Albrecht Müller: Glaube wenig, hinterfrage alles, denke selbst

Albrecht Müller: Glaube wenig, hinterfrage alles, denke selbst. Wie man Manipulationen durchschaut, Frankfurt a. M.: Westend 2019. 144 S., 14 €

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Die­ses Buch hat unheim­lich vie­le (aller­dings auch ungüns­ti­ge) Bewer­tun­gen auf amazon.de erhal­ten. Es darf sich zudem den begehr­ten Stik­ker »SPIEGEL Best­sel­ler« auf den Titel kle­ben. Seit lan­ger Zeit haben die NachDenkSeiten.de des SPD-Urge­steins Albrecht Mül­ler ein erstaun­li­ches Renom­mee – auch im soge­nann­ten rech­ten Lager. Mül­ler ist einer, der tüch­tig gegen den Strich bürs­tet und hell­wach ist, so wach, wie es ein wirk­lich alter Mann eben sein kann. 1972 hat­te er Wil­ly Brandts Wahl­kampf gelei­tet, unter Hel­mut Schmidt war er tätig, bis 1994 saß er im Bun­des­tag. Man könn­te unken: Wenn Mül­ler nur halb so alt wäre (er wird dem­nächst 82), hät­te sei­ne Par­tei einen soli­den Stand. Das knall­ro­te Buch spricht per Titel den Phä­no­typ unse­rer Zeit an: den besorg­ten, mit­un­ter gar wüten­den Bür­ger, der »denen da oben« nichts mehr glaubt, der sich von »den Medi­en« ver­äp­pelt fühlt und allent­hal­ben Mani­pu­la­ti­on wittert.

Nun: Mül­ler bedient die­se Sor­gen gründ­lich. Er kann »Ein­fluß-Agen­ten der Nato« aus dem jour­na­lis­ti­schen Betrieb benen­nen. Er weiß, wohin es führt, wenn Leser rein »aus Treue« zu einem bestimm­ten Blatt ihre Fähig­keit zum Gegen-den-Strich-Den­ken auf­ge­ben. Mül­ler kennt und benennt die »Metho­den der Mani­pu­la­ti­on«, derer sich die »Mäch­ti­gen« bedie­nen. Bei ihm sind es sieb­zehn an der Zahl. Zum Bei­spiel: »Umfra­gen nut­zen, um Mei­nung zu machen«, »Geschich­ten ver­kürzt erzäh­len«, »Exper­ten hel­fen – zu mani­pu­lie­ren« oder »Über­trei­ben – es wird schon was hän­gen­blei­ben.« Das ist alles ver­dienst­voll. Grund­sätz­lich hat der Mül­ler Recht damit, wenn er sich mit dem »Bür­ger von heu­te« »umzin­gelt von Kam­pa­gnen« sieht. Vie­le sei­ner Pra­xis­tips sind daher schwer in Ord­nung: Man soll etwa im Streit­ge­spräch »naiv« beim Gesprächs­part­ner nach­fra­gen: »Was mei­nen Sie eigent­lich mit ›Zivil­ge­sell­schaft‹? Mit ›Popu­lis­mus‹?« Zuzu­stim­men ist Mül­ler auch bei ande­ren »popu­lis­ti­schen« Äuße­run­gen: Daß es schlicht »kei­nen Spaß« mache, mit »unfrei­en Men­schen« Umgang zu haben, die die­se »ver­rück­te Welt, in der wir leben« gar nicht als sol­che erken­nen! Mül­ler rät mehr­fach dazu, sich zusam­men­zu­tun. »Vie­le Augen sehen mehr als zwei.« Man soll sich am Arbeits­platz, am Stamm­tisch, im Ver­ein aus­tau­schen, um ein »gro­ßes, brei­tes Milieu der Auf­klä­rung zu schaffen.« 

Ja, so den­ken SPDit­ter, die davon aus­ge­hen, daß ein sol­ches »Zusam­men­he­cken« zu ande­ren als rechts­po­pu­lis­ti­schen Schluß­fol­ge­run­gen führ­te! Als Intel­lek­tu­el­ler wür­de man die Kla­ge womög­lich anders for­mu­lie­ren. Hier sitzt viel­leicht der Haken. Für aka­de­mi­sche Dis­si­den­ten ist Mül­lers Buch deut­lich zu unterkomplex.

Und: Mül­ler ist dem Ver­schwö­rungs­wis­sen anheim­ge­fal­len. Bei­spie­le? Mül­ler beklagt, daß Nao­mi Kleins Schock-Stra­te­gie (2007), in dem der Ein­fluß »des Wes­tens« auf Jel­zin öffent­lich gemacht wor­den sei, in Deutsch­land »erstaun­lich ver­ges­sen gemacht« wur­de. Gro­ßer Quatsch! Das Buch wur­de in sämt­li­chen Leit­me­di­en breit (und weit­ge­hend posi­tiv) bespro­chen! Oder: In »den Medi­en« wür­den Putin und Assad übel beleu­mun­det – Jair Bol­so­n­a­ro hin­ge­gen nicht, schreibt Mül­ler. Wie? Bit­te bloß mal ein hal­bes Dut­zend posi­ti­ver Bol­so­n­a­ro­be­rich­te aus dem Main­stream lie­fern! Oder: Sowohl Bild (eher rechts­las­tig) als auch Spie­gel (nur vor­geb­lich links­las­tig, in Wahr­heit laut Mül­ler voll auf Rechts­kurs) »dra­ma­ti­sie­ren« laut Mül­ler (in infa­mer Absicht) den »demo­gra­phi­schen Wan­del«. Dabei gibt es den doch gar nicht! Bei Mül­ler trapst die Nach­ti­gall unent­wegt und über­all. Kei­nes­falls möch­te er dabei sei­ne Medi­en- und Eli­ten­kri­tik »von rechts miß­braucht« sehen. Wer heu­te von einem »lin­ken media­len Main­stream« rede – das sei laut Mül­ler ein­fach »zum Lachen.« Was für eine schi­zo­ide Ver­dre­hung! Mül­ler soll­te es bes­ser wissen. 

Dies scheint an vie­len Stel­len durch: »Bei den Land­tags­wah­len in Bran­den­burg und Sach­sen am 1. Sep­tem­ber 2019 haben wir eine beson­de­re Vari­an­te des Gebrauchs oder Miß­brauchs von Umfra­gen erlebt. Da wur­den die Minis­ter­prä­si­den­ten (…) am Wahl­abend in vie­len Kom­men­tie­run­gen zu Sie­gern [gegen­über den Umfra­gen], obwohl sie und ihre Par­tei­en kräf­tig ver­lo­ren hat­ten.« Genau. Mül­ler sieht die Zei­chen der Zeit, aber er ver­mag sie nicht zu lesen! Für ihn riecht heu­te alles, was ihm per­sön­lich unsym­pa­thisch ist, nach rechts­po­pu­lis­ti­scher oder wenigs­tens Anti-Putin-Ver­schwö­rung. Daß heu­te kaum einer mehr die Namen der wich­tigs­ten Gewerk­schafts­bos­se kennt, gilt ihm als Zei­chen, daß urlin­ke Anlie­gen von den Medi­en bewußt tot­ge­schwie­gen wer­den. Daß ein älte­rer Mann ins Hol­pern gerät, wäre ver­zeih­lich. Blöd wird es, wenn er auf Sei­te 99 plötz­lich von »Verkehrsteilnehmer*innen« zu schrei­ben beginnt. »Jähes Gen­dern«, also anfalls­ar­ti­ger Pseu­do­fe­mi­nis­mus, ist ein schlech­tes Vorzeichen. 

Mül­ler gen­dert in etwa 20 Pro­zent der Fäl­le – das wirkt in sei­ner Inkon­se­quenz betu­lich. Glaub­haf­ter wäre, er lie­ße es ganz. Ins­ge­samt mag es sich wohl so ver­hal­ten: Lin­ke Leu­te sehen in der rezen­ten Poli­tik und Bericht­erstat­tung »rech­te« Akteu­re die Räd­chen dre­hen. Und vice ver­sa. Ein sym­pa­thisch-skur­ri­les Buch. Zuletzt ein Tip: »Im Deutsch­land­funk sind ver­mut­lich täg­lich ver­schach­tel­te Abfol­gen von Mani­pu­la­tio­nen zu hören. Die­ses Gesamt­kunst­werk durch­schaut man allein schwe­rer als mit ande­ren, die auf dem Weg zur Arbeit die­sen Sen­der ein­ge­schal­tet haben und sich in der Regel ärgern. Die­ser Ärger läßt sich leich­ter ertra­gen, wenn man sich dar­über austauscht.«

Glau­be wenig, hin­ter­fra­ge alles, den­ke selbst
von Albrecht Mül­ler kann man hier bestel­len.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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