition ihrer Konfession? Der Autor des vorliegenden Buches ist kein Theologe, sondern autodidaktisch gebildeter Laie, und sieht sich in der Tradition der lutherischen Orthodoxie. Mit seiner Streitschrift will er, wie manch anderer um das Luther-Jubiläum herum, Fehlentwicklungen anprangern.
Der drastisch formulierte Untertitel des Buches gibt dabei den Ton vor: Konzessionen an den Geist der Gegenwart, der Modernität für einen Wert an sich hält, sind hier nicht zu erwarten. Ausführlich widmet sich Bickenbach zunächst der Geschichte der (lutherischen) Reformation und den Ärgernissen, die ihre Lehre und insbesondere Luthers Schriften für heutige politisierte Theologen bereithalten können. Vom Streit um den Widerstand gegen die Obrigkeit über die Bewertung des Krieges bis hin zur Judenfrage (er)klärt er Luthers Positionen.
Sodann weist der Autor nach, welche »Fremdeinflüsse« diese orthodoxe Lehre nach und nach verfälschten: unter anderem eine Judaisierung der christlichen Theologie im Gefolge eines »Anglo-Protestantismus«, den er bis heute in evangelikalen Strömungen am Werke sieht, humanistische Tendenzen der sogenannten Aufklärungsepoche sowie das Aufkommen der historisch-kritischen Methode der Schriftauslegung im 19. Jahrhundert.
Das wird – trotz mancher Längen der Darstellung – auch deshalb nicht langweilig, weil er immer wieder auf politische und historische Querverbindungen hinweist. Philosophisch-weltanschauliche oder sogar ideologische Einflußnahmen entstehen nicht aus Zufall, sondern sind miteinander und mit dem Gang der Geistesgeschichte verbunden. Mehrfach macht der Autor deutlich, was im Strudel der Zeitläufte nicht verlorengehen und von evangelischen Theologen keineswegs verunklart werden darf: die metanoetische Hinwendung des Menschen zu Gott als das reformatorischprotestantische Proprium gegenüber anderskonfessionellen Erwartungen an korrekten Kultvollzug, institutionelle Treue und gute Werke. Bickenbachs Ausarbeitung mündet in die Beschreibung der besatzungspolitischen Gründe für die Indienstnahme evangelischer Theologen durch Sozialingenieure nach 1945. Es wird deutlich, wie willfährige Kollektivschuldkonstruktionen (von rühmlichen Ausnahmen wie Niemöller abgesehen) in die Begründung einer neuen Zivilreligion mündeten, die bis heute nahezu unangefochten die Bundesrepublik beherrscht.
Dieser letzte Abschnitt gehört zu den stärksten des Buches. Der handliche Band erinnert an einen halb verwilderten Garten: zwischen struppigen Gewächsen erheben sich wertvolle Pflänzchen wie Schätze. Der Leser wird krause Stilblüten ebenso finden wie stilistische Kleinode, die es wert sind, abgeschrieben und bewahrt zu werden. Was dem Buch mit seinen wohl doch zu vielen und zu langen Exkursen fehlt, ist ein Sachregister. Dieses hätte die thematischen Abschweifungen in Gelegenheiten zum Nachschlagen verwandelt. Eine gründlichere didaktisch-stilistische Durcharbeitung hätte eine zugänglichere und weniger anstrengende Lektüre ermöglicht. Nichtsdestoweniger ist die Monographie, als Buch eines Laien mit heißem Herzen und kühlem Kopf, eine herausragende Leistung.
____________________
Judas EKD von Peter Bickenbach kann man hier bestellen.