Johann Michael Möller: Der Osten. Eine politische Himmelsrichtung

Johann Michael Möller: Der Osten. Eine politische Himmelsrichtung, Springe: zu Klampen Verlag 2019. 248 S., 22 €

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

In sei­nem Schlüs­se­l­es­say »Der lan­ge Weg nach Osten« (2018, vgl. dazu auch Sezes­si­on 90) hat Thors­ten Hinz Fra­gen auf­ge­wor­fen, die in den kom­men­den Jah­ren ent­schei­den­de Weg­mar­ken der poli­ti­schen Rech­ten abste­cken dürf­ten. Man­cher­orts wur­de der Text wohl als über­spitz­te The­sen­an­samm­lung abge­hef­tet, aber das könn­te sich nach eini­gen Jah­ren wei­te­rer Wes­ter­ni­sie­rung und damit ver­bun­de­ner Mul­ti­kul­tu­ra­li­sie­rung als Feh­ler erwie­sen haben, und man wird kla­rer sehen.

Hinz hat mit sei­ner Affir­ma­ti­on einer kul­tur- und real­po­li­ti­schen Ost­Ori­en­tie­rung der ver­blie­be­nen Wil­lens­deut­schen die Hoff­nung arti­ku­liert, daß sich zumin­dest eini­ge Regio­nen Deutsch­lands als Teil einer vom Osten aus­ge­hen­den »kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on« ver­stün­den und sich – via Anbin­dung an Polen, Ungarn, Tsche­chi­en und Co. – ein Stück abend­län­di­scher Zivi­li­sa­ti­on erhiel­ten, wäh­rend West­eu­ro­pas Zukunft unter ande­rem »Tri­ba­li­sie­rung« und »Bar­ba­ri­sie­rung« ver­hei­ßen wür­de. Doch war­um so viel Hinz bei einer Bespre­chung eines Buchs von Johann Micha­el Möl­ler? Weil der lang­jäh­ri­ge FAZ- und Welt-Jour­na­list, ehe­ma­li­ge MDR-Hör­funk­di­rek­tor und der­zei­ti­ge Her­aus­ge­ber der deutsch-rus­si­schen Zei­tung Peters­bur­ger Dia­log die men­ta­li­täts­psy­cho­lo­gi­sche und ideen­his­to­ri­sche Grun­die­rung des poli­ti­schen Hinz-Ansin­nens vor­ge­legt hat. Ob Möl­ler das welt­an­schau­lich prin­zi­pi­ell gou­tiert oder nicht, ist einer­lei; sein Groß essay Der Osten steht für sich. 

Möl­lers Buch, woll­te man den dar­in ent­hal­te­nen geis­tes­ge­schicht­li­chen Gang nach Osten for­mal zusam­men­fas­sen, ist ein Streif­zug durch die »poli­ti­sche Him­mels­rich­tung des Ostens« – und zwar ent­lang der viru­len­ter wer­den­den inner­deut­schen men­ta­len Gren­ze (ein Schwer­punkt des Buches), hin­über in das inspi­rie­ren­de Visegrad-Euro­pa der »illi­be­ra­len Demo­kra­tie«, bis vor die Tore Königs­bergs, weit süd­wärts nach Mol­da­wi­en und als­dann wie­der zurück in die deut­sche Kul­tur­land­schaft. Die­se Gelän­de­be­ge­hung ist klug und scharf­sin­nig; per­sön­li­che Erleb­nis­se aus der beruf­li­chen Lauf­bahn flie­ßen eben­so ein wie zahl­rei­che Lek­tü­re­ein­drü­cke der letz­ten Jah­re. Letz­te­res sorgt dafür, daß sich bis­wei­len der Ein­druck auf­drängt, der Autor ver­ste­cke sich bei kon­tro­ver­sen Topoi hin­ter Kol­le­gen, deren Ansich­ten er (dezent wohl­wol­lend) refe­riert, ohne sich frei­lich zu offen zu ihnen zu beken­nen, was etwa beim auf­schluß­rei­chen Part zum unga­ri­schen Publi­zis­ten und Fidesz-Den­ker Györ­gy Schöpf­lin augen­fäl­lig wird. 

Akzep­tiert man aber die selbst gewähl­te Prä­mis­se – Möl­lers Buch als geis­tes­ge­schicht­li­che Basis zum poli­ti­schen Hinz-Über­bau – so rela­ti­viert sich die­se Kri­tik umge­hend; immer­hin ist Möl­lers Ana­ly­se der ost­deut­schen und ost­mit­tel­eu­ro­päi­schen Umbruchs­er­fah­run­gen samt gegen­wär­ti­ger Fol­gen luzi­de und für die alter­na­ti­ve Rech­te anknüp­fungs­fä­hig vor allem im Hin­blick auf die Wen­de- und Ein­heits­ju­bi­lä­en in die­sem und im kom­men­den Jahr. Deut­lich wird über­dies: Der »Osten« ist – bei Möl­ler wie bei Hinz – nie aus­schließ­lich geo­gra­phisch gemeint, son­dern wird als Prin­zip der Wider­stän­dig­keit, als Schild gegen eine all­um­fas­sen­de Über­grif­fig­keit inter­pre­tiert. »Im Osten erwacht die Geschich­te«, mein­te Pierre Bour­dieu in Bezug auf 1989 / 90. Man wird es hof­fent­lich auch auf 2019 / 20 bezie­hen können. 

Der Osten. Eine poli­ti­sche Him­mels­rich­tung von Johann Micha­el Möl­ler kann man hier bestel­len.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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Kommentare (1)

Brandolf

3. Dezember 2020 20:26

Der Autor des Buches der Selbstmord Europas hat bereits ein ähnliches hypothetisch konstruiertes Szenario einer Sezession Bayerns und Sachsens von Deutschland und eines anschließenden Beitritts zu einem Bündnis der - vom Autor als Hoffnungsträger eines neuen nicht-muslimischen Rest-Europas kognizierten - Visegard-Staaten entworfen.

Es gibt aber auch Hoffnung für den Westen Europas! Das französische Staatsbürgerschaftsrecht erlaubt die Ausbürgerung von integrationsunwilligen und assimilierungsunfähigen Ein- oder treffender formuliert Zuwanderern, was Frankreich unter der unwahrscheinlichen Bedingung der Wahl einer islamkritischen Partei in das Parlament mit einem überwältigenden Mehrheitsergebnis in die Lage versetzen würde sich selbst kraft eines demokratischen Wahlaktes der Majorität seiner Bürgerschaft vor dem drohenden Untergang zu retten und die Islamisierung zu beenden.