Steffen Kopetzky: Propaganda

Steffen Kopetzky: Propaganda. Roman, Berlin: Rowohlt 2019. 496 S., 25 €

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Pro­pa­gan­da ist Wer­bung für poli­ti­sche Zwe­cke: Mas­se muß in Marsch gesetzt, Krieg muß legi­ti­miert, die Gefal­le­nen, Ver­wun­de­ten, Ver­miß­ten müs­sen als not­wen­di­ges Opfer ver­kauft wer­den. Pro­pa­gan­da ist: die Rea­li­tät zurecht­schrei­ben. Die ande­re Sei­te nicht zu hören oder nur so, daß es die Bot­schaft, die man an den Mann brin­gen will, nicht stört. Wann ist die­ses Zurecht­ge­schrie­be­ne glaub­wür­dig? Wenn die Lob­re­de sich wie wei­ße Krei­de­zei­chen auf einer schwar­zen Tafel abhe­ben; wenn Gut und Böse klar von­ein­an­der geschie­den sind und wenn jeder Zwei­fel an die­ser Schei­dung ohne Grau­stu­fen bei­sei­te gescho­ben wer­den kann; wenn also die­je­ni­gen, die das glau­ben sol­len, genau dies glau­ben wol­len; wenn also die Lücken­pres­se nicht mehr als sol­che erkannt wird. 

Mit­hil­fe Stef­fen Kopetz­kys Roman Pro­pa­gan­da schau­en wir uns vier Strän­ge genau­er an: Da ist die Iden­ti­täts­kri­se des deutsch­stäm­mi­gen US-Ame­ri­ka­ners John Glueck, der aus­ge­rech­net als Ange­hö­ri­ger einer Pro­pa­gan­da­ein­heit in das mythisch ver­ehr­te Land sei­ner Vor­fah­ren gelangt, und zwar in den Hürt­gen­wald, jenen Forst süd­lich von Aachen, in dem die Wehr­macht im Win­ter 1944 / 45 vier US-Divi­sio­nen auf­rieb. Glueck hat das fik­tio­na­le Schrei­ben in Kur­sen erlernt, for­mu­liert nicht ohne Talent, scheint ähn­lich begabt zu sein wie sei­ne Kom­mi­li­to­nen Salin­ger und Bukow­ski, von denen er spä­ter natür­lich ab und an »hört«.

Als Pro­pa­gan­da­sol­dat soll Glueck jeden­falls eine Repor­ta­ge über Ernest Heming­way schrei­ben. Der ist mit einer Despe­ra­do­trup­pe in Frank­reich unter­wegs, sucht nach dem Stoff für ein »Krieg und Frie­den« des 20. Jahr­hun­derts, lei­det jedoch an Schreib­hem­mung: laut, selbst schon mythisch, unsym­pa­thisch ame­ri­ka­nisch, Pro­pa­gan­dist ohne Skrupel. 

Glueck ist anders. Der zwei­te Strang: Die­se Schlacht also, in der sich die Fein­de inein­an­der ver­krall­ten, die Aller­see­len­schlacht (was für ein Name!) im Hürt­gen­wald. Kriegs­er­fah­re­ne deut­sche Ver­bän­de tra­fen auf alli­ier­te Neu­lin­ge, die noch nie in einem Wald gekämpft und noch nie zuvor einen Win­ter erlebt hat­ten: ein Gemet­zel. Eine der ein­drück­lichs­ten Sze­nen ist die­je­ni­ge, die dem deut­schen Stabs­arzt Gün­ter Stütt­gen ein lite­ra­ri­sches Denk­mal setzt. Er war es, der an einem der Brenn­punk­te der Schlacht meh­re­re Male Waf­fen­still­stand aus­han­deln und Ver­wun­de­te bei­der Sei­ten ber­gen und ver­sor­gen konn­te. Stütt­gen hat hun­der­ten Sol­da­ten das Leben gerettet.

Aber John Glueck darf dar­über nicht schrei­ben, oder genau­er: Glueck schreibt wohl über Stütt­gen und über das tak­tisch-ope­ra­ti­ve Desas­ter der US-Füh­rung vor Ort. Aber sein Bericht wird nicht ver­öf­fent­licht. »Sie las­sen uns echt schlecht aus­se­hen, John, das geht doch nicht«, sagt sein Vor­ge­setz­ter. »Und es ist jetzt ein­fach nicht die Zeit für deut­sche Hel­den, glau­ben Sie mir.«

Dabei geht es stän­dig um deut­sche Hel­den, oder bes­ser gesagt: um den phä­no­me­na­len mili­tä­ri­schen Geist, den die preu­ßi­sche Tra­di­ti­on her­aus­ge­schält hat­te. Bevor Kopetz­ky die Schlacht anhe­ben läßt, führt er uns in den Lage­raum der deut­schen Gene­ra­li­tät um Feld­mar­schall Model, in der durch Tele­fon- und Funk­ver­net­zun­gen »ein Stück aus der tech­no­lo­gi­schen Zukunft« auf­ge­führt wur­de: ein Lage­bild in Echt­zeit, das ein Füh­ren in Echt­zeit ermög­lich­te – heu­te eine Selbst­ver­ständ­lich­keit, damals futu­ris­tisch. Über die Wehr­macht fal­len Sät­ze wie: »Ganz zwei­fel­los gab es nie­mals zuvor und danach eine Armee, die einen sol­chen Tra­di­ti­ons- und Theo­rie­schatz mit einer so spek­ta­ku­lä­ren jün­ge­ren Pra­xis ver­bin­den konn­te«, und ihr Unter­gang wird als Tra­gö­die bedau­ert. »Aber wir waren da, um die­sen Geist ein­zu­fan­gen, wie wir es mit dem Geist man­cher India­ner­stäm­me getan hat­ten«, notiert Glueck.

Der drit­te Strang: der Viet­nam­krieg. Haben die Amis den Geist der Wehr­macht tat­säch­lich ein­ge­fan­gen? Oder war es nicht viel­mehr der Ungeist Fal­ken­hayns, der die Reichs­wehr vor Ver­dun ver­blu­ten ließ, weil gleich­zei­tig der Geg­ner aus­blu­ten wür­de? Der Body-Count, die per­ver­se Mate­ri­al­schlacht? War es nicht der Ungeist des Ras­sen­wahns? Die Ent­lau­bung, Ver­gif­tung, das Aus­mor­den gan­zer Land­stri­che – eine tech­no­kra­ti­sche Abschät­zig­keit, die jede mili­tä­ri­sche Kunst erstick­te? John Glueck jeden­falls kommt tod­krank aus Viet­nam zurück, ver­gif­tet, sei­ne Haut schält sich, und er wird – das ist der vier­te Strang, der Rah­men – die soge­nann­ten Pen­ta­gon-Papers an die Pres­se wei­ter­rei­chen, nicht ohne sich zuvor durch eine kal­ku­lier­te Ver­haf­tung wegen Alko­hols am Steu­er hin­ter Gefäng­nis­mau­ern in Sicher­heit zu brin­gen. Auch hier: ein rea­ler Hin­ter­grund. Die gehei­men Pen­ta­gon-Papers wur­den 1971 in der New York Times ver­öf­fent­licht und leg­ten die umfas­sen­de Des­in­for­ma­ti­on der Bevöl­ke­rung über den Viet­nam­krieg offen. 

Was für ein Buch ist Pro­pa­gan­da? Zunächst: ein Män­ner­buch, ein geni­al inein­an­der­ge­wo­be­nes Geflecht aus his­to­ri­schem Schau­platz, mili­tä­ri­scher Tra­gö­die, ein­sa­mem Wolf, Kriegs­spiel, Leid, Risi­ko. Dann: eine Ehren­ret­tung, eine Beschrei­bung der Wirk­macht pro­pa­gan­dis­ti­scher Ver­dre­hung, ein Blick hin­ter die Kulis­sen, eine Ent­zau­be­rung, ein Gera­de­rü­cken. Vor allem aber – ein Schock. Oder haben die Leser unse­rer Tage eine so dicke, eine so »ein­deu­ti­ge« Haut, daß ihnen ihr Fell nach der Lek­tü­re nicht zu jucken beginnt? Jeder will doch mehr erfah­ren über die Ver­tei­lung von Schwarz und Weiß, Lüge und Wahr­heit, Gut und Böse in jenem Jahr­hun­dert, das uns alle Bil­der und Mythen gelie­fert hat.

Pro­pa­gan­da
von Stef­fen Kopetz­ky kann man hier bestel­len.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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