»Er glich einem Denkmal universeller Verzweiflung« notiert Léon Bloys Frau Jeanne in ihren Erinnerungen an ihre erste Begegnung. Den größten französischen Denker des Renouveau Catholique am Ende des 19. Jahrhunderts muß man sich als einen überaus ergriffenen und ergreifenden Menschen vorstellen. In dieser voluminösen Textsammlung aus allen Schriften Bloys finden sich unter Tausenden von Tagebucheinträgen – und das sind nur gekürzte Auszüge – unzählige Bäche von Tränen, die Bloy vergossen hat.
Zwei seiner vier Kinder sterben früh, die Familie lebt auf dem Pariser Montmarte keineswegs künstleridyllisch, sondern von der Hand in den Mund. Erzwungene Umzüge, Wege zum Pfandhaus und Bittgesuche bei den Hausbesitzern lassen den Schriftsteller nie ruhen. Bloy schreibt 1873 seinem geistigen und ästhetischen Mentor Barbey d’Aurevilly, der ihn zum katholischen Glauben bekehrt hat: »Ich erinnere mich nicht daran, seit meiner Kindheit ohne Schmerz gewesen zu sein, und dies oft in einem unglaublich starken Maße. Dies beweist, daß Gott mich sehr liebt«.
Léon Bloy stürzt sich mit Leib und Seele in den Katholizismus. Seine »Seele bedarf des Feuers einer glühenden Praxis« notiert er an einer Stelle. Die glühende Praxis sieht tägliche Kommunion, unablässiges Gebet (selbstverständlich auf Latein) und ein strenges Glaubensleben in der Familie vor. Einem Freund, der sich weigert, sich im Hause Bloy vor dem Essen zu bekreuzigen, weist er die Tür. Zu groß ist seine Sorge um das Seelenheil seiner jüngsten Tochter; die Mutter seines unehelichen Kindes belehrt er, das Kind sei von kränklicher Konstitution, weil sie es an Inbrunst im Gebet fehlen ließe. Bloys Ehefrau Jeanne hingegen lebt mit ihm für den Glauben. Ihre Spiritualität steht der seinen um nichts nach, ohne sie wäre Léon Bloy wohl in seiner »universellen Verzweiflung« ertrunken. Pschera sieht diese Ehe als »Basis für die Begründung eines christlichen Familienraumes, der Einspruch erhebt gegen das herrschende Chaos der Welt und deren Wertezerfall«. »All das, was die Kirche lehrt, ist von solcher Offensichtlichkeit, vor meinem Geist und meinem Herzen sehe ich so deutlich die Makellosigkeit und Reinheit ihrer Doktrin« schreibt Bloy an einen Freund – eine solche Treue der Kirche gegenüber erscheint uns Heutigen unglaublich.
Auch nach eingehender Lektüre der tausend Seiten wird mancher Leser die Frömmigkeit des glühenden Konvertiten nicht ganz überzeugt goutieren können. Léon Bloy ist nicht nur ein Frommer, sondern auch ein Wüterich. In Journalartikeln zu zeitgenössischen Themen kommt der »brüllende Ochse«, als den seine Mutter ihn früh bezeichnet hat, hervor. Seine sarkastischen Pamphlete verraten den Choleriker, der sich indes als miles christianus zu verteidigen weiß, Alexander Pscheras Mammutwerk ist nicht nur editorisch preiswürdig, sondern auch in seinen Kommentarkapiteln. Der Verleger hat sich etwas getraut: In Werkausgaben haben eigenständige vergleichende Essays des Herausgegebers mit anderen Autoren gewöhnlich keinen Platz. Pschera schnappt sich zwei seiner Lieblinge, Nietzsche und Ernst Jünger, und stellt Parallelen her, daß es nur so leuchtet! Völlig evident, daß Bloy und Nietzsche »Abbruchunternehmer« sind: Bloy sieht sich als »entrepreneur des démolitions«, Nietzsche philosophiert mit dem Hammer. Wenn man davon ausgeht, in Nietzsche nichts anderes als den dezidierten »Antichristen« zu finden, führt der Bezug zu Bloy zu einer anderen Sicht. Könnte es nicht sein, daß auch bei Nietzsche der Weg der Wahrheit durch den Abgrund führt? »Wer die Perspektive des Abgrunds einnimmt, der wird erhoben«, paraphrasiert Pschera die Philosophie beider Denker. Mit Jünger macht der Herausgeber es kaum anders. Die anarchische Seite des Katholischen besteht darin, radikale Freiheit zu wählen oder das Böse. Wer von dem Satz ausgeht »Mein Reich ist nicht von dieser Welt« (Joh 18,36), genießt ungeahnte Freiheit. Dieser Satz »hebt uns aus den Beschränkungen und Verklemmungen der Zwecke der Welt und knüpft ein Band hinüber in die andere Welt. Durch diesen Satz werden wir regellos. Er entkräftet die eine Ordnung, um die andere einzusetzen«, erläutert Pschera.
Jüngers Arbeiter (1932) ist parallel zu Léon Bloys Selbstverständnis als »Arbeiter im Weinberg Christi« zu lesen: Es geht um die Preisgabe bürgerlicher Sicherheit. Der Arbeiter bei Jünger hat »mächtige Reserven«, weil er an die Wahrung dieser Sicherheit nicht mehr gebunden ist – so verhält es sich auch beim Gläubigen, der keine Angst vor dem Schmerz hat. Der Bürgerliche hingegen, gemeinsamer Gegner Bloys und Jüngers, will um alles in der Welt den Schmerz vermeiden, wie auch Jüngers Essay Über den Schmerz festhält. Viele von Bloys Schriften sind einzeln erhältlich. Bei Karolinger erschien Das Heil durch die Juden (eine schwierige, theologisch umstürzlerische Schrift!) in einem Band mit Jeanne d’Arc und Deutschland. Bloys bekanntestes Werk, die Auslegung der Gemeinplätze wurde von Hans Magnus Enzensberger in seine bibliophile Reihe Die andere Bibliothek aufgenommen. Bei Matthes & Seitz liegen vom Karolinger-Verleger Peter Weiß übersetzte Tagebucheinträge unter dem Titel Der Unverkäufliche vor und Pscheras Neuübersetzung von Bloys Kriegserzählung Blutschweiß, die Jüngers und Carl Schmitts Partisanentheorien beeinflußt hat.
Diesseits von Gut und Böse von Léon Bloy kann man hier bestellen.