Léon Bloy: Diesseits von Gut und Böse. Briefe – Tagebücher – Prosa

Léon Bloy: Diesseits von Gut und Böse. Briefe – Tagebücher – Prosa. Herausgegeben und aus dem Französischen übersetzt von Alexander Pschera. Berlin: Matthes & Seitz Berlin 2019. 1259 S., 68 €.

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

»Er glich einem Denk­mal uni­ver­sel­ler Ver­zweif­lung« notiert Léon Bloys Frau Jean­ne in ihren Erin­ne­run­gen an ihre ers­te Begeg­nung. Den größ­ten fran­zö­si­schen Den­ker des Renou­veau Catho­li­que am Ende des 19. Jahr­hun­derts muß man sich als einen über­aus ergrif­fe­nen und ergrei­fen­den Men­schen vor­stel­len. In die­ser volu­mi­nö­sen Text­samm­lung aus allen Schrif­ten Bloys fin­den sich unter Tau­sen­den von Tage­buch­ein­trä­gen – und das sind nur gekürz­te Aus­zü­ge – unzäh­li­ge Bäche von Trä­nen, die Bloy ver­gos­sen hat.
Zwei sei­ner vier Kin­der ster­ben früh, die Fami­lie lebt auf dem Pari­ser Mont­mar­te kei­nes­wegs künst­ler­idyl­lisch, son­dern von der Hand in den Mund. Erzwun­ge­ne Umzü­ge, Wege zum Pfand­haus und Bitt­ge­su­che bei den Haus­be­sit­zern las­sen den Schrift­stel­ler nie ruhen. Bloy schreibt 1873 sei­nem geis­ti­gen und ästhe­ti­schen Men­tor Bar­bey d’Aurevilly, der ihn zum katho­li­schen Glau­ben bekehrt hat: »Ich erin­ne­re mich nicht dar­an, seit mei­ner Kind­heit ohne Schmerz gewe­sen zu sein, und dies oft in einem unglaub­lich star­ken Maße. Dies beweist, daß Gott mich sehr liebt«.

Léon Bloy stürzt sich mit Leib und See­le in den Katho­li­zis­mus. Sei­ne »See­le bedarf des Feu­ers einer glü­hen­den Pra­xis« notiert er an einer Stel­le. Die glü­hen­de Pra­xis sieht täg­li­che Kom­mu­ni­on, unab­läs­si­ges Gebet (selbst­ver­ständ­lich auf Latein) und ein stren­ges Glau­bens­le­ben in der Fami­lie vor. Einem Freund, der sich wei­gert, sich im Hau­se Bloy vor dem Essen zu bekreu­zi­gen, weist er die Tür. Zu groß ist sei­ne Sor­ge um das See­len­heil sei­ner jüngs­ten Toch­ter; die Mut­ter sei­nes unehe­li­chen Kin­des belehrt er, das Kind sei von kränk­li­cher Kon­sti­tu­ti­on, weil sie es an Inbrunst im Gebet feh­len lie­ße. Bloys Ehe­frau Jean­ne hin­ge­gen lebt mit ihm für den Glau­ben. Ihre Spi­ri­tua­li­tät steht der sei­nen um nichts nach, ohne sie wäre Léon Bloy wohl in sei­ner »uni­ver­sel­len Ver­zweif­lung« ertrun­ken. Psche­ra sieht die­se Ehe als »Basis für die Begrün­dung eines christ­li­chen Fami­li­en­rau­mes, der Ein­spruch erhebt gegen das herr­schen­de Cha­os der Welt und deren Wer­te­zer­fall«. »All das, was die Kir­che lehrt, ist von sol­cher Offen­sicht­lich­keit, vor mei­nem Geist und mei­nem Her­zen sehe ich so deut­lich die Makel­lo­sig­keit und Rein­heit ihrer Dok­trin« schreibt Bloy an einen Freund – eine sol­che Treue der Kir­che gegen­über erscheint uns Heu­ti­gen unglaublich. 

Auch nach ein­ge­hen­der Lek­tü­re der tau­send Sei­ten wird man­cher Leser die Fröm­mig­keit des glü­hen­den Kon­ver­ti­ten nicht ganz über­zeugt gou­tie­ren kön­nen. Léon Bloy ist nicht nur ein From­mer, son­dern auch ein Wüte­rich. In Journ­al­ar­ti­keln zu zeit­ge­nös­si­schen The­men kommt der »brül­len­de Och­se«, als den sei­ne Mut­ter ihn früh bezeich­net hat, her­vor. Sei­ne sar­kas­ti­schen Pam­phle­te ver­ra­ten den Cho­le­ri­ker, der sich indes als miles chris­tia­nus zu ver­tei­di­gen weiß, Alex­an­der Psche­r­as Mam­mut­werk ist nicht nur edi­to­risch preis­wür­dig, son­dern auch in sei­nen Kom­men­tar­ka­pi­teln. Der Ver­le­ger hat sich etwas getraut: In Werk­aus­ga­ben haben eigen­stän­di­ge ver­glei­chen­de Essays des Her­aus­ge­ge­bers mit ande­ren Autoren gewöhn­lich kei­nen Platz. Psche­ra schnappt sich zwei sei­ner Lieb­lin­ge, Nietz­sche und Ernst Jün­ger, und stellt Par­al­le­len her, daß es nur so leuch­tet! Völ­lig evi­dent, daß Bloy und Nietz­sche »Abbruch­un­ter­neh­mer« sind: Bloy sieht sich als »entre­pre­neur des démo­li­ti­ons«, Nietz­sche phi­lo­so­phiert mit dem Ham­mer. Wenn man davon aus­geht, in Nietz­sche nichts ande­res als den dezi­dier­ten »Anti­chris­ten« zu fin­den, führt der Bezug zu Bloy zu einer ande­ren Sicht. Könn­te es nicht sein, daß auch bei Nietz­sche der Weg der Wahr­heit durch den Abgrund führt? »Wer die Per­spek­ti­ve des Abgrunds ein­nimmt, der wird erho­ben«, para­phra­siert Psche­ra die Phi­lo­so­phie bei­der Den­ker. Mit Jün­ger macht der Her­aus­ge­ber es kaum anders. Die anar­chi­sche Sei­te des Katho­li­schen besteht dar­in, radi­ka­le Frei­heit zu wäh­len oder das Böse. Wer von dem Satz aus­geht »Mein Reich ist nicht von die­ser Welt« (Joh 18,36), genießt unge­ahn­te Frei­heit. Die­ser Satz »hebt uns aus den Beschrän­kun­gen und Ver­klem­mun­gen der Zwe­cke der Welt und knüpft ein Band hin­über in die ande­re Welt. Durch die­sen Satz wer­den wir regel­los. Er ent­kräf­tet die eine Ord­nung, um die ande­re ein­zu­set­zen«, erläu­tert Pschera.

Jün­gers Arbei­ter (1932) ist par­al­lel zu Léon Bloys Selbst­ver­ständ­nis als »Arbei­ter im Wein­berg Chris­ti« zu lesen: Es geht um die Preis­ga­be bür­ger­li­cher Sicher­heit. Der Arbei­ter bei Jün­ger hat »mäch­ti­ge Reser­ven«, weil er an die Wah­rung die­ser Sicher­heit nicht mehr gebun­den ist – so ver­hält es sich auch beim Gläu­bi­gen, der kei­ne Angst vor dem Schmerz hat. Der Bür­ger­li­che hin­ge­gen, gemein­sa­mer Geg­ner Bloys und Jün­gers, will um alles in der Welt den Schmerz ver­mei­den, wie auch Jün­gers Essay Über den Schmerz fest­hält. Vie­le von Bloys Schrif­ten sind ein­zeln erhält­lich. Bei Karo­lin­ger erschien Das Heil durch die Juden (eine schwie­ri­ge, theo­lo­gisch umstürz­le­ri­sche Schrift!) in einem Band mit Jean­ne d’Arc und Deutsch­land. Bloys bekann­tes­tes Werk, die Aus­le­gung der Gemein­plät­ze wur­de von Hans Magnus Enzens­ber­ger in sei­ne biblio­phi­le Rei­he Die ande­re Biblio­thek auf­ge­nom­men. Bei Matthes & Seitz lie­gen vom Karo­lin­ger-Ver­le­ger Peter Weiß über­setz­te Tage­buch­ein­trä­ge unter dem Titel Der Unver­käuf­li­che vor und Psche­r­as Neu­über­set­zung von Bloys Kriegs­er­zäh­lung Blut­schweiß, die Jün­gers und Carl Schmitts Par­ti­sa­nen­theo­rien beein­flußt hat. 

Dies­seits von Gut und Böse von Léon Bloy kann man hier bestel­len.

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

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