Von Niklas Luhmann stammt das treffende Wort von der „Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation“, aber diese Unwahrscheinlichkeit kann nicht minder für das Leben selbst, die Daseinsform der Eiweiße, gelten, daher die biologische Leere im All ringsum. Bisher fand man exterrestrisch nicht mal ein Virus: Es wäre begeistert gefeiert worden.
Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik gibt die unumkehrbare Richtung an: Zunahme der Entropie, fortschreitender Zerfall. Wir können nicht gegenan. Daß das Leben den Tod besiegen wird, ist eine religiöse Beschwörungsformel aus innerer Verzweiflung heraus, physikalisch und biologisch gilt das Gegenteil. Gelassenheit läge darin, sich mit diesem Geschick abzufinden. Es gewinnt unweigerlich der Tod, jedenfalls im principium individuationis. Auf ihn wird zugelaufen, individuell wie universell, unerbittlich und sehr verläßlich. Er ist das Schwarze Loch, um das wir kreisen. Unsere beharrliche Gegenwehr bedingt allen Kultus, der stets Anspruch auf eine Ewigkeit erhebt, die es für uns nicht gibt. Wir trösten uns im Als-ob, streben aber der Auflösung zu.
Zum naturgegebenen Vergängnis kommt die humane Beschleunigung der Vernichtung. Die menschliche Gesellschaft hat zur Sicherung ihrer Existenz einen unbeschreiblichen Massenmord an den Mitgeschöpfen verschuldet. Das ist der größte Frevel, den wir als Gattungswesen auf dem Gewissen haben, unsere eigentliche Erbsünde.
Was wir uns selbst antaten, selbst Völkermorde, erscheint dagegen marginal und fällt nur ins Gewicht, weil wir allein unserer vermeintlich aparten Art eine höhere Würde zuschreiben als jedem anderen Wesen. Aus der Schuld gegenüber der Natur kommen wir nicht mehr heraus. Die Artenvielfalt als Grundlage der Evolution ist mittlerweile irreversibel verloren. Wir drehten die Schöpfung zurück, vergewaltigten, verkrüppelten und verstümmelten sie und erweisen uns als die Art Leben, die bereit ist, allen anderen das Leben zu nehmen, um diese Opfer für unsere inflationierte Weiterexistenz zu verstoffwechseln.
Dies verstehen wir als „Wachstum“. Für die Pflanzen und Tiere gilt, seit wir sie unterwarfen, viel mehr das „Stirb!“ als das „Werde!“ Uns erscheint das selbstverständlich, denn wir können nicht anders, als den Planeten zu verwursten, auf dem wir entstanden. Es gelingt uns dank hochtechnologischer Finesse im industriellen Tempo beschleunigter Reproduktionskreisläufe immer effizienter und geradezu auf faszinierende Weise. Wir messen und rechnen das durch.
Man schaue sich daraufhin einen gewöhnlichen Super-Markt aufmerksam an. Dank Excel eine aufgeräumt durchsterilisierte Leichenhalle nichthumanen Lebens! Allerdings ist der ideale Kunde, der Profi-Shopper, der XXXL-Verbraucher, auch ein toter Mann, weil so viel gar nicht zu verschlingen und körperwarm durchzudverdauen ist, schon gar nicht auf gesunde Weise. Daher schließt an Markt und Verbrauch der medizinisch-pharmakologische Komplex an. Vom Discounter geht’s in die Dialyse. Mindestens wird man medikamentös „eingestellt“, um noch ein paar Jahre konsumieren zu können.
Ein paar Tage im März rang man mit der Prognose einer erklecklichen Reduktion der überzähligen Menschheit zugunsten der geschundenen Natur und durfte zum Fatalismus bereit sein, gegebenenfalls mit abzutreten. Aber selbst das angekündigte große Sterben erwies sich als Farce. Nichts Feierliches dabei, keine Verzweiflung, sondern statt „Übersterblichkeit“ nur wieder Nervosität, neue Ängste, ja Panik und ein exekutives Management von Verordnungen, das darauf reagierte und am Regieren mal richtig Spaß empfand.
Aber einfacher angeschaut: Wir leben stets, wo gestorben wird. Das gilt es einfach auszuhalten, auch als Mysterium der Kontingenz in dem Sinne: Es wird mich treffen. Allein die Frage nach dem Wann und Wie ist zunächst nicht zu beantworten, weil unkalkulierbar. Unser Leben ist ein Tanz mit dem Tod, der uns letztlich heimführt und so zur Ruhe bringt. Die Varianten zu sterben sind so vielfältig wie das Leben selbst; wir wünschen uns einen möglichst angenehmen, schmerzarmen und vor allem späten Tod nach einem genußvollen und reichen Leben, aber es gibt nach wie vor leidvolle und häßliche Formen des Sterbens.
Vor allem: Schon im nächsten Moment könnte es uns ereilen. Mag sein, gerade darin liegt eine höhere Gerechtigkeit, aber vermutlich ist das ebenso Zuschreibung wie all unsere verbastelten Hoffnungen. Wir treffen Vorsorge, wir schützen uns, wir verbannen den Tod ebenso aus dem Sichtfeld wie den Müll, wir glauben an dies und das, dennoch: Mit der Geburt beginnt das Ende, das jäh erfolgen kann, trotz Vitaminen und gesunder Lebensweise, trotz Yoga, Fahrradhelm und Rauchverbot. Eine Lebensversicherung gibt es nur als finanzielles Konstrukt und eben nicht im Wortsinne. Man höre Brahms‘ „Deutsches Requiem“: „Denn alles Fleisch ist wie Gras …“
Wenn die von dem „neuartigen Corona-Virus“ ausgelöste Covid-19-Erkrankung nun trotz der vergleichsweise moderaten Infektions- und Todesrate tatsächlich eine „Pandemie“ sein sollte, dann gilt es, sie einfach hinzunehmen. Selbstverständlich, man wird sich folgsam die Hände waschen, sich artig die eklige „Alltagsmaske“ vorbinden, vorbildlich in die Armbeuge niesen, die Umgebung desinfizieren, nicht mehr zu arg in die Aura anderer Menschen eindringen und sicher einen Impfstoff mehr entwickeln. Aber es wird weiterhin daran gestorben werden, wie an abertausenden anderen Ursachen. Kindlich könnte man sagen: Am Tod stirbt man eben, mit und ohne Mund-Nasen-Schutz. Nein, das ist nicht zynisch, sondern Alltag. Noch im vorvorigen Jahrhundert stellten die Schreiner ihre Särge auf der Straße aus, als Gebrauchsgegenstände.
Daß uns ein Wesen umwirft, das an sich nicht mal ein Lebewesen ist, kaum ein „Keim“, obwohl wir es als eine Art seeigelhafte Stachelkugel plakatieren, hat sogar Charme. Je ausgefeilter und überzüchteter und empfindlicher die Menschen und ihre Infrastruktur, um so anfälliger ihre so perfektioniert erscheinende Kunstwelt. Schon lange galt als unnormal, wer keine Allergien und Unverträglichkeiten herzuzählen wußte. Unsere Gesellschaft war lange vor der vermeintlichen Seuche extrem idiosynkratisch. Ab jetzt aber wird bereits jeder angebotene Handschlag als Übergriff gelten und Erschrecken auslösen.
Gerade jene westlichen Wohlstandsgesellschaften, die schon jahrzehntelang vor keiner existentiellen Herausforderung mehr standen, weil die Opfer für ihren Komfort vor langer Zeit und von anderen erbracht wurden, haben ihre Vitalität und Widerstandskraft folgerichtig so sehr eingebüßt, daß es keinen Krieg braucht, sondern die Variante einer asiatischen Atemwegserkrankung bereits ausreicht, sie völlig umzuwerfen und eine kollektive Angstneurose auszulösen. Die Hochkultur sieht sich von einem trockenen Wuhan-Husten bedroht.
Wenn beispielsweise in Sachsen-Anhalt erst noch ein Infizierter gemeldet wurde, dem es nicht unbedingt schlechtging, dann kein Krankheitsfall mehr bekannt wird, das ganze Bundesland aber Mundschutz trägt, sich im „Social-Distancing“ übt und die Pleite riskiert, dann ist genau das nicht nur unfreiwillig kurios, sondern symptomatisch.
Wird diese Obsession aus politischen Gründen oder aus würdeloser Angst weiter und weiter getrieben, bleibt zu fürchten, daß genau dies das Miteinander zersetzt – mit der Folge nicht des individuellen, aber des kulturellen Todes und dem Ergebnis einer Zombie-Gesellschaft. Nur sind dann nicht wie in Horror-Schocker die Infizierten die Zombies, sondern die Gesunden, die sich um das Symbol des Mundschutzes scharen. – Selbst wenn niemand mehr „positiv getestet“ ist, wird es wie im Thriller heißen: „Es ist irgendwo da draußen!“ Und klar, irgendwas kommt schon, denn: „Wir haben hier keine bleibende Stadt.“ Hebräer 13, 14. Unser Dasein bleibt prinzipiell obdachlos.
Mut und Haltung! Wir haben immer dort zu leben, wo ringsum gestorben wird.
Der_Juergen
Der bisher wohl beste Beitrag von Heino Bosselmann auf diesem Blog.