Dies zu lesen ist amüsant, weil Locke, Zeitgenosse der Turbulenzen des 17. Jahrhunderts, klassische Schwierigkeiten in der Politik diagnostiziert, die sich in vier Jahrhunderten nicht einen Deut verändert haben.
Außer dem Mangel an klar umrissenen Begriffen sowie an Scharfsinn und Erfahrung bei dem Bemühen, begriffliche Zwischenstufen zu finden,
hält er drei Fehler für besonders fatal:
Den ersten macht er bei Menschen aus, „die ihren eigenen Verstand überhaupt nur selten gebrauchen und ihr Tun und Denken lieber nach dem Vorbild anderer ausrichten“, den zweiten bei jenen, „die an Stelle der Vernunft ihre Gefühle setzen“ und dabei Worte verwenden, „hinter denen keine klaren Begriffe stehen“, den dritten erkennt er bei Diskutanten, denen „ein Sinn für größere Zusammenhänge fehlt“.
Damit ist hinlänglich beschrieben, wo die Probleme im politischen Denken und Handeln grundsätzlich liegen. Es ist damals wie heute ein anspruchsvoller Akt couragierter Aufklärung, auf die Präzision der in Verwendung stehenden Begriffe zu achten und Genauigkeit beziehungsweise semantische Schlüssigkeit im Gebrauch einzufordern. Verquastes politisches Gedöns, das sich auf „Sprachreglungen“ und Verlautbarungsrhetorik zurückzuziehen versucht und sich so aus der Verantwortung stiehlt, aufmerksam zur Klarheit zu zwingen, das ist genau der produktive Widerstand, der dem Diskurs nützt und ihn schärft.
Ungenauigkeit in Begriff und Aussage ist stets der Versuch auszuweichen, um sich so nicht in die Pflicht nehmen zu lassen. Man achte bei allen „Statements“ darauf. Vielleicht kann gelten: Ich werde deine Redlichkeit und deine Kompetenz an der Klarheit deiner Aussagen messen. Und Ziel meines Dialogs mit dir wird es sein, dich zu dieser Klarheit zu zwingen.
Ludwig Wittgenstein formuliert in seinen „Philosophischen Untersuchungen“: „Die Philosophie ist ein Kampf gegen die Verhexung unseres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache.“ Diese Grundaussage ist eine sprachphilosophische, aber das Wort Kampf in diesem kernigen Satz darf man – in Übertragung – getrost politisch auffassen. Wenn, wiederum mit Wittgenstein , „die Bedeutung eines Wortes sein Gebrauch in der Sprache ist“, so stehen allerlei politische Heilsbegriffe nur als Staffage da.
Man könnte davon ganze Listen edieren. Leider gehören „Bildung“ und „Mehr Bildung!“ sowie „Europa“ und „Mehr Europa!“ dazu, „Toleranz“ und „Weltoffenheit“ sowieso. Die Politik benutzt solche positiv konnotierten Pauschalen, um ganz unredlich Klarheit zu meiden, aber gleichfalls Worte für Ziele zu instrumentalisieren. Von Wahlplakaten ganz zu schweigen. Früher enthielten die ganze Bleiwüsten argumentierenden Text, aber der erscheint heute keinem mehr zumutbar, deshalb bleibt es beim reduzierten Muster in Ellipsen, etwa so: „Erfolgreich! Mit uns!“
Mit solchen Lexemen ist zunächst nichts ausgedrückt; sie kommen nur mit einem flauen Charme daher, weil sie nett aufgehübscht erscheinen. Erst wenn Begriffe in Zusammenhängen gebraucht werden, beginnt die Auseinandersetzung um deren Inhalt und Funktion und damit die Bestimmung genauer Intentionen, die solche Worthülsen oft genug verbergen.
Anliegen der Aufklärung war es stets, die Politik dort zu stellen, wo sie sprachlichen Nebel um ihr Denken verbreitet, ja sogar herauszufinden, ob hinter dem Dunst der Sprachkonstrukte überhaupt irgend etwas steckt oder die Phrasen nur einen nackten Kaiser zu bestricken und zu verhüllen versuchen. Es bedarf zur Klärung der Sprachakte nicht der Philosophie; man ist mit gesundem Menschenverstand gut genug beraten. Jeder vermag Geschwätz als Geschwätz zu erkennen. Aber selbst Gedöns folgt einer Absicht, die es zu erfassen und zu kritisieren gilt.
Schriftsprache hat sich inflationiert. Gutenberg reloaded! War das gedruckte Wort noch in den Achtzigern von Redakteuren und Lektoren überwacht, so daß es sich nur hinter einer kulturellen Schranke freigegeben fand, produziert heutzutage jeder „Print“, der nur eine Tastatur bedienen kann, so daß noch dem banalsten oder blödsinnigsten Gedanken sogleich ein Scheinwürde qua Microsoft-Office beigelegt wird.
Droht das Schicksal der Drucker und Setzer, als Berufsgruppe ausgestorben zu sein, nicht auch denen, für die sie arbeiteten, der qualifizierten Leserschaft, insofern der Deutschunterricht seine frühere Bedeutung nahezu völlig eingebüßte. Als richtig geschrieben gilt längst, was nur irgendwie verstanden wird.
Erkenntnis beginnt dort, wo Sprache und Denken die Phrase vermeiden. Das ist schwierig, weil es nie um Objektivität gehen kann, wenn man sich zwangsläufig innerhalb von Zuschreibungen, Konstruktionen und Interpretationen bewegt. Politik weiß das nicht mal. Was sie verkündet, hält sie nach wie vor naiv für wahr und nicht etwa nur für viabel, also paßrecht im Sinne ihrer Intentionen.
Genau hinzuhören und – wenn überhaupt – nur deutlich mitzureden, das stellte einen Akt gedanklicher Hygiene dar.
quarz
"Was sie verkündet, hält sie nach wie vor naiv für wahr und nicht etwa nur für viabel"
Ist es wahr, dass sie es für wahr hält oder ist es nur viabel, dass sie es für wahr hält?