Lawrence Osborne: Welch schöne Tiere wir sind.

Lawrence Osborne: Welch schöne Tiere wir sind. Roman, aus dem Englischen übersetzt von Stephan Kleiner, München: Piper 2019. 336 S., 22 €

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Den zuvor ein­zi­gen Osbor­ne-Roman, der ins Deut­sche über­tra­gen wur­de, hat­te ich in Sezes­si­on 79 (2017) vor­ge­stellt – und hoch­ge­lobt. Denen man ver­gibt (Ori­gi­nal: The For­gi­ven, 2012) war eine ful­mi­nant erzähl­te Geschich­te. Es ging dar­in um ein hedo­nis­ti­sches, kin­der­lo­ses bri­ti­sches Ehe­paar, das in der marok­ka­ni­schen Wüs­te einen ara­bi­schen Fos­si­li­en­händ­ler tot­fährt. Sie sind auf dem Weg zu einer coo­len Wüs­ten­par­ty und ahnen nicht, was sie sich auf­la­den, als sie den Ber­ber­leich­nam in ihren Kof­fer­raum bug­sie­ren. Mit der Men­ta­li­tät der Auto­chtho­nen jeden­falls haben sie nicht gerech­net! Das war ein Clash of Civi­liza­ti­ons!

Nun ist von einem grö­ße­ren Ver­lag Beau­tiful Ani­mals (2017) über­setzt wor­den. Es geht um Nao­mi, Sam und Faoud. Spiel­ort ist die grie­chi­sche Insel Hydra. Nao­mi, vier­und­zwan­zig, ist die Toch­ter eines bejahr­ten kom­mu­nis­ti­schen Kunst­samm­lers, Jef­frey Codring­ton. Nao­mis Mut­ter ist ver­stor­ben. Jef­frey hat vor lan­ger Zeit das ehe­ma­li­ge Feri­en­haus von Leo­nard Cohen gekauft. Er lebt mit der jun­gen Grie­chin Phai­ne, spa­ßes­hal­ber genannt »Fun­ny«, zusam­men. Eine miß­güns­ti­ge Stiefmutter!

Am Anfang steht ein Dia­log. Jef­frey fin­det, der Aus­blick von der Ter­ras­se habe »im Lau­fe der Jah­re ver­lo­ren.« Alles schei­ne »klei­ner und schä­bi­ger gewor­den zu sein.« Phai­ne gibt, sich räkelnd, zu beden­ken: »Viel­leicht sind wir ja auch grö­ßer und pracht­vol­ler gewor­den.« Som­mer für Som­mer hat Nao­mi auf Hydra ver­bracht. Sie ist unan­tast­bar und geht ihre eige­nen Wege. Sie kifft und trinkt, es gefällt ihr so. Wenn sie das Ange­bot bekä­me, irgend­ei­nen Moment ihres bis­he­ri­gen Lebens noch ein­mal erle­ben zu kön­nen – sie wür­de es aus­schla­gen. Denn Nao­mi ist sehr »von heu­te«, durch nichts her­aus­ge­for­dert, eigent­lich leer. Dann aber lernt sie die ähn­lich ver­wöhn­te, ein paar Jah­re jün­ge­re Saman­tha – »Sam«, Jour­na­lis­ten­toch­ter – aus New York ken­nen, sanft und zier­lich, mit »Haa­ren wie gespon­ne­nes Gold.«. Sam hat­te bis­lang nie eine Freun­din »mit Ecken und Kan­ten«, son­dern allen­falls Leu­te, die aus irgend­ei­ner »Men­schen­fa­brik« stam­men könn­ten. Da haben sich zwei gefun­den! Die Mädels kif­fen, trin­ken und wan­dern nun gemein­sam. Alles ist läs­sig, sehr cool. Sie bewe­gen sich auf ihren Stromerfahr­ten wie schö­ne Tie­re, »schön wie Pan­ther«, auf über­wach­se­nen Wegen und Fels­pla­teaus. Und dann liegt da einer. Er blu­tet aus einem Schnitt in der Hand, einem im Fuß. Wie Jesus. Ein Syrer, ein Flücht­ling! Faoud ist jung, hat lan­ge Haa­re und einen wuchern­den Bart. Daß er aus »gutem Hau­se« kommt, stellt sich spä­ter her­aus. Daß er »etwas Glat­tes« an sich hat, regis­triert nur Sam, gewis­ser­ma­ßen die Beta-Frau im hüb­schen Mäd­chen­team. Nao­mi mie­tet eine Bau­ern­hüt­te für Faoud. 

Es ist dies kein Gut­men­schen­tum, son­dern ein »spie­le­ri­scher Zynis­mus«, mit dem sie Faoud zu einem »mora­li­schen Anlie­gen« ver­brämt. Nao­mi hat näm­lich eine Idee: Sie plant, Faoud für ein »Baga­tell­ver­bre­chen ohne Opfer« anzu­heu­ern. Er könn­te das Haus der schwer­rei­chen Codring­tons aus­rau­ben. Bei Nacht, wenn alle schlie­fen! Das Haus­mäd­chen sei ein­ge­weiht und wür­de öff­nen. Null Risi­ko! Nao­mi hät­te die Genug­tu­ung – end­lich erlebt das deka­den­te Ehe­paar mal etwas! –, Faoud könn­te sich mit dem Die­bes­gut davon­ma­chen. Es gäbe einen aus­ge­klü­gel­ten Zeit­plan, und Faoud wäre über alle soge­nann­ten Gren­zen hin­weg. Und der Vater? Er liebt doch Nao­mi, war­um will sie ihm das antun? »Mein Vater hat alles gestoh­len, was ihm gehört. Du wür­dest einen Dieb besteh­len, und alles ist ver­si­chert. Er bekommt am Ende ein brand­neu­es Auto, und es wür­de ihm über­haupt nichts ausmachen.« 

In der Tat sind Jef­frey und Phai­ne deka­den­te Nichts­nut­ze. Sie sam­meln mons­trö­se, teu­re Kunst, pfle­gen ihren Kom­mu­nis­ten­ha­bi­tus, mal­trä­tie­ren aber ihr Dienst­mäd­chen und haben strik­te Ansich­ten zur Flücht­lings­po­li­tik: Den her­an­ge­schwemm­ten Halun­ken gehe es gar nicht ums Über­le­ben. »Man muß nicht nach Schwe­den, um zu über­le­ben. Über­le­ben kön­nen sie auch in der Tür­kei. (…) Ist doch inter­es­sant, daß ihre mus­li­mi­schen Freun­de sie wie Kaker­la­ken behan­deln.« Wäh­rend Chris­ten »wie Frau Mer­kel« die­ser »bewuß­ten Insze­nie­rung« melo­dra­ma­tisch auf den Leim gin­gen! Jef­frey weiß, wie man sei­ne Schäf­chen im Tro­cke­nen hält. Nao­mis Aus­raub­plan nun: Hübsch aus­ge­dacht, aber –! Wir Leser erfah­ren nicht genau, war­um zwei Lei­chen am Tat­ort zurück­blei­ben, wäh­rend Faoud nun zum Gehetz­ten wird. Klar ist nur, daß das sub­al­ter­ne Haus­mäd­chen aus armen Ver­hält­nis­sen – von Nao­mi als Kom­bat­tan­tin ein­ge­schätzt; so ist die beschränk­te Welt­sicht von Ers­te-Welt­Be­woh­ne­rin­nen eben – zur Erpres­se­rin wird. Eine groß­ar­ti­ge Geschichte! 

Bereits beim vori­gen Buch hat­te ich eine womög­lich man­gel­haf­te Über­set­zung beklagt. Die Wor­te sind auch hier der (ein­zi­ge) Wer­muts­trop­fen. Die bei­den Bücher haben unter­schied­li­che Über­set­zer. Im aktu­el­len Buch gibt es wie­der eine Men­ge selt­sa­mer Wen­dun­gen: »Ihre Stroh­hü­te erzit­ter­ten mit der beson­ne­nen Behän­dig­keit von Käfern.« Oder: »Zwei Bäu­me schweb­ten auf der Kup­pe des Berg­hangs und loder­ten in ihrem eige­nen grau­en Licht.« Ohne Kennt­nis des Ori­gi­nals kann man nicht wis­sen, ob dem Autor die Wort­phan­ta­sie durch­ge­gan­gen ist – oder dem Über­set­zer. Wenn aller­dings etwas »zwi­schen den Laken« gespro­chen wird, ahnt man, wer hier schwächelte … 

Welch schö­ne Tie­re wir sind. von Law­rence Osbor­ne kann man hier bestel­len.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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