Josef Isensee: Grenzen. Zur Territorialität des Staates

Eine Rezension von Konrad Gill

Josef Isen­see: Gren­zen. Zur Ter­ri­to­ri­a­li­tät des Staa­tes, Ber­lin: Dun­cker & Hum­blot 2018. 224 S., 49,90 €

Josef Isen­see, einer der letz­ten gro­ßen deut­schen Staats­recht­ler, hat ein Alter erreicht, in dem ihm öffent­li­cher Bei­fall, soll­te er ihm je etwas bedeu­tet haben, egal sein kann. Das stellt er ein­drucks­voll unter Beweis mit einem klei­nen, aber schwer­wie­gen­den Band zu einem The­ma, das als aus­dis­ku­tiert gel­ten könn­te, wäre es nicht in die Hän­de von Ideo­lo­gen und Empö­rungs­wel­len­rei­tern geraten. 

Nicht erst seit 2015 gel­ten Gren­zen aller Art als vor­vor­gest­rig, kon­tra­pro­duk­tiv und natio­na­lis­tisch­ras­sis­tisch. Dif­fe­renz und Eigen­art ste­hen unter Ver­dacht und sind nur sich unter­drückt füh­len­den »bun­ten« Son­der­grup­pen erlaubt. Die uralte Erkennt­nis, daß ein nicht umschlos­se­ner, sich nicht von ande­ren abschei­den­der Raum gar kein Raum ist, scheint ver­lo­ren­zu­ge­hen. Dem stellt Isen­see ein kraft sei­ner jahr­zehn­te­lan­gen Erfah­rung reich­lich sou­ve­rä­nes und macht­vol­les Veto ent­ge­gen. Es han­delt sich nicht um einen pole­mi­schen Wut­aus­bruch aus aktu­el­lem Anlaß. Viel­mehr seziert Isen­see tro­cken, pro­fes­so­ral und sehr sau­ber das Phä­no­men Gren­ze und stellt dabei fast alles auf den Kopf, was heu­ti­ge Nachwuchs-»Akademiker« über die­se Form der Son­de­rung zu wis­sen glau­ben. Die Staats­gren­ze sei ein vor­mo­der­nes Relikt? Sie ist im Gegen­teil sehr modern; erst der moder­ne Natio­nal­staat gab sich fes­te, ver­tei­dig­te und wech­sel­sei­tig mit den Nach­barn akzep­tier­te Gren­zen. Das Grenz­re­gime sei in ers­ter Linie eine Fra­ge der Sicher­heits­po­li­tik? Auch falsch – Gren­zen sind Vor­be­din­gung einer wirk­sa­men Ver­fas­sung, aus der sich die Poli­ti­ken erst ergeben. 

Und Gren­zen sei­en inhu­man? Das ist erst recht Unsinn, denn die nicht für jeden durch­läs­si­ge Gren­ze, hin­ter die sich flie­hen läßt, ist kau­sal für Asyl­ge­wäh­rung. Über offe­ne Gren­zen freu­en sich nicht nur Ver­folg­te, son­dern auch die Ver­fol­ger, die im frem­den Land ihre Nach­stel­lung fort­set­zen kön­nen. Gren­zen sind also modern, huma­ni­tär und in einem Ver­fas­sungs­staat selbstverständlich.

Was aber, wenn Regie­rungs­ver­tre­ter ver­kün­den, Gren­zen sei­en immer wei­ter abzu­bau­en? Wenn inter­na­tio­na­le Abkom­men über die Ver­tei­lung nach Euro­pa drän­gen­der Ein­wan­de­rer nicht beach­tet und das Grenz­re­gime zeit­wei­lig aus­ge­setzt wird, damit Mil­lio­nen von Frem­den unkon­trol­liert ins Land kom­men kön­nen? Isen­see spricht vom »huma­ni­tä­ren Staats­streich« und erläu­tert die Ver­fas­sungs­wid­rig­keit die­ser Vor­gän­ge. Ange­sichts der kom­ple­xen natio­na­len und inter­na­tio­na­len Rechts­la­ge in bezug auf Grenz­über­tritt, Sta­tus­zu­wei­sung und Aus­wei­sungs­mo­da­li­tä­ten wird klar: wer kommt, der bleibt. Recht­li­che Grund­la­gen und Ver­wal­tungs­pra­xis sind auf hohe Hür­den für die Zurück­schie­bung ein­mal ins Land gekom­me­ner Aus­län­der zuge­schnit­ten. Eben des­halb wären stren­ge Grenz­kon­trol­len so wich­tig, eigent­lich sind sie die Grund­la­ge der Funk­ti­ons­fä­hig­keit des gesam­ten Aus­län­der­rechts­sys­tems der Bun­des­re­pu­blik. Isen­sees Grenz­hand­buch hat sei­ne Län­gen. Die aus­gie­bi­gen Betrach­tun­gen zu den staats- und völ­ker­recht­li­chen Grund­la­gen mögen Nicht­ju­ris­ten ermü­den. Umge­kehrt sind die abschlie­ßen­den Betrach­tun­gen zu nicht-staat­li­chen, ja: nicht-ter­ri­to­ria­len Gren­zen, zur Begrenzt­heit an sich, der­ma­ßen kurz, daß sie das The­ma kaum anrei­ßen und damit nicht ernst genom­men wer­den können.
Den­noch ist das quel­len- und lite­ra­tur­nach­weis­rei­che Buch als Argu­ment­samm­lung und dank einer durch­dach­ten Glie­de­rung und eines Sach­re­gis­ters als Nach­schla­ge­werk sehr zu emp­feh­len. Auch erfah­re­ne Leser kön­nen hier im Detail noch man­ches lernen. 

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