Robert Kardinal Sarah (und Nicolas Diat): Herr bleibe bei uns. Denn es will Abend werden. Aus dem Französischen von Hedwig Hageböck, Kißlegg: fe-medienverlag 2019. 436 S., 19,80 €
»Es ist schlichtweg Wahnsinn, den Völkern einzureden, dass alle Grenzen abgeschafft werden. Gewiss hat es immer Migrationswellen gegeben. Die Suche nach einem besseren Leben, die Flucht vor Armut und militärischen Konflikten ist nichts Neues. Doch die heutigen Umwälzungen haben eine völlig andere Tragweite. Die Menschen nehmen unglaubliche Gefahren auf sich und der Preis, den sie zahlen, ist hoch«. An anderer Stelle heißt es: »Die Aufhebung der alten Grenzen löscht die Identität der herkömmlichen Nationen aus.
Die Wurzeln, die jahrtausendealte Geschichte und die Kultur der verschiedenen Länder haben keinerlei Gewicht mehr … Kein Wunder, wenn sich die Völker dagegen wehren, dass man ihre Identität und Geschichte, ihre Sprache und ihre Einzigartigkeit auslöschen möchte. Man will die Geschichte der Staaten auf dem Altar der finanziellen Interessen opfern. Doch das ist eine gefährliche Utopie«. Wer so spricht, ist kein AfD-Politiker. Es handelt sich um Worte eines höheren geistlichen Würdenträgers im Vatikan, der von manchen Journalisten zum Kontrahenten seines Chefs hochgespielt wird. Nicht nur in der Frage der Zuwanderung dürfte es zwischen Papst Franziskus und Robert Sarah in der Tat einige Meinungsverschiedenheiten geben.
Trotz dieser klaren Aussagen mißverstände man den aus Guinea stammenden Kurienkardinal gänzlich, wenn man ihm unterstellte, für ihn wären weltlich-politische Angelegenheiten zentral. Stattdessen räumt er einem Leben aus dem rechten Glauben heraus, bezogen auf Christus, Priorität ein. Von diesem Mittelpunkt her liest sich seine Erörterung vieler Probleme in Kirche und Welt wie eine Aktualisierung der Spenglerschen Dekadenzperspektive aus katholischer Sicht: Glaubenskrise, Untergang des Abendlandes, moralischer Relativismus, entfesselter Kapitalismus und offenkundige Parallelen zum Niedergang des römischen Reiches. Neben den geistig-sozialen Sterbensprozessen, die an allgegenwärtigen Entwicklungen des Abendlandes auffallen, sieht er aber auch Erneuerungsbewegungen, wenn auch eher marginale. Trifft vielleicht heute ein, was Spengler prognostiziert hat? Man könnte es meinen, wenn man Sarahs ausführliche Antworten in dem Interview-Band (mit Nicolas Diat) studiert, der der erfolgreichen Publikation Kraft der Stille folgt. Zuerst treibt ihn der Niedergang des kirchlichen Lebens um.
Die Krise des Glaubens, des Priestertums und der Kirche werden analysiert. Die Ideale des Abendlandes schätzt er hoch. Er weiß aber, daß das christliche Erbe schon im 19. Jahrhundert mehr und mehr hinter die technisch-materiellen Errungenschaften zurückgetreten ist, die von Europa ausgegangen sind. In den letzten Jahrzehnten hat die tendenzielle Verdunstung des Glaubens neben anderen gravierenden Einschnitten dazu geführt, daß grundlegende moralische Maßstäbe verlorengegangen sind. Selbst früher für eindeutig gehaltene Lebensformen wie Ehe und Familie werden weithin neu definiert. Die »Kultur des Todes«, wie sie Papst Johannes Paul II. gegeißelt hat, Abtreibung und Euthanasie, ist natürlich ein wichtiges Thema des Gesprächs. Es besteht kein Zweifel, welchen Vorbildern im Glauben Sarah besonders verpflichtet ist: Er scheut nicht davor zurück, sich häufig auf Joseph Ratzinger und Johannes Paul II. zu berufen. Gelegentlich streut er Aussagen des derzeit amtierenden Pontifex ein.
Sarah, der in jungen Jahren in seiner westafrikanischen Heimat vieles Schreckliche (in Form von Gewalt und Elend) erlebt hat, hält vornehmlich der wohlstandsverwöhnten Kirche in Europa den Spiegel vor. Kein Kleriker dürfte so sehr den besonders in Deutschland verbreiteten Versuchen, den Katholizismus in ein gestaltloses »säkulares Christentum« umzuformen, Widerstand entgegensetzen, wie er es tut. Den zeitgeistigen Synodalen hierzulande ist er ein Greuel. Und das ist gut so!
Herr bleibe bei uns. Denn es will Abend werden von Robert Kardinal Sarah und Nicolas Diat kann man hier bestellen.